Startseite ● Allergie: Kein Beleg für Calcium Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. Allergie: Kein Beleg für Calcium Klingt prima: Mit Calcium Heuschnupfen oder Hautausschläge verhindern. Dass der Mineralstoff bei einer Allergie tatsächlich hilft, ist jedoch nicht belegt. 03. Mai 2017 AutorIn: Iris Hinneburg Review: Bernd Kerschner Claudia Christof Teilen Hilft Calcium bei einer Allergie? wissenschaftliche Belege fehlen Ob die vorbeugende Einnahme von Calcium gegen verschiedene Arten einer Allergie hilft, ist nicht in aussagekräftigen Studien untersucht. Die vorliegenden Studien untersuchen entweder Teilnehmer ohne Allergie, messen nur Einmalreaktionen und künstliche Situationen oder testen keine Effekte, die für Patienten tatsächlich eine Rolle spielen. so arbeiten wir Heuschnupfen - nur eine von vielen lästigen Allergieformen © henrik_a – fotolia.com Allergien haben viele Gesichter: Bei dem einen sind es Nüsse, die ein pelziges Gefühl im Mund verursachen, bei einer anderen lassen Wiesengräser die Augen tränen und die Nase laufen. Und manche bekommen einen juckenden Hautausschlag, wenn sie nickelhaltigen Schmuck tragen. Eine Allergie ist oft unangenehm, bereitet aber meist keine größeren gesundheitlichen Probleme. Allerdings gibt es aber auch gefährlichere Formen: Etwa wenn sich ein Heuschnupfen in die tieferen Atemwege verlagert und zu allergischem Asthma führt. Oder wenn die allergische Reaktion so stark wird, dass die Atmung schwerfällt, den Kreislauf beeinträchtigt oder es sogar zum allergischen Schock kommt. Solche schwerwiegenden Fälle sind glücklicherweise eher selten [1]. Weit verbreitet Die harmloseren Formen einer Allergie betreffen allerdings viele Menschen. So soll in Industrieländern etwa jeder Vierte unter einem allergischen Schnupfen leiden [2]. Nach einer Erhebung des Robert-Koch-Instituts sind in Deutschland rund 28 Prozent aller Erwachsenen von einer Allergie betroffen. Allergien sind im jüngeren und mittleren Erwachsenenalter häufiger als bei älteren Menschen, bei Frauen treten sie öfter auf als bei Männern [3]. Die Zahlen für Österreich liegen in der gleichen Größenordnung [4]. Was nützt Calcium? Immer wieder hört man jedoch auch von dem angeblichen Nutzen von Calcium: Als Nahrungsergänzungsmittel aus Apotheke oder Drogeriemarkt soll es die Allergie-Reaktionen abschwächen oder sogar ganz verhindern. Doch stimmt das auch? Und wie groß ist der Nutzen tatsächlich? Mit diesen Fragen haben wir uns auf die Suche nach wissenschaftlicher Literatur begeben. Wenig aussagekräftig Wir haben auch tatsächlich einige ältere Studien zum Einsatz von Calcium bei einer Allergie gefunden, die zumindest unseren Mindestanforderungen genügen: Sie vergleichen Calcium mit einem Scheinmedikament oder einem antiallergischen Mittel und teilen Patienten nach dem Zufallsprinzip den Behandlungen zu [5-11]. Beim genaueren Hinsehen kann allerdings keine der Untersuchungen unsere Fragen wirklich beantworten. Bei allen Studien wird nur die Reaktion nach einmaliger Gabe der Mittel untersucht, so dass sich daraus keine Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit etwa über eine ganze Heuschnupfen-Saison ziehen lassen. Alle Studien testen auch nur jeweils sehr wenige Teilnehmer, so dass die Ergebnisse schon von daher mit einiger Unsicherheit behaftet sind. Hinzu kommt, dass keine der Untersuchungen die Wirkung von Calcium im normalen Alltag prüft, sondern immer nur unter künstlichen Laborbedingungen und im Fall von Heuschnupfen außerhalb der Allergiesaison. Nur gesunde Patienten Einige Studien untersuchen nur gesunde Teilnehmer ohne Allergie, bei denen nach der Einnahme von Calcium oder einem Scheinmedikament die Haut mit einem Stift gereizt wird [8,9] – ob das tatsächlich auch aussagekräftig im Hinblick auf Allergien ist, erscheint uns doch fraglich. In einer anderen Studie wird mit gesunden Teilnehmern nach der Einnahme eines antiallergischen Mittels mit oder ohne Calcium ein Allergietest an der Haut durchgeführt (Prick-Test). Da hier keine Patienten mit echter Allergie getestet werden, halten wir diese Untersuchungen auch für wenig hilfreich für unsere Fragen [10]. Auch im Ernstfall? Andere Untersuchungen prüfen Calcium zwar an Patienten mit einer Allergie, haben aber andere Probleme: Eine Studie an Patienten mit allergischem Asthma untersucht zwar die Atemfunktion, aber nur über einen Zeitraum von maximal einer Stunde nach der Einnahme von Calcium und ohne dass die Patienten dem jeweiligen Allergen ausgesetzt wären. Aus dieser Untersuchung lässt sich deshalb nicht ableiten, ob Calcium auch im „Ernstfall“ gegen das allergische Asthma helfen würde [11]. Eine weitere Studie testet Calcium bei Patienten mit Heuschnupfen, allerdings auch wieder nur im Hauttest. Über die Auswirkungen auf die eigentlichen Symptome der Patienten lässt dieses Szenario keine Schlussfolgerungen zu [7]. Keine Hilfe bei Symptomen Selbst die beiden größten Studien sind nicht sehr aussagekräftig. In diesen Untersuchungen bekommen die Teilnehmer Calcium einmal als Trinklösung und einmal mit einer Spritze direkt ins Blut. Die Wissenschaftler untersuchen zwar Patienten mit Heuschnupfen, setzen sie dem Allergen aber nur im Labor, nicht unter Alltagsbedingungen aus. Nur eines der beiden Ergebnisse, die in den Studien gemessen werden, spiegelt tatsächlich die Beschwerden der Patienten wider. Und da enttäuscht Calcium: Denn in keiner beiden Untersuchungen lässt sich ein Unterschied zwischen Calcium und einem Scheinmedikament feststellen [5,6]. Ob Calcium tatsächlich gegen Allergien hilft oder sich eine Allergie damit vermeiden lässt, ist also nicht in aussagekräftigen Studien untersucht oder gar belegt. Schwere Reaktion auf harmlose Ursache Eine Allergie ist eigentlich eine Überreaktion des Körpers: Anders als Krankheitserreger fügen beispielsweise Gräserpollen dem Körper keinen Schaden zu. Bei einer Allergie reagiert der Körper auf harmlose Dinge aber mit schwerem Geschütz und aktiviert die Immunabwehr. Dadurch kommt es zu Entzündungsreaktionen und den bekannten Symptomen [2]. Verschiedene Behandlungsmöglichkeiten Vollständig heilen lässt sich eine Allergie in der Regel nicht. Wer die Auslöser, die so genannten „Allergene“ kennt, kann sie so gut wie möglich vermeiden – etwa sich von Katzen fernhalten, wenn er allergisch auf Katzenhaare reagiert. Das ist allerdings nicht in allen Fällen möglich. Die Allergie-Symptome werden je nach betroffenen Körperteilen etwa mit antiallergischen Augentropfen oder Nasenspray behandelt, auch gibt es entsprechende Mittel in Tablettenform. Bei allergischem Asthma sind Inhalationssprays sinnvoll, die Entzündungsreaktionen hemmen und die Atemwege erweitern. Bei allergischem Hautausschlag werden oft cortisonhaltige Cremes und Salben eingesetzt. Wer sehr stark unter der Allergie leidet, kann sich auch informieren, ob in seinem Fall eine „Hyposensibilisierung“ sinnvoll ist: Bei dieser Behandlung wird der Körper nach und nach an steigende Konzentrationen des Allergens gewöhnt, so dass er nach einiger Zeit auch im normalen Alltag nicht mehr darauf reagiert [2]. Die Studien im Detail Die beiden größten Studien untersuchen 25 [5] beziehungsweise 30 [6] erwachsene Patienten, die auf Wiesengräser allergisch reagieren und deshalb unter Heuschnupfen leiden. Die Studien umfassen zwar mehr Teilnehmer als die anderen Untersuchungen, die wir gefunden haben, doch sind sie so klein, dass sich rein zufällige Ergebnisse nicht sicher ausschließen lassen. Calcium wird in einer der Studien als Injektion in die Vene verabreicht [5], in der anderen Studie trinken die Patienten eine Lösung, die mit einer Brausetablette hergestellt wurde [6]. Die Studien sind jeweils als Cross-over-Versuch angelegt, die Patienten erhalten also zuerst Calcium und zu einem späteren Zeitpunkt ein Scheinmedikament oder umgekehrt. Die Reihenfolge wird dabei jeweils zufällig festgelegt. Die Studien sind allerdings sehr weit von Alltagsbedingungen entfernt: Die Patienten werden außerhalb der Allergiesaison untersucht und erhalten deshalb einen Nasenspray mit einer Allergen-Mischung als sogenannten „Provokationstest“. In den Studien untersuchen die Forscher nicht, ob die Reaktion auf diesen Nasenspray ähnlich ausfällt wie bei normalem Heuschnupfen. Jeder Patient wird auch nur einmal mit Calcium und einmal mit dem Scheinmedikament behandelt. Im Alltag dauert die Allergiesaison bei Heuschnupfen meist mehrere Wochen und ein vorbeugender Effekt müsste auch über den gleichen Zeitraum untersucht werden. In den Studien untersuchen die Forscher zwei verschiedene Ergebnisse: Zum einen bestimmen sie für jeden Patienten, wieviel Allergen benötigt wird, um den Luftstrom in der Nase um einen bestimmten Prozentsatz zu verringern. Bei Heuschnupfen schwillt zwar tatsächlich die Nasenschleimhaut an und das behindert das Atmen, doch erklären die Forscher nicht, ob ihre Messwerte tatsächlich mit dem übereinstimmen, was der Patient dabei fühlt. Deshalb halten wir es auch nicht für bedeutsam, dass die Wissenschaftler bei diesem Ergebnis einen Unterschied zwischen Calcium und dem Scheinmedikament finden. Zum anderen erheben die Wissenschaftler mit Hilfe einer Punkteskala verschiedene Symptome des Patienten nach der Verabreichung des Allergens. Dazu gehören Niesen, Bildung von Flüssigkeit und Schleim, Verengung der Atemwege, Reizung der Bindehaut im Auge und der Schleimhaut im Rachen. In den Publikationen wird nicht genau beschrieben, inwieweit die Patienten an dieser Bewertung beteiligt sind. Für beide Studien fehlen in den Veröffentlichungen auch wichtige Details, die für eine fundierte Beurteilung wichtig wären, etwa wie genau die zufällige Zuteilung der Patienten abgelaufen ist und wie sichergestellt wurde, dass weder Arzt noch Patient wissen, wer zu welchem Zeitpunkt welches Mittel bekommt. In einer Studie werden auch nicht alle Patienten in die Auswertung der Daten einbezogen [6]. Wissenschaftliche Quellen [5] Bachert u.a. (1990) Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie/Cross-over Teilnehmer: 25 erwachsene Patienten mit allergischer Rhinitis gegen Wiesengräser Fragestellung: Welchen Einfluss hat die intravenöse Injektion von Calcium im Vergleich zu einer Kochsalzlösung auf den nasalen Luftstrom und allergische Symptome in einem Provokationstest? Interessenkonflikte: keine Angaben; einer der Autoren ist Angestellter eines Herstellers von Calciumprodukte Bachert C u.a. (1990) Verminderung der Reaktivität bei Rhinitis allergica durch intravenöse Applikation von Kalzium. Arzneim.-forsch/Drug Res. 40 (II): 984-987 (Zusammenfassung der Studie) [6] Bachert u.a. (1993) Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie/Cross-over Teilnehmer: 30 erwachsene Patienten mit allergischer Rhinitis gegen Wiesengräser Fragestellung: Welchen Einfluss hat die Einnahme von Calcium im Vergleich zu Placebo auf den nasalen Luftstrom und allergische Symptome in einem Provokationstest? Interessenkonflikte: keine Angaben; einer der Autoren ist Angestellter eines Herstellers von Calciumprodukte Bachert C u.a. (1993) Influence of oral calcium medication resistance in the nasal allergen provocation test? J Allergy Clin Immunol 91:599-604 (Zusammenfassung der Studie) [7] Debelic u.a. (1979) Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie/Cross-over Teilnehmer: 20 jugendliche Probanden mit Heuschnupfen Fragestellung: Verringert die Einnahme von Calcium und Vitamin D im Vergleich zu Placebo Hautreaktionen im Prick-Test? Interessenkonflikte: keine Angaben Debelic M (1979) Zur antiallergischen Wirksamkeit eines oralen Kalzium-Präparates. Fortschr Med 97: 1537-1540 (Zusammenfassung der Studie) [8] Haas u.a. (1985) Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie/Cross-over Teilnehmer: 24 erwachsene hautgesunde Probanden Fragestellung: Verringert die Einnahme von Calcium im Vergleich zu Placebo die Bildung von Erythemen und Quaddeln sowie den Juckreiz bei einer standardisierten mechanischen Reizung? Interessenkonflikte: keine Angaben Haas PJ (1985) Juckreizhemmende und antiallergische Wirksamkeit von Kalzium-Brausetabletten. Z Allg Med 61: 755-757 [9] Haas u.a. (1985a) Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie/Cross-over Teilnehmer: 20 erwachsene hautgesunde Probanden Fragestellung: Verringert die Einnahme von Calcium und Vitamin D im Vergleich zu Placebo die Bildung von Erythemen und Quaddeln sowie den Juckreiz bei einer standardisierten mechanischen Reizung? Interessenkonflikte: keine Angaben Haas PJ (1985) Antiallergische Wirkung von Kalzium per os. Fortschr Med 103: 328-330 (Datenbankeintrag, keine Zusammenfassung verfügbar) [10] Petersen u.a. (1985) Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie/Cross-over Teilnehmer: 16 gesunde Probanden Fragestellung: Verringert die Einnahme von Calcium gemeinsam mit Clemastin im Vergleich zu Clemastin allein Hautreaktionen im Prick-Test? Interessenkonflikte: keine Angaben Petersen KG, Kerp L (1985) Zum Einfluß von Calcium auf die Antihistaminwirkung von Clemastin. Allergologie 8: 270-271 [11] Utz u.a. (1976) Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie/Cross-over Teilnehmer: 12 Probanden mit allergischem Asthma Fragestellung: Wie beeinflusst die Einnahme von Calcium und Vitamin D im Vergleich zu Placebo die Lungenfunktion? Interessenkonflikte: keine Angaben Utz G, Hauck AM (1976) Orale Anwendung von Kalzium plus Vitamin D2 bei allergischem Asthma bronchiale. Münch Med Wschr 118: 1395-1398 (Zusammenfassung der Studie) Weitere Quellen [1] Allergieinformationsdienst (2017) Krankheitsbilder. www.allergieinformationsdienst.de (Zugriff 25.04.2017) [2] IQWIG (2017) Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2017). Heuschnupfen und Hausstauballergie. www.gesundheitsinformation.de/heuschnupfen-und-hausstauballergie.2419.de.html (Zugriff 25.04.2017) [3] Schmitz u.a. (2017) Schmitz R, Kuhnert R, Thamm M (2017) 12-Monats-Prävalenz von Allergien in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2(1): 77–82 www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/FactSheets/JoHM_2017_01_gesundheitliche_lage6.pdf (Zugriff 25.04.2017) [4] Statistik Austria/Bundesministerium für Gesundheit (2015) Österreichische Gesundheitsbefragung 2014. www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/1/6/8/CH1066/CMS1448449619038/gesundheitsbefragung_2014.pdf (Zugriff 25.04.2017). 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