Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Rotwein als Gesundheitselixier?

In Frankreich sind Herzinfarkte vergleichsweise selten. Angeblich sorgt dafür der beliebte Rotwein. Ob das tatsächlich so ist, ist jedoch kaum untersucht.

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Schützt Rotwein besser vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Weißwein?

Es gibt Hinweise darauf, dass moderate Mengen an Alkohol vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen könnten, der Effekt ist jedoch nicht gut abgesichert. Ob diese möglicherweise schützende Wirkung bei Rotwein stärker ist als bei Weißwein oder andere alkoholischen Getränken, ist nicht ausreichend untersucht.

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Die Franzosen lieben Tabak, fettes Essen und Alkohol – eine Mischung, die jeden Arzt erschaudern lässt. Dennoch sterben in Frankreich weniger Menschen an Herzinfarkten, als der weitverbreitete ungesunde Lebensstil vermuten ließe [7]. Wissenschaftler sprechen vom französischen Paradoxon, und sie haben auch einen Verdacht, warum das so ist. Frankreich ist Rotweinland, und ebendieses alkoholische Getränk soll vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt schützen, jedenfalls wenn in Maßen genossen.

Schutzwirkung von Rotwein unklar

Tatsächlich finden sich im Rotwein bestimmte Stoffe, denen Forscher zumindest im Tierversuch eine gefäßschützende Wirkung nachsagen. Aussagekräftige Untersuchungen am Menschen fehlen jedoch bisher [7].

In bisherigen Studien haben die Verfasser nur die Auswirkung von moderatem Bier-, Wein- und Spirituosenkonsum untersucht. Zwischen Weiß- und Rotwein haben sie jedoch meist nicht unterschieden [1] [2] [3]. Dass Rotwein besonders gut vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützt, lässt sich daher nicht belegen.

Die zusammengefassten Ergebnisse bisheriger Studien deuten allerdings darauf hin, dass maßvoller Genuss von jeglichen alkoholischen Getränken gut für die Gesundheit sein könnte. So scheinen Menschen, die täglich kleine Mengen an Alkohol zu sich nehmen, ein niedrigeres Herz-Kreislauf-Risiko zu haben und etwas länger zu leben als strikte Nicht-Trinker [1] [2] [3] [4]. Diese Schutzwirkung ist unter Wissenschaftlern aber umstritten und nicht gut abgesichert [5].

Bier, Wein oder Schnaps – vermutlich keine Unterschiede

Sollte Alkohol tatsächlich gesundheitsfördernd wirken, gibt es möglicherweise keinen Unterschied zwischen mäßigem Bier-, Wein- und möglicherweise sogar Spirituosenkonsum. [1] [2] [3]. Demnach scheinen Studienteilnehmer, die bis zu einem alkoholhaltigen Getränk pro Tag zu sich nehmen, im Durchschnitt länger zu leben als strikte Nichttrinker. Ein Getränk entspricht dabei in etwa einem kleinen Bier (0,3 Liter), einem Achtel Wein oder 4 cl Schnaps. Den Verfassern einer 2012 erschienen systematischen Übersichtsarbeit [4] zufolge scheint bei Frauen ein alkoholisches Getränk pro Tag am günstigsten für die Herzgesundheit zu sein. Bei Männern dürften es ihren Ergebnissen zufolge bis zu zwei Getränken am Tag sein.

Ist Alkohol wirklich gesund?

Ein Problem ist, dass die Verfasser vieler Studien moderate Alkoholtrinker mit Personen vergleichen, die erst seit einiger Zeit abstinent sind, früher aber sehr wohl Alkohol getrunken haben. Immer wieder beobachten Wissenschaftler jedoch, dass Menschen mit fortschreitendem Alter – etwa aus gesundheitlichen Gründen, und weil sie Medikamente einnehmen müssen – immer weniger Alkohol trinken, und manche sogar ganz damit aufhören. Im Vergleich mit ihnen erscheinen Menschen, die gelegentlich Alkohol trinken, gesünder als sie es im Vergleich mit lebenslang abstinenten Studienteilnehmern wären [5].

Diese Kritik nahmen sich die Verfasser der 2012 erschienen systematischen Übersichtsarbeit [4] zu Herzen. Sie haben daher nur jene Studien analysiert, in denen Wenigtrinker mit Personen verglichen wurden, die bereits seit ihrer Jugend abstinent leben. Ihr Ergebnis scheint die Schutzwirkung von Alkohol grundsätzlich zu bestätigen: Teilnehmer, die ein Getränk am Tag (bei Männern bis zu zwei) zu sich nahmen, starben seltener an Herzerkrankungen. Allerdings haben die Forscher nicht untersucht, ob die Teilnehmer nicht durch andere Erkrankungen wie Schlaganfälle oder Krebserkrankungen früher als strikte Nichttrinker gestorben waren.

Alles eine Frage der Dosis

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine aktuelle systematische Übersichtarbeit eines chinesischen Forscherteams. Sie sahen sich die Daten von fast 400.000 Versuchspersonen an [6]. Das Ergebnis: Für eine moderate Dosis von acht bis zehn Gramm reinem Alkohol pro Tag waren die Gesamtsterblichkeit und das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung niedriger als bei Nicht- oder Wenigtrinkern. Wie in anderen Studien entspricht das etwa einem Glas Wein oder knapp 300 Millilitern Bier pro Tag. In der Übersichtsarbeit haben sich die Forscher allerdings nur Studiendaten von Menschen mit Bluthochdruck angesehen – es könnte durchaus sein, dass die Ergebnisse für kerngesunde Menschen anders ausgefallen wären.

Aussagekraft der Studien ist begrenzt

Auch wenn Menschen, die täglich ein Glas Wein oder Bier zu sich nehmen, länger und gesünder leben, bedeutet das nicht zwingend, dass die alkoholischen Getränke dafür verantwortlich sind. Die Verfasser der bisherigen Studien zu dieser Fragestellung haben aber versucht, viele andere Gründe wie gesunden Lebensstil, andere Krankheiten und Vererbung auszuschließen. So auch bei der Übersichtsarbeit der chinesischen Wissenschaftler. Ein Problem ist zudem, dass Studienteilnehmer die tägliche Menge Alkohol selbst angeben mussten – die Autoren der Übersichtsarbeit nehmen an, dass insbesondere Frauen hier geflunkert haben könnten[6].

Kurzzeit-Studien, bei denen die Versuchsleiter manche Teilnehmer Alkohol trinken ließen und sie dann mit abstinenten Teilnehmern verglichen, scheinen die möglicherweise gesundheitsfördernde Wirkung zu stützen. Bereits nach einigen Wochen moderaten Alkoholkonsums verbesserte sich der Blutspiegel des guten HDL-Cholesterins sowie zwei andere Blutwerte (Adiponectin und Fibrin) [1]. Ob diese Versuchsteilnehmer weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen bekamen, lässt sich aufgrund der kurzen Studiendauer nicht sagen, auch wenn die verbesserten Werte normalerweise mit weniger Herzinfarkten, Schlaganfällen oder ähnlichen Krankheiten in Verbindung stehen.

Um Klarheit darüber zu erlangen, ob geringe Mengen an Alkohol tatsächlich gesundheitsfördernd sind, sind jedenfalls noch mehr und rigidere Studien nötig.

Zu viel Alkohol bewirkt das Gegenteil

Teilnehmer von Langzeit-Beobachtungsstudien, die deutlich mehr als ein alkoholisches Getränk pro Tag zu sich nahmen, starben eher verfrüht an Herz-Kreislauf- und anderen Erkrankungen als Wenig- und Nicht-Trinker [2] [6]. Das entspricht auch dem bisherigen medizinischen Wissen. Schließlich ist bekannt, dass Alkohol in größeren Mengen Organe schädigt und das Risiko für Krebs sowie Herzinfarkt und Co erhöht. Zudem führt hoher Alkoholkonsum auch zu psychischen und sozialen Problemen [7]. Wer im Durchschnitt umgerechnet täglich 60 Gramm Alkohol oder mehr trinkt, hat bereits ein um 30 Prozent erhöhtes Sterberisiko, so die Verfasser einer bereits erwähnten systematischen Übersichtsarbeit [2]. 60 Gramm Alkohol entsprechen im Durchschnitt der Menge von drei großen Bier oder einem Dreiviertel Liter Wein.

Gefahr für den Körper

Die Grenze zur Gesundheitsgefährdung liegt jedoch deutlich niedriger. Für Frauen und über 65-Jährige definiert das US-amerikanische National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism bereits eine Menge von mehr als 84 Gramm reinem Alkohol pro Woche als problematisch. Mehr als sieben kleine Bier (0,3 Liter) oder sieben Achtel Wein pro Woche sollten es demnach also nicht sein. Für Männer unter 65 gilt die doppelte Menge pro Woche als gerade noch verträglich. Damit entsprechen diese Grenzwerte den Studienergebnissen (ein Getränk pro Tag für Frauen, und bis zu zwei am Tag für Männer). Wichtig ist aber auch, nicht mehr als drei kleine Bier bzw. Achtel Wein (für Männer vier) an einem einzelnen Tag zu trinken [8]. Diese Werte beziehen sich jedoch in erster Linie auf die körperlichen Auswirkungen von regelmäßigem Alkoholkonsum, nicht jedoch auf die Suchtgefahr oder soziale und psychologische Folgen.

[1] Brien u.a. (2011)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 44 kontrollierte Studien
Teilnehmer insgesamt: 1223 (im Mittel 19 pro Studie)
Fragestellung: Auswirkung von moderatem Alkoholkonsum auf Faktoren, die das Herz-Kreislauf-Risiko erhöhen
Mögliche Interessenkonflikte: keine angegeben

Brien SE, Ronksley PE, Turner BJ, Mukamal KJ, Ghali WA. Effect of alcohol consumption on biological markers associated with risk of coronary heart disease: systematic review and meta-analysis of interventional studies. BMJ. 2011 Feb 22;342:d636. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[2] Ronksley u.a. (2011)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 84 Kohortenstudien
Teilnehmer insgesamt: 2,8 Millionen
Fragestellung: Auswirkung von moderatem Alkoholkonsum auf die Wahrscheinlichkeit, Herz-Kreislauf- Erkrankungen zu erleiden
Mögliche Interessenkonflikte: keine

Ronksley PE, Brien SE, Turner BJ, Mukamal KJ, Ghali WA. Association of alcohol consumption with selected cardiovascular disease outcomes: a systematic review and meta-analysis. BMJ 2011;342:d671. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[3] Costanzo u.a. (2011)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 12 Kohortenstudien, 6 Fall-Kontroll-Studien
Teilnehmer insgesamt: ca. 300 000
Fragestellung: Auswirkung von Wein, Bier und Spirituosen auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Mögliche Interessenkonflikte: Mitfinanziert durch die Firmen Cervisia Consulenze Srl und Istituto Nazionale Per La Comunicazione Srl

Costanzo S, Di Castelnuovo A, Donati MB, Iacoviello L, de Gaetano G. Wine, beer or spirit drinking in relation to fatal and non-fatal cardiovascular events: a meta-analysis. Eur J Epidemiol. 2011 Nov;26(11):833-50. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[4] Roerecke u.a. (2012)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 32 Kohortenstudien, 12 Fall-Kontroll-Studien
Teilnehmer insgesamt: ca. 1 Million
Fragestellung: Auswirkung von Alkoholkonsum auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Mögliche Interessenkonflikte: keine

Roerecke M, Rehm J. The cardioprotective association of average alcohol consumption and ischaemic heart disease: a systematic review and meta-analysis. Addiction. 2012 Jul;107(7):1246-60. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[5] Fillmore u.a. (2006)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 54 Kohortenstudien
Teilnehmer insgesamt: ca. 1 Million
Fragestellung: Auswirkung von Alkoholkonsum auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Mögliche Interessenkonflikte: keine

Fillmore KM, Kerr WC, Stockwell T, Chikritzhs T, Bostrom A. Moderate alcohol use and reduced mortality risk: Systematic error in prospective studies. Addiction Res Theory. 2006;14:101-132 (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[6] Huang u.a. (2014)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 9 Kohortenstudien
Teilnehmer insgesamt: 394.840 Teilnehmer
Fragestellung: Auswirkung von Alkoholkonsum auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die Gesamtsterblichkeit bei Menschen mit Bluthochdruck
Mögliche Interessenkonflikte: keine angegeben

Huang C, Zhan J, Liu YJ, Li DJ, Wang SQ, He QQ. Association between alcohol consumption and risk of cardiovascular disease and all-cause mortality inpatients with hypertension: a meta-analysis of prospective cohort studies.Mayo Clin Proc. 2014 Sep;89(9):1201-10.(Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[7] Mukamal MD (2013). Overview of the risks and benefits of alcohol consumption. In Rind DM (ed.). UpToDate. Abgerufen am 7. 10. 2013 unter http://www.uptodate.com/contents/overview-of-the-risks-and-benefits-of-alcohol-consumption

[8] Saitz R (2013). Screening for unhealthy use of alcohol and other drugs. In Hermann R (ed.). UpToDate. Abgerufen am 8. 10. 2013 unter http://www.uptodate.com/contents/screening-for-unhealthy-use-of-alcohol-and-other-drugs

Ursprünglich veröffentlicht am 15.10.2013; aktualisierte Version: Die Suche nach aktuellen Studien brachte geringfügige Änderungen.

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