Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Weidenrindentee: Alternative zu Aspirin?

Weidenrindentee schmeckt bitter und reizt mitunter den Magen. Dennoch wird er als schonende Alternative zu Aspirin und Ähnlichem beworben.

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Kann Weidenrindentee bei Entzündungen, Schmerzen oder Fieber helfen?

Über die Auswirkungen von Weidenrindentee auf Schmerzen, Entzündungen oder Fieber fehlen aussagekräftige, gut durchgeführte Studien.

so arbeiten wir
© Heike Rau - fotolia.at Weidenrindentee
© Heike Rau – fotolia.at

Ob Fieber, Schmerzen oder Entzündungen – alten Überlieferungen zufolge sollen Heilkundige schon in der Antike Extrakte aus der Rinde von Weiden gegen diese Beschwerden eingesetzt haben. Der darin enthaltene Wirkstoff Salicin diente den Chemikern des 19.Jahrhunderts als natürliche Vorlage für die Entwicklung der Salicylsäure. Dieses entzündungshemmende und fiebersenkende Schmerzmittel musste schließlich der besser verträglichen Acetylsalicylsäure weichen, besser bekannt unter dem Handelsnamen Aspirin (ASS).

Mit der guten Wirksamkeit von Aspirin bei Schmerzen, Fieber und Entzündungen zeigten sich aber bald die dadurch möglicherweise ausgelösten Nebenwirkungen. Vor allem die Gefahr von Blutungen und die mögliche Bildung von Geschwüren im Magen-Darmtrakt schränken für viele Patienten die Einnahme von ASS ein [1][7][8][10].

Zurück zum Ursprung?

Medienberichten zu Folge könnten von Schmerz und Fieber geplagte Patienten diesen Nebenwirkungen mit Hilfe von Weidenrindentee entkommen. Wirkstoffe der Weidenrinde sollen demnach unter anderem bei Erkältungen, Kopfschmerzen oder entzündlichen Gelenkserkrankungen helfen. Verantwortlich ist angeblich das in der Weidenrinde enthaltene Salicin. Dieses wird vom Körper in Salicylsäure umgewandelt, wo es eine ähnliche Wirkung wie Aspirin erzeugen soll – Schmerzen, Entzündungen und Fieber wirksam zu lindern.

Und das alles angeblich ohne jene Nebenwirkungen, die mit der Einnahme von Acetylsalicylsäure verbunden sein können. Doch was sagt die Wissenschaft? Hilft Weidenrindentee ebenso gut wie der Klassiker Aspirin? Und müssen die Teetrinker tatsächlich keine Angst vor Nebenwirkungen haben?

Nur Überlieferungen

Wissenschaftliche Beweise, ob das Trinken von Weidenrindentee tatsächlich eine schmerzstillende, entzündungshemmende oder fiebersenkende Wirkung mit sich bringt, fehlen. Auf Basis der bisher durchgeführten, teils widersprüchlichen Studien können wir nicht beurteilen, ob Weidenrindentee gängige Schmerzmittel ersetzen kann. Es fehlen gut durchgeführte Untersuchungen, welche die Wirkstoffe der Weidenrinde mit Acetylsalicylsäure oder anderen Schmerzmitteln vergleichen. Völlig unklar bleibt, über welche Zeitspanne und in welcher Dosis Weidenrindentee eingenommen werden soll.

Bedenklich ist, dass es keine verlässlichen Untersuchungen zu den möglichen schädlichen Auswirkungen von Weidenrinde gibt [1][4][5].

Vorsicht ist die Mutter des Teetrinkers

Pflanzliche Mittel genießen unter vielen Konsumenten den Ruf „natürlich“ und deshalb frei von Nebenwirkungen zu sein. Wer Weidenrinde trotz der unklaren und dürftigen Studienlage zu Wirkung und Nebenwirkungen einnehmen will, sollte bedenken, dass diese zwar rezeptfrei erhältlich und pflanzlichen Ursprungs ist, aber deswegen noch lange nicht harmlos sein muss.

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) steht der bedenkenlosen Einnahme von Weiderindenprodukten kritisch gegenüber. Die Experten der EMA raten bis zum Vorliegen von gut durchgeführten Studien zu einem vorsichtigen Umgang mit dem pflanzlichen Mittel. Personen die allergisch auf Salicylate ( z.B. Aspirin) oder andere Schmerzmittel (Antirheumatika) reagieren, sollten Weidenrinde nicht einnehmen. In manchen Fällen kann das pflanzliche Mittel die Wirkung gerinnungshemmender Arzneimittel verstärken.

Daher raten Experten von einer gleichzeitigen Einnahme ab. Auch Schwangere und stillende Frauen sollten die Finger von dem Tee lassen. Für Kinder unter 18 Jahren ist das pflanzliche Mittel nicht geeignet. Ärzte befürchten, dass die Einnahme von Weidenrinde (ebenso wie von Acetylsalicylsäure) bei Kindern zu einem lebensbedrohlichen Zustand – dem Reye Syndrom führen könnte. Diese sehr seltene aber folgenschwere Erkrankung trifft meist Kinder im Anschluss an eine Virusinfektion und kann im schlimmsten Fall tödlich oder mit bleibenden Hirnschäden enden. Gelegentlich können die Gerbstoffe des Weiderindentees bei empfindlichen Personen Magenbeschwerden verursachen [4][6].

Bittere Salicylsäure

Nebenwirkungen waren der Grund, warum Forscher zu Beginn des 20.Jahrhunderts nach einer schonenderen Variante des entzündungshemmenden und fiebersenkenden Schmerzmittels Salicylsäure suchten. Der Durchbruch gelang schließlich dem Chemiker Felix Hofmann mit der Entwicklung der Acetylsalicylsäure – der magenfreundlicheren und damit deutlich besser verträglicheren Variante der Salicylsäure [9][10]. Seit der Einführung von Medikamenten mit dem Wirkstoff ASS wurde die Liste möglicher Wirkungen stetig länger. Wie Medizin Transparent in einem früheren Artikel berichtete könnte das Mittel auch vor Krebs schützen [https://www.medizin-transparent.at/vorteil-von-aspirin-ass-im-kampf-gegen-krebs-unklar]

Die Studien im Detail

Die wenigen existierenden Studien untersuchen eine mögliche Wirksamkeit bei Erkrankungen der Gelenke und des Bewegungsapparates [1, 2, 3,]. Methodische Mängel und zu geringe Teilnehmerzahlen schränken die Aussagekraft dieser Untersuchungen allerdings meist ein. Neben Fragen zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen bleiben die Wahl der optimalen Dosis und die Folgen einer längerfristigen Einnahme von Extrakten der Weidenrinde unklar.

Zwei systematische Übersichtsarbeiten der Cochrane Collaboration gingen der Frage nach, ob pflanzliche Mittel, darunter auch Extrakte der Weidenrinde, bei Arthrose bzw. rheumatoider Arthritis helfen [1,2]. Die Autoren beider Arbeiten kamen zu der Erkenntnis, dass die Studienlage zur Wirksamkeit von Weidenrinde völlig unklar ist und sich aus den Ergebnissen der vorhandenen Studien keine seriösen Schlüsse ableiten lassen.

Ziel einer systematischen Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration aus dem Jahr 2014 war die Wirksamkeit pflanzlicher Mittel bei Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen zu eruieren [3]. Es zeigte sich die Tendenz, dass Extrakte der Weidenrinde, eine kurze, leichte Besserung bewirken könnten, im Vergleich zu einem Scheinmedikament. Allerdings wiesen die eingeschlossenen Studien auch hier teils grobe methodische Mängel auf, die Patienten wurden nur für kurze Zeit beobachtet und es gab keinen Vergleich mit herkömmlichen Schmerzmitteln.

[1] Cameron u.a. (2014)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse
Eingeschlossene Studien: 49 randomisiert kontrollierte Studien, davon 2 zu Extrakten der Weidenrinde
Teilnehmer insgesamt: 5980 Patienten mit Arthrose
Fragestellung: Wirkung und Nebenwirkung von pflanzlichen Mitteln bei Arthrose?
Interessenskonflikte: keine angegeben.

Oral herbal therapies for treating osteoarthritis. Cameron M, Chrubasik S., Cochrane Database Syst Rev. 2014 May 22;5:CD002947.
Zusammenfassung

[2] Cameron u.a. (2011)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit der Cochrane-Collaboration
Eingeschlossene Studien: 22 randomisiert kontrollierte Studien davon eine zu Weidenrinden-Extrakt
Teilnehmer insgesamt: 26 Patienten zu Weidenrinden-Extrakt
Fragestellung: Wirkung und Nebenwirkung von pflanzlichen Mitteln bei rheumatischer Arthritis?
Interessenskonflikte: keine angegeben.

Cameron M, Gagnier JJ, Chrubasik S. Herbal therapy for treating rheumatoid arthritis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2011, Issue 2. Art. No.: CD002948.
Zusammenfassung

Weitere wissenschaftliche Quellen

[3] Oltean u.a. (2014)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit der Cochrane-Collaboration
Eingeschlossene Studien: 14 randomisiert kontrollierte Studien, davon 3 zu Extrakten der Weidenrinde.

Oltean H, Robbins C, van Tulder MW, Berman BM, Bombardier C, Gagnier JJ., Herbal medicine for low-back pain. Cochrane Database Syst Rev. 2014 Dec 23;12:CD004504. doi: 10.1002/14651858.CD004504.pub4. Review

[4] European Medicines Agency (2009) Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC), Assessment report on salicis cortex (willow bark) and herbal preparation(s) thereof with well-established use and traditional use, abgerufen am 29.12.2015

[5] IQWIG (2014) Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), [V14-04] Systematische Leitlinienrecherche und -bewertung sowie Extraktion relevanter Empfehlungen für ein DMP chronischer Rückenschmerz , abgerufen am 29.12.2015

[6] Pschyrembel & Arnold (2014) Pschyrembel, W., & Arnold, U. (2014). Pschyrembel Klinisches Wörterbuch (266., aktualisierte Aufl. ed.). Berlin [u.a.]: De Gruyter.

[7] Vlachojannis u.a. (2009) Vlachojannis JE, Cameron M, Chrubasik S.,A systematic review on the effectiveness of willow bark for musculoskeletal pain. Phytother Res. 2009 Jul;23(7):897-900. doi: 10.1002/ptr.2747.

[8] UpToDate (2014). Steven B Abramson, Aspirin: Mechanism of action, major toxicities, and use in rheumatic diseases, abgerufen am 29.12.2015

[9] Forth u.a. (1992). W.Forth, D.Henschler, W.Rummel, K.Starke, Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie,6. Auflage, Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich; Bi-Wiss.-Verl.,1992,ISBN 3-411-15026-2

[10] Stephens u.a. (2015). Stephens, Sheena Derry, R Andrew Moore, Aspirin for acute treatment of episodic tension-type headache in adults (protocol), Editorial Group: Cochrane Pain, Palliative and Supportive Care Group, Published Online: 25 SEP 2015, DOI: 10.1002/14651858.CD011888

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