Geburt: Abwarten oder einleiten?

Die Einleitung der Geburt kann vorteilhaft für Neugeborene und Mutter sein. Besonders wichtig: Im Vergleich zum Abwarten können (ohnehin seltene) Todesfälle von Babys verhindert werden.

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Kann die Einleitung der Geburt bei Schwangerschaften, die über den errechneten Termin hinaus gehen, Todesfälle bei Säuglingen verhindern? Senkt sie die Anzahl der Intensivstation-Aufenthalte von Neugeborenen?

Macht eine Einleitung der Geburt Kaiserschnitte seltener nötig als das beobachtende Abwarten?

Bleibt die Anzahl an Entbindungen mit Saugglocke und Geburtszange ähnlich bei Einleitung und beobachtendem Abwarten?

Die Zusammenfassung von 34 aussagekräftigen Studien mit 21.500 Frauen zeigt, dass sich durch Geburtseinleitungen Todesfälle von Babys und Intensivstation-Aufenthalte der Neugeborenen verhindern lassen – im Vergleich zu beobachtendem Abwarten. Durch Einleitungen sind Kaiserschnitten wahrscheinlich weniger oft nötig als beim Abwarten. Der Einsatz von Saugglocke und Geburtszange ist vermutlich nicht oder nur wenig verändert. Die Ergebnisse gelten für Frauen ohne spezielle Risiken und für den Fall, dass die Schwangerschaft über den errechneten Geburtstermin hinausgeht.

so arbeiten wir
© Pressmaster - Shutterstock.com Endlich solide Daten für ein umstrittenes Thema: künstliche Geburtseinleitung.
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Was tun, wenn ein Baby rund um den errechneten Termin nicht zur Welt kommt? Die Geburt künstlich einleiten oder erst einmal beobachten und abwarten, ob die Wehen doch noch von selbst starten?

Dazu herrscht in der Fachwelt nicht unbedingt Einigkeit. Dementsprechend wird die Frage in der Praxis unterschiedlich gehandhabt.

Auch werdende Eltern haben hier unterschiedliche Ansichten. Es gibt Unsicherheit darüber, ob eine künstliche Einleitung mehr nützt oder mehr schadet.

Argumente dafür und dagegen

Die einen geben zu bedenken, dass ein Eingreifen meistens unnötig ist, dem Kind eventuell wertvolle Entwicklungszeit raubt. Sie fürchten, dass eine künstliche ausgelöste Geburt letztlich eher zu einem Kaiserschnitt führt, weil Mutter und Kind vielleicht noch nicht bereit ist.

Andere wiederum betonen, dass durch eine Einleitung unnötige Risiken gemindert werden, wie etwa Sauerstoffmangel beim Baby und ein Sinken der Herzfrequenz.

Bessere Orientierung für Fachleute und Eltern

Unter diesen Vorzeichen haben australische Forscherinnen und Forscher nach allen Studien zu diesem Thema gesucht. Dann haben die sie jene Studien mit der größten Aussagekraft herausgefiltert, analysiert und zusammengefasst.

Mit ihrer Übersichtsarbeit [1] wollten sie eine bessere Orientierung bieten. Zielpublikum sind etwa Fachleute, also Hebammen oder Ärztinnen und Ärzte aus der Geburtshilfe. Sie müssen, ebenso wie Eltern, zwischen Einleitung und Abwarten abwägen.

Einleitung kann Leben retten

Die Übersichtsarbeit [1] beinhaltet Daten aus 34 soliden Studien. Teilgenommen haben über 21.500 Frauen aus 16 Ländern. Die meisten hatten kein erhöhtes Risiko für Komplikationen und hatten den errechneten Geburtstermin bereits überschritten.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Geburtseinleitungen können für Babys lebensrettend sein. Bei Einleitungen kommt es zu weniger Todesfällen der Babys unmittelbar vor oder nach der Geburt als beim Beobachten und Abwarten. Dabei ist wichtig zu wissen, dass Todesfälle von Kindern in der Zeit rund um die Geburt ohnehin seltene Ereignisse sind.
  • Durch das künstliche Auslösen der Geburt sind etwas weniger Aufenthalte auf einer Intensivstation für die Neugeborenen notwendig.

In Zahlen ausgedrückt, besagen die in der Übersichtsarbeit [1] ausgewerteten Studien:

  • Mit Einleitung starben 4 von 10.000 Kindern
  • Ohne Einleitung starben 30 von 10.000 Kindern.
  • Mit Einleitung mussten 830 von 10.000 Kindern auf die Intensivstation.
  • Ohne Einleitung mussten 950 von 10.000 Kindern auf die Intensivstation.

Diese Einschätzungen sind gut abgesichert. Sie basieren auf der Zusammenfassung von aussagekräftigen Studien. Es ist nicht zu erwarten, dass sich die Erkenntnisse durch neue Studien wesentlich verändern werden.

Weniger Kaiserschnitte

  • Für Schwangere ohne spezielles Risiko bedeutet eine Einleitung wahrscheinlich ein etwas geringeres Risiko für einen Kaiserschnitt.

In Zahlen, laut Übersichtsarbeit [1], ausgedrückt:

  • Mit Einleitung hatten 16,7% der Frauen einen Kaiserschnitt
  • Ohne Einleitung hatten 18,6% der Frauen einen Kaiserschnitt.

 

  • Es macht wahrscheinlich keinen oder keinen großen Unterschied für den Einsatz von Saugglocke oder Geburtszange, ob eingeleitet oder abgewartet wird. Diese Geburtsform heißt in der Fachsprache „vaginal-operative Entbindung“.

Diese Einschätzungen gelten als recht gut abgesichert. Starke Veränderungen sind eher nicht zu erwarten, selbst wenn künftig noch mehr aussagekräftige Studien dazu kommen.

Was wir noch immer nicht wissen

Die Übersichtsarbeit [1], auf die wir uns beziehen, ist aktuell; das Erscheinungsdatum war Mitte Juli 2020. Die Arbeit thematisiert wichtige Fragen, weit über unseren Beitrag hinausgehend, und liefert in vielen Punkten belastbare Einschätzungen.

Aber die solide Zusammenfassung von 34 Studien kann nicht alle Fragen beantworten. Offen bleibt, welche Frauen eher von einer Einleitung profitieren und für welche es besser sein könnte, zu beobachten und abzuwarten – in Abhängigkeit vom individuellen Risikoprofil der jeweiligen Frau.

Die Arbeit konnte auch nicht eruieren, wann der „richtige“ Zeitpunkt zum künstlichen Auslösen der Wehen gekommen ist bzw. wie lange das Abwarten vergleichsweise risikoarm ist.

Betont werden muss, dass sich die Aussagen auf Frauen beziehen, die als Gebärende mit niedrigem Risiko gelten. Inwiefern sich die Ergebnisse auf andere Schwangere übertragen lassen, ist fraglich.

Auch über die Wertvorstellungen der gebärenden Frauen und ihre Wünsche erfahren wir in der Arbeit nicht viel. Wie zufrieden sind sie mit einer Einleitung, wie erleben sie das Warten auf den Geburtsstart ohne Einleitung?

Ebenso gibt es im Bereich der langfristigen Folgen für die Babys noch viele Wissenslücken – etwa, ob sich die Entbindungsmethode unterschiedlich auf die spätere Entwicklung auswirkt.

Warten auf die Wehen

Rund um den kalkulierten Geburtstermin, mit ein paar Tagen weniger oder mehr, kommen die meisten Babys zur Welt. Eine Schwangerschaft dauert normalerweise etwa 40 Wochen bzw. 280 Tage.

Starten die Wehen nicht von selbst und geht die Schwangerschaft immer weiter über 40 Wochen hinaus, gibt es verschiedene Vorgehensweisen: eine künstliche Geburtseinleitung, ein Kaiserschnitt oder beobachten und abwarten, dass die Wehen von selbst einsetzen.

Beim Abwarten gibt es normalerweise häufige Untersuchungen. Es ist beispielsweise wichtig zu erkennen, ob das Baby weiterhin ausreichend versorgt ist.

Zur Einleitung werden einerseits Medikamente verwendet, etwa Prostaglandine und Oxytocin. Es gibt auch mechanische Methoden. Dabei wird die Fruchtblase geöffnet, um die Geburt in Gang zu setzen.

Wirklich gut ist nicht erforscht, warum die Wehen bei manchen Frauen nicht von selbst rund um den errechneten Geburtszeitpunkt einsetzen. Die Wahrscheinlichkeit dafür steigt möglicherweise, wenn die Mutter übergewichtig oder über 30 Jahre alt ist. Auch bei der ersten Geburt ist eine längere Schwangerschaft eher häufiger. [1, 2, 3]

Mehr zum Thema Geburt finden Sie in Beiträgen von gesundheit.gv.at (Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs).

 

 

Die Studien im Detail

Das australische Forschungsteam hat mit seiner Übersichtsarbeit [1] auf Vorversionen aus 2006, 2012 und 2018 aufgebaut. Durch den Wissenszuwachs hat sich im Laufe der Zeit die Einschätzung verändert.

Für seine im Juli 2020 erschienenen Schlussfolgerungen hat das Team 34 Studien herangezogen. Insgesamt waren die Einzelstudien von guter bis sehr guter Qualität, sodass ihre zusammengefassten Ergebnisse als sicher bis wahrscheinlich sicher einzuschätzen sind. Die Studien wurden im Zeitraum 1969 bis 2019 veröffentlicht.

Teilgenommen haben rund 21.500 Frauen. Damit gab es genug Daten, um auch seltene Ereignisse zu erfassen wie Todesfälle von Babys in der Zeit unmittelbar rund um die Geburt.

Die Schwangeren stammten aus 16 Ländern. Das waren zumeist eher einkommensstarke Nationen, zum Beispiel Österreich, Kanada, China, Tunesien, Spanien, Großbritannien, Norwegen, Indien, Russland, Türkei und die USA.

Die Teilnehmerinnen waren mindestens in der 37. Woche schwanger, und es war zumeist kein erhöhtes Risiko für Komplikationen bekannt. Sie erwarteten ihr erstes Kind oder hatten bereits mindestens eine Geburt hinter sich.

Die Schwangeren wurden zu Studienstart entweder einer Geburtseinleitung zugeteilt, meistens sobald sie die 41. Schwangerschaftswoche beendet hatten. Oder es hieß: „Beobachten und Abwarten” bis die Geburt von selbst losging.

Die Zuteilung in die Abwarte-Gruppe bzw. in die Einleitungs-Gruppe erfolgte nach dem Zufallsprinzip. Am jeweiligen Studienende wurden verschiedene Gesundheitsaspekte aus den beiden Gruppen miteinander verglichen.

Alle Frauen wurden durch Fachleute betreut. Falls Mutter bzw. Kind während der Wartezeit gesundheitlich bedenkliche Anzeichen entwickelten und eine Einleitung oder ein Kaiserschnitt als bessere Option erschienen, wurde natürlich die Strategie geändert. In die Auswertung ist aber die ursprüngliche Zuteilung eingeflossen.

[1] Middleton u.a. (2020)
Middleton P, Shepherd E, Morris J, Crowther CA, Gomersall JC. Induction of labour at or beyond 37 weeks‘ gestation. Cochrane Database of Systematic Reviews 2020, Issue 7. Art. No.: CD004945.

Zusammenfassung

Zusammenfassung auf Deutsch

Cochrane Deutschland: Aktualisierter Cochrane Review zur Geburtseinleitung bei Schwangeren, die den errechneten Geburtstermin überschreiten

WEITERE QUELLE

[2] Uptodate (2020), kostenpflichtig
Patient education: When your baby is overdue (The Basics)

[3] Uptodate (2020), kostenpflichtig
Patient education: Postterm pregnancy (Beyond the Basics)

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