Startseite ● Quarantäne: wirksam gegen die Corona-Pandemie Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. Quarantäne: wirksam gegen die Corona-Pandemie Um die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern, werden viele Menschen in Quarantäne geschickt. Durch diese vorsorgliche Maßnahme lassen sich wohl COVID-19-Infektionen verhindern. 09. April 2020 AutorIn: Julia Harlfinger Review: Bernd Kerschner Barbara Nußbaumer-Streit Teilen Ist die Quarantäne von Personen, die Kontakt mit Infizierten hatten oder aus Risikogebieten einreisen, eine wirksame Maßnahme, um die Zahl an COVID-19-Infektionen und -Todesfällen zu senken? möglicherweise Die Auswertung von 29 Studien legt nahe, dass durch Quarantäne COVID-19-infektionen und Todesfälle verhindert werden können. Die Aussagekraft der bisherigen Studien ist dadurch herabgesetzt, dass zum Coronavirus bisher nur mathemathische Modellerierungsstudien vorliegen. Beobachtungsstudien und Modellrechnungen zu den verwandten Erkrankungen SARS und MERS zeigen jedoch weitgehend dasselbe: Die vorsorgliche Absonderung von eventuell Infizierten dürfte wirksam sein, inbesondere wenn die Maßnahme früh ergriffen werden. Als alleinige Maßnahme ist die Quarantäne wahrscheinlich nicht ausreichend, um die Pandemie nachhaltig einzudämmen. so arbeiten wir Quarantäne: Hoher Preis für die einzelnen, doch wichtige Anti-Pandemie-Maßnahme. Dieser Beitrag ist Teil unserer Faktencheck-Serie Mythen und Fakten zum Coronavirus Gegen die vom Coronavirus verursachte Krankheit COVID-19 gibt es derzeit noch keine Impfung. Ebenso fehlt eine ursächliche Anti-Viren-Behandlung mit speziellen Arzneien. Daher sind derzeit nicht-medikamentöse Maßnahmen zur Vorbeugung und Kontrolle gefragt. Sie sollen verhindern, dass sich die Infektionskrankheit noch rascher und weiter verbreitet. Infektionskette unterbrechen Schätzungen zufolge steckt eine infizierte Person rund drei weitere Menschen mit COVID-19 an, wenn keine Maßnahmen getroffen werden. Und so setzen viele Länder auf die vorsorgliche Quarantäne von möglicherweise infizierten Personen. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt die Quarantäne als Vorsorgemaßnahme. Unter Quarantäne gestellt werden beispielsweise Menschen, die zwar keine COVID-19-Symptome zeigen und sich gesund fühlen, aber Kontakt mit Verdachts- oder bestätigen Fällen hatten aus Risikogebieten mit hoher Ansteckungsgefahr einreisen in Risikogebieten mit hoher Übertragungswahrscheinlichkeit leben Quarantäne bedeutet, dass sich diese Menschen zur Vorbeugung vollständig abschotten müssen und für begrenzte Zeit keinen Kontakt zu anderen ungeschützten Personen haben dürfen. Sie sollen dies auch dann tun, wenn im Laufe der ganzen Zeit keine COVID-19-Krankheitssymptome auftreten. Damit ist eine Quarantäne deutlich strenger als die derzeit etwa in Östereich allgemeine Anweisung („Ausgangsbeschränkungen“), Abstand zu anderen Menschen zu halten und nur in dringenden Fällen das eigene Heim zu verlassen (Stand: 9. April 2020). Wie wirksam ist die Abschottung? Doch wie wirksam sind die derzeit weltweit eingesetzten Quarantäne-Maßnahmen? Haben sie einen messbaren Nutzen, indem sie Infektionen und Todesfälle verhindern? Schließlich bedeutet die vorsorgliche Isolation einen massiven Eingriff in das Leben von einzelnen Personen. Die Quarantäne von vielen Bürgerinnen und Bürgern hat auch für den Rest der Gesellschaft weitreichende Folgen. Man denke etwa an den Ausfall von Gesundheitspersonal, das seine Quarantäne „absitzt“ statt zu arbeiten. Studien bekräftigen Annahme In einer am 8. April 2020 erschienenen Übersichtsarbeit [1] hat ein Forschungsteam von Cochrane Österreich die weltweit verfügbaren Studien zu diesem Thema gesucht, bewertet und zusammengefasst. Das Ziel dieser Arbeit: bestmöglich gesichertes Wissen darüber, wie wirksam verschiedene Quarantäne-Formen bei der Bekämpfung von COVID-19 sind. Insgesamt konnte das Forschungsteam 29 Studien finden. In ihrer Zusammenschau kamen die Forscherinnen und Forscher zu dem Schluss, dass Quarantäne eine wirksame Maßnahme sein dürfte. Sie berichten, dass durch Quarantäne von Personen, die Kontakt mit Infizierten hatten, möglicherweise ungefähr 44% bis 81% der Infektionen und etwa 31% bis 63% der Todesfälle verhindert werden könnten. Diese Wirkung dürfte umso größer sein, je früher Quarantäne-Maßnahmen eingeführt werden. Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Quarantäne von rückkehrenden Reisenden aus Risikogebieten dazu beitragen kann, die Ausbreitung einzudämmen. Der Effekt war aber sehr klein. Das legen zumindest zwei Studien aus 2002 und 2003 nahe, die diese Form der Quarantäne während des SARS-Ausbruchs untersuchten. Unsicherheit durch Wissenslücken Die Aussagekraft der Übersichtsarbeit ist allerdings eingeschränkt, da zu COVID-19 selbst derzeit noch keine Beobachtungsstudien zur Verfügung stehen. Bei den 10 Studien direkt zu COVID-19 handelt es sich um mathematische Modellierungen, die mit gewissen Unsicherheiten behaftet sind. Zusätzlich schloss das Forschungsteam Studien zu anderen Coronaviren ein (MERS; SARS). Diese sind zwar nahe mit dem für COVID-19 verantwortlichen Virus verwandt, lassen aber nur indirekte Schlüsse zu. Trotz einiger Unsicherheiten zeigen die Studien – unabhängig von Virentyp und Studiendesign – in dieselbe Richtung. Sie unterstützen die Annahme, dass der vorsorgliche Rückzug von möglicherweise Infizierten aus dem öffentlichen Leben ein wichtiger Beitrag ist, um die Pandemie einzudämmen. Quarantäne alleine ist zu wenig Das Forschungsteam betont allerdings: Auch wenn eine frühe und strenge Quarantäne wirksam zu sein scheint – als alleinige Maßnahme zur Eindämmung der aktuellen COVID-19-Pandemie ist sie wahrscheinlich nicht ausreichend. Erst gemeinsam mit anderen Maßnahmen dürfte sich der größtmögliche Effekt für die Bevölkerung zeigen. Dazu zählen beispielsweise Abstandhalten (social/physical distancing), rasche Isolierung bestätiger Infektionsfälle, Schließung von Schulen und Universitäten und Reisebeschränkungen. Das Autorenteam empfiehlt außerdem, dass Entscheidungsträgerinnen und -träger die dynamische und komplexe Situation genau beobachten und immer wieder neu bewerten. Denn Anti-Corona-Maßnahmen wie Quarantäne haben sowohl Nutzen als auch Risiken und Kosten, beides muss gegeneinander abgewogen werden. Offen bleibt die Frage wie und wann Quarantäne-Maßnahmen wieder gelockert werden sollen. Dies kann auf Basis dieses Reviews nicht beantwortet werden. Mehr Information rund um Corona Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 (severe acute respiratory syndrome coronavirus-2) wird von Mensch zu Mensch übertragen. Die Ansteckung erfolgt nach aktuellem Stand des Wissens über Tröpfchen (z. B. Husten, Niesen) und kontaminierte Objekte. Die meisten Menschen haben einen eher milden Krankheitsverlauf, der manchmal mit der Grippe verglichen wird. Es gibt es auch sehr schwere bis tödliche Verläufe. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die Corona-Krise im März 2020 zur Pandemie erklärt. Mehr gesicherte Information zu COVID-19 finden Sie u.a. hier: Medizin-Transparent: Corona-Schwerpunkt zu Mythen und Fakten rund um COVID-19 www.gesundheitsinformation.de: diverse Themen rund um COVID-19 (Vorbeugung, Unterschied zu Heuschnupfen, weiterführende Quellen) Science Media Center Germany Medwatch AGES, Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit Die Studien im Detail Das Forschungsteam [1] kam zu dem Schluss, dass Quarantäne wirksam sein dürfte: Sie bewirkt wohl, dass es zu deutlich weniger Infektionen und Todesfällen kommt. In die Zusammenschau der weltweit verfügbaren wissenschaftlichen Arbeiten sind unterschiedliche Studienformen eingeflossen: 10 mathematische Modellierungen direkt zu COVID-19; 4 Beobachtungsstudien mit über 178.000 Personen zu SARS und MERS sowie 15 mathmatische Modellierungen zu SARS und MERS – insgesamt 29 Studien. Die Modellierungen bzw. Beobachtungstudien wurden mit Personen und Szenarien aus Asien, Europa und Nordamerika durchgeführt. Basis einer Studie waren Daten vom Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“. Die Aussagekraft der zusammengefassten Ergebnisses ist aufgrund mehrerer Faktoren herabgesetzt: Einerseits sind viele wichtige Kennzahlen rund um SARS-CoV-2 noch nicht gesichert, zum Beispiel die Basis-Reproduktionsrate („Wie viele weitere Menschen werden durch eine infizierte Person angesteckt?“), die Wahrscheinlichkeit zu versterben („Case Fatality Rate“) oder die Zeitspanne, über die eine infizierte Person eine andere anstecken kann. Daher müssen COVID-19-Modellrechnungen mit mehr oder weniger gut untermauerten Annahmen arbeiten. Andererseits können Beobachtungsstudien und mathmatische Modellierungen zu den verwandten Coronaviren SARS und MERS „nur“ indirekte Hinweise liefern. Trotz der methodischen Schwächen deuten die Studien überwiegend in eine Richtung: Die Abschottung von möglicherweise infizierten Personen ohne Symptome scheint die Anzahl der Infektionsfälle und der Todesfälle zu reduzieren – inbesondere wohl bei einem frühen Start und in Kombination mit anderen Maßnahmen wie Schulschließungen und Abstandhalten im öffentlichen Raum (social/physical distancing). Wissenschaftliche Quellen [1] Nußbaumer-Streit u.a. (2020) Nussbaumer-Streit B, Mayr V, Dobrescu AI, Chapman A, Persad E, Klerings I, Wagner G, Siebert U, Christof C, Zachariah C, Gartlehner G. Quarantine alone or in combination with other public health measures to control COVID-19: a rapid review. Cochrane Database Syst Rev. 2020 Apr 8;4:CD013574. (Übersichtsarbeit in voller Länge) [2] Wissens was wirkt (2020) Was bringen Quarantänemaßnahmen gegen COVID-10. Ein neuer Cochrane Rapid Review sucht nach Antworten. Abgerufen am 9.4.2020 unter www.wissenwaswirkt.org Schlagworte CoronavirusCovid-19EpidemiePandemieQuarantäne In über 500 Faktenchecks suchen