Multivitamin: gesund oder gefährlich?

Multivitamin-Tabletten bewahren nicht vor lebensbedrohlichen Krankheiten. Einzelne Vitamine könnten sogar schaden.

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Können Multivitamin-Präparate vor lebensbedrohlichen Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen und das Leben verlängern?

Multivitamin-Präparate verringern wahrscheinlich nicht das Risiko, durch Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder andere Ursachen frühzeitig zu sterben. Die Einnahme von Beta-Carotin könnte die Wahrscheinlichkeit für einen frühzeitigen Tod sogar etwas erhöhen. Zu viel Folsäure kann möglicherweise Krebs begünstigen.

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Teller mit bunten Pillen. Vitamintabletten statt Obst?
© iStock-Antonio Diaz

Vitamintabletten und Mineralstoffe sind ein gutes Geschäft. Meistens werden sie von eigentlich gesunden Menschen eingenommen. Besonders beliebt sind Präparate mit vielen verschiedenen Vitaminen auf einmal, die Multivitamin-Tabletten.

Eine Tablette – so das Versprechen von Anbietern – soll alles enthalten, was der Körper braucht. Manchmal wird sogar behauptet, regelmäßig eingenommen könnten sie lebensbedrohlichen Krankheiten vorbeugen und so das Leben verlängern.

Doch bringt die Einnahme solcher – oft kostspieliger – Multivitaminpräparate auf Dauer etwas? Oder kann sie im Gegenteil vielleicht sogar schaden?

Multivitamin-Präparate sind wahrscheinlich nutzlos

Die zusammengefassten Ergebnisse bisheriger Studien zeigen: Multivitamin-Tabletten oder Antioxidantien zu schlucken, dürfte die Gesundheit nicht verbessern [1-3]. Personen, die keinen Nährstoffmangel haben und auch sonst gesund sind, nützt die Einnahme von Vitamin-Präparaten wahrscheinlich nichts. Denn sie kann die Wahrscheinlichkeit nicht verringern, frühzeitig an Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall oder anderen Erkrankungen zu versterben. Das gilt für Multivitamin-Präparate mit einem Mix aus bis zu 14 verschiedenen Vitaminen und 17 Mineralstoffen genauso wie für Einzel-Präparate mit Antioxidantien [1-3].

Antioxi-was?

Antioxidativ wirkende Substanzen (Antioxidantien) können besonders reaktionsfreudige Moleküle – sogenannte freie Radikale – unschädlich machen, die sonst möglicherweise Körperzellen oder das Erbgut schädigen. Sie werden daher auch als Radikalfänger bezeichnet. Manche Fachleute vertreten die Theorie, dass freie Radikale den Alterungsprozess beschleunigen – deshalb die Schlussfolgerung, antioxidative Substanzen könnten eventuell eine lebensverlängernde Wirkung haben. Zumindest für die antioxidativ wirksamen Vitamine A, E, C und Beta-Carotin sowie das antioxidative Spurenelement Selen gilt das jedoch wahrscheinlich nicht [1-3].

Diese Studienergebnisse sind zwar ziemlich eindeutig. Eine Rest-Unsicherheit bleibt dennoch zurück. Die Studien liefen nämlich längstens 13 Jahre. Ob es Vorteile hätte, ein ganzes Leben lang Multivitamin-Präparate einzunehmen, wird vermutlich nie in Studien untersucht werden können.

Achtung bei Beta-Carotin und Folsäure

Dieselben Studienanalysen, die keinen positiven Effekt von Multivitamin-Tabletten fanden, liefern noch eine weitere, eher beunruhigende Erkenntnis. Nicht nur, dass Vitamine und Antioxidantien das Leben offenbar nicht verlängern können. Manche könnten die Wahrscheinlichkeit für einen frühzeitigen Tod sogar etwas erhöhen: Folsäure und die Vitamin-A-Vorstufe Beta-Carotin zum Beispiel [1-3].

Menschen, die über längere Zeit Folsäure einnehmen, könnten häufiger an Krebs erkranken [1]. Ohne zusätzlicher Folsäure bekamen etwa 44 von 1.000 Teilnehmenden irgendeine Art von Krebs, mit Folsäure waren es rund 62 von 1.000.

Die langfristige Einnahme von Beta-Carotin dürfte das Risko für Lungenkrebs erhöhen. Statt rund 10 von 1.000 Studienteilnehmenden bekamen mit Beta-Carotin rund 12 von 1.000 Lungenkrebs. Auch das Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie etwa Schlaganfällen zu sterben, könnte durch die Beta-Carotin-Einnahme ebenfalls etwas steigen. Und zwar von rund 26 auf 28 pro 1.000 Personen.

Keine Vitamine im modernen Gemüse?

Die Behauptung, Multivitamin-Tabletten würden die Gesundheit verbessern, sind also höchstwahrscheinlich falsch. Dennoch argumentieren Anbieter und Vitamin-Enthusiasten häufig mit der angeblich schlechten Qualität moderner Nahrungsmittel: Heutiges Obst und Gemüse beinhalte kaum noch Vitamine und könne unseren Nährstoffbedarf nicht decken. Das stimmt nicht. Zwar enthalten manche moderne Obst- und Gemüsesorten, die es heute im Supermarkt zu kaufen gibt, weniger Vitamine als ihre wilden Verwandten [4,5]. Das liegt unter anderem an Züchtungen, die für immer größeren Ertrag sorgen sollen. Auch lange Lager- und Transportzeiten können sich negativ auf den Vitamin-Gehalt auswirken. Nichts weist aber darauf hin, dass das schädlich für die Gesundheit ist oder zu Mangelerscheinungen führt.

Laut dem österreichischen Ernährungsbericht sind die Menschen hierzulande ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt [6]. Um alle Vitamine zu bekommen, die man braucht, empfehlen Fachleute eine möglichst bunte und abwechslungsreiche Ernährung mit vielen verschiedenen Obst- und Gemüsesorten [4].

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

In der idealen Studie würden möglichst viele gesunde Menschen per Zufall auf zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine nähme ab sofort täglich ein Multivitamin-Präparat, die andere ein Schein-Präparat (Placebo). Unsere ideale Studie liefe mehrere Jahrzehnte lang, und am Ende stünde die Auswertung: In welcher Gruppe lebten die Teilnehmenden durchschnittlich länger und gesünder?

In der Realität sind solche (eine sogenannte randomisiert-kontrollierte) Studien nicht über mehrere Jahrzehnte durchführbar. Meist dauern sie kürzer, oder aber es werden sogenannte Beobachtungsstudien durchgeführt. Dabei werden Menschen über einen längeren Zeitraum beobachtet, die Vitamin-Tabletten nehmen oder eben nicht. Wer Vitamintabletten nimmt und wer nicht, entscheiden die Teilnehmenden jedoch selbst – im Gegensatz zu randomisiert-kontrollierten Studien. Diese Art von Studien ist deshalb anfällig für Verzerrungen. Beispielsweise könnten sich bevorzugt jene Teilnehmenden für Vitamintabletten entscheiden, die ohnehin schon gesünder leben. Sie hätten also bereits ohne Vitamintabletten ein geringeres Risiko, schwer zu erkranken.

Wir haben für diesen Faktencheck nach randomisiert-kontrollierten Studien und Beobachtungsstudien gesucht. Gefunden haben wir zwei umfangreiche aktuelle Übersichtsarbeiten, die die Ergebnisse sämtlicher bisheriger Studien zusammenfassen [1-3].

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Die aktuellere der beiden Übersichtsarbeiten analysiert insgesamt 13 Studien mit über 240.000 Teilnehmenden. Diese nahmen bis zu 13 Jahre lang regelmäßig Multivitamin-Tabletten mit vielen verschiedenen Vitaminen und Mineralstoffen ein. Enthalten waren sämtliche Vitamine, aber auch Beta-Carotin (die Vorstufe von Vitamin A), Folsäure, Calcium und Selen. Die Teilnehmenden waren im Durchschnitt 60 Jahre alt und drei Viertel davon waren Frauen.

Die Studienteams untersuchten sowohl das allgemeine Risiko, zu versterben, als auch die Häufigkeit von Krebs und Herzkreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Dabei zeigte sich kein Unterschied zwischen den Gruppen.

Einzig Krebserkrankungen schienen geringfügig öfter bei jenen Personen aufzutreten, die kein Vitamin-Präparat schluckten. Bei näherer Analyse zeigte sich aber, dass das nur Lungenkrebs zu betreffen schien. Wie es zu dieser Beobachtung kam, ist unklar.
Natürlich sind auch 13 Jahre Studiendauer auf ein Leben gerechnet eine relativ kurze Zeitspanne.

Die Studien sind zwar von hoher Qualität und es haben sehr viele Personen daran teilgenommen. Die kurze Studiendauer schränkt jedoch die Aussagekraft der Studien ein Wir sind uns deshalb nicht vollkommen sicher, dass Multivitamin-Präparate tatsächlich keinen Nutzen haben.

[1] O‘Connor u.a. (2022)
O’Connor, E. A., Evans, C. V., Ivlev, I., Rushkin, M. C., Thomas, R. G., Martin, A., & Lin, J. S. (2022). Vitamin and mineral supplements for the primary prevention of cardiovascular disease and cancer: updated evidence report and systematic review for the US Preventive Services Task Force. Jama, 327(23), 2334-2347. (Link zur Übersichtsarbeit)

[2] Bjelakovic u. a. (2012)
Bjelakovic G, Nikolova D, Gluud LL, Simonetti RG, Gluud C. Antioxidant supplements for prevention of mortality in healthy participants and patients with various diseases. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 3. Art. No.: CD007176. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[3] Bjelakovic u.a. (2013)
Zusatz-Analyse zu Übersichtsarbeit von Bjelakovic u.a.a (2012)
Bjelakovic G, Nikolova D, Gluud C. Meta-regression analyses, meta-analyses,and trial sequential analyses of the effects of supplementation with beta-carotene, vitamin A, and vitamin E singly or in different combinations on all-cause mortality: do we have evidence for lack of harm? PLoS One. 2013 Sep 6;8(9):e74558. (Link zur Übersichtsarbeit)

[4] Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (2023)
Abgerufen am 19.6.2023 unter https://www.verbraucherzentrale.nrw

[5] Marles, R. J. (2017). Mineral nutrient composition of vegetables, fruits and grains: The context of reports of apparent historical declines. Journal of food composition and analysis, 56, 93-103. (Zusammenfassung der Studie)

[6] Österreichischer Ernährungsbericht (2017)
Rust, P., Hasenegger, V., & König, J. (2017). Österreichischer Ernährungsbericht 2017. Universität Wien. Abgerufen am 19.6.2023 unter broschuerenservice.sozialministerium.at

  • 20.6.2023: Eine neuerliche Suche nach Studien bestätigt unsere bisherige Einschätzung.
  • 16.8.2016: Aktualisierung des Faktenchecks
  • 21.5.2014: Eine Suche nach neuen Studien ergibt keine wesentliche inhaltliche Änderung.
  • 25.10.2011: Erstveröffentlichung des Faktenchecks.

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