Startseite ● Medikamenten-Überdosis durch Grapefruit Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. Medikamenten-Überdosis durch Grapefruit Grapefruits können die Wirkung von Medikamenten verstärken und so zu Überdosierungen führen. Es empfiehlt sich ein Blick auf den Beipackzettel. 13. September 2016 AutorIn: Bernd Kerschner Review: Jörg Wipplinger Claudia Christof Teilen Kann der Verzehr von Grapefruits in Kombination mit manchen Medikamenten zu gesundheitsschädigenden Wechselwirkungen führen? wahrscheinlich Ja, Grapefruits können die Wirkung mancher Medikamente verstärken. Das Risiko, die Art und Stärke der Nebenwirkungen sind jedoch nur teilweise bekannt, hängen vom jeweiligen Medikament ab und unterscheiden sich wahrscheinlich von Person zu Person. so arbeiten wir Gefährliche Grapefruit? © human – iStockphoto.com Eine ganze Palette an unterschiedlichsten Medikamenten soll in Kombination mit Grapefruits – entweder als Frucht oder Saft genossen – ernste gesundheitliche Folgen haben können. Das zeigte eine wissenschaftlichen Übersichtsarbeit [1]. Für Übersichtsarbeiten werden Einzelstudien zu einer Fragestellung herausgesucht und deren Ergebnisse zusammengefasst. Vielzahl an Medikamenten betroffen Welche Medikamente können eine Wechselwirkung mit Grapefruits haben? Gefunden wurden 85 Medikamente, deren Wirkung möglicherweise durch den Verzehr von Grapefruits beeinflusst wird. Bei 43 dieser Wechselwirkungen bestehe die Gefahr ernsthafter Nebenwirkungen [1]. Schuld daran sind bestimmte Inhaltsstoffe der Grapefruit: die Furocumarine. Das sind Pflanzeninhaltsstoffe, die den Abbau mancher Medikamente hemmen, sodass es zu überhöhten Konzentrationen der eingenommenen Wirkstoffe im Körper kommen kann. Mitunter sind so hohe Konzentrationen möglich, dass Vergiftungserscheinungen durch eine Überdosierung auftreten. Auch andere Zitrusfrüchte wie Bitterorangen oder Limetten enthalten Furocumarine. So kann der Konsum von Bitterorangenmarmelade durchaus ähnliche Wechselwirkungen hervorrufen wie Grapefruits, merkt die Studie an. Überdosis durch Furocumarine Die Pflanzeninhaltsstoffe hemmen im Körper ein Enzym mit dem sperrigen Namen „Cytochrom P450 3A4“, kurz CYP3A4 genannt. Es sorgt dafür, dass viele Giftstoffe und Medikamente im Körper abgebaut und so unwirksam gemacht werden. Außer in der Leber kommt CYP3A4 auch in der Darmwand vor, wo es einen Teil der Wirkstoffe bereits abbaut, bevor sie aus dem Darm in den Blutkreislauf aufgenommen werden. Dieser Abbauprozess wird bei der Dosierung von Medikamenten berücksichtigt. Hemmen nun aber Furocumarine das Enzym, gelangen deutlich größere Mengen des Medikaments in den Körper. Eine Folge ist Überdosierung. Da der Wirkmechanismus aufgeklärt ist, lässt sich das wahrscheinliche Auftreten von Komplikationen gut vorhersagen. Betroffen sind demnach Arzneimittel, die von CYP3A4 abbaubar sind und normalerweise nur teilweise vom Körper aufgenommen werden. Dazu zählen diverse Medikamente gegen hohen Blutdruck oder Herzrhythmussstörungen, Cholesterinsenker oder Medikamente gegen HIV oder Krebs. Eine Liste derjenigen Medikamente, für die schwere Nebenwirkungen in Kombination mit Grapefruits beobachtet oder vermutet wurden, findet sich am Ende dieses Artikels. Das Wechselwirkungsrisiko besteht übrigens nur für Medikamente, die geschluckt oder allenfalls über eine Nasensonde eingenommen werden. Arzneimittel, die zum Beispiel als Infusion direkt ins Blut gelangen, kommen mit CYP3A4 in der Darmwand nicht in Kontakt und werden somit nicht beeinflusst. Informationen finden Nicht immer wurden gefährliche Nebenwirkungen nach dem Verzehr von Furocumarin-haltigen Zitrusfrüchten beobachtet. Wie hoch das Risiko ist, ist von Person zu Person und für jedes Medikament unterschiedlich. In manchen Fällen reicht offenbar schon der Konsum einer einzigen Frucht oder eines Glases Grapefruitsaft, in anderen Fällen wurden gesundheitsschädliche Überdosierungen erst nach tage- oder wochenlangem regelmäßigem Verzehr beobachtet. Im Grunde sollte eigentlich schon bei der Verschreibung oder in der Apotheke auf das Risiko einer Wechselwirkung hingewiesen werden. Leider dürfte das Bewusstsein darüber aber sogar unter Medizinern und Medizinerinnen noch nicht besonders hoch sein. Viele Fälle von Grapefruit-verursachten Überdosierungen könnten deshalb gar nicht als solche erkannt und daher auch zu selten gemeldet werden [1]. Genaue Angaben über die Häufigkeit der Wechselwirkungen seien deshalb nicht möglich. In jedem Fall hilfreich ist ein Blick auf die Packungsbeilage der verschriebenen Medikamente. Die Studien im Detail Berichte zu Grapefruit-Wechselwirkungen Einzelne Fälle von gefährlichen Nebenwirkungen in Kombination mit dem Verzehr unterschiedlicher Mengen von Grapefruit, die in der Übersichtsarbeit aufgezählt werden, umfassen: Amiodaron und Verapamil, zwei Medikamente zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen, können in Kombination mit Grapefruits(aft) zu schweren Herzproblemen führen. Eine ähnliche Wirkung wurde in Zusammenhang mit Chinin beobachtet, das zum Beispiel in Tonicwater oder Bitter Lemon enthalten ist. Bei den Cholesterinsenkern Atorvastatin und Simvastatin kam es nach Grapefruit-Konsum in Einzelfällen zu einer Auflösung von Muskelgewebe. Dieser als Rhabdomyolyse bezeichnete Prozess kann zu einer schweren Nierenschädigung führen. Tacrolimus, ein Mittel zur Unterdrückung der Abstoßung von transplantierten Organen, plus Grapefruit kann ebenfalls die Niere schädigen. Eine Schädigung des Knochenmarks wurde bei dem Gichtmittel Colchicin beobachtet. Die Thrombose-fördernde Wirkung von Ethinylestradiol, einem Hauptwirkstoff herkömmlicher Antibabypillen, wird durch Grapefruits erhöht. Viele dieser Wechselwirkungen sind nur wenig untersucht und basieren auf Einzelbeobachtungen. Besser untersucht sind die Wechselwirkungen mit dem Blutdrucksenker Felodipin. Deren Auftreten wird durch eine systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse bestätigt [2]. Allerdings handelt es sich dabei um eine zusammenfassende Untersuchung an gesunden Personen. Verstärkenden Effekt nutzen? Sobald hier genauere Daten zur Verfügung stehen, könnte der wirkverstärkende Effekt der Fuocumarine jedoch auch positiv genutzt werden. So ist zum Beispiel vorstellbar, Krebsmedikamente in Kombination mit Grapefruits niedriger zu dosieren, was dabei helfen könnte, deren unangenehme Nebenwirkungen wie Übelkeit abzuschwächen. Versuche in diese Richtung gibt es bereits. Auswahl an Medikamenten, für die schwere Nebenwirkungen durch eine Wechselwirkung mit Grapefruit bekannt ist oder vermutet wird [1]: Anwendungsgebiet Betroffene Medikamente Krebsbehandlung Crizotinib, Dasatinib, Erlotinib, Everolimus, Lapatinib, Nilotinib, Pazopanib, Sunitinib, Vandetanib, Vemurafenib Behandlung oder Verhinderung von Infektionen Erythromycin, Halofantrin, Maraviroc, Primaquin, Chinin, Rilpivirin Senkung des Cholesterinspiegels Atorvastatin, Lovastatin, Simvastatin Behandlung von Herz- und Blutgefäßerkrankungen Amiodaron, Apixaban, Clopidogrel, Dronedaron, Eplerenon, Felodipin, Nifedipin, Quinidin, Rivaroxaban, Ticagrelor Behandlung von psychischen Erkrankungen oder sonstige Wirkung auf das Gehirn Alfentanil (oral), Buspiron, Dextromethorphan, Fentanyl (oral), Ketamin (oral), Lurasidon, Oxycodon, Pimozid, Quetiapin, Triazolam, Ziprasidon Behandlung von Übelkeit Domperidon Unterdrückung der Immunabwehr Cyclosporin, Everolimus, Sirolimus, Tacrolimus Behandlung von Harnwegserkrankungen Darifenacin, Fesoterodin, Solifenain, Silodosin, Tamsulosin Wissenschaftliche Quellen [1] Bailey u. a. (2012) Studientyp: narrative Übersichtsarbeit Eingeschlossene Studien: 161 (davon 102 randomisiert-kontrollierte Studien) sowie 29 Produktbeschreibungen oder Monographien Fragestellung: Bei welchen Medikamenten besteht eine Wechselwirkung mit Grapefruit? Mögliche Interessenskonflikte: keine angegeben Bailey DG, Dresser G, Arnold JM. Grapefruit-medication interactions: Forbidden fruit or avoidable consequences? CMAJ. 2012 Nov 26. (Zusammenfassung der Studie) [2] Uesawa u. a. (2009) Studientyp: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse Eingeschlossene Studien: zwölf randomisiert-kontrollierte Studien Teilnehmer insgesamt: 244 Fragestellung: Besteht eine Wechselwirkung zwischen Felodipin und Grapefruit-Saft? Mögliche Interessenskonflikte: keine angegeben Uesawa Y, Takeuchi T, Mohri K. Publication bias on clinical studies of pharmacokinetic interactions between felodipine and grapefruit juice. Pharmazie. 2010 May;65(5):375-8. (Zusammenfassung der Studie) Versionsgeschichte Der Artikel wurde ursprünglich am 31. Jänner 2013 veröffentlicht. Eine neuerliche Literaturrecherche ergab keine inhaltlichen Neuerungen. Schlagworte ArzneimittelErnährungFrüchteFurocumarineGesundheitsgefährdungGrapefruitMedikamentObstÜberdosisWechselwirkungen In über 500 Faktenchecks suchen