Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Hyposensibilisierung: dem Heuschnupfen die Zunge zeigen?

Regelmäßig unter die Zunge verabreichter Pollenextrakt scheint Heuschnupfen zumindest etwas zu lindern. Erfolgsgarantie gibt es jedoch keine.

AutorIn:

Kann eine Hyposensibilisierung mittels Tropfen oder Tabletten, die unter die Zunge verabreicht werden, bei Heuschnupfen helfen?

Wahrscheinlich hilft diese Form der Hyposensibilisierung, Heuschnupfen-Beschwerden etwas zu lindern, der Effekt dürfte jedoch nicht groß sein.

so arbeiten wir
© Irina Bg - Shutterstock.com Pollenextrakt unter der Zunge wirken lassen: die Lösung gegen Heuschnupfen?
© Irina Bg – Shutterstock.com

Es ist jedes Jahr dasselbe: sobald das warme Wetter viele Menschen ins Freie zieht, beginnt die Leidenszeit für Heuschnupfen-Geplagte. Denn dann schwirren die Pollen von Bäumen, Gräsern und anderen Pflanzen durch die Luft. In Österreich ist ungefähr jede sechste Person betroffen [3].

Wer auf Pollen allergisch ist, reagiert mit juckenden Augen, rinnender Nase oder Niesanfällen. Bei schwerem Heuschnupfen – so wird die Pollenallergie umgangssprachlich genannt – können die Blütenpollen sogar Atembeschwerden und Asthma auslösen.

Der Grund für die allergischen Beschwerden ist ein „überempfindliches“ Immunsystem. Es hält harmlose Pollenkörner für gefährliche Krankheitserreger und bekämpft diese.

Ursachen bekämpfen statt Symptome

Allergie-Medikamente wie Antihistaminika oder Cortison können helfen, die Symptome des Heuschnupfens bei Bedarf zu lindern. Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, die Ursache der Pollenallergie zu bekämpfen.

Dann gibt es da noch die Hyposensibilisierung. Sie soll das Immunsystem soweit an die Pollen gewöhnen, dass es nicht mehr überschießend darauf reagiert.

Hier stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung:

  • Die Allergieauslöser werden in regelmäßigen Abständen gespritzt, und zwar unter die Haut, also „subcutan“. In der Fachsprache heißt das „subcutane Immuntherapie“ (abgekürzt SCIT). Zu dieser Methode haben wir bereits einen Beitrag veröffentlicht.
  • Eine weniger aufwändige Methode der Hyposensibilisierung: Die Allergieauslöser kommen in Form von Tropfen oder Tabletten unter die Zunge („sublingual“) und wirken dort ein. Diese Form der Gewöhnung heißt „sublinguale Immuntherapie“ (abgekürzt SLIT).

Wir wollten wissen, wie gut die sublinguale Hyposensibilisierung ohne Spritzen funktioniert.

Moderate Linderung ohne Erfolgsgarantie

Die zusammengefassten Ergebnisse bisheriger Studien zeigen, dass eine Hyposensibilisierung mittels unter der Zunge eingenommener Pollenextrakte die Beschwerden wahrscheinlich etwas lindert [1]. Der durchschnittliche Effekt ist jedoch nicht besonders groß. Auf einer Skala von 0 (keine Beschwerden) bis 6 (extreme Beschwerden) dürften sich die Allergie-Symptome den Studien zufolge um 0,8 Punkte bessern. Das heißt zum Beispiel:

  • Stufen Heuschnupfen-Geplagte ohne Behandlung ihre Beschwerden durchschnittlich mit 3 auf der Skala von 0 bis 6 ein…
  • …dann verbessert eine sublinguale Hyposensibilisierung mit Tropfen oder Tabletten diesen Wert im Mittel auf 2,2.

Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht, diese Ergebnisse sind bloß Durchschnittswerte. Bei manchen Betroffenen kommt es vor, dass die Behandlung gar nicht wirkt, während sie die Beschwerden bei anderen deutlich lindern kann [4]. Bei Kindern scheint die Behandlung ähnlich zu wirken wie bei Erwachsenen [1].

In jedem Fall ist eine Hyposensibilisierung eine langwierige Therapie. In den Studien dauerte sie bis zu drei Jahre [1].

Einzelne Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Allergie-lindernde Effekt längerfristig anhält. Zumindest war das ein bis zwei Jahre nach Behandlungsende der Fall [1].

Leichte Nebenwirkungen häufig

Leichte und vorrübergehende Nebenwirkungen sind während der sublingualen Hyposensibilisierung häufig. Bei rund der Hälfte der Behandelten kann es zumindest einmal vorübergehend zu allergischen Reaktionen wie Niesen, tränenden Augen oder Asthma-Beschwerden kommen. Nach der Einnahme der Tropfen oder Tabletten mit Allergieauslösern sind vorübergehender Juckreiz und Schwellungen im Mund typisch [4].

Eine seltene, aber ernste Nebenwirkung ist die anaphylaktische Reaktion. Dabei lösen die unter die Zunge verabreichten Allergieauslöser starken Juckreiz, Atemprobleme oder Kreislaufprobleme aus. Diese Reaktion kann im schlimmsten Fall lebensbedrohlich sein, lässt sich aber durch das Spritzen von Adrenalin rasch erfolgreich behandeln [6].

Spritzen, Tropfen oder Tabletten?

Es gibt Anzeichen, dass das Risiko für solch schwere Nebenwirkungen bei einer subcutanen Hyposensibilisierung mittels Spritzen (SCIT) etwas häufiger ist als bei der sublingualen Methode mit Tabletten oder Tropfen (SLIT) [5].

Welche Methode besser wirkt, ist nicht gut erforscht. Es gibt aber Hinweise darauf, dass die Spritzenkur die Beschwerden etwas besser lindern könnte [4,5].

Die Studien im Detail

Um die Wirksamkeit der SLIT-Hyposensibilisierung einschätzen zu können, haben wir mehrere Studiendatenbanken nach allen bisherigen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen durchsucht. Dabei haben wir uns auf den hierfür aussagekräftigsten Studientyp konzentriert, nämlich randomisiert-kontrollierte Studien.

In diesen Studien wurden die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) zwei Gruppen zugeteilt. Eine Gruppe erhielt regelmäßig Tropfen oder Tabletten mit einem allergieauslösenden Pollenextrakt. Die andere Gruppe bekam Tropfen oder Tabletten ohne Allergieauslöser zur Scheinbehandlung.

Dabei war wichtig, dass weder die Testpersonen noch das Studienpersonal wussten, wer die echte und wer die Scheinbehandlung (Placebo) erhielt. Dieses Vorgehen sollte vermeiden, dass Erwartungshaltungen des wissenschaftlichen Studienteams und der Testpersonen die Ergebnisse beeinflussen. Voraussetzung war auch, dass sich die beiden Gruppen zu Beginn der Studien in keinem Merkmal wesentlich unterschieden – so ist ein fairer Vergleich möglich.

Zusammengefasste Studienergebnisse

Bei unserer Suche haben wir eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2017 gefunden. Sie hat die Ergebnisse aller relevanten randomisiert-kontrollierten Studien, erschienen bis Oktober 2015, zusammengefasst und analysiert [1]. Insgesamt handelt es sich um 21 Studien zur sublingualen Hyposensibilisierung bei einer Pollenallergie.

In den meisten Studien waren die teilnehmenden Personen über 18 Jahre alt, in einigen wenigen wurden auch Kinder untersucht. Alle Testpersonen litten an ärztlich diagnostiziertem allergischem Schnupfen.

Legt man die zusammengefassten Studienergebnisse auf eine Skala von 0 (keine Beschwerden) bis 6 (extreme Beschwerden) um, entspricht die durchschnittliche Besserung einer Verringerung um etwa 0,8 Punkte auf dieser Skala.

Das Autorenteam einer älteren systematischen Übersichtsarbeit des Cochrane Netzwerks kam 2010 zu einem ähnlichen Ergebnis [2]. Es wertete die Ergebnisse von 39 randomisiert-kontrollierten Studien zu SLIT bei einer Pollenallergie aus, die bis zum Jahr 2009 veröffentlicht worden waren.

Schubladenproblem

Im Großen und Ganzen sind die Studien zur Hyposensibilisierung mit der sublingualen Methode gut gemacht und weisen keine schweren methodischen Mängel auf. Zur Sicherheit haben die Autorinnen und Autoren der neueren Übersichtsarbeit die schlechter durchgeführten Studien aus ihrer Analyse ausgeschlossen. Das Ergebnis hat sich dadurch nicht verändert.

Problematisch ist allerdings, dass es möglicherweise Studien mit negativen Ergebnissen gibt, die nie veröffentlicht wurden, sondern in der Schublade verschwanden [1]. Das legt eine statistische Analyse nahe. Durch dieses „Schubladenproblem“ könnte es sein, dass der tatsächliche Effekt kleiner ist als der in den Überichtsarbeiten errechnete.

Keine Erkenntnisse durch neue Einzelstudien

Bei einer Suche nach aktuelleren randomisiert- kontrollierten Studien, also erschienen nach dem Oktober 2015, haben wir noch einige weitere Untersuchungen gefunden. Diese sind allerdings sehr mangelhaft und erlauben keine weiteren Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der sublingualen Hyposensibilisierung.

[1] Dhami u.a. (2017)
Studienart: Systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse
Inkludierte Studien: 134 randomisiert-kontrollierte Studien, davon 21 zu sublingualer Hyposensibilisierung (SLIT) bei Pollenallergie
Teilnehmenende: 20.071 Personen mit allergischem Schnupfen, davon erhielten 1088 eine sublinguale Immuntherapie gegen Pollenallergie
Fragestellung: Wirkung und Nebenwirkungen der Immuntherapie bei saisonaler allergischer Rhinitis?
Interessenskonflikte: Finanzielle Zuwendungen durch Pharmafirmen an Mitglieder des Autorenteams

Dhami S, Nurmatov U, Arasi S, et al. Allergen immunotherapy for allergic rhinoconjunctivitis: A systematic review and meta-analysis. Allergy. 2017 Nov;72(11):1597-1631. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[2] Radulovic u.a. (2010)
Studienart: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Analysierte Studien: 49 randomisiert-kontrollierte Studien, darunter 39 zu verschiedenen Pollenallergien
Teilnehmende: insgesamt 4589 Erwachsene und Kinder
Fragestellung: Wirkung von SLIT bei allergischem Schnupfen bzw. Pollenallergien.
Interessenskonflikte: Mindestens eine Person aus dem Autorenteam hat in der Vergangenheit Zahlungen von einem Unternehmen erhalten, das SLIT-Präparate herstellt

Radulovic S, Calderon MA, Wilson D, Durham S. Sublingual immunotherapy for allergic rhinitis. Cochrane Database Syst Rev. 2010 Dec 8;(12):CD002893. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

Weitere Quellen

[3] Dorner u.a. (2007)
Dorner T, Lawrence K, Rieder A, Kunze M. Epidemiology of allergies in Austria. Results of the first Austrian allergy report. Wien Med Wochenschr. 2007;157(11-12):235-42. (Zusammenfassung)

[4] IQWIG (2017)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Heuschnupfen. Abgerufen am 2. 7. 2019 unter www.gesundheitsinformation.de

[5] Dynamed (2019)
Sublingual immunotherapy. Abgerufen am 2.7.2019 unter www.dynamed.com (Zugriff kostenpflichtig)

In über 500 Faktenchecks suchen