Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Selbsttests auf Nahrungsmittelallergien zu hinterfragen

Daheim durchführbare Tests auf bestimmte Eiweißstoffe im Blut (IgG) sollen zeigen, ob eine Nahrungsmittelallergie besteht. Derzeit ist kein Nutzen erkennbar.

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Sind privat durchgeführte IgG-Tests, die Nahrungsmittel-unverträglichkeiten klären sollen, aussagekräftig?

Ob erhöhte Spiegel von Immunglobulin G im Blut tatsächlich Anzeichen einer Unverträglichkeit auf bestimmte Lebensmittel sind, ist stark umstritten. Studien, in denen Personen mit Darmerkrankungen auf spezielle Nahrungsmittel verzichten, liefern keine eindeutigen Belege für einen Nutzen.

so arbeiten wir
© HenrikDolle - fotolia.com Selbsttest auf Nahrungsmittelallergie?
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Laktoseintoleranz, Hühnerei-Allergie oder Zöliakie: Immer häufiger wird die Diagnose Nahrungsmittelallergie oder Nahrungsmittelunverträglichkeit gestellt. Bei echten Allergien, wie sie etwa gegen Hühnereier oder Kuhmilch vorkommen, bildet der Körper Antikörper: sogenannte Immunglobuline vom Typ E (IgE). Sie lösen die typischen allergischen Beschwerden wie starken Juckreiz der Haut, Kribbeln im Mund, Atemprobleme, im schlimmsten Fall sogar einen allergischen Schock aus.

Unverträglichkeiten dagegen beruhen häufig auf einem Enzymmangel. Bei einer Milchzuckerunverträglichkeit bzw. Laktoseintoleranz zum Beispiel fehlt das Enzym Laktase im Dünndarm: Dadurch kann Milchzucker nicht richtig aufgespalten werden. Trinken die Betroffenen Milch oder essen ein Eis, sind Blähungen, Bauchschmerzen und Durchfall die Folge. Auch andere Arten von Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind bekannt [4], wenngleich sie wahrscheinlich deutlich weniger häufig vorkommen, als viele Medienberichte und Werbeeinschaltungen glauben machen möchten. (Über einige dieser Unverträglichkeits-Hypes haben wir bereits berichtet, etwa über Weizen allgemein, Gluten im Besonderen oder den Mythos vom Löchrigen Darm.)

Nahrungsmittelallergie mit verzögerter Reaktion?

Dass die beschriebenen Unverträglichkeiten bei manchen Menschen vorkommen und den Betroffenen teilweise schwere Probleme verursachen können, ist unumstritten. Sehr kontrovers wird dagegen diskutiert, ob es auch Nahrungsmittelallergien gibt, die durch Immunglobulin-G-Antikörper anstelle von IgE-Antikörpern vermittelt werden. Diese These vertreten vor allem viele Vertreterinnen und Anhänger der „Alternativmedizin“. Sie machen IgG-vermittelte Nahrungsmittelallergien für unspezifische Beschwerden wie Müdigkeit, Erschöpfung, Kopfschmerzen und Bauchbeschwerden sowie Übergewicht verantwortlich.

Aber ist wirklich jede Müdigkeit, jedes Bauchgrimmen schon Zeichen für eine solche Unverträglichkeit?

Allergische Reaktionen, bei denen IgE-Antikörper im Spiel sind, treten sehr schnell nach dem Essen auf. IgG-vermittelte Nahrungsmittelallergien hingegen sollen, so die Behauptung, verzögert ablaufen. Befürworter dieser Theorie nennen sie „Typ-3-Allergie“. Und natürlich werden auch umfangreiche Testsets angeboten, mit denen erhöhte Spiegel von Immunglobulin G im Blut nachgewiesen werden – entweder alle Unterarten von IgG oder nur der Untertyp IgG4. Je nach Testanbieter wird das Blut auf Antikörper gegen bis zu 300 verschiedene Nahrungsmittel untersucht. Mit der Auswertung erhalten die Getesteten dann auch gleich eine Liste mit Nahrungsmitteln, die sie künftig vermeiden sollen.

Gefahr von Mangelversorgung

Fachleute vor allem der Allergologie warnen jedoch vor solchen Tests: Sie weisen darauf hin, dass es bisher keinen eindeutigen Nachweis für IgG-verursachte Nahrungsmittelunverträglichkeiten gibt. Vielmehr sprechen die Befunde aus Studien dafür, dass der Körper IgG-Antikörper als natürliche Reaktion auf den Kontakt mit Lebensmitteln bildet. Die würden damit nicht eine Krankheit anzeigen, sondern wären schlicht ein Hinweis darauf, dass wir diese Lebensmittel öfter essen. So finden sich erhöhte IgG-Spiegel auch bei Menschen ohne gesundheitliche Beschwerden [5]. Pikanterweise wird diese Sicht sogar durch jene Studien gestützt, die Anbieter von IgG-Tests zitieren [6–8].

Ein Problem der IgG-Tests ist, dass sie möglicherweise unerwünschte Folgen haben könnten: Schränken Menschen auf Basis eines solchen Tests ihre Nahrungsmittelauswahl stark ein, kann es leicht zu einer Mangelernährung kommen [9].

Nutzen der Nahrungsmittelallergie-Tests bei Darmerkrankungen?

Schon das Konzept von IgG-Tests kann also nicht überzeugen. Wir haben aber noch weiter geforscht, ob Tests auf IgG-Antikörper eventuell trotzdem von Nutzen sein könnten.

Einen Nutzen hätten sie dann, wenn sie sicher Lebensmittel identifizieren könnten, die für bestimmte Beschwerden verantwortlich wären – und wenn entsprechend weniger Probleme auftreten, sobald die Betroffenen auf diese Lebensmittel verzichten.

Tatsächlich wurde diese Fragestellung in Studien untersucht. Wir haben uns jene davon näher angesehen, die Menschen mit chronischen Darmbeschwerden einbezogen. Zwei Studien untersuchten Personen mit Morbus Crohn, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung [1, 2], eine Studie wurde an Menschen durchgeführt, die an einem Reizdarmsyndrom leiden [3]. Getestet wurden entweder die Blutspiegel von allen IgG-Antikörpern oder speziell nur die IgG4-Antikörper.

Grundsätzliche Probleme

Alle Studien weisen ein grundsätzliches Problem auf: Die Patientinnen und Patienten in der Behandlungs- und der Kontrollgruppe aßen unterschiedliche Lebensmittel. Damit lässt sich nicht klar unterscheiden, ob eine mögliche Besserung der Beschwerden tatsächlich auf die IgG-Testung zurückzuführen ist oder eher auf die Auswahl der Lebensmittel.

Auffällig war auch, dass in allen Untersuchungen ein hoher Anteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht bis zum Ende durchhielt – in einer Studie stiegen mehr als 40 Prozent vorzeitig aus! Das könnte dafür sprechen, dass ein Verzicht auf bestimmte Lebensmittel im Alltag nicht attraktiv und umsetzbar ist. Dann wäre aber auch eine vorherige Testung sinnlos.

Methodische Mängel

Hinzu kommt, dass die Durchführung und die Ergebnisse der Studien nicht überzeugen: So waren eventuelle Unterschiede nicht klar von zufälligen Erfolgen abzugrenzen, gab es Probleme bei der statistischen Auswertung, oder die Autoren und Autorinnen der Studie konnten nicht glaubhaft machen, dass eventuell vorhandene Unterschiede tatsächlich relevant für die Testpersonen waren. Ein Nutzen der IgG-Tests lässt sich also auch anhand der Studien an Personen mit Darmerkrankungen nicht schlüssig belegen.

Die Studien im Detail

Eine Studie mit 98 Morbus-Crohn-Leidenden verglich zwei Ernährungsmuster, die sich an den Testergebnissen zu Immunglobulin-G4-Antikörpern orientierten: Die Hälfte der Gruppe hielt eine Diät ein, in der auf die vier Lebensmittel mit den höchsten IgG4-Spiegeln verzichtet wurde („echte Diät“), die Kontrollgruppe ließ jene vier Lebensmittel weg, für die ihre IgG4-Blutwerte am niedrigsten waren [1].

Nach vier Wochen wurden die Beschwerden mit einem speziellen Fragebogen erhoben und die Punktwerte addiert. In der Gruppe mit der echten Diät sank die Punktezahl stärker als in der Kontrollgruppe. Allerdings wird in der Auswertung nicht klar, ob für die Unterschiede auch zufällige Effekte verantwortlich sein könnten. Ebenfalls nicht beschrieben wird, ob der Unterschied im echten Leben tatsächlich spürbar sein könnte oder sich nur auf dem Papier zeigte.

Da die Studie nur vier Wochen lang dauerte, sind keine Rückschlüsse auf längerfristige Ergebnisse möglich. In der Gruppe mit der echten Diät hatten die Teilnehmenden außerdem zu Beginn der Untersuchung etwas weniger Beschwerden und nahmen etwas mehr Medikamente ein als die Patientinnen und Patienten der Kontrollgruppe. Inwiefern diese Unterschiede das Ergebnis der Studie beeinflusst haben könnten, lässt sich nicht sicher abschätzen.

Fragwürdige Auswertung

In einer zweiten Studie mit einem ähnlichen Patientenkollektiv wurden mehrere Formen von IgG-Antikörpern getestet. In einer sechswöchigen Behandlungsphase wurden Lebensmittel mit hohen IgG-Spiegeln ausgeschlossen, in einer ebenfalls sechswöchigen Kontrollphase wurde auf ähnliche Produkte verzichtet – zum Beispiel auf Mandeln, wenn die IgG-Spiegel für Haselnüsse hoch gewesen waren [2].

Die Patientinnen und Patienten wurden zwei Gruppen zugeteilt: Die eine durchlief zuerst die Behandlungsphase, die andere zuerst die Kontrollphase.

Problematisch ist, dass zwischen den beiden Phasen keine Pause lag. So lässt sich nicht ausschließen, dass sich Effekte der einen Phase möglicherweise erst während der anderen Phase bemerkbar machten.

Ebenfalls kritisch ist die Auswertung der Daten: Erhoben wurden unterschiedliche Größen wie Häufigkeit des Stuhlgangs, Bauchschmerzen und Wohlbefinden. Die ermittelten Punktwerte wurden einfach addiert, was aus statistischer Sicht wenig sinnvoll ist. Zudem fehlen Details zu den verwendeten statistischen Verfahren. Es gingen auch nicht alle Teilnehmerdaten in die Auswertung ein. Die Ergebnisse dieser Studie sind also nicht sehr zuverlässig; bei der Auswertung der Häufigkeit des Stuhlgangs ließ sich kein eindeutiger Effekt der Behandlungsphase feststellen.

Studie bei Reizdarmsyndrom

Ein Verzicht auf Lebensmittel auf Basis einer IgG-Testung wurde auch in einer Studie an 150 Personen mit Reizdarmsyndrom untersucht [3]. Die Behandlungsgruppe verzichtete drei Monate lang auf Lebensmittel, für die bei den Betroffenen hohe IgG-Spiegel gemessen wurden, die Kontrollgruppe verzichtete auf die gleiche Anzahl an Lebensmitteln ohne erhöhte IgG-Spiegel. In beiden Gruppen wurden die Beschwerden mit Hilfe eines Fragebogens erfasst und die Punktwerte addiert. Am Ende der Studie war in beiden Gruppen der Punktwert deutlich gesunken. Dabei war zwar ein Unterschied zugunsten der Behandlungsgruppe zu beobachten; ob die gemessene Größenordnung allerdings im Alltag relevant ist, bleibt offen.

Problematisch an der Studie ist unter anderem, dass in den beiden Gruppen unterschiedlich viele Personen die Studie abbrachen und dass nicht alle Daten in die Auswertung eingingen. Welche Medikamente die Patientinnen und Patienten außerdem einnahmen und ob es darin Unterschiede zwischen den Gruppen gab, wird in der Publikation nicht beschrieben.

[1] Gunasekeera 2016
Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie
Teilnehmende insgesamt: 98 Personen mit Morbus Crohn
Fragestellung: Verbessert eine Eliminationsdiät auf Basis eines IgG4-Tests die Beschwerden bei Personen mit Morbus Crohn?
Interessenskonflikte: keine Angaben

Gunasekeera V u.a. Treatment of Crohn’s Disease with an IgG4-Guided Exclusion Diet: A Randomized Controlled Trial. Dig Dis Sci 2016;61:1148-57 (Zusammenfassung der Studie)

[2] Bentz u.a. (2010)
Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie (Cross-over-Design)
Teilnehmer: 40 Personen mit Morbus Crohn
Fragestellung: Verbessert eine Eliminationsdiät auf Basis eines IgG-Tests die Beschwerden bei einer Morbus-Crohn-Erkrankung?
Interessenkonflikte: Die Studie wurde vom Hersteller eines IgG-Tests finanziell unterstützt.

Clinical relevance of IgG antibodies against food antigens in Crohn’s disease: a double-blind cross-over diet intervention study. Digestion. 2010;81:252-64
(Zusammenfassung der Studie)

[3] Atkinson u.a. (2004)
Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie
Teilnehmer: 150 Personen mit Reizdarmsyndrom
Fragestellung: Verbessert eine Eliminationsdiät auf Basis eines IgG-Tests die Beschwerden bei Personen mit Reizdarmsyndrom?
Interessenkonflikte: keine Angaben

Food elimination based on IgG antibodies in irritable bowel syndrome: a randomised controlled trial. Gut 2004;53:1459-64 (Volltext der Studie)

Weitere Quellen

[4] Zopf u.a. (2009)
Differenzialdiagnose von Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(21): 359–70 (Volltext der Studie)

[5] Kleine-Tebbe u.a. (2016)
Nahrungsmittelallergien und andere -unverträglichkeiten. Bundesgesundheitsbl 2016; 59:705–722 (Zusammenfassung)

[6] Aalberse RC u.a. (1993)
Allergen-specific IgG4 in atopic disease. Allergy 1993; 48: 559-569 (Zusammenfassung der Studie)

[7] Bernadi u.a. (2008)
Time to reconsider the clinical value of immunoglobulin G4 to foods? Clin Chem Lab Med 2008; 46: 687-690 (Zusammenfassung der Studie)

[8] Harris u.a. (1987)
The development of specific IgG4 after immunotherapy with standardized extracts. NER Allergic Proc 1987; 8: 429-35 (Zusammenfassung der Studie)

[9] Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (2009)
Keine Empfehlung für IgG- und IgG4-Bestimmungen gegen Nahrungsmittel. Stand Februar 2009. Abgerufen am 28.10.2016 unter http://dgaki.de/wp-content/uploads/2010/05/Leitlinie_KeineIgG-TestsNahrungsmittel2009.pdf

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