Startseite ● Erektionsstörungen: Ginseng gegen Impotenz? Erektionsstörungen: Ginseng gegen Impotenz? Viele Männer haben Erektionsstörungen. Ginseng soll helfen. Laut aktueller Studienlage gibt es aber keine gut abgesicherten positiven Effekte. 02. September 2021 AutorIn: Julia Harlfinger Review: Bernd Kerschner Jana Meixner Teilen Helfen Mittel mit Ginseng bei Erektionsstörungen? möglicherweise nicht Bisherige Studien deuten darauf hin, dass Nahrungsergänzungsmittel mit Ginseng eher keine deutliche Veränderung bringen. Das heißt, dass sich wohl weder die Erektionsfähigkeit noch die sexuelle Zufriedenheit verbessern. Zumindest aber dürfte es nicht gehäuft zu Nebenwirkungen kommen. Sämtliche Einschätzungen sind nicht gut abgesichert. so arbeiten wir Potenzmittel Ginseng? Die Studienlage lässt wenig Raum für Enthusiasmus. © IgorCheri – Shutterstock.com Angeblich ist Ginseng ein „natürliches” Aphrodisiakum. Durch Ginseng sollen sich sogar Erektionsstörungen, im Fachjargon „erektile Dysfunktion“, bessern. Das zumindest versprechen diverse Quellen im Internet. Wohl nicht ganz zufällig bieten einige dieser Quellen auch Tabletten und Kapseln an, die Ginseng enthalten. Und so wird die vermeintliche Wirksamkeit von Ginseng bei Erektionsproblemen theoretisch begründet: Grob gesagt sollen Inhaltsstoffe des Ginseng beispielsweise die Durchblutung des Penis fördern oder Stress und Müdigkeit entgegenwirken. Gerade Männern, die bei einer sexuellen Störung Scheu vor einem Arztbesuch haben, könnte die Selbstbehandlung mit rezeptfreien Ginsengmitteln durchaus attraktiv erscheinen [1]. Ist Ginseng ein Potenzmittel? Wir haben recherchiert, ob sich die von manchen vermutete Wirksamkeit auch in der Praxis bewahrheitet. Dafür haben wir nach Studien gesucht, in denen Männer mit einer erektilen Dysfunktion Ginseng, etwa in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, getestet haben. Tatsächlich ist im Juli 2021 eine gut gemachte Übersichtsarbeit [1] zu diesem Thema erschienen. Hier sind die Ergebnisse von 9 Studien mit fast 600 Männern zusammengefasst. Die Teilnehmer haben entweder Ginseng eingenommen. Oder sie haben ein Placebomittel bekommen. Keine deutliche Wirkung Die aktuelle Studienlage deutet an, dass keine wesentliche Verbesserung zu erwarten ist. Denn Erektionsfähigkeit und die Zufriedenheit mit dem Geschlechtsverkehr haben sich laut Studien im Durchschnitt nicht spürbar gesteigert. Allerdings sind diese Einschätzungen als vorläufig zu betrachten. Ebenfalls mit deutlicher Unsicherheit behaftet: Dass die Einnahme von Ginsengmitteln nicht mit Nebenwirkungen einhergeht. Weiters gibt es Hinweise darauf, dass Männer, die Ginseng einnehmen, sich selbst als sexuell leistungsfähiger einschätzen – unabhängig von objektiven Kriterien. Häufige Störung Erektionsstörungen (erektile Dysfunktion) sind häufig: Schätzungen zufolge sind über 50 Prozent der Männer zwischen 40 und 70 Jahren davon betroffen. Sie haben über einen längeren Zeitraum keine oder keine ausreichende Erektion, um Geschlechtsverkehr zu haben. Beziehungsprobleme, verminderter Selbstwert und reduzierte Lebensqualität zählen zu den möglichen Folgen. Vielfältige Ursachen Die Ursachen der Impotenz, so die landläufige Bezeichnung für Erektionsstörungen, sind vielfältig. Das ist wenig verwunderlich, denn schließlich müssen für eine Erektion Herz-Kreislauf- und Nervensystem sowie Hormone und Psyche günstig zusammenwirken. Mitunter sind Erektionsprobleme ein Hinweis auf eine zugrundeliegende Erkrankung, zum Beispiel Diabetes und Gefäßerkrankungen. Häufig spielt das Alter eine Rolle oder die Einnahme bestimmter Medikamente. Deshalb ist ein Arztbesuch zur Abklärung durchaus ratsam. Es gibt Hilfe Es ist ein Mythos, dass Erektionsstörungen zum Älterwerden des Mannes „dazugehören“ und sozusagen als naturgegeben hinzunehmen sind. Es gibt, je nach Ursache und Wunsch der Betroffenen, verschiedene Möglichkeiten der Behandlung. Die Reduktion von Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel kann hilfreich sein. Zu den wirksamen Therapien – die natürlich auch Nebenwirkungen haben können – zählen etwa Injektionen, Operationen oder Psychotherapie. Und es gibt auch Medikamente, die Abhilfe schaffen können: Große Bekanntheit hat der Phosphodiesterase-5-Hemmer Sildenafil erlangt, besser bekannt unter dem Markennamen „Viagra“ [1-4]. Die Studien im Detail Ein Forschungsteam von Cochrane hat in einer Übersichtsarbeit [1] zusammengefasst, was zur Wirksamkeit und Sicherheit von Ginseng bei Erektionsstörungen bekannt ist. Dafür hat die siebenköpfige Gruppe aus Korea, Australien und Norwegen im Jänner 2021 umfassend nach Einzelstudien zu diesem Thema gesucht und diese nach strengen vorab festgelegten Kriterien gefiltert. Ziel war es, die Arbeiten mit der höchsten Aussagekraft auszuwerten, statistisch zusammenzufassen (Metaanalyse) und auf dieser Basis den aktuellen Wissensstand zu erfassen. Eingeflossen sind in die Analyse 9 Studien. Teilnehmer waren 587 Männer zwischen 20 und 70 Jahren. Sie lebten in Korea, China, Singapur oder Brasilien. Alle hatten eine erektile Dysfunktion, die leicht bis mittelschwer ausgeprägt war. Ein Teil der Männer startete mit einer Vorerkrankung in die Studie, beispielsweise Diabetes und Bluthochdruck. Ginseng besser als Placebo? Die Teilnehmer wurden per Zufall auf zwei Gruppen aufgeteilt (Randomisierung): Entweder bekamen sie 800 bis 3000 Milligramm Ginseng täglich, meistens in Form von Tabletten oder Kapseln. Oder sie erhielten zum Vergleich ein wirkstofffreies Scheinmittel (Placebo). Es gab keinen Vergleich zu bekannten Anti-Impotenz-Medikamenten. Die meisten Studien waren mehrfach verblindet. Das heißt, dass weder Studienpersonal noch Teilnehmer die Gruppenzuteilung kannten. Eine solche Verblindung ist ein Qualitätsmerkmal von Studien und soll verhindern, dass an Placebo oder Testpräparat geknüpfte Erwartungshaltungen die Ergebnisse verzerren. Die Einnahmedauer variierte je nach Studie zwischen 4 und 12 Wochen. Zum Schluss zogen die Forschungsteams den Vergleich zwischen Ginseng- und Placebogruppe, etwa indem sie die Männer mit Hilfe von verschiedenen Fragebögen ausführlich berichten ließen. Gab es durch den Ginseng Unterschiede, etwa hinsichtlich Erektionsstörungen sowie sexueller Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit? Effekte nur auf dem Papier Der Cochrane-Review beantwortet diese Fragen ziemlich vorsichtig. Rein rechnerisch verbesserten sich die Erektionsstörungen in der Ginsenggruppe ein wenig. Auch die sexuelle Zufriedenheit (in Bezug auf Geschlechtsverkehr) nahm im Vergleich zur Placebogruppe etwas zu. Diese im Durchschnitt positiven Effekte waren zwar statistisch signifikant, also höchstwahrscheinlich auf den Ginseng zurückzuführen. Aber sie fielen so gering aus, dass sie im Alltag der einzelnen Männer wohl nicht wahrnehmbar sein dürften. Sie gelten nicht als klinisch relevant – und das ist das, was für die betroffenen Personen zählt, im Gegensatz zu bloßen Rechenergebnissen auf dem Papier. Auf einer 30-teiligen Skala (Internationaler Index der erektilen Funktion 15) ergab sich eine durchschnittliche Verbesserung der Erektionsfähigkeit um rund 3,5 Punkte. Es ist aber davon auszugehen, dass erst eine Verbesserung um mindestens 4 Punkte für die Betroffenen merklich ist. Auf einer 25-teiligen Skala (Internationaler Index der erektilen Funktion 5) fiel der Vergleich rein rechnerisch auch zugunsten von Ginseng aus. Es gab eine Besserung der Erektionsfähigkeit um etwa 2,4 Punkte – allerdings ist diese im Alltag wohl erst ab 5 Punkten spürbar. Die Lebensqualität erfasste keine der eingeschlossenen Studien. Hinweise auf Sicherheit und Leistungsfähigkeit Auch zu den Nebenwirkungen sind nur verhaltene Aussagen möglich: Den Studien zufolge sollten die Ginseng-Mittel wohl keine oder nur kleine unerwünschte Effekte haben, etwa Kopfweh, Schläfrigkeit und Magen-Darm-Beschwerden. Eine kleine Verbesserung deutete sich an: In der Ginsenggruppe schätzen sich die Teilnehmer selbst als leistungsfähiger ein und gaben bei Befragungen an, eher Geschlechtsverkehr haben zu können. Wenig Vertrauen in Ergebnisse Die derzeitigen Einschätzungen, die dem Ginseng kein gutes Zeugnis ausstellen, sind mit einiger Unsicherheit behaftet. Zukünftige gut gemachte Studien könnten den aktuellen Stand des Wissens noch deutlich verändern. Das Autorenteam begründet den Mangel an Aussagekraft etwa damit, dass in den bisher veröffentlichten Einzelstudien wichtige Angaben nicht berichtet sind: Nicht ganz klar ist, ob Gruppenzuteilung (Ginseng oder Placebo) wirklich streng zufällig erfolgt ist. Vielleicht sind auch nicht alle erhobenen Daten in den veröffentlichten Studien enthalten. Das erschwert die Beurteilung der Qualität. Außerdem kamen verschiedene Erhebungsmethoden zum Einsatz. Das machte Vergleiche schwierig. Darüber hinaus war die Spannweite der geschätzten Effekte teils ziemlich groß. Wissenslücken und Unsicherheiten Interessanterweise gibt es Studien zu Ginseng als Potenzmittel, die zwar in Studienregistern verzeichnet sind, deren Ergebnisse aber nicht als Veröffentlichung in Fachzeitschriften aufscheinen. Das Cochrane-Team vermutet, dass diese Einzelstudien dem Ginseng vielleicht keine Wirksamkeit gegen Erektionsstörungen bescheinigt haben. Eventuell sind sie deswegen in der Schublade verschwunden. Eine solche Selektion zugunsten erwünschter Ergebnisse kann die Einschätzung der Wirksamkeit verzerren (Publication Bias). Außerdem gibt das Cochrane-Autorenteam zu bedenken, dass sie in ihrer Zusammenfassung nur kurzfristige Effekte und eher geringe Dosierungen untersuchen konnten. Das kann zu Fehleinschätzungen geführt haben. Die meisten Studienteilnehmer stammten aus Korea. Möglicherweise sind die dort erhobenen Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf Männer in anderen Nationen übertragbar. Zumindest die meisten eingeschlossenen Studien dürften Unterstützung von koreanischen Herstellerfirmen erhalten haben – finanziell oder in Form von Ginseng(mitteln). Versionengeschichte: Einen Beitrag zu verschiedenen pflanzlichen Potenzmitteln haben wir bereits 2015 veröffentlicht. Dieser ist mittlerweile veraltet und nicht mehr abrufbar. Wissenschaftliche Quellen [1] Lee u.a. (2021) Studientyp: systematische Übersichtsarbeit mit 9 Einzelstudien (randomisiert-kontrollierte Studien) Teilnehmende: 587 Männer Fragestellung: Welche Wirksamkeit gegen Erektionsstörungen haben Ginsengpräparate hat Interessenkonflikte: keine laut Autorenteam Lee HW, Lee MS, Kim T-H, Alraek T, Zaslawski C, Kim JW, Moon DG. Ginseng for erectile dysfunction. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021, Issue 4. Art. No.: CD012654. (Volltext) Weitere Quellen [2] UpToDate (2021) Treatment of male sexual dysfunction (kostenpflichtig; abgerufen am 26.7.2021) [3] UpToDate (2021) Epidemiology and etiologies of male sexual dysfunction (kostenpflichtig; abgerufen am 26.7.2021) [4] UpToDate (2021) Patient education: Sexual problems in men (Beyond the Basics) (abgerufen am 26.7.2021) Schlagworte Aphrodisiakumerektile DysfunktionErektionErektionsstörungGeschlechtsverkehrGinsengImpotenzMännergesundheitNahrungsergänzungsmittelPanaxpflanzlichPhosphodiesterase-5-HemmerPotenzPotenzmittelSexSexualität und GeburtSexuallebenSildenafilTCMViagra In über 500 Faktenchecks suchen