Startseite ● Probiotika: Darmflora okay – Neurodermitis ade? Dieser Beitrag ist nicht mehr auf dem neuesten Stand, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. Probiotika: Darmflora okay – Neurodermitis ade? Neurodermitis kann das Leben zur Qual machen. Mit Probiotika-Kapseln in Schwangerschaft und Stillzeit könnten werdende Eltern ihre Kinder möglicherweise davor bewahren. 05. September 2016 AutorIn: Claudia Christof Review: Bernd Kerschner Jörg Wipplinger Teilen Schützt die Einnahme von Probiotika in der Schwangerschaft und in der ersten Lebenszeit Kinder vor Neurodermitis? möglicherweise Die aktuelle Studienlage deutet darauf hin, dass die Einnahme von Probiotika der Entstehung von Neurodermitis entgegenwirken könnte. Allerdings bleiben viele Fragen zu Wirksamkeit und Einnahme offen. so arbeiten wir Neurodermitis: quälender Juckreiz © Gina Sanders Trockene und rissige oder nässende Haut, qualvoller Juckreiz, häufige Hautinfektionen – all das sind typische Symptome einer Neurodermitis, auch atopische Dermatitis oder atopisches Ekzem genannt. Weltweit leiden zwischen fünf und bis zu 20 Prozent der Kinder an dieser nicht ansteckenden Hautkrankheit [8]. Die in Schüben verlaufende Erkrankung kommt in unterschiedlichsten Schweregraden vor und beginnt meist bereits im frühen Kleinkindalter [5]. Gerade Eltern, die selbst an Neurodermitis leiden, möchten ihren Kindern diesen Leidensweg ersparen. Daher suchen sie oft nach alternativen Behandlungen und vorbeugenden Maßnahmen. Probiotika scheinen eine einfache und vielversprechende Möglichkeit zu sein. Probiotika sind Mikroorganismen, die natürlicherweise im Darm, aber auch in Joghurt oder anderen Milchprodukten vorkommen. Sie helfen dem Körper unter anderem bei der Verdauung und tragen zu einem gesunden Immunsystem bei. Schutz in und nach der Schwangerschaft Die zusammengefassten Ergebnisse bisheriger Studien zeigen, dass Probiotika Kleinkinder möglicherweise vor einer Neurodermitis schützen können [1]. Dabei scheint es keinen Unterschied zu machen, ob Mütter die probiotischen Mittel in der Schwangerschaft oder Stillzeit selbst einnehmen oder sie den Kleinkindern verabreichen. In allen Fällen scheint sich die Erkrankungswahrscheinlichkeit der Kinder etwas zu verringern [1]. Eine neuere Studien-Zusammenfassung bestätigt frühere Ergebnisse: Für Kinder, deren Mütter mehrerer gemischte Probiotika-Stämme eingenommen hatten, war die vorbeugende Wirkung noch größer [4]. Unklar ist, welche probiotischen Bakterienstämme am wirksamsten sind. Am häufigsten werden Laktobazillen und Bifidobakterien eingesetzt [11]. Auch wie lange und in welcher Dosis Mütter und ihre Kinder Probiotika einnehmen sollen, ist noch wenig erforscht. Im Allgemeinen scheint die Einnahme von Laktobacillus und Co. für gesunde Erwachsene und Kinder unbedenklich zu sein [7], aber mögliche Nebenwirkungen haben bisherige Studien nur unzureichend untersucht [13]. Vorsichtig sein sollten Personen mit einem geschwächten Immunsystem und zu früh geborene Kinder – hier kann es in seltenen Fällen zu Infektionen kommen [7]. Positiver Einfluss auf das Immunsystem? Probiotische Bakterien, die wir über den Mund aufnehmen, siedeln sich im Darm an und sollen dort die natürliche Vielfalt an „guten“ Bakterien – die so genannte Darmflora – wieder herstellen [7]. So scheinen sie zum Beispiel gegen Durchfall zu helfen, der entsteht, wenn Antibiotika die Darmflora geschädigt haben (siehe Durchfall: Probiotika gegen Antibiotika?). Zunehmend werden sie auch industriell hergestellter Säuglingsnahrung zugesetzt und sind in Apotheken als Kapseln erhältlich. Muttermilch enthält ebenfalls eine Vielzahl probiotisch wirksamer Substanzen, die dem Kind helfen, eine gesunde Darmflora aufzubauen [10]. Eine gut ausgebildete Darmflora sorgt nicht nur für eine ausgeglichene Verdauung, sondern ist auch ein wichtiger Faktor bei der Entwicklung des kindlichen Immunsystems. Gerät das Immunsystem jedoch aus der Bahn, können Erkrankungen wie Allergien und Neurodermitis entstehen. Die Zusammensetzung des Mikrobioms, also der Lebensgemeinschaft der Darmbakterien, könnte also auch das Risiko beeinflussen, eine Allergie zu entwickeln [6] [7]. Ursache unbekannt Die Ursache der Neurodermitis, auch atopisches Ekzem oder atopische Dermatitis genannt, ist bis heute nicht geklärt. Es dürfte sich um ein Zusammenspiel von erblicher Veranlagung und zahlreichen, individuell unterschiedlichen Auslösern handeln. So ist das Risiko, dass ein Kind an Neurodermitis erkrankt, erheblich erhöht, wenn beide Elternteile daran leiden [12]. Auslösend oder begünstigend können verschiedene Nahrungsmittel, Pollen oder auch Haustiere wirken. Hitze und Wetterumschwünge, Kosmetika und Waschmittel oder Stress und psychische Belastungen können Neurodermitis auslösen oder verstärken [5] [12]. Oft leiden die Betroffenen gleichzeitig an einer allergischen Erkrankung, wie zum Beispiel Asthma, Heuschnupfen oder allergischer Bindehautentzündung [5] [8]. Die Therapie ist oft schwierig und die Erkrankung bleibt bisweilen eine lebenslange Begleiterin. Die Symptome lindern können manchmal entzündungshemmende und Juckreiz-stillende Medikamente. Empfohlen wird die Verwendung spezieller rückfettender Salben sowie das Meiden eventuell bekannter Auslöser. Zu einer speziellen Diät wird nur bei einer bekannten Nahrungsmittelallergie geraten [9]. Die Studien im Detail Ob Probiotika das Neurodermitis-Risiko verringern können, haben zahlreiche klinische Studien unterschiedlicher Qualität untersucht. Beim näheren Lesen stechen rasch Unterschiede ins Auge, sowohl was den Studienaufbau als auch was die Ergebnisse angeht. So wurden in unterschiedlichen Studien verschiedenste probiotische Stämme und Mischungen untersucht. Die dabei verwendete Dosis wird oft nicht genannt, genauso wenig wie die Dauer der Einnahme oder über die Art, wie das Probiotikum zum Kind gelangt(beispielsweise über die Muttermilch, in industrieller Säuglingsmilch oder aus Kapseln). Daneben fehlen oft Angaben zur erblichen Vorbelastung des Kindes oder dazu, ob gleichzeitig andere Medikamente gegeben werden. Dass Probiotika möglicherweise einen vorbeugenden Effekt gegen die Entstehung eines atopischen Ekzems haben könnten, zeigt eine Meta-Anlyse aus dem Jahr 2012 [1]. Sie fasst die Ergebnisse von 13 randomisiert-kontrollierten Studien zusammen, in denen die vorsorgliche Einnahme von Probiotika in Schwangerschaft und Kindheit an 3092 Kindern untersucht wurde. Der Analyse zufolge könnten Probiotika das Neurodermitis-Risiko um ein Fünftel senken. Bekommen gewöhnlich fünf bis 20 von 100 Kindern Neurodermitis, wären es nach Einnahme von Probiotika vier bis 16 von 100. Allerdings bleibt unklar, welche probiotischen Stämme in welcher Dosierung und mit welcher Dauer der Anwendung eine schützende Wirkung haben könnten. Ebenso wenig geht aus der Arbeit hervor, welche anderen Faktoren, zum Beispiel Zeitpunkt oder Art der Einnahme, Einfluss haben könnten. Wichtige Details bleiben offen Eine aktuelle Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015 unterstützt die Ergebnisse der älteren Studie [4]. Die methodisch saubere Arbeit hat die Ergebnisse aus sieben Studien und damit die Daten von 4755 Kindern ausgewertet. Es zeigte sich, dass vor allem solche Kinder seltener ein Ekzem (Hautausschläge, Bläschen und Juckreiz) entwickelten, die mit einer Vielfalt probiotischer Mittel in Kontakt gekommen waren. Allerdings lässt die Arbeit offen, welche Probiotika Frauen in der Studie in welcher Dosis genommen haben. Weitere Details, die unklar bleiben, sind, wann Schwangere die Therapie starten und wie lange sie die Probiotika-Mischung nehmen sollten. Eine ältere Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration aus dem Jahr 2009 [2] fand einen ähnlich großen, möglicherweise vorbeugenden Effekt. Die Autorinnen und Autoren raten jedoch, das Ergebnis mit Vorsicht zu betrachten, da es zwischen den Einzelstudien große inhaltliche Unterschiede gibt und da viele Studienteilnehmerinnen die Einnahme vorzeitig abgebrochen haben. Bei einer randomisiert kontrollierten Studie aus dem Jahr 2014 [3] zeigte sich keine vorbeugende Wirkung von Probiotika auf die Entstehung von Ekzemen bei Kindern mit zwei Jahren. Jedoch bekamen die Kinder seltener eine Neurodermitis die durch eine Unverträglichkeit bestimmter Nahrungsmittel verursacht wird. Allerdings bekamen die Kinder seltener eine durch Nahrungsmittelunverträglichkeiten ausgelöste Neurodermitis . Auch hier sollte das Ergebnis kritisch betrachtet werden: Einerseits wurde auch in dieser Studie eine Mischung verschiedener probiotischer Stämme verwendet, andererseits bleiben auch hier einige Studiendetails unklar. Wissenschaftliche Quellen [1] Pelucchi (2012) Studienart: Metaanalyse Inkludierte Studien: 13 randomisiert kontrollierte Studien Studienteilnehmer: 3092 Kleinkinder und Kinder Fragestellung: Beeinflusst die Gabe von Probiotika in der Schwangerschaft und in den ersten Lebensmonaten die Häufigkeit des Auftretens einer atopischen Dermatitis bei Säuglingen und Kindern? Mögliche Interessenskonflikte: keine angegeben Pelucchi C, Chatenoud L, Turati F, Galeone C, Moja L, Bach JF, La Vecchia C. Probiotics supplementation during pregnancy or infancy for the prevention of atopic dermatitis: a meta-analysis. Epidemiology 2012; 23(3): 402-414. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit) (Kritische Zusammenfassung im Volltext) [2] Osborn (2009) Studienart: Systematische Übersichtsarbeit Studienteilnehmer: 1477 Säuglinge und Kleinkinder Inkludierte Studien: 12, davon , randomisiert kontrollierte Studien zum Thema Ekzem, die einer eigenen Metaanalyse zugeführt wurden. Fragestellung: Haben Probiotika bei Säuglingen und Kleinkindern einen vorbeugenden Effekt auf die Entstehung einer allergischen Erkrankung bzw. eines Ekzems? Mögliche Interessenskonflikte: keine angegeben Osborn DA, Sinn JKH. Probiotics in infants for prevention of allergic disease and food hypersensitivity. Cochrane Database of Systematic Reviews 2007, Issue 4. Art. No.: CD006475. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit) [3] Allen (2014) Studienart: Randomisiert kontrollierte Studie Studienteilnehmer: 454 schwangere Frauen und ihre Kleinkinder Fragestellung: Kann die vorsorgliche Einnahme von Probiotika vor Ekzemen schützen? Mögliche Interessenskonflikte: Finanzierung durch Probiotikahersteller Probiotics in the prevention of eczema: a randomised controlled trial. Allen SJ, Jordan S, Storey M, Thornton CA, Gravenor MB, Garaiova I, Plummer SF, Wang D, Morgan G; Arch Dis Child. 2014 Nov; 99(11):1014-9. (Studie in voller Länge) [4] Zuccotti (2015) Studienart: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse Inkludierte Studien: 17 randomisiert-kontrollierte Studien Teilnehmer insgesamt: 4755 Kinder Fragestellung: Kann die Einnahme von Probiotika in der Schwangerschaft oder der frühen Kindheit das Risiko für atopische Dermatitis verringern? Mögliche Interessenskonflikte: keine laut Autoren Zuccotti G, Meneghin F, Aceti A, Barone G, Callegari ML, Di Mauro A, Fantini MP, Gori D, Indrio F, Maggio L, Morelli L, Corvaglia L; Italian Society of Neonatology. Probiotics for prevention of atopic diseases in infants: systematic review and meta-analysis. Allergy. 2015 Nov;70(11):1356-71 (Link zur Zusammenfassung der Studie) Weitere wissenschaftliche Quellen [5] Pschyrembel & Arnold (2014) Pschyrembel, W., & Arnold, U. (2014). Pschyrembel Klinisches Wörterbuch (266., aktualisierte Aufl. ed.). Berlin [u.a.]: De Gruyter. [6] UpToDate (2015) Susan Prescott(2015), Prebiotics and probiotics for treatment of allergic disease. Abgerufen am 05.09.2016 unter www.uptodate.com/contents/prebiotics-and-probiotics-for-treatment-of-allergic-disease [7] UpToDate (2015) Christina West (2015), Prebiotics and probiotics for prevention of allergic disease. Abgerufen am 05.09.2016 unter http://www.uptodate.com/contents/prebiotics-and-probiotics-for-prevention-of-allergic-disease [8] UpToDate (2015) William L Weston(2015), Epidemiology, clinical manifestations, and diagnosis of atopic dermatitis (eczema). Abgerufen am 05.09.2016 unter www.uptodate.com/contents/epidemiology-clinical-manifestations-and-diagnosis-of-atopic-dermatitis [9] UpToDate (2015) William L Weston(2015), Treatment of atopic dermatitis (eczema). Abgerufen am 05.09.2016 unter www.uptodate.com/contents/treatment-of-atopic-dermatitis-eczema [10] Bundesinstitut für Risikobewertung (2012) Bundesinstitut für Risikobewertung: Unterschiede in der Zusammensetzung von Muttermilch und industriell hergestellter Säuglingsanfangs- und Folgenahrung und Auswirkungen auf die Gesundheit von Säuglingen. Stellungnahme Nr. 028/2012 des BfR vom 16. Juli 2012; http://www.bfr.bund.de/cm/343/unterschiede-in-der-zusammensetzung-von-muttermilch-und-industriell-hergestellter-saeuglingsanfangs-und-folgenahrung.pdf (abgerufen am 05.09.2016) [11] Pharmazie in unserer Zeit (2012) Probiotika: Anforderungen und Wirkmechanismen. Pharmazie in unserer Zeit, Volume 41, Issue 2, März 2012, Pages: 117–122, Dr. Gabriele Hörmannsperger and Prof. Dr. Dirk Haller, Article first published online: 1 MAR 2012 (Zusammenfassung) [12] Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs (2015) Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Neurodermitis: Was ist das? Abgerufen am 14.04.2015 unter www.gesundheit.gv.at/Portal.Node/ghp/public/content/hauterkrankungen-was-ist-neurodermitis.html [13] Dugoua (2009) Dugoua JJ, Machado M, Zhu X, Chen X, Koren G, Einarson TR. Probiotic safety in pregnancy: a systematic review and meta‐analysis of randomized controlled trials of Lactobacillus, Bifidobacterium, and Saccharomyces spp. Journal of Obstetrics and Gynaecology Canada.2009;31(6):542‐552. (Übersichtsarbeit in voller Länge) (Kritische Zusammenfassung in voller Länge) Versionsgeschichte Aktualisierte Version, ursprünglich veröffentlicht: 28.04.2015. Eine neue Übersichtsarbeit bestätigt frühere Ergebnisse. Schlagworte AbwehrsystemAtopische DermatitisDarmfloraDermisHautImmunsystemJoghurtMikrobenMikroorganismenMilchprodukteNeurodermitisProbiotikaSchwangerschaftStillenStillzeit In über 400 Faktenchecks suchen