Startseite ● Kalzium aus Korallen: Meereswunder oder Marketing-Gag? Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. Kalzium aus Korallen: Meereswunder oder Marketing-Gag? Nahrungsergänzungsmittel mit Kalzium aus japanischen Korallen sollen zahlreichen Zivilisationskrankheiten vorbeugen. Belege zum Nutzen von diesem speziellen Korallen-Kalzium fehlen. 10. August 2018 AutorIn: Julia Harlfinger Review: Bernd Kerschner Claudia Christof Teilen Ist Kalzium aus japanischen Korallen sicher und wirksam bei der Vorbeugung von Krankheiten? wissenschaftliche Belege fehlen Es gibt keine gut gemachten Studien mit menschlichen Probandinnen und Probanden, die Wirksamkeit und Sicherheit von Nahrungsergänzungsmitteln mit Korallen-Kalzium untersucht haben. so arbeiten wir Korallen: schön, aber auch gesund? © johnwalker1 – fotolia.com Auf der japanischen Inselgruppe Okinawa werden besonders viele Menschen 100 Jahre und älter. Der Rest der Welt, darunter die Alternsforschung, fragt sich: Wie kommt es zu dieser außergewöhnlich hohen Lebenserwartung? Es sind wohl mehrere Faktoren, die das lange Leben auf Okinawa begünstigen. Dazu zählen beispielsweise Ernährung, eventuell auch genetische Besonderheiten – also ein komplexes Zusammenspiel von Kultur und Natur [13]. Kalzium aus dem Meer ist ein Jungbrunnen? Anders lautet so manches Marketing-Versprechen – demnach ist nämlich ein spezielles Kalzium der Schlüssel für das gesunde und lange Leben der Einwohnerinnen und Einwohner von Okinawa. Das wundersame Methusalem-Kalzium stammt von den kalkigen Riffen aus dem Meer rund um die Okinawa-Inseln. Von dort gelangt das gelöste Korallen-Kalzium ins Trinkwasser der Okinawa-Inseln. Und sorgt für diverse positive Gesundheitseffekte. Angeblich [1,3,11]. Kühne Versprechungen zu Korallen Daher gibt es aus dem Meer abgebautes und pulverisiertes Korallen-Kalzium auch außerhalb Japans zu kaufen. Das Nahrungsergänzungsmittel könne Krebs, Herzerkrankungen, Diabetes, Multiple Sklerose und weitere ernsthafte Erkrankungen mit komplexen Entstehungsmechanismen verhindern. So lauten zumindest diverse Werbeversprechen. [1,3,11]. Klingt viel zu schön, um wahr zu sein, oder? Keine seriösen Studien Diesen Gedanken hatten wir jedenfalls, als wir uns an die Recherche machten. Besteht wirklich ein erwiesener Zusammenhang zwischen den vielen Hundertjährigen auf Okinawa und dem Korallen-Kalzium? Allerdings stellte sich bei unserer Recherche zum Korallen-Kalzium wenig überraschend heraus: Wir haben keine Studien mit Probandinnen und Probanden gefunden, die uns eine seriöse Einschätzung dieser Behauptung ermöglicht hätten. Werbung in der Kritik Die Versprechungen in Bezug auf Korallen-Kalzium halten wir daher für unangemessen. Die überzogenen Werbeslogans wurden auch schon durch die amerikanische Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde FDA stark kritisiert [1,3,11]. Unser Fazit: Wir können nicht sagen, ob Korallen-Kalzium einen präventiven Nutzen hat, also ob es wirksam ist bei der Vorbeugung von diversen Krankheiten. Mangels Vergleichsstudien ist nicht belegt, inwiefern Korallen-Kalzium eine andere Wirkung zeigt als „normales“ Kalzium, das wir mit Lebensmitteln oder in Form von gängigen Nahrungsergänzungsmitteln aufnehmen. Besonders plausibel erscheint eine deutliche Überlegenheit von Korallen-Kalzium jedenfalls nicht. Zu möglichen Risiken konnten von Korallen-Kalzium wir ebenfalls keine Informationen finden. Kalzium hält gesund Zum Nutzen von Kalzium aus herkömmlichen Quellen, also aus Nahrung und Ergänzungspräparaten, gibt es allerdings gut gesichertes Wissen. Das Mineral ist entscheidend für den Aufbau und den Erhalt von stabilen Knochen und Zähnen. Außerdem ist Kalzium wichtig für die Funktion von Blutgefäßen, Muskeln und Nerven. Kalzium steckt normalerweise ausreichend in der Nahrung, wenn die Ernährungsweise abwechslungsreich und ausgewogen ist. Internationalen Empfehlungen zufolge sollten gesunde Erwachsene täglich ca. 1000 Milligramm Kalzium zu sich nehmen, Frauen nach der Menopause 1200 Milligramm [5,8,9,12]. Vom Teller oder aus der Kapsel? Milch, Käse, Joghurt sowie dunkle grüne Gemüsesorten, einige Nüsse, Hülsenfrüchte, Fisch- und Getreidesorten zählen zu den Lebensmitteln, die normalerweise dabei helfen, den täglichen Bedarf ohne extra Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln zu decken. Manche Fruchtsäfte, Sojaprodukte und Frühstückszerealien sind zu diesem Zweck mit Kalzium angereichert, und es steckt auch in Mineralwasser. Bei einem erhöhten Bedarf oder bestimmten Krankheiten kann es sinnvoll sein, Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen. Jedoch greifen gerade Gesundheitsbewusste ohne Beschwerden recht gern zu den Präparaten– in der Hoffnung, sich etwas Gutes zu tun. Die Mittel enthalten Kalzium meistens in Form von Kalziumkarbonat oder dem teureren Kalziumzitrat [4,5,9]. Zu viel des Guten Viel hilft nicht unbedingt viel. Das gilt auch für frei erhältliche und manchmal ziemlich teure Nahrungsergänzungsmittel. Nicht nur, dass ihr Nutzen oft gar nicht erwiesen ist – den Konsumentinnen und Konsumenten sind mögliche Risiken häufig gar nicht bewusst. Zu viel Kalzium kann zu Verstopfung oder zur Bildung von Nierensteinen führen. Auch Wechselwirkungen mit bestimmten Medikamenten sind möglich; denn deren Aufnahme und Wirksamkeit kann durch das Kalzium verändert werden [2,4]. Mineralische Vorbeugung? Möglicherweise schützt eine höhere Versorgung mit Kalzium vor Darmkrebs und kann vielleicht den Verlauf einer Darmkrebserkrankung günstig beeinflussen. Auf der anderen Seite könnte sich das Risiko für Prostatakrebs erhöhen. Diese Hinweise müssen aber mit weiteren Studien noch deutlich besser verstanden werden, vor allem wie wahrscheinlich und wie groß die vorsichtig angenommenen Effekte sind [6,12]. Gutes Kalzium, schlechtes Kalzium? Außerdem wird diskutiert, ob bzw. welche Rolle Kalzium bei der Entstehung von weit verbreiteten Herz-Kreislauf-Krankheiten wie Herzinfarkt spielt. Die aktuelle Datenlage lässt keine eindeutigen Schlüsse zu. Mögliche Schutz- oder Schadwirkungen sollten durch gut gemachte Langzeitstudien konkreter werden, denn zur Zeit liegen etliche widersprüchliche Ergebnisse vor [5,7,10,12]. Mehr Forschung ist also notwendig, um diese wichtigen Fragen noch besser zu beleuchten. Immerhin nehmen viele Frauen Kalzium-Präparate, um Knochenbrüchen durch Osteoporose gegenzusteuern. Gut gemachte Studien sollen genauer beleuchten, welche Risiken durch Kalzium-Präparate tatsächlich bestehen, welche Mengen eventuell negative Effekte auslösen können und welche Personengruppen eventuell eher gefährdet sind als andere [5,7,10,14]. Wissenschaftliche Quellen [1] Blumberg (2004) Blumberg S. Is coral calcium a safe and effective supplement? J Am Diet Assoc. 2004 Sep;104(9):1335-6. (Zusammenfassung) [2] IQWIG (2014) Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen – IQWIG (2014). Osteoporose vorbeugen. Abgerufen am 3.9.2015 unter www.Gesundheitsinformation.de [3] Marcason (2003) Marcason W. What is the lowdown on Coral Calcium? J Am Diet Assoc. 2003 Oct;103(10):1319. Fact Sheet [4] NIH (2013) National Institutes of Health – NIH (2013). Calcium – Dietary Fact Sheet. Abgerufen am 1.9.2015 unter ods.od.nih.gov [5] UpToDate (2015) Calcium and vitamin D supplementation in osteoporosis. Abgerufen am 9.7.2018 (kostenpflichtig) [6] UpToDate (2015) Cancer prevention. Abgerufen am 9.7.2018 (kostenpflichtig) [7] UpToDate (2015) Diet in the treatment and prevention of hypertension. Abgerufen am 9.7.2018 (kostenpflichtig) [8] UpToDate (2015) Healthy diet in adults. Abgerufen am 9.7.2018 (kostenpflichtig) [9] UpToDate (2015) Patient information: Calcium and vitamin D for bone health (Beyond the Basics). Abgerufen am 9.7.2018 [10] Cormick u.a. (2015) Cormick G, Ciapponi A, Cafferata ML, Belizán JM. Calcium supplementation for prevention of primary hypertension. Cochrane Database Syst Rev. 2015 Jun 30;6:CD010037. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit) [11] Robb-Nicholson (2013) By the way, doctor. I recently saw a TV ad for a product called „coral calcium,“ which is supposed to prevent osteoporosis and other diseases. What do you know about it? Harv Womens Health Watch. 2003 Aug;10(12):8. Zusammenfassung [12] DynaMed Plus (2015) Calcium intake and supplementation (kostenpflichtig) Abgerufen am 2.7.2018 [13] UpToDate (2018) Normal aging. (kostenpflichtig) Abgerufen am 2.7.2018 [14] Kahwati u.a. (2018) Vitamin D, Calcium, or Combined Supplementation for the Primary Prevention of Fractures in Community-Dwelling Adults: Evidence Report and Systematic Review for the US Preventive Services Task Force. JAMA. 2018 Apr 17;319(15):1600-1612. Zusammenfassung Schlagworte CalciumJapanKalziumKorallenKorallen-KalziumNahrungsergänzungsmittelOkinawa In über 500 Faktenchecks suchen