Startseite ● Botox gegen Migräne: hilfreich, aber nur ein wenig Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. Botox gegen Migräne: hilfreich, aber nur ein wenig Botox glättet nicht nur Falten, sondern hilft wahrscheinlich auch gegen Migräne. Es schaltet die Migräne aber nicht aus, sondern reduziert die Attacken nur ein wenig. 08. Oktober 2018 AutorIn: Bernd Kerschner Review: Julia Harlfinger Claudia Christof Teilen Können Spritzen mit Botox Migräne-Anfällen vorbeugen? wahrscheinlich Bisherigen Studien zufolge scheint Botox die Anzahl der Migräne-Tage um zwei Tage pro Monat zu verringern. Das gilt jedoch nur für stark betroffene Patientinnen und Patienten, die mehr als zwei Wochen im Monat an Kopfschmerzen leiden. so arbeiten wir Migräne - mehr als nur Kopfschmerzen © svershinsky – shutterstock.com Unter gewöhnlichen Kopfschmerzen leiden viele Menschen ab und zu. Migräne ist anders: Die Beschwerden sind deutlich heftiger, sie setzen plötzlich ein und beschränken sich häufig auf nur eine Kopfseite. Bei einem Migräneanfall sind viele Betroffene stark empfindlich auf Lärm oder Licht. Häufig begleiten Übelkeit und Erbrechen die Schmerzen. Migräne ist weit verbreitet. Bei Frauen ist sie häufiger als bei Männern: betroffen sind etwa 14 von 100 Frauen, aber nur rund 7 von 100 Männern [2]. Lähmende Vorbeugung Manche Menschen haben nur ab und zu einen Migräne-Anfall. Andere leiden an mehreren Tagen im Monat darunter. Viele wünschen sich daher eine Behandlung, um die Anfälle zu verhindern, noch bevor sie auftreten. Eine Möglichkeit dafür bieten Spritzen mit dem Nervengift Botulinumtoxin A, besser bekannt unter dem Handelsnamen „Botox“. Weil die Substanz Muskeln lähmt, lässt sie unter anderem Falten im Gesicht kurzfristig glatter erscheinen. Die lähmende Wirkung soll aber auch helfen, Migräneanfällen vorzubeugen. Dazu wird Botox an mehreren Stellen in Muskeln am Kopf und im Nacken gespritzt. Doch funktioniert das auch? Botox – keine große Hilfe Bisher durchgeführten Studien zufolge kann eine Spritzenbehandlung mit Botox wahrscheinlich helfen. Allerdings nur geringfügig. Das heißt: mit Botox bleibt die Migräne nicht weg, die Anzahl der Anfälle wird nur ein wenig reduziert. Etwas weniger Anfälle Basis für diese Einschätzung sind Forschungsarbeiten mit Menschen, die eine chronische Migräne haben, also sehr häufig Anfälle bekommen. An dieser Form leiden nur sehr wenige Migräne-Betroffene, nämlich 2 von 100 [2]. In den Studien dazu wurden Testpersonen mit chronischer Migräne einer von zwei Gruppen zugelost. Eine Gruppe erhielt eine Spritzenbehandlung mit Botox, die andere eine Scheinbehandlung mit Spritzen ohne Wirkstoff. Drei Monate nach der Behandlung zeigte sich: Ohne Botox hatten die Testpersonen an 12 bis 20 Tagen im Monat Migräne. Mit Botox hatten die Testpersonen an 10 bis 18 Tagen im Monat Migräne. Insgesamt scheint Botox die Anzahl der monatlichen Migränetage um durchschnittlich zwei Tage verringern zu können. Das heißt, es gibt einen vorbeugenden Effekt. Zumindest rein rechnerisch. Ob die Teilnehmenden diesen Effekt tatsächlich als deutliche Verbesserung ihrer Lebensqualität wahrnehmen, können die Studien jedoch nicht beantworten. Zudem waren die meisten der teilnehmenden Personen weiblich. Es ist daher unklar, ob die Behandlung Männern gleich gut hilft wie Frauen. Die vorbeugende Wirkung von Botox lässt nach einigen Monaten nach. In den Studien erhielten die Teilnehmenden daher nach drei Monaten eine weitere Spritzenbehandlung. Keine der Studien lief jedoch länger als neun Monate, die Teilnehmenden erhielten maximal drei Behandlungsrunden. Mögliche Langzeitfolgen sind daher nicht untersucht. Wirkungslos für Großteil der Betroffenen? 98 von 100 Migräne-Betroffenen – also die überwiegende Mehrheit – wird seltener als 15 Tage im Monat von Kopfschmerzen und Migräneattacken geplagt. Fachleuten zufolge leiden sie damit nicht an der chronischen Form der Migräne, sondern an episodischer (fallweise auftretender) Migräne. Für diese Gruppe ist die Wirkung von Botox lediglich in einer einzigen Studie untersucht worden. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit deuten darauf hin, dass eine Botoxbehandlung für diese Betroffenen keine Besserung bringt [1]. Ob das wirklich so ist, müssen zukünftige Studien allerdings erst bestätigen. Häufige Nebenwirkungen Botox-Injektionen haben nicht nur erwünschte Effekte. Häufige Nebenwirkungen sind beispielsweise Muskelschwäche und ein schmerzender oder steifer Nacken. Auch ein hängendes Augenlid oder Schluckstörungen können eine Folge sein [2]. Diese Nebenwirkungen vergehen allerdings wieder, sobald die muskellähmende Substanz zu wirken aufhört. Bisherige Studien geben folgende Zahlen an: Nach Spritzen mit Botox hatten 60 von 100 Behandelten Nebenwirkungen. Nach Placebo-Spritzen ohne Wirkstoff hatten 47 von 100 Behandelten Nebenwirkungen. Insgesamt war Botox also bei 13 von 100 Behandelten die Ursache für die Nebenwirkungen. 3 von 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern brachen die Studie aufgrund der Nebenwirkungen vorzeitig ab [1]. Behandeln oder Vorbeugen Ist ein Migräneanfall bereits da, lassen sich die Beschwerden mit Schmerzmitteln oder Migränemedikamenten wie Triptanen und Ergotaminen lindern [2]. Darüber, wie gut diese Mittel helfen, informiert die unabhängige Seite Gesundheitsinformation.de des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). Viele von Migräne betroffene Menschen wünschen sich jedoch eine vorbeugende Behandlung, um Migräneanfälle von vornherein zu verhindern. Für Medizin-transparent haben wir uns schon in der Vergangenheit angesehen, ob Sport, Akupunktur oder pflanzliche Mittel aus Pestwurz oder Mutterkraut Migräne vorbeugen können. Daneben gibt es noch viele weitere Medikamente, die Migräneanfälle zumindest teilweise verhindern können. Eine Übersicht bietet die Seite Gesundheitsinformation.de Die Studien im Detail Wie gut sich Botox zur Vorbeugung von Migräne eignet, wollte eine britische Forschungsgruppe des Wissenschaftsnetzwerks Cochrane im Rahmen einer systematischen Übersichtsarbeit ergründen [1]. Dazu suchten sie nach allen Forschungsergebnissen, die bis zum Dezember 2017 veröffentlicht worden waren. Bei ihrer Suche in mehreren Studiendatenbanken förderten sie 28 klinische Untersuchungen an insgesamt 4190 Migräne-Betroffenen zu Tage. Mit 85 Prozent Studienteilnehmerinnen war der Großteil der Untersuchten weiblich. Am aussagekräftigsten stuft die Forschungsgruppe jene Studien ein, die die Anzahl der Migränetage pro Monat erhoben haben. Dies haben fünf Studien untersucht, davon vier an Patientinnen und Patienten mit chronischer Migräne. Um „chronische Migräne“ handelt es sich, wenn Betroffene an mindestens 15 Tagen im Monat Kopfschmerzen haben und es sich an acht oder mehr davon um Migräne-Kopfschmerzen handelt. Treten die Anfälle seltener auf, ist von „episodischer Migräne“ die Rede. Chronische Migräne Zwei der vier Studien wurden streng nach wissenschaftlichen Qualitätskriterien durchgeführt, die anderen beiden sind in der Durchführung mangelhaft. Die beiden gut durchgeführten Studien untersuchten insgesamt 1384 Betroffenen mit chronischer Migräne. Ihre zusammengefassten Ergebnisse zeigen eine Verringerung um zwei Migränetage im Monat. Die beiden Studien von geringer Qualität haben zusammen nur 113 Testpersonen mit chronischer Migräne untersucht. Würden ihre Ergebnisse mitberücksichtigt, würde sich die Verringerung von 2 auf 3,1 Migränetage erhöhen. Aufgrund der Qualitätsmängel in der Studiendurchführung ist das Ergebnis der beiden großen Studien alleine allerdings verlässlicher. Episodische Migräne Wie sich Botox bei Betroffenen mit episodischer Migräne auf die Anzahl der monatlichen Migränetage auswirkt, hat nur eine einzige Studie an 418 Personen untersucht. Ob die Studie wesentliche Qualitätsmerkmale an gut durchgeführte Studien erfüllt, ist großteils unklar. Das Ergebnis deutet jedoch keine merkliche Besserung an: der Unterschied zwischen Botox- und Placebogruppe beträgt lediglich 0,2 Tage. Aufgrund einer großen Schwankungsbreite und der unklaren Qualität der Studie ist dies jedoch nicht gut gesichert und muss erst durch weitere Studien bestätigt werden. Wissenschaftliche Quellen [1] Herd u.a. (2018) Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit Analysierte Studien: 28 randomisiert-kontrollierte Studien Teilnehmende: 4190 Personen (rund 85% davon Frauen). Etwa die Hälfte der Teilnehmenden litten an episodischer Migräne mit weniger als 15 Kopfwehtagen im Monat, die andere Hälfte an chronischer Migräne mit mindestens 15 Kopfwehtagen im Monat oder mehr. Studiendauer: maximal 9 Monate Fragestellung: Verringert eine Botox-Injektion die Anzahl und Schwere von Migräne-Tagen 12 Wochen nach der Injektion? Interessenskonflikte: keine relevanten laut Autorinnen und Autoren Herd CP, Tomlinson CL, Rick C, Scotton WJ, Edwards J, Ives N, Clarke CE, Sinclair A. Botulinum toxins for the prevention of migraine in adults. Cochrane Database Syst Rev. 2018 Jun 25;6:CD011616. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit) Weitere Quellen [2] IQWIG (2018) Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Migräne. Abgerufen am 3.10.2018 unter https://www.gesundheitsinformation.de/migraene.2228.de.html Schlagworte BotoxKopfschmerzenMigräneSchmerzen In über 500 Faktenchecks suchen