Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Stillen vermindert Risiko für plötzlichen Kindstod

Gestillte Babys scheinen eine geringere Wahrscheinlichkeit zu haben, am plötzlichen Kindstod zu sterben. Aber auch andere Faktoren beeinflussen dieses Risiko.

AutorIn:
Review:  Kylie Thaler 

Vermindert Stillen das Risiko für plötzlichen Kindstod?

Stillen kann die Gefahr des plötzlichen Kindstodes möglicherweise vermindern, gänzlich abgesichert ist das jedoch nicht. Auch andere Faktoren können das Risiko senken.

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© JenkoAtaman - fotolia.com Stillen stärkt nicht nur das Gefühl von Geborgenheit, sondern fördert auch Babys Gesundheit
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„Todesursache unklar.“ Was nach einem Zitat aus einem Krimi klingt, kann im Fall eines toten Babys einem tragischen Phänomen geschuldet sein. Wenn zuvor gesunde Säuglinge plötzlich versterben, ohne dass eine andere plausible Todesursache festgestellt werden kann, lautet die Diagnose „plötzlicher Kindstod“.

Bitte wenden!

Während die Ursachen für den plötzlichen Kindstod immer noch ein Rätsel sind, konnten Wissenschaftler Anfang der 1990er Jahre einen großen Risikofaktor entlarven: die bis dato empfohlene Bauchlage [1] [3]. Die Erkenntnis, dass das Schlafen auf dem Bauch die Gefahr für den plötzlichen Kindstod drastisch erhöht und die darauf folgenden Kampagnen für die Rückenschlaflage zeigten in vielen Industriestaaten Wirkung.

Im Jahr 1990 Jahre starben in Österreich laut Statistik Austria noch über 100 Säuglinge am plötzlichen Kindstod. Seitdem ist die Zahl stark zurückgegangen, in den Jahren 2010 bis 2015 waren es im Durschnitt nur noch 13 Fälle pro Jahr.

Schutzfaktor Stillen?

Mit der Bauchlage konnte Anfang der Neunziger ein negativer Einflussfaktor ausgemacht werden. Wissenschaftler vermuteten jedoch noch weitere Ursachen für den plötzlichen Kindstod, etwa wenn Mütter ihre Neugeborenen nur kurz oder gar nicht stillen. Ein US-amerikanisches Wissenschaftsteam wollte es genauer wissen. In einer 2011 veröffentlichten Übersichtsarbeit [2] nahmen sie bisher veröffentlichte Studien unter die Lupe, die den Zusammenhang von plötzlichen Kindstod-Fällen mit den Stillgewohnheiten der Mütter untersucht hatten.

Studienergebnisse mit Haken

Den Studien zufolge scheint tatsächlich ein Zusammenhang zu existieren. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass das Risiko gestillter Kinder im Vergleich zu nicht gestillten Kindern halbiert ist [2]. Laut einer repräsentativen Untersuchung im Auftrag des österreichischen Gesundheitsministeriums aus dem Jahr 2006 stillen in Österreich 93 Prozent aller Mütter nach der Geburt ganz oder teilweise. Umgelegt auf diese Zahlen bedeutet das: Würden alle Mütter stillen, ließe sich somit in Österreich zumindest ein Fall von plötzlichem Kindstod alle zwei Jahre vermeiden. Den zusammengefassten Studienergebnissen zufolge scheint der Schutz größer zu sein, wenn Mütter auf Säuglingsersatzmilch verzichten und ihr Baby möglichst lange ausschließlich stillen.

Die Sache hat allerdings einen kleinen Haken: die analysierten Studien zeigen zwar einen Zusammenhang auf. Zweifelsfrei beweisen können sie jedoch nicht, dass es wirklich der Faktor „Stillen“ war, der die Babys vor dem plötzlichen Kindstod bewahrt hat. Durch die Art, wie die Studien durchgeführt wurden, lässt sich nicht ganz ausschließen, dass andere, unbekannte Faktoren der wahre Grund für den Schutzeffekt sind.

Schnuller, Spritze und Zigarette

Neben dem Stillen und der Rückenlage beim Schlafen haben Forscher noch weitere Faktoren gefunden, die das Risiko vermindern könnten [3]. Beispielsweise gibt es Hinweise, dass Impfungen – vor allem gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten und Kinderlähmung – eine Schutzwirkung haben, auch wenn der Grund dafür noch unklar ist [4].

Es scheint auch, dass ein Schnuller die Wahrscheinlichkeit verringern könnte, an dem unerklärlichen Säuglingstod zu sterben [5]. Ein deutlich gesteigertes Risiko hingegen haben Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft rauchen. Auch Passivrauch nach der Geburt scheint ähnlich schädlich zu sein [3] [6].

Säuglinge, die mit ihren Eltern im selben Bett schlafen, haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko. Experten empfehlen, das Kind in einem eigenen Bettchen schlafen zu legen, das sich aber dennoch im elterlichen Schlafzimmer befinden soll [3]. Bedenklich scheinen Pölster oder zu dicke Decken zu sein. Sie erhöhen die Gefahr, dass dem Kind zu heiß wird oder zu wenig Atemluft bekommt. Beides vermuten Experten als mögliche Ursache für den plötzlichen Kindstod [3].

Die Studien im Detail

Dass Stillen das Risiko eines Babys senkt, unerwartet zu versterben, ist nur mäßig abgesichert. Der Hauptgrund dafür ist das Studiendesign der bisher durchgeführten Untersuchungen. Es handelt sich um Fall-Kontroll-Studien, bei denen die Studienautoren Mütter befragt haben, deren Kinder am plötzlichen Kindstod gestorben sind. Dabei mussten die Mütter rückblickend angeben, ob und wie lange sie ihr Kind bis zu seinem unerwarteten Tod gestillt hatten. Zum Vergleich befragen die Studienautoren auch andere Mütter zu ihren Stillgewohnheiten.

In fast allen Studien zeigte sich, dass unter den plötzlich verstorbenen Babys der Anteil stillender Mütter geringer war als in der Vergleichsgruppe. Das belegt jedoch nicht zwingenderweise, dass das Stillen der Grund für das geringere Kindstod-Risiko ist. Genauso gut könnte es sein, dass stillende Mütter sich generell mehr Gedanken um die Gesundheit ihres Nachwuchses machen. Denkbar ist beispielsweise, dass sie eher Nichtraucher sind, ihr Kind mit größerer Wahrscheinlichkeit zum Schlafen auf den Rücken legen und es impfen lassen. Viele der analysierten Studien haben solche bekannten Risikofaktoren nicht oder nur teilweise berücksichtigt. Es könnte außerdem sein, dass sich Mütter nach dem tragischen Tod ihres Kindes bei der Befragung nicht mehr genau erinnern, wie lange sie ihr Kind gestillt haben.

Für ein tatsächlich verringertes Risiko spricht, dass selbst jene Studien eine geringere Anzahl an plötzlich gestorbenen Babys finden, die versucht haben, viele bekannten Risikofaktoren aus dem Ergebnis herauszurechnen.

Übersichtsarbeit mit Mängeln

Es ist nicht gesichert, dass die Verfasser der Studienzusammenfassung für ihre systematische Übersichtsarbeit [2] tatsächlich alle bisher veröffentlichten Arbeiten von ausreichender Qualität gefunden und berücksichtigt haben. Es lässt sich also nicht völlig ausschließen, dass weitere Studien existieren, deren Ergebnisse gegen einen Zusammenhang von Stillen und plötzlichem Kindstod sprechen.

Dass Babys, die ausschließlich gestillt werden, tatsächlich seltener unerwartet und plötzlich versterben als Babys, die neben Muttermilch auch Fläschchen mit Säuglingsersatzmilch bekommen, haben die Autoren nicht tiefgehend untersucht. Ob längeres oder ausschließliches Stillen daher einen größeren Schutz bieten, ist nur schlecht abgesichert.

[1] Gilbert u.a. (2005)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Anzahl der analysierten Studien: 40 Fall-Kontroll-Studien und Kohortenstudien
Fragestellung: Erhöht Bauchlage beim Schlafen das Risiko für plötzlichen Kindstod?
Mögliche Interessenskonflikte: Gilbert koordiniert eine der zitierten Studien. Die anderen Autoren geben an, keine Interessenskonflikte zu haben.

Gilbert R, Salanti G, Harden M, See S. Infant sleeping position and the sudden infant death syndrome: systematic review of observational studies and historical review of recommendations from 1940 to 2002. Int J Epidemiol. 2005 Aug;34(4):874-87. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[2] Hauck u.a. (2011)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Anzahl der eingegangenen Studien: 18 Fall-Kontroll-Studien
Fragestellung: Verringert Stillen das Risiko für plötzlichen Kindstod?
Mögliche Interessenskonflikte: keine laut Autoren

Hauck FR, Thompson JM, Tanabe KO, Moon RY, Vennemann MM. Breastfeeding and reduced risk of sudden infant death syndrome: a meta-analysis. Pediatrics. 2011 Jul;128(1):103-10. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

Weitere Quellen

[3] UpToDate (2016)
Corwin MJ (2016). Sudden infant death syndrome: Risk factors and risk reduction strategies. In Hoppin AG (ed.). UpToDate. Abgerufen am 29. 7. 2016 unter www.uptodate.com/contents/sudden-infant-death-syndrome-risk-factors-and-risk-reduction-strategiest

[4] Vennemann u.a. (2007)
Vennemann MM, Höffgen M, Bajanowski T, Hense HW, Mitchell EA. Do immunisations reduce the risk for SIDS? A meta-analysis. Vaccine. 2007 Jun 21;25(26):4875-9. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[5] Hauck u.a. (2005)
Hauck, F. R., O. O. Omojokun, et al. (2005). „Do pacifiers reduce the risk of sudden infant death syndrome? A meta-analysis.“ Pediatrics 116(5): e716-723. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[6] Mitchell & Milerad (2006)
Mitchell EA, Milerad J. (2006). “Smoking and the sudden infant death syndrome.” Rev Environ Health. 2006 Apr-Jun;21(2):81-103. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

Aktualisierte Version, ursprünglich veröffentlicht am 22. 6. 2011. Eine Suche nach neuen Studien bringt keine inhaltliche Änderung.

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