Wie gesund ist Kneippen wirklich?

Kneippen soll das Immunsystem stärken und bei diversen Krankheiten helfen. Belegt ist das aber ganz und gar nicht.

AutorIn:
Review:  Bernd Kerschner 

Stärkt Kneippen das Immunsystem?

Kann Kneippen bei Erkrankungen helfen?

Den Effekt vom Kneippen wissenschaftlich zu untersuchen, ist nicht leicht. Jene Studien, die es versucht haben, sind großteils mangelhaft und zeichnen ein widersprüchliches Bild. Für kein Gesundheitsproblem gibt es verlässliche Hinweise darauf, dass Kneippen helfen könnte.

Ob Kneippen das Immunsystem stärkt und so das Risiko für Erkältungen verringert, können wir anhand der verfügbaren Studien aber mit einem vorsichtigen „eher nicht“ beantworten.

so arbeiten wir
Füße plantschen in Wasser Kneippen: eine Quelle der Gesundheit?
© yanishka-istockphoto.com

Warmduscher war Sebastian Kneipp keiner. Der Geistliche war überzeugt, seiner Gesundheit mit kaltem Wasser etwas Gutes zu tun. Heute hat die Lehre nach Kneipp viele Anhänger. Im Zentrum steht dabei das Wasser: Kalte Arm- und Gesichtsbäder und das sogenannte „Wassertreten“ – also das Gehen in kaltem Wasser – sollen gesund halten und das Immunsystem ankurbeln. Aber steht Kneippen auch auf wissenschaftlich festen Beinen? Wir haben uns auf die Suche nach Studien gemacht.

Weniger krank durch Kneippen? Scheint eher nicht zu funktionieren.

Was wir herausfanden: Die Behauptungen rund um die Kneipp-Lehre sind alles andere als abgesichert. Im Gegenteil: Dass Kneippen das Immunsystem stärkt, stimmt möglicherweise gar nicht. Vier Studien mit Kindern und Erwachsenen kamen zu dem Schluss, dass regelmäßige Kneippanwendungen die Häufigkeit und Dauer von Erkältungskrankheiten eher nicht beeinflussen [Quellen 1-4]. Weil die Studien allerdings grobe Mängel haben, bleibt unsere Einschätzung eine sehr vorsichtige.

Kneippen für die Gesundheit: Forschung liefert keine verlässlichen Antworten

Was andere Gesundheitsprobleme betrifft, ist die Datenlage noch dünner. Die Wirkung von Kneipp-Kuren wurde zwar schon in einigen Studien untersucht. Doch die waren großteils mangelhaft durchgeführt und kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen [Quelle 5]. Untersucht wurden Menschen mit unterschiedlichsten Erkrankungen, von Herzschwäche über Krampfadern bis zu psychischen Problemen. Für keine dieser Erkrankungen gibt es überzeugende Hinweise, dass Kneippen helfen kann.

Kneippen: Die Forschung hat’s nicht leicht

Zugegeben: Ob Kneippen wirkt, ist schwierig zu untersuchen. Idealerweise gibt es in jeder Studie eine Vergleichsgruppe, die eine Scheinbehandlung bekommt – das aber nicht weiß. Nur so können Forschende ausschließen, dass die Erwartung der Beteiligten das Ergebnis verzerrt. Denn allein der Glaube an einer Besserung kann schon Beschwerden lindern – das ist der bekannte Placeboeffekt.
Der ist bei Studien zum Kneippen ein großes Problem: Studienteilnehmende wissen natürlich, ob das Wasser bei der Behandlung kalt ist oder nicht. Falls es ihnen nach dem Kneippen besser geht, ist unklar, ob tatsächlich das kalte Wasser dafür verantwortlich ist, oder der Placeboeffekt.

Was außerdem erschwerend hinzu kommt: Kneipp-Behandlungen sind nicht einheitlich definiert und jedes Studienteam versteht darunter ein bisschen etwas anderes. Das macht die einzelnen Studien schwer miteinander vergleichbar.

Hat Kneippen Nebenwirkungen?

Die Gute Nachricht: Auch wenn unklar ist, ob es wirkt – Kneippen scheint zumindest nicht zu schaden. In den bisher durchgeführten Studien wurden keine unerwünschten Nebenwirkungen beobachtet [Quelle 5].
Wer also das Gefühl hat, Wassertreten oder kalte Güsse würden ihr oder ihm guttun, braucht wahrscheinlich keine negativen Folgen zu fürchten – nach dem Motto „Hilft’s nichts, schadet’s nichts“. Ob es sich angesichts der unbelegten Gesundheitsbehauptungen auszahlt, für teure Kneipp-Kuren zu bezahlen, ist allerdings fraglich.

Was ist Kneippen eigentlich?

Der Begründer der Lehre, der Pfarrer Sebastian Kneipp, war überzeugt, kaltes Wasser würde die Gesundheit fördern, die Abwehrkräfte und den Kreislauf anregen. Er empfahl deshalb durch knietiefes kaltes Wasser zu gehen, täglich die Arme in kaltes Wasser zu tauchen oder das Gesicht kalt zu waschen. Daneben warb er aber auch für das Barfußgehen, eine ausgewogene Ernährung reich an Vollkornprodukten und für Bewegung an der frischen Luft. Grundsätzlich eine gesunde Lebensweise also. Dass aber speziell das kalte Wasser gesundheitliche Vorteile bringt, ist nicht belegt.

Kälte als (All-)Heilmittel?

Aus der Kälte als Heilmittel haben sich abgesehen von den Kneipp-Lehren auch andere Gesundheitsrichtungen und -philosophien entwickelt. Wir haben uns bereits genauer angesehen ob…

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

Wir haben in verschiedenen Datenbanken nach Studien gesucht, die zweierlei erforscht haben: Einerseits, ob regelmäßiges Kneippen das Immunsystem stärkt. Diese eher vage gehaltene Behauptung lässt sich am besten überprüfen, indem man untersucht, ob Kneippen das Risiko für Erkältungskrankheiten (Verkühlungen) verringert.

Andererseits wollten wir wissen, ob es irgendwelche Erkrankungen gibt, bei denen Kneippen nachweislich helfen kann.

Am aussagekräftigsten können das sogenannte randomisiert-kontrollierte Studien beantworten. Dabei teilen die Forschenden die Studienteilnehmenden per Los in zwei Gruppen auf: Die eine Gruppe führt danach möglichst lange Kneipp-Anwendungen durch. Die andere – die Kontrollgruppe – kneippt währenddessen nicht. Am Ende vergleichen die Forschenden, welche Gruppe weniger oft krank war oder weniger Beschwerden hat.

Ideal wäre es, wenn die Kontrollgruppe eine Schein-Kneippbehandlung bekäme, also eine Placebo-Behandlung. Beispielsweise könnte die Kontrollgruppe die Anwendungen mit lauwarmem statt mit kaltem Wasser durchführen.

Wir fanden vier Studien, die untersuchten, ob Kinder [Quellen 1-3] oder Erwachsene [Quelle 4] weniger oft und kürzer krank sind, wenn sie täglich kalte Armbäder [Quellen 1,2], Wechselbäder [Quelle 3] oder Wassertreten [Quelle 4] nach Kneipp durchführen. Alle vier hatten zwar eine Kontrollgruppe, die nicht kneippte. Eine Scheinbehandlung gab es aber nicht.

Außerdem fanden wir eine Übersichtsarbeit, die alle bisherigen Studien zum Kneippen zusammenfasst [Quelle 5]. Die zwanzig darin analysierten Studien untersuchten ganz unterschiedliche Gesundheitsprobleme. Dazu gehören zum Beispiel Herzerkrankungen, Krampfadern, Beschwerden in den Wechseljahren, Nervenschädigungen, psychische Erkrankungen, Krebserkrankungen und Verdauungsprobleme.

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Alle bisher durchgeführten Studien haben ein gemeinsames Problem: Die Teilnehmenden wussten naturgemäß, ob sie in der Kneipp- oder in der Kontrollgruppe waren. Der Placeboeffekt könnte in den Kneippgruppen also zu einer Verbesserung der subjektiven Beschwerden geführt haben, für die gar nicht die Kneipp-Behandlung verantwortlich war.

Dieser Placeboeffekt würde dazu führen, dass die Kneipp-Behandlungen in den Studien wirksamer erscheinen als sie tatsächlich sind. Dennoch zeigte sich in den Studien kein vorbeugender Effekt vor Erkältungen.

Warum können wir dennoch nicht sicher sagen, dass Kneippen das Immunsystem nicht stärkt? Das hat folgende Gründe:

  • Oft wurden die Teilnehmenden gar nicht per Los zugeteilt, sondern konnten sich selbst aussuchen, ob sie kneippen wollen oder nicht. Kneippende und Nicht-Kneippende könnten sich so schon zu Studienbeginn voneinander unterschieden haben. Das macht den Vergleich wenig aussagekräftig.
  • In einer Studie zu Kneippen gegen Erkältungen [Quelle 3] war unklar, wie die Kneipp-Behandlung genau aussah. Die Rede ist nur von täglichen warm-kalten Wechselbädern. Unklar blieb, wie lange die Bäder dauerten und ob sie den ganzen Körper oder etwa nur die Unterarme betrafen.
  • Viele der Studien waren mit rund 30 Teilnehmenden sehr klein [Quelle 1,2,4]. Ergebnisse von so wenigen Personen lassen sich nicht auf die Allgemeinheit übertragen.
  • Besonders in den Studien mit Kindern schieden viele der jungen Teilnehmenden vorzeitig aus. Auch das kann das Endergebnis verzerren.
  • Manche Studien liefen einfach zu kurz, um sinnvolle Ergebnisse zu liefern. Zwei der Studien zu Kneippen gegen Erkältungen dauerten etwa nur vier [Quelle 1] beziehungsweise sechs [Quelle 2] Wochen, während die anderen beiden ein Jahr liefen [Quellen 3,4].

 

Zu anderen Gesundheitsproblemen gibt es schlicht zu wenig Studien, um sicher sagen zu können, dass Kneippen hilft oder nicht hilft. Und die, die es gibt, kommen teilweise zu widersprüchlichen Ergebnissen. Zu diesem Schluss kommt das Forschungsteam der Übersichtsarbeit [Quelle 5], die wir für solide durchgeführt halten.

 

[1] Schulte et al. (2021) The effect of Kneipp treatment hydrotherapy on secretory IgA in young children: A controlled, non-randomized clinical pilot study. Complement Ther Med, 57, 102637 (Link zur Studie)

 

[2] Schulte et al. (2022) The Effect of Cold-Water Hydrotherapy According to Sebastian Kneipp for Immune Stimulation: a Nonrandomized, Controlled, Explorative, Mixed-Methods Clinical Study [Journal article]. Journal of integrative and complementary medicine, 28(9), 749‐756. (Link zur Studie)

 

[3] Grüber et al. (2003) The effect of hydrotherapy on the incidence of common cold episodes in children: a randomized clinical trial. Eur J Pediatr.;162(3):168-176. (Link zur Studie)

 

[4] Kreutzfeld et al. (2003) Einfluss des Wassertretens nach Kneipp auf die Immunregulation. Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin, 13(04), 208-214. (Link zur Studie)

 

[5] Ortiz et al. (2023) Clinical effects of Kneipp hydrotherapy: a systematic review of randomized controlled trials. BMJ open, 13(7), e070951. (Link zur Studie)

 

 

  • 3. 9. 2019: erste Veröffentlichung des Faktenchecks – allerdings zu Kalt duschen und Kneippen gemeinsam
  • 27. 10. 2021: eine Aktualisierungs-Recherche des Facktenchecks zu Kalt duschen/Kneippen förderte keine neuen aussagekräftigen Studien zutage
  • 4. 7. 2023: keine neuen Forschungsergebnisse gefunden
  • 26.9.2024: Wir trennen die beiden Themen Kalt duschen und Kneippen und machen sie jeweils zu eigenständigen Faktenchecks. Somit ist dieser Faktencheck der erste, in dem wir ausschließlich das Kneippen behandeln.

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