Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Biotin für die Haare: Wundermittel oder wirkungslos?

Biotin soll die Haare stärken und sogar schneller wachsen lassen. Beweise für diese Wirkungen aus wissenschaftlichen Studien gibt es dafür nach aktuellem Stand keine.

Hilft Biotin bei Haarausfall? Lässt Biotin die Haare schneller wachsen?

Die Studienlage, die sich mit der Wirkung von Biotin auf das Haarwachstum beschäftigt, ist unzureichend, Eine positive Wirkung ist laut aktueller Forschung nicht gesichert.

so arbeiten wir
© ShotPrime Studio - shutterstock.com Haare auf den Kissen, der Bürste und im Abfluss… Kann Biotin da helfen?
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Die Belastung für die betreffende Person, wenn die Haare abbrechen oder gar ausfallen, kann groß sein. In den Medien und der Werbung finden sich dutzende Produkte und Mittelchen, die kaputtes Haar wieder gesünder machen sollen.

Eines der angepriesenen Wundermittel ist Biotin. Dabei handelt es sich um ein wasserlösliches B-Vitamin. Es wird veraltet auch Vitamin H genannt und ist für viele Stoffwechselvorgänge wichtig.
Der Körper benötigt es auch, um Keratin herzustellen – das ist der Hauptbestandteil von Haaren. Die Einnahme von Biotin-Kapseln soll die Haare nicht nur glänzender und kräftiger machen, sondern angeblich auch das Haarwachstum anregen und Haarausfall entgegenwirken können.

Unklarer Effekt auf Haarausfall und Haarwachstum

Unsere Suche nach wissenschaftlichen Belegen für die behaupteten Wirkungen von Biotin blieb erfolglos. Trotz umfangreicher Recherche in mehreren Forschungsdatenbanken fanden wir keine aussagekräftigen Studien dazu. Wir können damit weder beantworten, ob Biotin Haare schneller wachsen lässt, noch ob das Vitamin Haarausfall stoppen kann.

Zur möglichen Wirkung von Biotin bei Haarausfall stießen wir lediglich auf eine Studie aus dem Jahr 1966. Darin untersuchten zwei polnische Wissenschaftler 46 Frauen mit Haarausfall. Die Wissenschaftler konnten keinen Unterschied im Haarwachstum zwischen Biotin- und Placebo-Gruppe feststellen [1].

Häufig auf dem Markt: Multipräparate

Eine weitere Studie untersuchte 50 Frauen mit sichtbar geschädigten Haaren. Das Forschungsteam testete die Wirksamkeit eines Nahrungsergänzungsmittels, welches unter anderem Biotin enthielt. Die Forscherinnen und Forscher berichteten hier einen positiven Effekt. Ob dieser dem Biotin zuzuschreiben ist, kann aber nicht nachvollzogen werden [2].

Nachweis muss noch erbracht werden

Ob Biotin wirksam oder unwirksam ist, können wir auf dieser Basis nicht sagen. Denn beide Studien sind nicht aussagekräftig: Sie weisen methodische Mängel auf. Mit einer Anzahl von 46 beziehungsweise 50 Probandinnen sind beide Studien sehr klein. Vor allem ist unklar, ob die beiden Gruppen wirklich miteinander vergleichbar waren, etwa was das Ausmaß des Haarausfalls, der Haarschädigung oder die Ernährung betrifft. Da wir Biotin auch über unsere Nahrung aufnehmen, ist die Ernährung der Versuchspersonen ein wichtiger Faktor.

Um eine Wirkung nachzuweisen, sollte eine Studie eine möglichst große Anzahl an Teilnehmenden zufällig auf zwei Gruppen aufteilen. Es ist notwendig, dass nur eine der beiden Gruppen den Wirkstoff Biotin bekommt und die andere Placebo-Kapseln ohne Wirkstoff. Die beiden Kapselarten dürfen sich weder äußerlich, noch im Geruch oder Geschmack unterscheiden. Weder die Probandinnen und Probanden, noch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten wissen, wer welcher Gruppe zugeteilt ist.

Erst wenn am Ende die Biotin-Gruppe deutlich besser abschneidet als die Placebo-Gruppe, wäre der Beweis erbracht, dass Biotin wirksam das Haarwachstum beschleunigt oder Haarausfall lindert.

Überdosis und Nebenwirkungen

Auch wenn die positiven Effekte von Biotin als „Beautymittel“ umstritten und wissenschaftlich nicht gesichert sind, hat eine Überdosierung nach aktuellem Stand keine direkten negativen Auswirkungen auf den Körper [3].

Probleme bei Labortests

Die regelmäßige Einnahme von Biotin kann allerdings Labortests verfälschen. Davor warnen die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA und das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM. Bei einigen gängigen Testverfahren kann es durch Biotin zu falsch-positiven oder falsch-negativen Ergebnissen kommen. Bei falsch-positiven Ergebnissen könnten Patienten unnötigerweise therapiert werden.

Falsch-negative Ergebnisse haben im schlimmsten Fall lebensgefährliche Fehldiagnosen zur Folge, wenn Betroffene wichtige Therapien zu spät oder gar nicht erhalten. So ist ein Patient in den USA verstorben, der hochdosiertes Biotin einnahm. Er kam mit Brustschmerzen in die Notaufnahme. Doch sein Herzinfarkt wurde dort nicht rechtzeitig erkannt. Denn der Test auf ein bestimmtes Herzmuskeleiweiß war fälschlicherweise unauffällig.

Biotin in der Medizin

„Diffuser Haarausfall“ – so der Fachjargon – ist über den gesamten Kopf etwa gleichmäßig verteilt. Tatsächlich kann dieser Haarausfall ein Symptom für Biotin-Mangel sein – allerdings ist dieser bei einer durchschnittlichen westlichen Ernährungsweise sehr selten. Biotin ist in pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln enthalten, zum Beispiel in Leber, Nüssen, Linsen oder Spinat.

Wer regelmäßig rohe Eier zu sich nimmt, sollte vorsichtig sein. Avidin, ein in rohem Eiweiß enthaltenes Protein, kann Biotin binden und so die Aufnahme im Körper verhindern.

In der Medizin wird Biotin zur Behandlung bei angeborenen Gendefekten, die den Biotin-Stoffwechsel betreffen, angewandt. Die Anwendung von hochdosierten Biotin-Präparaten zur Behandlung von Multipler Sklerose wird untersucht [4].

Haarwachstum und Haarausfall

Täglich kann ein gesunder Erwachsener etwa 70 bis 100 Haare verlieren. Normalerweise befinden sich über 80 Prozent der Haare im Wachstumsstadium. Das ist die erste und längste von drei Phasen, die jedes Haar durchläuft.

Während dieser Wachstumsphase bilden sich ständig neue Haarzellen – und zwar in der Haarzwiebel. Das ist der unterste Teil des Haares, der in der Haut verankert ist und mit Blut versorgt wird.
Die neu gebildeten Haarzellen verkleben miteinander und verhornen. Die maximale Haarlänge ist abhängig von der Dauer der Wachstumsphase. Sie kann zwischen 4 und 6 Jahre betragen.
Nach der Wachstumsphase tritt das Haar in eine Übergangsphase ein, in der die Haarwurzel sich ablöst und so nicht mehr über den Blutfluss versorgt wird. Diese Übergangsphase ist die kürzeste Phase und dauert nur 2 bis 4 Wochen an.

In der letzten Phase, der Abstoßungsphase, wird das Haar mitsamt Wurzel aus der Kopfhaut geschoben und fällt schließlich aus. Diese Phase dauert einige Monate. In der Haarzwiebel bildet sich dabei bereits ein neues Haar [5].

Haarausfall hat vielfältige Ursachen

Haarausfall kann verschiedene Ursachen haben: Hormonelle Störungen oder Veränderungen, medikamentöse Behandlungen, Infektionen und Stress oder Belastung der Haare, zum Beispiel durch zu feste Zöpfe. Die Behandlung von Haarausfall wird auf die Ursache abgestimmt [6]. Die häufigste Form von Haarausfall ist genetisch bedingt und betrifft Männer häufiger als Frauen: Bei der sogenannten androgenetischen Alopezie wird der Haarausfall durch hohe Testosteronspiegel verursacht. Mögliche Behandlungen haben wir bereits unter die Lupe genommen – zum Beispiel zu Minoxidil, Finasterid oder Koffein.

Da sehr starker Haarausfall ein Hinweis auf eine zugrundeliegende Erkrankung sein kann, sollte eine Ärztin oder ein Arzt aufgesucht werden. Mit einem Blutbild können so zum Beispiel Mangelerscheinungen schnell ausgeschlossen oder erkannt und behoben werden.

Die Studien im Detail

Ein polnisches Forscher-Duo untersuchte 1966 den Effekt von Biotin auf das Haarwachstum an 46 Frauen mit Haarausfall [1]. Täglich nahmen die Probandinnen 10 Milligramm Biotin ein. Zu Beginn der Studie und nach einer Beobachtungphase von 28 Tagen wurde das Verhältnis der Wachstumsphase zu der Ruhephase der Haare der jeweiligen Probandin bestimmt. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Einnahme von Biotin keinen Effekt auf das Haarwachstum habe.

Diesem Ergebnis schenken wir allerdings kein Vertrauen. Denn die Studie weist etliche Mängel auf. Es ist nicht nachvollziehbar, ob die Ausgangsbedingungen und Einflussfaktoren in beiden Gruppen gleich waren. Die Studie geht nicht auf die gewählte Methode ein, mit der die Probandinnen den Gruppen zugeteilt wurden. Wir können also nicht sicher sein, dass die Zuteilung zufällig war.

Außerdem wurden möglicherweise wichtige Faktoren nicht berücksichtigt: Angaben zum Gesundheitszustand, der Haarpflege oder der Ernährung zu Beginn der Studie fehlen. Die beiden Gruppen waren möglicherweise gar nicht vergleichbar. Hinzu kommt, dass die Studie mit 46 Probandinnen sehr klein ausfiel.

Eine weitere Studie von US-amerikanischen, australischen und kanadischen Forscherinnen und Forschern erschien 2014 [2]. An 50 Frauen mit sichtbar strapazierten beziehungsweise geschädigten Haaren testeten sie die Wirksamkeit eines Nahrungsergänzungsmittels. Dieses enthielt unter anderem 0.150 Milligramm Biotin. Der Beobachtungszeitraum war 90 Tage. Jeden Tag sollten die Probandinnen zwei Kapseln zu sich nehmen.

Auch hier wurde das Verhältnis von Wachstumsphase zu Ruhephase bestimmt. Zusätzlich führten die Forscherinnen und Forschern einen „Hair Pull Test“ durch: Dabei nahmen die Forscherinnen und Forschern eine Haarsträhne von „ungefähr 60 Haaren“ zwischen die Finger und zogen daran. Dann zählten sie die Haare, die bei dieser Prozedur ausgefallen waren. Lösten sich mehr als 9 Haare, stuften sie das als starken Haarausfall ein.

Da die Forscherinnen und Forscher nicht bestimmten, aus wie vielen Haaren genau die Strähnen bestanden, halten wir dieses Verfahren für sehr ungenau und nicht aussagekräftig.

Die Untersuchung des Verhältnisses von Wachstum- zu Ruhephase kam zu dem Ergebnis, dass die Einnahme des Mittels positive Effekte auf das Haarwachstum habe. Ob tatsächlich das Biotin der ausschlaggebende Inhaltsstoff für dieses Ergebnis war, kann aber nicht ermittelt werden.

Und es gibt weitere Kritikpunkte. Die Stichprobengröße war auch hier sehr klein. Außerdem wurden relevante Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen könnten, wiederum nicht oder nur unzureichend behandelt: zum Beispiel die Ernährungsweise der Probandinnen.

Die Wirkung von Biotin bei Männern ist in beiden Studien nicht untersucht worden.

[1] Pawlowski & Kostanecki (1966)
Pawlowski A, Kostanecki W. Effect of biotin on hair roots and sebum excretion in women with diffuse alopecia. Pol Med J. 1966;5(2):447-452.

[2] Beer u.a. (2014)
Beer C, Wood S, Veghte RH. A clinical trial to investigate the effect of Cynatine HNS on hair and nail parameters. ScientificWorldJournal. 2014;2014:641723. (Studie in voller Länge) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4214097/

[3] UpToDate (2020)
Pazirandeh S, Burns DL. Overview of water soluble vitamins. In Kunins L (ed.). UpToDate. Abgerufen am 18. 8. 2020 unter www.uptodate.com https://www.uptodate.com/contents/overview-of-water-soluble-vitamins

[4] Rote Hand Brief (Mai 2019)
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Abgerufen am 18. 8. 2020 unter www.akdae.de
https://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/RHB/Archiv/2019/20190515.pdf

[5] IQWIG (2019)
Institut für Qualtität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Wie sind Haare aufgebaut und wie wachsen sie? Abgerufen unter Gesundheitsinformation.de https://www.gesundheitsinformation.de/wie-sind-haare-aufgebaut-und-wie-wachsen-sie.3353.de.html

[6] UpToDate (2020)

Shapiro J, Hordinsky M. Evaluation and diagnosis of hair loss. In Ofori AO (ed.). UpToDate. Abgerufen am 18. 8. 2020 unter www.uptodate.com https://www.uptodate.com/contents/evaluation-and-diagnosis-of-hair-loss

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