Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Proteinpulver: Nutzen für Muskelaufbau fraglich

Proteinpulver sind ein Milliardengeschäft. Die Eiweiße sollen in Kombination mit hartem Training den Muskelaufbau beschleunigen. Wissenschaftler sind sich darüber uneinig.

AutorIn:
Review:  Claudia Christof 

Helfen Proteinzusätze beim Muskelaufbau?

Auf dem Gebiet wird viel geforscht. Die Studien haben aber oft methodische Mängel und widersprüchliche Ergebnisse. Derzeit ist deshalb unklar, ob und in welcher Form Zusatzproteine auf dem Weg zu Sixpack und Bizeps helfen können.

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© Mircea.Netea - fotolia.com Führen Shakes mit Proteinpulver wirklich zu mehr Muskeln?
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Knapp 5,6 Milliarden US-Dollar mit Proteinpulver, 837 Millionen mit Riegeln, 766 Millionen mit Getränken – so viel Umsatz machten nach Angaben des Statistikportals Statista Hersteller proteinbasierter Nahrungsergänzungsmittel weltweit im Jahr 2013. Lohnt sich das Geschäft auch für Sportler, die die Eiweiße für die versprochene „Muskelaufbauhilfe“ auf den Speiseplan schreiben? Die Wissenschaft kommt zu widersprüchlichen Ergebnissen.

Eiweiß-Empfehlungen werden eingehalten

Erwachsene sollen täglich 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen – egal, ob männlich oder weiblich. Ausnahme sind Schwangere und Stillende, die haben einen höheren Eiweiß-Bedarf [5]. Eine 60 Kilogramm schwere Frau müsste nach diesen Empfehlungen 48 Gramm Eiweiß pro Tag aufnehmen. Das klappt anscheinend sehr gut, denn laut Österreichischem Ernährungsbericht nehmen Menschen hier täglich ungefähr 0,9 Gramm pro Kilogramm zu sich und liegen damit knapp über der Empfehlung [6].

Sportler haben allerdings einen gesteigerten Eiweißbedarf. Verschiedene ernährungswissenschaftliche Institutionen empfehlen für Menschen, die sehr intensiv trainieren, deutlich größere Mengen an Protein: etwa 1,5 bis 2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht täglich sollten es demnach sein. Wissenschaftler führen das darauf zurück, dass der Körper zusätzliches Eiweiß benötigt, um mehr Muskeln aufzubauen [7]. Genügt es, einfach mehr eiweißhaltige Nahrungsmittel auf den Speiseplan zu setzen? Oder sind Proteinpulver auf dem Weg zu stählernem Six-Pack und Bizeps unumgänglich?

Proteinpulver für den Muskelaufbau?

Ein Forscherteam aus den Niederlanden hat die Ergebnisse bisher veröffentlichter Studien zusammengefasst, in denen die Teilnehmer mehrwöchige Krafttraining-Programme absolviert haben. Während eine Gruppe der Studienteilnehmer Proteinpulver oder vermehrt Lebensmittel mit hohem Proteinanteil zu sich nahm, bekamen die Teilnehmer aus der Vergleichsgruppe Schein-Muskelaufbau-Präparate ohne Protein, oder Lebensmittel mit geringem Proteinanteil [1].

Auf den ersten Blick vielversprechend

Vor Beginn und nach Abschluss der mehrwöchigen Trainings-Programme wurden die Teilnehmer auf die Zusammensetzung ihrer Körper und Veränderungen im Muskelgewebe untersucht. Außerdem wurde getestet, wie viel Gewicht die Teilnehmer maximal in einer Beinpresse – einem Fitnessgerät – stemmen können. Die Ergebnisse scheinen auf den ersten Blick vielversprechend. So zeigten die Studien eine scheinbare Zunahme der Muskelkraft: Auf der Beinpresse konnten die Studienteilnehmer aus der Proteingruppe nach den Trainingsprogrammen ein deutlich höheres Gewicht stemmen als die Probanden der Vergleichsgruppe – durchschnittlich um 13.5 Kilo mehr [1].

Methodische Mängel kratzen an Aussagekraft

Die Aussagekraft der zusammengefassten Studienergebnisse ist allerdings begrenzt, weil an den einzelnen Studien jeweils nur wenige Probanden teilgenommen hatten. Zudem ist die Qualität der Studien zum Teil fragwürdig.

Die Ergebnisse lassen auch keine Schlüsse auf die Wirkung speziell von Proteinpulvern, -drinks und –riegeln zu. Die niederländischen Wissenschaftler haben in ihrer Studienzusammenfassung nämlich Studienergebnisse zu Sportler-Proteinprodukten mit solchen vermischt, bei denen die Teilnehmer ihre Extra-Portion Eiweiß über ein Mehr an proteinreichen Lebensmittel wie Joghurt- oder Milch zu sich genommen hatten [1].

Proteinpulver besser als natürliche Eiweiße?

Es ist also unklar, ob es das teure Proteinpulver sein muss, oder es auch reicht, mehr Milch, Joghurt und Co zu essen. Es besteht lediglich die Vermutung, dass hochwertige tierische Eiweiße, wie das Milcheiweiß Casein, einen größeren Effekt auf das Muskelwachstum haben als pflanzliche Eiweiße beispielsweise aus Soja [4]. Dass man die Proteine für einen maximalen Effekt relativ bald vor oder nach der Trainingseinheit zu sich nehmen soll, scheint sich in Studien nicht zu bestätigen [2]. Nicht ausgeschlossen ist, dass noch andere Faktoren eine Rolle spielen könnten.

Muskelerhalt – wichtig für ältere Menschen

So wenig Klarheit es zu den Proteinen aktuell gibt, so erstrebenswert wären solide Forschungsergebnisse. Diese Forschung hat abseits praller Oberarme und steinharter Bauchmuskeln nämlich auch klinische Bedeutung – insbesondere für ältere Menschen. Erwiesen ist, dass Menschen im Laufe ihres Lebens kontinuierlich Muskelmasse abbauen [3]. Ab 60 Jahren etwa läuft dieser Prozess beschleunigt ab und kann zu Gebrechlichkeit, Einschränkungen der Körperfunktionen und Behinderung führen. Zudem haben manche ältere Menschen auch einen Nährstoffmangel, etwa weil sie krank sind, alleine wohnen und sich nicht mehr so gut selbst versorgen können. Hier könnten Nahrungsergänzungen wichtig sein, um dem Verfall der Skelettmuskulatur entgegenwirken. (Siehe den Medizin-Transparent-Beitrag Muskelschwund im Alter: helfen Nahrungsergänzungsmittel?)

Den zusammengefassten Ergebnissen bisher veröffentlichter Studien zufolge scheint es allerdings keine Rolle zu spielen, ob ältere Menschen zusätzlich zu Muskelaufbautraining Eiweiß-Präparate nehmen. Das stellt die fantastisch klingenden 13,5 Kilogramm aus der niederländischen Studienzusammenfassung zumindest in Frage [3].

Die Studien im Detail

Klarheit bei derartigen Fragestellungen können systematische Übersichtsarbeiten bringen. In diesen Arbeiten suchen Wissenschaftler alle bisher veröffentlichten Einzelstudien zu einer Fragestellung zusammen und fassen deren Ergebnisse statistisch zusammen – so ergibt sich ein Überblick über die wissenschaftliche Beweislage. Das hat auch ein niederländisches Forscherteam rund um Naomi Cermak getan [1]. Insgesamt haben die Wissenschaftler 22 relevante Studien gefunden und so Daten von insgesamt 680 gesunden Erwachsenen zusammengefasst,

Einzelstudien sind entscheidend

Die Systematische Übersichtsarbeit scheint auf den ersten Blick methodisch sauber durchgeführt. Allerdings ist eine solche Studienübersicht nur so gut wie die Einzelstudien, deren Ergebnisse sie zusammenfasst. Und da hapert es in der Arbeit von Cermak. Bei den 22 einbezogenen Untersuchungen handelt es sich um sogenannte randomisiert-kontrollierte Studien. Dieser Studientyp ist prinzipiell die vertrauenswürdigste Form einer medizinischen Wirksamkeits-Überprüfung. Allerdings ist die Teilnehmerzahl mit durchschnittlich 31 Teilnehmern sehr gering und damit kaum aussagekräftig. Wie gut die Qualität der analysierten Studien ist, bleibt ebenfalls unklar – zumindest haben die Autoren sie nicht berücksichtigt.

Unsere Frage nach der Wirksamkeit von Proteinpulvern, -getränken und -riegeln kann die Übersichtsarbeit aus einem weiteren Grund nicht beantworten. Die Extra-Portion Proteine nahmen die Probanden in manchen der Studien nämlich nicht nur durch Supplemente, sondern auch durch Joghurt oder Milch zu sich. Skepsis ist hier also angebracht.

Widersprüchliche Ergebnisse

Das bestärkt auch eine methodisch gute Übersichtsarbeit mit älteren Menschen, die ähnliche Größen wie das niederländische Forscherteam um Cermak untersucht hat. Die Wissenschaftler haben die Daten von 462 älteren Menschen zusammengenommen und konnten weder eine Zunahme der Muskelmasse noch der Muskelkraft feststellen [3]. Das wirft Fragen auf, denn ein Großteil der einbezogenen Studien ist identisch mit denen, die auch Cermak und Co. untersucht haben.

[1] Cermak et al. (2013)
Studientyp: Systematischer Review und Meta-Analyse
Einbezogene Studien: 22 randomisiert-kontrollierte Studien
Teilnehmer: Insgesamt 680 Teilnehmer
Fragestellung: Wie effizient verstärken Proteinsupplemente den Aufbau der Skelettmuskulatur bei älteren und jüngeren Erwachsenen?
Interessenkonflikte: keine angegeben

Cermak NM, Res PT, de Groot LC, Saris WH, van Loon LJ. Protein supplementation augments the adaptive response of skeletal muscle to resistance-type exercise training: a meta-analysis. Am J Clin Nutr. 2012 Dec;96(6):1454-64. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[2] Schoenfeld et al. (2013)
Studientyp: Meta-Analyse
Einbezogene Studien: 23 randomisiert-kontrollierte Studien und randomisierte Crossover-Studien
Teilnehmer: Insgesamt 647 Teilnehmer
Fragestellung: Spielt der Zeitpunkt der Proteineinnahme eine Rolle bei der adaptiven Reaktion der Muskeln?
Interessenkonflikte: keine angegeben

Schoenfeld BJ, Aragon AA, Krieger JW. The effect of protein timing on muscle strength
and hypertrophy: a meta-analysis. Journal of the International Society of Sports Nutrition (2013), 10:53. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[3] Finger et al. (2015)
Studientyp: Systematischer Review und Meta-Analyse
Einbezogene Studien: 9 randomisiert-kontrollierte Studien
Teilnehmer: Insgesamt 462 Teilnehmer
Fragestellung: Können Proteinsupplemente die Effekte von Krafttraining bei älteren Menschen optimieren?
Interessenkonflikte: keine angegeben

Finger D, Reistenbach Goltz F, Umpierre D, Meyer E, Telles Rosa LH, Dornelles Schneider C. Effects of Protein Supplementation in Older Adults Undergoing Resistance Training: A Systematic Review and Meta-Analysis. Sports Med (2015), 45:245–255. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

Weitere Quellen

[4] Tang et al. (2009)
Tang JE, Phillips SM. Maximizing muscle protein anabolism: the role of protein quality. Curr Opin Clin Nutr Metab Care. 2009 Jan;12(1):66-71. (Zusammenfassung des Narrativen Reviews)

[5] Deutsche Gesellschaft für Ernährung.
Referenzwerte: Protein. Online: www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/protein/ Abgerufen: 17. August 2016.

[6] Bundesministerium für Gesundheit (2012)
Universität Wien, Institut für Ernährungswissenschaften (Hrsg.). Österreichischer Ernährungsbericht 2012. Online: www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/4/5/3/CH1048/CMS1348749794860/oeb12.pdf. Abgerufen am 17. August 2016.

[7] UpToDate (2016)
Howard, TM. (2016). Uptodate (Hrsg.): Overtraining syndrome in athletes. Online: www.uptodate.com/contents/overtraining-syndrome-in-athletes. Abgerufen: 16. August 2016.

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