Grünlippmuschel gegen Arthrose: Nutzen nicht belegt

Mittel mit Grünlippmuschel sollen angeblich bei Arthrose helfen. Dass sie Schmerzen lindern oder die Beweglichkeit verbessern, ist durch bisherige Studien nicht belegt.

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Review:  Jana Meixner 

Verbessern Präparate aus Grünlippmuschel die Beschwerden bei Arthrose?

Die Frage wurde in vier kleinen Studien mit schweren methodischen Mängeln untersucht, die zudem zu teils widersprüchlichen Ergebnissen kommen. Eindeutige Schlüsse lassen sich daraus nicht ziehen. Die Behauptung, Grünlippmuschel würde bei Arthrose helfen, ist wissenschaftlich nicht belegt.

so arbeiten wir
© Shutterstock-fongbeerredhot Wieder ohne Schmerzen gehen – das versprechen viele Nahrungsergänzungsmittel gegen Arthrose.
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Gelenkverschleiß (Arthrose) betrifft mit fortschreitendem Alter viele Menschen. Kein Wunder also, dass es gerade im Internet auch viele Angebote von Nahrungsergänzungsmitteln gibt, die bei Schmerzen und eingeschränkter Beweglichkeit der Gelenke helfen sollen. Dazu gehören auch Produkte mit Grünlippmuschel. Diese werden als wirksames Mittel gegen Arthrose und rheumatoide Arthritis beworben. Eine Leserin wollte von uns wissen, ob das tatsächlich etwas bringt.

Mit Muscheln gegen Schmerzen?

Die Grünlippmuschel stammt ursprünglich aus Neuseeland und enthält Substanzen, die sich angeblich günstig auf die Gelenke auswirken sollen. Dazu gehören Omega-3-Fettsäuren, Antioxidantien und Chondroitin. Besonders dem Chondroitin wird eine Anti-Arthrose-Wirkung nachgesagt. Dass das wahrscheinlich nicht stimmt, haben wir bereits in einem anderen Beitrag herausgefunden.

Zu kaufen gibt es die Grünlippmuschel in unterschiedlichen Formen: als gefriergetrocknetes Muskelfleisch etwa oder als Extrakte – beides oft in Kapseln oder Tabletten verpackt [7].

Eine Leserin wollte von uns wissen, ob diese Präparate tatsächlich bei Arthrose helfen können.

Studien insgesamt nicht aussagekräftig

Das Fazit unserer Recherche: Wissenschaftliche Belege für die behauptete Wirkung fehlen. Wir fanden vier Studien [1-4], die wir für die Bewertung heranziehen konnten. Die Ergebnisse sind jedoch uneindeutig: Die Studien haben sehr viele Aspekte (z.B. Schmerzen oder Beweglichkeit) geprüft und meist nur für einige wenige, aber nicht alle Punkte tatsächlich einen Unterschied zwischen Grünlippmuschel und Placebo gefunden. Zum Teil widersprechen sich die Studien dabei auch.

Unklar ist außerdem, ob die gemessenen positiven Effekten groß genug sind, um für Betroffene tatsächlich spürbar zu sein.

Unabhängig vom Ergebnis haben alle vier Studien erhebliche Mängel. Ob Grünlippmuschel bei Arthrose hilft oder nicht, lässt sich daher im Moment nicht sagen.

Nicht erlaubt: Werbung für „gesunde Gelenke“

Die Produkte, die wir gefunden haben, sind allesamt keine Arzneimittel, sondern meist Nahrungsergänzungsmittel. Die dürfen nur mit genehmigten gesundheitsbezogenen Aussagen werben. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit gelanget allerdings bereits 2009 zu der Auffassung, dass eine schützende Wirkung der Grünlippmuschel auf gesunde Gelenke nicht belegt ist. Entsprechende Aussagen oder Werbung ist deshalb für solche Nahrungsergänzungsmittel nicht erlaubt [8].

Arthrose: Häufig Knie oder Hüfte betroffen

Geschätzt 40 Prozent der Frauen und knapp 25 Prozent der Männer über 65 Jahren haben Arthrose [5,6]. Bei einer Arthrose wird der schützende Knorpel im betroffenen Gelenk dünner. Das kann zu Schmerzen und Entzündung führen, die Beweglichkeit nimmt ab. Meist entwickelt sich die Arthrose am Hüft- oder Kniegelenk. Sie kann aber auch an anderen Gelenken auftreten, etwa in der Hand oder an der Schulter [9].

Bisher steht kein Medikament zur Verfügung, das eine Arthrose heilen könnte. Um die Beschwerden zu lindern, werden Bewegung und Schmerzmitteln empfohlen. Übergewicht belastet die Gelenke zusätzlich – dann ist Abnehmen sinnvoll.

Betrifft die Arthrose Knie oder Hüfte, können Hilfsmittel wie Gehstöcke das Gelenk entlasten. Wenn der Gelenkverschleiß weit fortgeschritten ist, ist ein künstlicher Gelenkersatz eine Behandlungsoption [9-11].

Fragwürdige Heilmittel gegen Arthrose

Der Leidensdruck bei Arthrose ist meist groß und Betroffene wünschen sich eine wirksame Behandlung dagegen. Das wissen auch Anbieter diverser Behandlungen und Nahrungsergänzungsmittel, deren Nutzen fragwürdig ist. So haben wir zum Beispiel bereits in anderen Beiträgen herausgefunden, dass die Gelenksspiegelung (Arthroskopie) bei Arthrose nutzlos ist. Auch Nahrungsergänzungsmittel mit Chondroitin und Salben mit DMSO sind bei Arthrose wahrscheinlich wirkungslos. Genauso scheint die Kernspinresonanz-Therapie keine Vorteile zu bringen.

Nicht nachgewiesen weil zu wenig erforscht ist der Nutzen von Präparaten mit Hyaluronsäure, Pinienrinden-Extrakt, Teufelskralle, Katzenkralle, Kurkuma oder Hagebuttenpulver.

Ebenso wenig erforscht ist auch die Wirksamkeit mancher – oft selbst zu zahlenden – Eingriffe, wie zum Beispiel der Stammzell-Therapie und der Behandlung mit pulsierenden Magnetfeldern oder die Therapie mit Ultraschall.

Möglicherweise könnten Eigenbluttherapie, Avocado- und Sojaöl oder Weihrauch die Beschwerden zumindest kurzfristig etwas lindern. Gut abgesichert ist das aber nicht.

Ausführliche und verlässliche Informationen zu Arthrose finden Sie auch auf www.gesundheitsinformation.de.

Die Studien im Detail

Welche Studien haben wir berücksichtigt?

Für Untersuchungen zum therapeutischen Nutzen eines Mittels sind randomisiert-kontrollierte Studien am aussagekräftigsten. Um diese zu finden, haben wir drei Forschungsdatenbanken durchsucht. Dabei fanden wir vier solcher Studien [1-4], die den Nutzen von Präparaten mit Grünlippmuschel bei Menschen mit Arthrose untersucht haben.

Die meisten Teilnehmenden waren an Knie-Arthrose erkrankt, einige wenige auch an Hüft-Arthrose. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt und erhielten entweder ein Präparat mit Grünlippmuschel oder ein Placebo. Offiziell wussten weder die Teilnehmenden noch das Forschungsteam, wer welcher Gruppe angehörte. Präparate mit Grünlippmuscheln sind allerdings sehr geruchsintensiv und können so leicht erkannt werden. Wie die Forschungsteams dieses Problem gelöst haben, ist nicht in allen Publikationen ausreichend beschrieben.

Die Studien dauerten zwischen drei und sechs Monaten. Gemessen wurden verschiedene Effekte mit teils sehr unterschiedlichen Methoden, etwa ob sich die Schmerzen verringerten oder die Beweglichkeit der Gelenke besserte.

In zwei der Studien [1,2] wurde jeweils das gleiche neuseeländische Produkt eingesetzt, allerdings in unterschiedlichen Dosierungen. In den beiden anderen Untersuchungen [3,4] wurden andere Präparate getestet, die sich laut Beschreibung in der Herstellung von dem Produkt in den anderen Studien deutlich unterschieden. Ob sich die Produkte von den Inhaltsstoffen her ähnlich sind, lässt sich aus den Publikationen nicht abschätzen.

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Aus den gefundenen Studien lassen sich unserer Einschätzung nach keine verlässlichen Schlüsse ziehen. Was wir besonders bemängeln:

  • Die Studien waren mit jeweils 38 bis 80 Teilnehmenden relativ klein.
  • Die Untersuchungen waren nicht besonders gut gemacht, beispielsweise fehlen in der Auswertung oft einige Daten. Manchmal ist es unklar, wie verlässlich die Messungen des Behandlungserfolgs sind. Häufig berichten die Forschungsteams in den Publikationen zudem nicht über alle Details, die wir brauchen, um die Verlässlichkeit abschätzen zu können.
  • Bei einigen Studien – besonders bei [1] – können wir die statistische Auswertung nicht nachvollziehen. Bei anderen gibt es zumindest einige Fragezeichen.
  • Häufig berichten die Forschungsteams in den Publikationen nicht über alle Details, mit denen wir die Verlässlichkeit besser abschätzen könnten.
  • Besonders schwerwiegend: Manchmal durften die Teilnehmenden zusätzliche Medikamente einnehmen. Das wurde bei der Auswertung jedoch nicht in allen Studien ausreichend berücksichtigt.

[1] Gibson (1980)
Gibson RG u.a. Perna canaliculus in the treatment of arthritis. Practitioner 1980; 224:955-60 (Zusammenfassung der Studie)

[2] Audeval (1986)
Audeval B u.a. Double-blind trial against placebo of extract of Perna canaliculus (green-lipped mussel) in osteoarthritis of the knee. Gaz med, 1986, 93(38), 111-116

[3] Lau (2004)
Lau CS u.a. Treatment of knee osteoarthritis with Lyprinol®, lipid extract of the green-lipped mussel – A double-blind placebo-controlled study. Progress in nutrition, 2004, 6(1), 17-31
(Zusammenfassung der Studie)

[4] Stebbings (2017)
Stebbings S u. a. (2017) A randomized double-blind placebo-controlled trial to investigate the effectiveness and safety of a novel green-lipped mussel extract-BioLex®-for managing pain in moderate to severe osteoarthritis of the hip and knee. BMC Complement Altern Med 17(1):416
(Freier Volltext)

[5] Heidemann (2021)
Gesundheitliche Lage von Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse zu ausgewählten Indikatoren der Studie GEDA 2019/2020-EHIS. Journal of Health Monitoring, 6(3). Abgerufen am 11.07.2022 unter https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/JoHM_03_2021_GEDA_2019_2020_EHIS.pdf

[6] Statistik Austria (2020)
Österreichische Gesundheitsbefragung 2019. Abgerufen am 11.07.2022 unter https://statistik.at/fileadmin/publications/Oesterreichische-Gesundheitsbefragung2019_Hauptergebnisse.pdf

[7] Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (2021)
Abgerufen am 11.07.2022 unter www.verbraucherzentrale.de

[8] EFSA (2009)
Scientific Opinion on the substantiation of health claims related to green lipped mussel extract and maintenance of joints, bone and muscles (ID 1571, 1813) pursuant to Article 13(1) of Regulation (EC) No 1924/2006. EFSA Journal 2009; 7(9):1265. Abgerufen am 11.07.2022 unter https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2009.1265

[9] IQWiG (2021)
Kniearthrose. Abgerufen am 11.07.2022 unter https://www.gesundheitsinformation.de/kniearthrose-gonarthrose.html

[10] UpToDate (2022)
Management of knee osteoarthritis. Abgerufen am 11.07.2022 unter https://www.uptodate.com/contents/management-of-knee-osteoarthritis (kostenpflichtig)

[11] UpToDate (2022)
Overview of the management of osteoarthritis. Abgerufen am 11.07.2022 unter https://www.uptodate.com/contents/overview-of-the-management-of-osteoarthritis (kostenpflichtig)

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