Startseite ● Eisbaden im Faktencheck: gesund oder gefährlich? Eisbaden im Faktencheck: gesund oder gefährlich? Eisbaden liegt im Trend. Dass es aber gesund ist – etwa das Immunsystem stärkt oder vor Depression schützt – lässt sich bisher nicht belegen. 31. Januar 2024 AutorIn: Bernd Kerschner Review: Jana Meixner Teilen Hat Eisbaden Vorteile für die Gesundheit? wissenschaftliche Belege fehlen Es gibt zwar einzelne Studien zum Eisbaden. Doch sie haben die vermeintlichen Gesundheits-Wirkungen gar nicht direkt überprüft. Außerdem haben sie grobe Mängel und sind auch daher nicht aussagekräftig. Ob das Baden in eiskaltem Wasser gesund ist, können sie nicht beantworten. so arbeiten wir Eisbaden liegt im Trend © Halfpoint – istockphoto.com In Skandinavien oder Russland hat das Eisbaden schon lange Tradition. Über ein Loch im Eis eines zugefrorenen Sees steigen Winterbade-Fans ins kalte Wasser, tauchen darin bis zum Hals ein und verbringen so oft mehrere Minuten. Auch bei uns hat sich Eisbaden zum Trend entwickelt. Das Eintauchen in bis zu null Grad kaltes Wasser ist eine Grenzerfahrung für den Körper – dieser schüttet dabei Stresshormone aus. In Online-Videos und auf Webseiten berichten Kaltwasser-Fans auch von Glücksgefühlen, die sie dabei erleben. Abgesehen von solch kurzfristigen Effekten wird Eisbaden auch eine anhaltend positive Wirkung auf die Gesundheit nachgesagt. Angeblich soll es das Immunsystem stärken und so vor Infektionen schützen, bei chronischen Schmerzen durch Rheuma oder Fibromyalgie helfen oder einer Depression vorbeugen. Auch Extremsportler und Eisbade-Profi Wim Hof bewirbt seine Kältegewöhnungs-Methode mit solchen Behauptungen. Wir wollten wissen, wie gesund Eisbaden wirklich ist – und ob es wissenschaftliche Belege für diese Behauptungen gibt. Weder bewiesen noch widerlegt Bei unserer Recherche sind wir auf fünf Studien [1-5] gestoßen, die die gesundheitlichen Vorteile von Eisbaden wissenschaftlich untersuchen wollten. Ob das Eintauchen ins eisige Wasser wirklich gesund ist, können diese Untersuchungen jedoch nicht beantworten, denn dazu fehlt es ihnen an Aussagekraft. Der Hauptgrund: Zwischen eisbadenden und nicht-eisbadenden Teilnehmenden gab es bereits vor Studienbeginn große Unterschiede. So war kein fairer Vergleich möglich. Zudem haben die Studien an den aufgestellten Behauptungen vorbeigeforscht. Ob Eisbaden etwa gesund hält und Erkältungen oder anderen Infektionskrankheiten vorbeugen kann, hat keine einzige Studie untersucht. Stattdessen haben drei Studien [1-3] lediglich wenig aussagekräftige Blutwerte erhoben – mit uneinheitlichen Ergebnissen. Schutz vor Depression nicht geklärt Ob Kaltwasserbäder bei Depression helfen oder ihnen vorbeugen können, haben die Studien ebenfalls nicht untersucht. Zwei Studien [4,5] haben lediglich, ob sich die allgemeine Stimmung von psychisch gesunden Teilnehmenden veränderte. Dabei kamen die beiden Untersuchungen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Bisherige Studien können also weder beweisen noch widerlegen, ob Eisbaden tatsächlich gesund ist – egal ob körperlich oder psychisch. Das gilt übrigens auch für andere Formen der Kältebehandlung, wie zum Beispiel: das Kältetraining nach der Methode von Extremsportler Wim Hof die Kryotherapie in Kältekammern bei Temperaturen unter -100 Grad regelmäßige kalte Duschen oder Kneipp-Kuren Riskanter Kälteschock Für Menschen mit einer Herzkrankheit kann Eisbaden riskant sein. Ein Grund dafür ist der Kälteschock-Reflex: Bei Kälte ziehen sich die Blutgefäße zusammen – das Herz muss schneller schlagen, um Blut durchpumpen zu können, und man atmet schneller [6,7]. Das plötzliche Eintauchen löst allerdings noch einen zweiten Reflex aus: den sogenannten Tauchreflex. Dieser signalisiert dem Herz das Gegenteil, nämlich langsamer zu schlagen. Für den Fall, dass wir unter Wasser tauchen und zu ertrinken drohen ist das ein guter Schutzmechanismus – denn dadurch verbraucht der Körper möglichst wenig Sauerstoff. Doch in Kombination mit dem Kälteschock-Reflex kann das gefährlich werden: Das Herz ist verwirrt, ob es nun schneller oder langsamer schlagen soll. Bei Herzkranken kann es dadurch im schlimmsten Fall stehenbleiben [6,7]. Für herzgesunde Menschen scheint diese Gefahr gering sein. Dennoch ist es auch für sie nicht ohne Risiko, in Eiswasser zu baden. Beim ersten Kontakt mit dem kalten Wasser führt der Kälteschock dazu, dass man reflexartig nach Luft schnappt und schneller atmet als sonst [8]. Ist der Mund unter der Wasseroberfläche – etwa wenn man ins Wasser springt – kann das zum Ertrinken führen [7]. Eisbade-Profis achten daher darauf, nicht mit dem Kopf unterzutauchen. Durch regelmäßiges Kältetraining lässt sich diese Auswirkung des Kälteschock-Reflexes jedoch verringern [8]. Bleibt man länger als ein paar Minuten im Wasser, droht zudem eine gefährliche Unterkühlung [7]. Es ist daher riskant, ohne Aufsicht durch eine zweite Person ins kalte Wasser zu steigen. Die Studien im Detail Nach welchen Studien haben wir gesucht? Ob Eisbaden gesund ist, lässt sich gar nicht so einfach untersuchen. Zuerst muss klar sein, was genau mit „gesund“ gemeint ist: beispielsweise, dass man seltener eine Erkältung oder eine andere Infektionserkrankung bekommt. Erst dann lässt sich das wissenschaftlich untersuchen. Am aussagekräftigsten ist eine sogenannte randomisiert-kontrollierte Studie. Dabei werden viele Teilnehmende per Zufall (randomisiert) einer von zwei Gruppen zugeteilt: In einer Gruppe steigen die Teilnehmenden regelmäßig über mehrere Monate in eiskaltes Wasser. Die andere Gruppe ist die Kontroll-Gruppe: wer ihr zugeteilt ist, steigt stattdessen in weniger kaltes Wasser. Die zufällige Zuteilung ist wichtig. Denn nur dadurch ist sichergestellt, dass die beiden Gruppen ähnlich zusammengesetzt sind – und sich nicht etwa dadurch unterscheiden, dass die Teilnehmenden in einer Gruppe bereits zu Studienbeginn gesünder sind als in der anderen. Idealerweise sollten beide Gruppen außerdem dieselben Erwartungen an die Wirkung haben – egal ob sie in Eiswasser oder in wärmeres Wasser steigen. Denn bereits die Erwartung einer Wirkung kann die Gesundheit messbar beeinflussen. Fachleute nennen das den Placebo-Effekt. Nur wenn sich nach mehreren Monaten zeigt, dass in der Eisbade-Gruppe weniger Erkältungen oder Infektionskrankheiten auftreten als in der Kontrollgruppe, wäre das ein Beweis für eine krankheitsvorbeugende Wirkung. Wie aussagekräftig sind die Studien? Bei unserer Recherche in zwei Forschungsdatenbanken haben wir fünf Studien gefunden, die Eisbaden mit Nicht-Eisbaden verglichen haben [1-5]. Während sich in manchen keine positive Wirkung zu ergeben schien, fanden sich in anderen doch Unterschiede zur Kontrollgruppe. Aus folgenden Gründen haben sie jedoch keine Aussagekraft, und können nicht beantworten, ob das Baden in eiskaltem Wasser einen Vorteil für die Gesundheit bietet: An Fragestellung vorbeigeforscht: Ob Eisbaden spürbar die Gesundheit verbessert, haben die Studien nicht untersucht. Statt z.B. die Häufigkeit von Infektionskrankheiten oder die Linderung von Beschwerden zu erheben, wurden lediglich Blutwerte (z.B. Cholesterin oder Insulin-Resistenz) gemessen. Und statt zu erheben, ob die Teilnehmenden ohne Eisbaden etwa häufiger von einer Depression betroffen waren, wurden sie bloß allgemein zu ihrer Stimmung befragt. Eine Depression lässt sich dadurch jedoch oft nicht erkennen oder ausschließen. Gruppen nicht vergleichbar: Die Teilnehmenden wurden den Gruppen nicht zugelost, sondern suchten sich selbst aus, ob sie Eisbaden wollten oder nicht. Dadurch unterschieden sich die beiden Gruppen in einigen Studien deutlich voneinander. In anderen Studien war das zumindest anzunehmen – genaue Informationen dazu fehlten. Placebo-Effekt möglich: Während die Teilnehmenden in der Kontrollgruppe auf das Eisbaden verzichteten, erwarteten sich jene in der Eisbade-Gruppe vermutlich eine positive Wirkung auf die Gesundheit. Es fehlt eine vergleichbare Tätigkeit für die Kontrollgruppe, die ähnliche Erwartungen auslöst wie das Baden im Eiswasser. Etwaige Effekte auf die Gesundheit könnten daher unter anderem auch durch die Erwartung – also durch den Placeboeffekt – verursacht worden sein. Wissenschaftliche Quellen [1] Gibas-Dorna et al (2016) Cold water swimming beneficially modulates insulin sensitivity in middle-aged individuals. Journal of aging and physical activity, 24(4), 547-554. (Zusammenfassung der Studie) [2] Hirvonen et al. (2002) Plasma catecholamines, serotonin and their metabolites and beta-endorphin of winter swimmers during one winter. Possible correlations to psychological traits. International journal of circumpolar health, 61(4), 363-372. (Zusammenfassung der Studie) [3] Ptaszek et al. (2023) The influence of whole-body cryotherapy or winter swimming on the lipid profile and selected adipokines. BMC Sports Science, Medicine and Rehabilitation, 15(1), 135. (Studie in voller Länge) [4] Huttunen et al. (2004) Winter swimming improves general well-being. International Journal of Circumpolar Health, 63(2), 140-144. (Zusammenfassung der Studie) [5] Lindeman et al. (2002) Neurotic psychopathology and alexithymia among winter swimmers and controls-a prospective study. International journal of circumpolar health, 61(2), 123-130. (Zusammenfassung der Studie) [6] Chandy et al. (2023) Drowning (submersion injuries). UpToDate. Abgerufen am 29.1.2024 unter www.uptodate.com [7] Farstad et al. (2019) Farstad, D. J., & Dunn, J. A. (2019). Cold water immersion syndrome and whitewater recreation fatalities. Wilderness & Environmental Medicine, 30(3), 321-327 (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit) [8] Barwood et al. (2023) Habituation of the cold shock response: A systematic review and meta-analysis. Journal of thermal biology, 103775. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit) Versionsgeschichte 31.1.2024: erste Version des Faktenchecks Schlagworte EisbadenEisschwimmenKälteKälteschock In über 500 Faktenchecks suchen