Kalt duschen für ein starkes Immunsystem?

Kalt duschen soll das Immunsystem stärken. Das ist zwar nicht belegt – aber auch nicht einfach zu erforschen…

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Review:  Jana Meixner 

Kann regelmäßiges Kalt-duschen das Immunsystem stärken und vor Erkältungen schützen?

Untersucht wurde das bisher nur in zwei Studien. Die haben aber einige Probleme, die ihre Ergebnisse wenig aussagekräftig machen. Sie können nicht beantworten, ob kalt zu duschen das Immunsystem stärkt. Belege aus der Forschung gibt es derzeit also keine: Die Erwartungen der Beteiligten können das Ergebnis verzerren – sie könnten sich auch abseits des Badezimmers anders verhalten und zum Beispiel mehr auf ihre Gesundheit achten.

so arbeiten wir
Kalte Dusche Regelmäßiger Kaltwasserschock als Vorbeugung von Erkältungen?
©RossHelen – shutterstock.com

Die kalte Dusche am Morgen soll abhärten und das Immunsystem stärken – so die weit verbreitete Überzeugung. Das Internet ist voll von Seiten, die zum Kälteschock am Morgen raten. Aber lohnt sich die Überwindung? Bringt sie einen Vorteil gegenüber Warmduschern, wenn es um die Infektanfälligkeit geht? Wir haben uns auf die Suche nach Antworten aus der Wissenschaft gemacht.

Keine Hinweise auf „Abhärtung“ durch kalte Dusche

Zwei Studien haben bisher untersucht, ob – zumindest kurzes – kalt duschen das Risiko für Erkältungen und andere Infekte der Atemwege verringert [Quellen 1 und 2]. Die Forschungsteams verglichen, wie häufig Kaltduscher und Warmduscher erkrankten, und zwar drei beziehungsweise sechs Monate lang.
Insgesamt liefern die Studien keine Hinweise darauf, dass die tägliche kalte Dusche einen merkbaren Effekt auf die Häufigkeit und Dauer von Erkältungen hat – also tatsächlich „abhärtet“. Ausschließen können wir das aber nicht. Denn in beiden Studien gab es Probleme in der Durchführung (mehr dazu in den Studien im Detail).

Kaltduscher sind anders als Warmduscher

Die beiden größten Probleme: Einerseits konnten sich die Teilnehmenden teilweise selbst aussuchen, ob sie kalt oder lieber warm duschen möchten. Das heißt, diejenigen, die sich freiwillig für die unbequeme Variante entschieden, bevorzugten möglicherweise generell kältere Temperaturen und unterschieden sich so bereits vor Studienbeginn von der Kontroll-Gruppe, die das warme Wasser vorzog.
Andererseits gab es keine Gruppe, die eine Schein-Behandlung, also eine Placebo-Dusche, bekam. Bei einer Studie, die das Kalt-duschen untersucht, ist das natürlich unmöglich – denn wie sollte eine solche „Placebo-Dusche“ aussehen?
Das führte aber dazu, dass die Teilnehmenden wussten, in welcher Gruppe sie sich befanden. Die Studien waren also nicht „verblindet“. Die Erwartungen der Teilnehmenden könnten ihr Verhalten beeinflusst und das Ergebnis verzerrt haben. Vor diesem Problem stehen fast alle Studien, bei denen es um die Auswirkungen von Verhaltensänderungen geht. Wirklich verlässliche Forschung ist im Fall des Kalt-duschens also ziemlich schwierig.

Kaltes Duschen: Gibt es Nebenwirkungen?

Sich kaltem Wasser auszusetzen ist – zumindest am Anfang – eher unangenehm. Doch kann die eiskalte Dusche auch der Gesundheit schaden? In der ersten Studie [Quelle 1] war die häufigste Nebenwirkung ein anhaltendes Kältegefühl in Händen und Füßen. Rund 13 Prozent der Teilnehmenden berichteten davon. Einzelne Personen bekamen vom kalten Wasser auch Probleme wie Krämpfe, Muskelschmerzen, Juckreiz, Schlafprobleme wegen des Kältegefühls oder Schwindel.

Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden aber in keiner der Studien berichtet. Für Menschen mit Kreislaufproblemen oder Herzerkrankungen können kalte Duschen aber gefährlich sein. Wer es probieren möchte, kann sich vorsichtig ans kalte Wasser herantasten und zuerst einmal Beine und Arme duschen.

Warum soll Kälte eigentlich gesund sein?

Extreme Kälte bedeutet für den Körper grundsätzlich Stress. Sind wir ihr nämlich dauerhaft und ungeschützt ausgesetzt, droht lebensgefährliche Unterkühlung. Plötzliche Kälte empfinden wir deshalb als unangenehm.

Auf eiskaltes Wasser reagiert der Körper mit einem Notprogramm [Quelle 3]: Der Puls und der Blutdruck steigen, das Stresshormon Adrenalin wird ausgeschüttet. All das macht wach und manchmal auch euphorisch. Ob kaltes Wasser aber langfristige gesundheitliche Vorteile bringt, ist von der Wissenschaft nicht bestätigt.

Kälte als (All-)Heilmittel?

Aus der Kälte als Heilmittel haben sich ganze Gesundheitsrichtungen und -philosophien entwickelt – auch abseits der Dusche. In anderen Faktenchecks haben wir uns bereits genauer angesehen ob:

Das Immunsystem: in der Werbung beliebt

Ein starkes Immunsystem gilt als der Inbegriff des Gesund-seins. Gemeint ist damit meist ein Schutz vor Erkrankungen, die durch Viren oder Bakterien ausgelöst werden. Es ist deshalb auch wenig verwunderlich, dass das Versprechen „für ein starkes Immunsystem“ auf so vielen Nahrungsergänzungsmitteln, Superfoods und Fruchtsäften zu finden ist. Wissenschaftlich belegt ist so eine krankheits-vorbeugende Wirkung meist nicht. Wir haben uns bereits einige angeblich Immunsystem-stärkenden Mittel angesehen, wie zum Beispiel

Wer mehr über das Immunsystem und wie es funktioniert erfahren will, wird zum Beispiel auf der Seite Gesundheit.gv.at fündig.

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

Ob kalt zu duschen das Immunsystem stärkt, könnte nur folgende Studie halbwegs aussagekräftig beantworten: Eine große Anzahl von Teilnehmenden, die bisher warm geduscht hatten, würde per Los auf zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe würde fortan täglich kalt duschen, die andere wie bisher warm.

Die Studie müsste viele Monate – oder besser noch Jahre – lang laufen. Eine nicht eingeweihte Ärztin oder ein Arzt müsste laufend den Gesundheitszustand der Teilnehmenden überwachen. Denn wenn die Teilnehmenden selbst Auskunft über ihre Erkältungen geben, kann wieder der Placebo-Effekt die Angaben beeinflussen: Vielleicht schätzen ja überzeugte Kalt-Duscher ihre Erkältungen weniger schlimm ein als sie sind. Oder sie sind einfach überzeugt, schneller wieder fit zu sein als Warmduscher.

Was in jedem Fall bleibt, ist das Problem der fehlenden Verblindung – dass also die Teilnehmenden wissen, in welcher Gruppe sie sind. Der Placebo-Effekt kann deshalb immer das Ergebnis verzerren.

Wir haben zwei Studien gefunden, die versucht haben, möglichst nahe an die „ideale Studie“ herankommen [Quelle 1 und 2].

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Die größere der beiden wurde 2003 in den Niederlanden durchgeführt [Quelle 1]. Dafür wurden 3018 gesunde Erwachsene zwischen 18 und 65 einer von vier Gruppen zugelost. Je nach Gruppe sollten sie täglich während ihrer wie üblich temperierten Dusche das Wasser für 30 oder 60 oder 90 Sekunden auf kalt stellen. Die vierte Gruppe war die Kontrollgruppe, sie duschte wie gewohnt warm.

Innerhalb dieses Monats (Jänner) waren die Teilnehmenden aus der Kontrollgruppe im Durchschnitt einen Tag krank, jene aus den Kaltdusch-Gruppen null Tage.

Aber:

    • Das ist kein Beleg dafür, dass regelmäßige kalte Duschen das Erkrankungsrisiko senken. Denn ein Monat ist viel zu kurz, um das zu beurteilen.
      In den folgenden zwei Monaten (Februar, März) konnten die Teilnehmenden aus den Kaltdusch-Gruppen ihre Duschwasser-Temperatur selbst bestimmen. Etwa ein Drittel duschte daher wie gewohnt wieder warm. Dadurch sinkt die Aussagekraft der Studie deutlich. Dennoch fasste das Forschungsteam die Ergebnisse für drei Monate (Jänner, Februar, März) zusammen.

      • Die Teilnehmenden wussten naturgemäß, in welcher Gruppe sie waren. Allerdings waren in dieser Studie auch die Forschenden nicht verblindet. Mögliche Erwartungshaltungen machen das Ergebnis weniger vertrauenswürdig.
      • Zudem hat das Forschungsteam nicht nur Erkältungen als „Krankheitsfall“ gewertet, sondern auch Verletzungen, psychische Erkrankungen und geplante Operationen. Eine gesonderte Auswertung nur für Erkältungskrankheiten gibt es nicht.

 

In der zweiten Studie untersuchte eine deutsche Forschungsgruppe 60 Männer zwischen 20 und 50 Jahren [Quelle 2]. Die Hälfte führte regelmäßig kalt-warme Wechselduschen durch. Die Kontrollgruppe duschte nur mit warmem Wasser. Im sechsmonatigen Untersuchungszeitraum (Oktober bis März) war die Kaltwassergruppe durchschnittlich sechs Tage krank und die Kontrollgruppe siebeneinhalb Tage. Dieser Unterschied ist allerdings so klein, dass er auch durch Zufall zustande gekommen sein kann.

Was die Studie außerdem wenig aussagekräftig macht:

      • Die Teilnehmenden suchten sich selbst aus, ob sie kalt oder warm duschen wollen. Dadurch waren die beiden Gruppen schon zu Studienbeginn nicht vergleichbar. Beispielsweise ist unklar, ob die Kontrollgruppe schon zu Beginn anfälliger für Erkältungen war als die Kaltwassergruppe, oder ob sich die Gruppen in ihrem Verhalten im Alltag unterschieden.
      • 60 Teilnehmende sind zu wenig für ein verlässliches Ergebnis.

[1] Buijze et al. (2016). The Effect of Cold Showering on Health and Work: A Randomized Controlled Trial. PLoS One. 2016 Sep 15;11(9):e0161749. (Studie in voller Länge)

[2] Ernst u.a. (1990). Prevention of common colds by hydrotherapy: A controlled long-term prospective study. Physiotherapy, 76(4), 207-210. (Zusammenfassung der Studie)

[3] Tipton, M. J. (1989). The initial responses to cold-water immersion in man. Clinical Science, 77(6), 581-588. (Link zur Studie)

• 3. 9. 2019: erste Veröffentlichung des Faktenchecks – allerdings zu kalt duschen und Kneippen gemeinsam
• 27. 10. 2021: eine Aktualisierungs-Recherche des Faktenchecks zu kalt duschen/Kneippen förderte keine neuen aussagekräftigen Studien zutage
• 4. 7. 2023: keine neuen Forschungsergebnisse gefunden
• 26.9.2024: Wir trennen die beiden Themen kalt duschen und Kneippen und machen sie jeweils zu eigenständigen Faktenchecks. Somit ist dieser Faktencheck der erste, in dem wir ausschließlich kalt duschen behandeln.

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