Startseite ● Hyposensibilisierung bei Heuschnupfen: Linderung per Spritze Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. Hyposensibilisierung bei Heuschnupfen: Linderung per Spritze Eine Hyposensibilisierung kann wahrscheinlich helfen, die Beschwerden bei Pollenallergie etwas zu lindern. 18. Juni 2019 AutorIn: Claudia Christof Review: Bernd Kerschner Julia Harlfinger Teilen Kann eine Hyposensibilisierung durch Spritzen mit allergieauslösenden Pollen-Bestandteilen bei Heuschnupfen helfen? wahrscheinlich Bei Heuschnupfen kann eine Hyposensibilisierung mit Spritzen die Beschwerden wahrscheinlich etwas lindern. Allerdings ist noch zu wenig erforscht, wie lange dieser Effekt anhält. so arbeiten wir Pollen: Wunderschön in Nahaufnahme, quälend bei Heuschnupfen © Lebendkulturen.de – shutterstock.com Sonnenschein und die aufblühende Natur locken im Frühling und Sommer viele Menschen ins Grüne. Doch nicht alle können den Aufenthalt im Freien unbeschwert genießen. Denn sie haben Heuschnupfen – Niesanfälle, verschwollene Augen und eine rinnende Nase inklusive. Ursache sind Pollen von Gräsern und Bäumen. Ohne Niesanfälle durch den Wald wandern, beschwerdefrei in einer Blumenwiese liegen – das sind oft Wunschgedanken von Heuschnupfen-Geplagten. Allergie-Medikamente wie Antihistaminika oder Cortison können helfen, die Pollenzeit einigermaßen zu überstehen. Wenn das nicht ausreicht, gibt es auch die Möglichkeit einer Hyposensibilisierung. Den Körper an Pollen gewöhnen Ziel einer Hyposensibilisierung ist es, den Körper an die allergieauslösenden Pollen zu gewöhnen und die Überreaktion des Immunsystems langfristig abzuschwächen. Während Allergie-Medikamente „nur“ die Symptome bekämpfen, versucht die Hyposensibilisierung, die Ursache des Heuschnupfens zu beseitigen. Eine Möglichkeit ist, die Allergieauslöser in regelmäßigen Abständen unter die Haut zu spritzen („subkutan“). Eine andere Methode der Hyposensibilisierung ist es, die Allergieauslöser in Form von Tropfen oder Tabletten unter der Zunge einwirken zu lassen („sublingual“). Auf diese Methode werden wir in einem zukünftigen Beitrag eingehen. Wir wollten wissen, ob eine Spritzenkur zur Hyposensibilisierung bei Heuschnupfen wirklich hilft. Mäßige Besserung Tatsächlich zeigen die zusammengefassten Ergebnisse bisheriger Studien, dass eine bis zu zwei Jahre dauernde Hyposensibilisierung mit Spritzen Heuschnupfen-Beschwerden prinzipiell lindern kann. Sie scheint aber nur eingeschränkt zu helfen. Auf einer Skala von 0 (keine Beschwerden) bis 6 (extreme Beschwerden) dürften sich die Allergie-Symptome den Studien zufolge um circa 1 Punkt bessern. Bis zu einem Jahr nach Beginn der Scheinbehandlung stuften die Teilnehmenden einer Studie den Schweregrad ihrer Symptome mit 3 auf der Skala von 0 bis 6 ein. Durch eine Hyposensibilisierung würde sich dieser Wert auf 2 verbessern. Wie gut die Hyposensibilisierung hilft, ist von Person zu Person unterschiedlich. Bei manchen Betroffenen kommt es vor, dass die Behandlung gar nicht wirkt [6]. Bei anderen bessern sich die Symptome in größerem Ausmaß. Die Studien lassen darauf schließen, dass die Hyposensibilisierung per Spritze bei Kindern ähnlich wirkt wie bei Erwachsenen [1,5]. Wie gut die Hyposensibilisierung langfristig anhält, ist weniger gut erforscht [1]. Leichte Nebenwirkungen häufig Leichte und vorrübergehende Nebenwirkungen sind nach einer Hyposensibilisierungs-Spritze häufig. Bei etwa 10 bis 60 von 100 Personen tritt eine Schwellung an der Einstichstelle auf. Bei 50 von 100 Personen kann es zumindest einmal vorübergehend zu allergischen Reaktionen wie Niesen, tränenden Augen oder Asthma-Beschwerden kommen [6]. Eine seltene, aber ernste Nebenwirkung ist die anaphylaktische Reaktion. Dabei lösen die unter die Haut gespritzten Allergieauslöser starken Juckreiz, Atemprobleme oder Kreislaufprobleme aus. Sie können im schlimmsten Fall lebensbedrohlich werden. Damit Betroffene in einem solchen Notfall rasch Hilfe bekommen, sollten sie nach der Spritze für mindestens 30 Minuten im Wartezimmer bleiben [6]. Viele Betroffene Bei einer Pollenallergie reagiert das Immunsystem überschießend auf die eigentlich harmlosen Pollenkörner und bekämpft sie, als wären es gefährliche Krankheitserreger. Etwa jede sechste Person in Österreich ist auf Pollen von Bäumen, Gräsern oder Kräutern allergisch [4]. Langwierige Behandlung Eine Hyposensibilisierung dauert in der Regel drei bis fünf Jahre – auch wenn die ideale Behandlungsdauer bislang nicht gut abgesichert ist. In dieser Zeit müssen sich Heuschnupfen-Geplagte zunächst einmal pro Woche die Allergie-Spritze verabreichen lassen, nach einiger Zeit alle vier bis acht Wochen. Wegen der ständigen Arztbesuche, dem damit verbundenen Zeitaufwand und der Angst vor möglichen Nebenwirkungen brechen viele Betroffene die Hyposensibilisierung frühzeitig ab [5,6,8]. Keine Impfung Die Hyposensibilisierung per Spritze wird manchmal auch „Allergieimpfung“ genannt. Die Bezeichnung ist jedoch irreführend. Denn im Gegensatz zum Gewöhnungseffekt bei einer Hyposensibilisierung soll eine Impfung das Immunsystem trainieren, Krankheitserreger rasch zu erkennen und gezielt darauf zu reagieren. [Die erste Version ist im März 2016 erschienen. Wir haben die aktuelle Version um weitere Quellen ergänzt.] Die Studien im Detail Um die Wirksamkeit der Hyposensibilisierung mit Spritzen einschätzen zu können, haben wir mehrere Studiendatenbanken nach allen bisherigen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen durchsucht. Dabei haben wir uns auf den hierfür aussagekräftigsten Studientyp konzentriert, nämlich randomisiert-kontrollierte Studien. In diesen Studien wurden die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) zwei Gruppen zugeteilt. Eine Gruppe erhielt regelmäßig Spritzen mit einem Extrakt der allergieauslösenden Stoffe. Die andere Gruppe bekam Spritzen ohne Allergieauslöser zur Scheinbehandlung. Dabei war wichtig, dass weder die Testpersonen noch das Studienpersonal wussten, wer die echte und wer die Scheinbehandlung (Placebo) erhielt. Nur so lässt sich vermeiden, dass Erwartungshaltungen des wissenschaftlichen Studienteams und der Testpersonen die Ergebnisse beeinflussen. Voraussetzung für eine aussagekräftige Studie ist auch, dass sich die beiden Gruppen zu Beginn der Studie in keinem Merkmal wesentlich unterschieden – so ist ein fairer Vergleich möglich. Zusammengefasste Studienergebnisse Bei unserer Suche haben wir eine systematische Übersichtsarbeit aus 2017 gefunden. Sie hat die Ergebnisse aller relevanten randomisiert-kontrollierten Studien, erschienen bis Oktober 2015, zusammengefasst und analysiert [1]. Insgesamt handelt es sich um 61 Studien zur Hyposensibilisierung mit Spritze. In den meisten Studien waren die teilnehmenden Personen über 18 Jahre alt, in einigen wenigen wurden auch Kinder untersucht. Die insgesamt 6.379 Testpersonen litten an ärztlich bestätigtem allergischem Schnupfen. Nach dem Zufallsprinzip wurden ihnen entweder eine oder mehrere allergieauslösende Substanzen (z.B. Gräser- oder Baumpollen) oder eine Placebolösung gespritzt. Im weiteren Verlauf der Studien wurden die teilnehmenden Personen gebeten, ihre Symptome auf einer Skala von 0 (keine Beschwerden) bis 6 (extreme Beschwerden) einzuordnen. Prinzipiell deuten die Ergebnisse daraufhin, dass mithilfe einer Spritzenkur die Beschwerden während der Zeit der Hyposensibilisierung geringer werden. Im Schnitt besserten sich diese in der Gruppe der Hyposensibilisierten um 1 Punkt. Ob dieser Effekt im täglichen Leben tatsächlich als spürbare Erleichterung wahrgenommen wird, bleibt aber fraglich. Ebenso ist unklar, ob und wie lange es den Betroffenen nach abgeschlossener Hyposensibilisierungs-Kur besser geht. Das Autorenteam einer älteren systematischen Übersichtsarbeit des Cochrane Netzwerks kam 2009 zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie werteten die Ergebnisse von insgesamt 51 randomisiert-kontrollierten Studien aus [2]. 2871 Personen, die an Heuschnupfen litten und auf Pollen von Gräsern, Bäumen oder Ragweed allergisch reagierten, erhielten entweder eine subkutane Hyposensibilisierung oder sie bekamen ein Scheinmedikament gespritzt. Bei jenen, die tatsächlich eine „echte“ Spritze erhalten hatten, besserten sich die Allergie-Symptome deutlich. Auch der Bedarf an Allergie-Medikamenten reduzierte sich. Das Autorenteam weist allerdings auf teils große Unterschiede zwischen den einzelnen untersuchten Studien hin. So wurden verschieden zusammengesetzte Präparate in unterschiedlicher Dosierung verwendet. Auch die Dauer der Spritzenkur schwankte mit einem Zeitrahmen von drei Tagen bis zu drei Jahren erheblich. Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2014 kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Diese attestierte vor allem Präparaten, die nur einen Allergieauslöser enthalten, gute Erfolge. Allerdings sind auch in dieser Arbeit die teils großen Unterschiede bei den untersuchten Studien Gegenstand von Kritik [3]. Schwierige Vergleichbarkeit Prinzipiell hat sich also gezeigt, dass die bisherigen Studien nur bedingt vergleichbar sind [1,2,3,5]. Beispielsweise haben die einzelnen Studienteams sehr unterschiedliche Parameter verwendet, um festzustellen, ob sich die Pollenallergie gebessert hat. Neben unterschiedlichsten Symptomen von Heuschnupfen und der Menge der verbrauchten Allergie-Medikamente wurden auch die Lebensqualität und manchmal sogar wenig aussagekräftige Laborwerte herangezogen. Somit ist ein Vergleich der vorhandenen Studien schwierig. Unterschiede bei der Zusammensetzung und der Herstellung der Produkte erschweren eine solide Beurteilung zusätzlich. Keine Erkenntnisse durch neue Einzelstudien Bei einer Suche nach aktuelleren randomisiert- kontrollierten Studien, also erschienen nach dem Oktober 2015, fanden wir noch einige weitere Untersuchungen [9-13]. Diese sind allerdings sehr mangelhaft und erlauben keine weiteren Rückschlüsse auf die Wirksamkeit einer subkutanen Hyposensibilisierung. Wissenschaftliche Quellen [1] Dhami u.a. (2017) Studienart: Systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse Inkludierte Studien: 134 randomisiert-kontrollierte Studien, davon 61 zur subkutanen Hyposensibilisierung Teilnehmenende: 20.071 Personen mit allergischem Schnupfen, davon erhielten 6.379 eine subkutane Hyposensibilisierung Fragestellung: Wirkung und Nebenwirkungen der Immuntherapie bei saisonaler allergischer Rhinitis? Mögliche Interessenskonflikte: Finanzielle Zuwendungen durch Pharmafirmen an Mitglieder des Autorenteams Dhami S, Nurmatov U, Arasi S, Khan T, Asaria M, Zaman H, Agarwal A, Netuveli G, Roberts G, Pfaar O, Muraro A, Ansotegui IJ, Calderon M, Cingi C, Durham S, van Wijk RG, Halken S, Hamelmann E, Hellings P, Jacobsen L, Knol E, Larenas-Linnemann D, Lin S, Maggina P, Mösges R, Oude Elberink H, Pajno G, Panwankar R, Pastorello E, Penagos M, Pitsios C, Rotiroti G, Timmermans F, Tsilochristou O, Varga EM, Schmidt-Weber C, Wilkinson J, Williams A, Worm M, Zhang L, Sheikh A. Allergen immunotherapy for allergic rhinoconjunctivitis: A systematic review and meta-analysis. Allergy. 2017 Nov;72(11):1597-1631. (Zusammenfassung) [2] Calderon u.a. (2007) Studienart: Systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse Inkludierte Studien: 51 randomisiert-kontrollierte Studien, davon 15 in Metaanalyse Teilnehmenende: 2871 Personen mit Allergie gegen Pollen von Gräsern, Bäume oder Ragweed Fragestellung: Wirkung und Nebenwirkungen der subkutanen Immuntherapie bei saisonaler allergischer Rhinitis? Mögliche Interessenskonflikte: ein Mitglied des Autoreteams wurde finanziell von einem Hersteller unterstützt Calderon MA, Alves B, Jacobson M, Hurwitz B, Sheikh A, Durham S. Allergen injection immunotherapy for seasonal allergic rhinitis. Cochrane Database Syst Rev. 2007 Jan 24;(1):CD001936. (Zusammenfassung) [3] Erekosima u.a. (2014) Studienart: Systematische Übersichtsarbeit Inkludierte Studien: 61 randomisiert-kontrollierte Studien Teilnehmende: 4589 Personen mit einer Allergie gegen Pollen von Gräsern, Bäumen oder Ragweed Fragestellung: Wirkung und Nebenwirkungen der subkutanen Immuntherapie bei saisonaler allergischer Rhinitis und Asthma Mögliche Interessenskonflikte: keine laut Autorenteam Erekosima N, Suarez-Cuervo C, Ramanathan M, Kim JM, Chelladurai Y, Segal JB, Lin SY.Effectiveness of subcutaneous immunotherapy for allergic rhinoconjunctivitis and asthma: a systematic review. Laryngoscope. 2014 Mar;124(3):616-27. (Zusammenfassung) Weitere Quellen [4] Dorner u.a. (2007) Dorner T, Lawrence K, Rieder A, Kunze M. Epidemiology of allergies in Austria. Results of the first Austrian allergy report. Wien Med Wochenschr. 2007;157(11-12):235-42. (Zusammenfassung) [5] UpToDate (2015) Creticos PS. Subcutaneous immunotherapy for allergic disease: Indications and efficacy. In Feldweg AM (ed.). UpToDate. Abgerufen am 6.6.2019 (kostenpflichtig) [6] IQWIG (2017) Heuschnupfen. Abgerufen am 6.6.2019 [7] UpToDate (2019) Harold Nelson, SCIT: Standard schedules, administration techniques, and monitoring. Abgerufen am 7.6.2019 (kostenpflichtig) [8] Pfaar u.a. (2014) Oliver Pfaar u.a.AWMF-Leitlinien, Leitlinie zur (allergen-) spezifschen Immuntherapie bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen, Allergo J Int 2014; 23: 282. (Leitlinie in voller Länge) [9] Bozek u.a. (2016) Bozek A, Kolodziejczyk K, Krajewska-Wojtys A, Jarzab J. Pre-seasonal, subcutaneous immunotherapy: a double-blinded, placebo-controlled study in elderly patients with an allergy to grass. Ann Allergy Asthma Immunol. 2016 Feb;116(2):156-61. (Zusammenfassung) [10] Ellis u.a. (2017) Ellis AK, Frankish CW, O’Hehir RE, Armstrong K, Steacy L, Larché M, Hafner RP. Treatment with grass allergen peptides improves symptoms of grass pollen-induced allergic rhinoconjunctivitis. J Allergy Clin Immunol. 2017 Aug;140(2):486-496.doi: 10.1016/j.jaci.2016.11.043. Epub 2017 Feb 21. (Zusammenfassung) [11] Rondon u.a. (2018) Rondón C, Blanca-López N, Campo P, Mayorga C, Jurado-Escobar R, Torres MJ, Canto G, Blanca M. Specific immunotherapy in local allergic rhinitis: A randomized, double-blind placebo-controlled trial with Phleum pratense subcutaneous allergen immunotherapy. Allergy. 2018 Apr;73(4):905-915. (Zusammenfassung) [12] Mösges u.a. (2018) Mösges R, Bachert C, Panzner P, Calderon MA, Haazen L, Pirotton S, Wathelet N, Durham SR, Bonny MA, Legon T, von Frenckell R, Pfaar O, Shamji MH. Short course of grass allergen peptides immunotherapy over 3 weeks reduces seasonal symptoms in allergic rhinoconjunctivitis with/without asthma: A randomized, multicenter, double-blind, placebo-controlled trial. Allergy. 2018 Sep;73(9):1842-1850. (Zusammenfassung) [13] Worm u.a. (2019) Worm M, Rak S, Samoliński B, Antila J, Höiby AS, Kruse B, Lipiec A, Rudert M, Valovirta E. Efficacy and safety of birch pollen allergoid subcutaneous immunotherapy: A 2-year double-blind, placebo-controlled, randomized trial plus 1-year open-label extension. Clin Exp Allergy. 2019 Apr;49(4):516-525. (Zusammenfassung) Schlagworte AbwehrsystemAllergienAllergischer SchnupfenAntikörperAtemwegeDesensibilisierungHeuschnupfenHistaminHyposensibilisierungImmunsystemImmuntherapiepflanzlichPollenallergieSpritzesubkutan In über 500 Faktenchecks suchen