Probiotika gegen Neurodermitis: vorbeugender Effekt möglich

Probiotika könnten Neurodermitis bei Kindern vorbeugen – als Nahrungsergänzung für Schwangere, Stillende und Babys. Gesichert ist das jedoch nicht.

AutorIn:

Können Probiotika Neurodermitis bei Kleinkindern vorbeugen – entweder in der Babynahrung oder wenn die Mutter sie in Schwangerschaft und Stillzeit einnimmt?

Ein vorbeugender Effekt ist möglich, aber aufgrund mangelhafter Studien nicht gut abgesichert. Ob Probiotika eher wirken, wenn werdende oder stillende Mütter oder das Baby sie einnehmen, ist unklar. Denn getrennt voneinander ist das bisher nicht aussagekräftig untersucht worden.

so arbeiten wir
Schwangere Frau mit Kind Kann Neurodermitis bei Kindern vorgebeugt werden?
© NataliaDeriabina – istockphoto.com

Neurodermitis entwickelt sich meist in den ersten beiden Lebensjahren [3]. Zehn bis zwanzig Prozent aller Kinder sind von dieser chronischen Hautkrankheit betroffen, die auch als atopische Dermatitis oder atopisches Ekzem bekannt ist [2]. Das eigene Kind davor zu schützen, ist für viele (werdende) Eltern von großer Bedeutung.

Einer von mehreren Gründen für die Beschwerden bei Neurodermitis ist die überschießende Immunreaktion [5]. Fachleute vermuten, ein vielfältiges Darmmikrobiom könne dieses Risiko reduzieren [4]. Behauptungen zufolge sollen Probiotika – also Zubereitungen mit lebenden Mikroorganismen – dazu positiv beitragen. Sie sollen so Neurodermitis vorbeugen können.
Wir haben diese Behauptung überprüft und nach aussagekräftigen Forschungsarbeiten gesucht.

Vorbeugender Effekt klein und nicht gut abgesichert

Zu unserer Frage fanden wir eine Übersichtsarbeit [1], welche alle relevanten Forschungsarbeiten analysiert und deren Ergebnisse zusammenfasst.

Das Ergebnis: Probiotika reduzieren eventuell das Risiko, an Neurodermitis zu erkranken. Das ist aber nicht gut abgesichert, und der vorbeugende Effekt ist vermutlich nicht groß. In den Studien haben die Teilnehmerinnen Probiotika in der Schwangerschaft und Stillzeit eingenommen beziehungsweise bekamen ihre Babys welche. Umgelegt auf alle betroffenen Kinder würden die Ergebnisse bedeuten, dass der vorbeugende Effekt in etwa so groß ist:

  • Ohne Probiotika erkranken etwa 10 bis 20 von 100 Kindern an Neurodermitis [2]
  • Mit Probiotika erkranken etwa 8 bis 17 von 100 Kindern an Neurodermitis

Das entspricht einem um etwa 17 Prozent verminderten Risiko [1].

Das könnte allerdings hauptsächlich für Kinder mit erhöhtem Neurodermitis-Risiko gelten. Als Risikokind gilt, wer einen biologischen Elternteil oder biologische Geschwister mit etwa Asthma, Heuschnupfen, Hautausschlag oder einer Allergie hat [4].

Nebenwirkungen

Für gesunde Schwangere und Frauen nach der Entbindung fielen in Studien bei der Einnahme von Probiotika keine besorgniserregenden Nebenwirkungen auf. Die am häufigsten eingenommenen Probiotika enthalten Bifidobakterien und Laktobazillen.

Frühgeborene oder andere immungeschwächte Menschen haben ein höheres Risiko für Nebenwirkungen: In seltenen Fällen können Infektionen durch die Einnahme von Probiotika auftreten [4].

Beschwerden bei Neurodermitis

Neurodermitis ist eine Hauterkrankung, die geprägt ist von stark juckenden, teilweise entzündeten, trockenen oder nässenden Hautausschlägen. Diese treten in Schüben auf. Die Beschwerden können je nach Schub unterschiedlich stark sein. Die Symptome können sich mit dem Alter auch „auswachsen“. Bei Erwachsenen ist diese Hautkrankheit mit 2 bis 5 Prozent seltener. Neurodermitis ist chronisch und nicht heilbar. Sie ist jedoch nicht ansteckend [2].

Was die Beschwerden bei Neurodermitis versursacht, welche Möglichkeiten es gibt, diese zu behandeln, und was nicht wirkt, haben wir in einem Faktencheck zur Behandlung von Neurodermitis mit Nachtkerzenöl detailliert beschrieben.

Das Immunsystem und die Mikroorganismen

Das Darmmikrobiom, auch bekannt als die Darmflora, setzt sich zusammen aus allen im Darm angesiedelten Mikroorganismen.
Bei der Geburt wechseln Neugeborene von der sterilen Gebärmutter in eine Umgebung mit unzähligen Mikroorganismen. Nun siedeln sich Bakterien und andere Keime im Darm des Neugeborenen an. Mit dieser Umstellung beginnt auch das Immunsystem sich zu entwickeln, indem es durch die Mikroorganismen trainiert wird. Der Zeitpunkt einer ausgewogenen und vielfältigen Besiedelung dürfte eine wichtige Rolle spiele: je früher, desto besser [4].

Einfluss des Darmmikrobioms

Dass Probiotika Beschwerden von Neurodermitis eventuell lindern könnten, beruht auf einigen Überlegungen, die Forschende in diesem Forschungsfeld anstellen:

  • Die Darmflora beeinflusst das Immunsystem. Denn unsere Abwehr wird von den sich ansiedelnden Mikroorganismen trainiert. Idealerweise lernt das Immunsystem, nützliche Bakterien zu tolerieren und nur schädliche Keime zu bekämpfen. Ein intaktes Immunsystem unterdrückt außerdem Entzündungen und reduziert unangemessene Immunreaktionen. Eine möglichst vielfältige Darmflora könnte hier von Vorteil sein [4].
  • Bei Neurodermitis ist eine Fehlsteuerung des Immunsystems einer der Gründe für die typischen Beschwerden [5]. Die Darmflora von Betroffenen dürfte außerdem weniger divers sein als bei Menschen ohne diese chronische Hauterkrankung [4].
  • Bestimmte Bakterienstämme, wie Laktobazillen und Bifidobakterien, könnten die Funktion des Immunsystems positiv beeinflussen – so eine Vermutung von Fachleuten. Das könnte über ihre Wirkung auf unterschiedliche Immunzellen geschehen, von denen viele im Darm zu finden sind [4].
  • Die Überlegung von Forschenden: Deshalb könnte eine Veränderung der bakteriellen Zusammensetzung im Darm durch Probiotika Beschwerden von Neurodermitis lindern.

Mehr Informationen

Was Probiotika genau sind, erklärt die Plattform gesundheit.gv.at. Weitere Detailinformationen zu Neurodermitis finden Sie auf der Plattform gesundheitsinformation.de.

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

Wir durchsuchten zwei verschiedene Datenbanken nach aussagekräftigen Forschungsarbeiten, die beantworten wollten, ob die Einnahme von Probiotika Neurodermitis vorbeugen kann.

Bei der Recherche haben wir nur randomisiert-kontrollierte Studien berücksichtigt. Sie sind die aussagekräftigste Studienart, um den Effekt einer Behandlung zu ermitteln. Randomisiert bedeutet: Teilnehmende werden per Zufall zumindest zwei verschiedenen Gruppen zugeteilt. Eine Gruppe nimmt Probiotika ein, während die andere – die Kontrollgruppe – ein Scheinpräparat (Placebo) einnimmt.

Ebenfalls wichtig ist: Teilnehmende und Forschende wissen nicht, wer welcher der beiden Gruppen angehört. Sie sind sozusagen verblindet.

Eine 2023 veröffentlichte Übersichtsarbeit konnte unsere Frage am ehesten beantworten [1]. Die Forschenden fassten Ergebnisse aus randomisiert-kontrollierten Studien bis November 2022 zusammen und bewerteten diese.

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Die Übersichtsarbeit [1] war die aussagekräftigste unter den Veröffentlichungen der letzten zwei Jahre. Dennoch ist unser Vertrauen in die Aussagekraft der Gesamt-Ergebnisse eher gering. Zu diesem Urteil kommen wir aufgrund folgender Mängel:

  • Viele der analysierten Forschungsarbeiten hatten Mängel und waren daher nur wenig aussagekräftig.
  • Die analysierten Forschungsarbeiten sind sehr verschieden. Sie unterscheiden sich zum einen durch Studienteilnehmende – zum Beispiel nahmen einmal nur Schwangere an Studien teil, ein weiteres Mal nur Kinder oder sowohl Mütter als auch ihre Kinder). Außerdem unterscheiden sie sich durch Dauer, Häufigkeit und Dosis der Probiotika-Einnahme oder durch die verwendeten Bakterienstämme. Das verringert ebenfalls die Aussagekraft der Gesamt-Ergebnisse.

Zudem hat die Übersichtsarbeit mögliche Nebenwirkungen nicht ausgewertet. Laut bisheriger Forschung sind Probiotika für gesunde Menschen sicher [4].

Welche Studien haben wir nicht berücksichtigt?

Wir haben Forschungsarbeiten ausgeschlossen, in denen Mütter Probiotika nicht einnahmen, sondern etwa in die Vagina einführten. Auch haben wir Forschungsarbeiten nicht berücksichtigt, in denen Kinder älter als drei Jahre waren, da sich Neurodermitis in den meisten Fällen in den ersten zwei Lebensjahren entwickelt [3].

[1] Wang et al. (2023) The effect of probiotics in the prevention of atopic dermatitis in children: a systematic review and meta-analysis. Translational pediatrics, 12(4), 731-748. (Link zur Studie)

[2] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2021)
Neurodermitis (atopisches Ekzem). Abgerufen am 15.11.2023 unter gesundheitsinformation.de

[3] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2021) Helfen Pro- oder Präbiotika, Kinder vor Neurodermitis zu schützen? Abgerufen am 20.11.2023 unter gesundheitsinformation.de

[4] UpToDate (2023) Prebiotics and probiotics for prevention of allergic disease. Abgerufen am 20.11.2023 unter uptodate.com (Zugriff kostenpflichtig)

[5] UpToDate (2023) Atopic dermatitis (eczema): Pathogenesis, clinical manifestations, and diagnosis. Abgerufen am 20.11.2023 unter uptodate.com (Zugriff kostenpflichtig)

  • 27.11.2023: Eine Recherche nach neuen Studien ändert unsere prinzipielle Einschätzung der Wirksamkeit nicht. Der Text wurde jedoch überarbeitet.
  • 5.9.2016: Erste Veröffentlichung des Faktenchecks

In über 500 Faktenchecks suchen