Passionsblume: Wirkung als Beruhigungsmittel nicht belegt

Auch wenn die Werbung anderes behauptet: Die Wirkung der Passionsblume als Beruhigungsmittel ist nicht belegt – egal ob gegen Angst oder Schlafstörungen.

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Review:  Bernd Kerschner 

Hilft das Extrakt aus der Passionsblume gegen Angst, Unruhe oder Schlafstörungen?

Passionsblumen-Extract ist als Arzneimittel zugelassen, wie etwas in Österreich die Medikamente Passedan und Pascoflair. Doch unsere Recherche ergab: Bisherige Studien zu dem Extrakt haben große Mängel und sind nicht aussagekräftig. Eine beruhigende, angstlösende oder schlaffördernde Wirkung können sie nicht belegen.

so arbeiten wir
© Harry Adam - iStock Die Passionsblume: Hübsch und gleichzeitig gut für die Nerven?
© Harry Adam – iStock

Sie gilt als natürliches Mittel gegen Angst, Unruhe und Schlafprobleme: die Passionsblume. Der Passionsblume wurde schon vor zweihundert Jahre eine beruhigende Wirkung zugeschrieben. Aus diesem Grund ist das Extrakt aus Passiflora incarnata, wie die Pflanze auf Lateinisch heißt, in Österreich sogar als traditionelles Arzneimittel zugelassen. Am bekanntesten sind in Österreich wohl die Medikamente Passedan und Pascoflair. Auch die Firma Dr. Böhm hat mit Passionsblume 450mg ein entsprechendes Präparat im Sortiment.

Gemeinsam mit Homöopathika und anthroposophischen Mitteln bilden die traditionellen pflanzlichen Arzneimittel in Österreich eine kuriose Ausnahme im sonst so strengen Arzneimittelgesetz: Präparate, die in eine dieser drei Kategorien fallen, müssen – anders als herkömmliche Arzneimittel – ihre Wirksamkeit nicht in klinischen Studien unter Beweis stellen. Ihr Einsatz beruht lediglich auf „traditionell überliefertem Wissen“.

Wenn die Passionsblume schon so lange zum Einsatz kommt, müsste sie doch mittlerweile auch wissenschaftlich untersucht sein – oder? Das dachte sich zumindest eine Leserin von Medizin transparent und bat uns um einen wissenschaftlichen Faktencheck.

Passionsblume: Wirkung nicht nachgewiesen

Bei unserer ausgiebigen Suche in drei wissenschaftlichen Datenbanken stießen wir auf vier prinzipiell geeignete Studien, in denen das Extrakt aus der Passionsblume untersucht wurde: In einer Studie [1] nahmen es die Teilnehmenden gegen Schlafstörungen ein, in den anderen drei [2-4] gegen Angst und Nervosität kurz vor chirurgischen Eingriffen. (Was wir mit „geeignete Studien“ meinen, erklären wir weiter unten im Abschnitt „Die Studien im Detail“.) Überzeugen könnten sie uns nicht: Alle Studien hatten gravierende Mängel und sind wenig vertrauenswürdig (auch dazu mehr im Abschnitt „Die Studien im Detail“).

Auch die Herstellerfirma des Medikaments Passedan bestätigte auf unsere Nachfrage: Studien, die eine Wirksamkeit der Passionsblume belegen können, gibt es nicht.

Was alles unklar ist

In zwei der vier von uns gefundenen Studien zeigte das Extrakt aus der Passionsblume nicht mehr Wirkung als ein Schein-Medikament (Placebo) [1,2]. In den anderen beiden berichten die Forschenden von weniger Angst durch Passionsblumen-Extrakt [3,4]. Die Ergebnisse sind also uneinheitlich.

Gar keine Studien gefunden haben wir zu länger andauernder Unruhe und Angst. Denn eine Wirkung über mehr als ein bis zwei Stunden wurde nie untersucht.

Unklar bleibt daher, ob die Passionsblume eine anhaltende Wirkung hat. Etwa, ob es Menschen mit Angststörungen oder wiederkehrenden Panikattacken hilft, wenn sie es regelmäßig einnehmen.

Risiko für Nebenwirkungen eher gering

Der Beipacktext des Medikaments Passedan zum Beispiel weist darauf hin, dass eine Beeinträchtigung der Verskehrtüchtigkeit möglich ist. Auch Schwangeren im letzten Schwangerschaftsdrittel wird die Einnahme nicht empfohlen, weil das Extrakt unter Verdacht steht, wehenfördernd zu wirken [8].

Andere Nebenwirkungen dürften unwahrscheinlich sein [8]. Die Einnahme von Mitteln mit Passionsblume scheint also zumindest sicher.

Auch die Studienteilnehmenden berichteten ungefähr gleich häufig von unerwünschten Wirkungen – und zwar unabhängig davon, ob sie das Passionsblumen-Extrakt bekommen hatten oder ein Placebo.

Beruhigende Passionsblume: Woher kommt die Idee?

Erste Hinweise auf einen beruhigenden Effekt der Passionsblume lieferten Beobachtungen an Mäusen. Die schienen weniger ängstlich zu sein, nachdem man ihnen das Extrakt verabreicht hatte [7].

Weitere Forschung ließ außerdem vermuten, dass Inhaltsstoffe der Passionsblume an einen bestimmten Rezeptor im Gehirn andocken, über den auch bekannte Beruhigungsmittel wirken (die sogenannten Benzodiazepine, zu denen beispielweise auch Valium oder Dormicum gehören) [7].

Doch auch angesichts dieser Forschungsergebnisse sind Studien mit menschlichen Teilnehmenden notwendig, um eine Wirksamkeit eindeutig nachzuweisen. Immerhin funktionieren Mäuse-Körper nicht genauso wie menschliche Körper.

Wenn Angst krank macht

Wer vor einer Operation, einer Prüfung oder einem anderen belastenden Ereignis ängstlich und nervös ist, ist damit nicht allein. Angst ist vollkommen normal und hat oftmals gute Gründe. Bei manchen Menschen jedoch verselbstständigt sich die Angst und wird so stark, dass sie das tägliche Leben einschränkt. Es ist manchmal eine Angst ohne greifbaren Auslöser, vielmehr ein ständiges Gefühl der Unruhe, Sorge und Anspannung. Fachleute sprechen dann von einer generalisierten Angststörung [5].

Angststörungen können jedoch auch andere Formen annehmen: Panikattacken zum Beispiel oder Phobien. Menschen mit Phobien haben vor bestimmten Dingen oder Situationen derart starke Angst, dass sie dadurch im Alltag eingeschränkt sind.

Was hilft gegen die Angst?

Ob die Passionsblume Menschen mit einer Angststörung helfen kann, ist unerforscht. Wir fanden keine Studie an denen Betroffene teilnahmen.

Was aber helfen kann: Psychotherapie, besonders die Kognitive Verhaltenstherapie. Bei leichten Formen vielleicht auch Entspannungstechniken. Auch bestimmte Medikamente gegen Depression sind einen Versuch wert. Beruhigungsmittel wie Benzodiazepine können akut Linderung verschaffen, sollten jedoch nur kurzeitig zum Einsatz kommen, da sie stark abhängig machen [6].

Mehr Informationen dazu, welche Angststörungen es gibt und wie sie behandelt werden, hat das Portal Gesundheit.gv.at.

Verlässliche Informationen speziell zur generalisierten Angststörung bietet außerdem Gesundheitsinformation.de.

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

Wirkt die Passionsblume gegen Angst? Die ideale Studie, die das beantworten könnte, sähe so aus: Eine möglichst große Anzahl von Menschen wird per Los auf zwei Gruppen aufgeteilt. Beispielsweise könnten alle Teilnehmenden ein Ereignis vor sich haben, vor dem sie Angst haben, etwa eine Prüfung oder eine Operation. Oder aber es nehmen Menschen teil, die unter Angststörungen leiden.

Die eine Gruppe nimmt Passionsblumen-Extrakt ein, die andere ein Wirkstoff-freies Placebo. Niemand weiß, wer welcher Gruppe angehört – weder die Teilnehmenden noch die Forschenden. Man sagt auch, die Studie ist „verblindet“.

Zu Beginn der Studie und am Ende geben die Teilnehmenden an, wie ängstlich sie sich fühlen. Dann wird verglichen: Welche Gruppe ist angstfreier und beruhigter – die Passionsblumen- oder die Placebogruppe?

Demselben Prinzip würden auch Studien zum schlaffördernden Effekt der Passionsblume folgen. Nur dass in diesem Fall Menschen mit Schlafproblemen daran teilnehmen und verglichen wird, welche Gruppe besser schläft.

Wir fanden vier solche Placebo-kontrollierten Studien: eine zum schlaffördernden, und drei zum angstlösenden Effekt von Passionsblume.

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Sämtliche Studien, die wir für diesen Faktencheck berücksichtigt haben, weisen schwere Mängel auf und sind wenig vertrauenswürdig:

  • Es fehlen teilweise wichtige Informationen und Daten, und das macht uns misstrauisch. Bei einer der Studien [2] können wir beispielsweise nicht nachvollziehen, wann die Teilnehmenden das Passionsblumen-Extrakt bekamen. Auch die Art, mit der die Forschenden die Intensität der Angst erfragten, halten wir für nicht verlässlich. Manchmal fehlt die Angabe wichtiger Daten – so lassen sich die Ergebnisse nicht nachvollziehen.
  • In manchen der Studien hatten die Teilnehmenden der Passionsblumen-Gruppe zu Beginn mehr Angst als die Kontrollgruppe, oder diese wichtigen Informationen fehlten gänzlich. Unterschiede zu Beginn schaffen unfaire Startbedingungen und machen die Gruppen schlecht vergleichbar.
  • Teilweise bleibt unklar, wie die Teilnehmenden den Gruppen zugeordnet wurden und ob das wirklich zufällig geschah. Nur durch eine zufällige Zuteilung wäre sichergestellt, dass es vor Studienbeginn keine Unterschiede zwischen den Gruppen gibt.
  • Bei einer Studie [3] sind wir außerdem unsicher, ob die Teilnehmenden wussten, dass sie das Placebo bekamen – es handelte sich dabei nämlich um reines Trinkwasser. Es ist also möglich, dass die Teilnehmenden der Passionsblumen-Gruppe nur deshalb besser abschnitt als die der Placebo-Gruppe, weil sie an eine Wirkung glaubten – dass also nur der Placebo-Effekt für die scheinbare Wirksamkeit verantwortlich war.
  • In einer der Studien [3] halten wir wiederum die verwendeten statistischen Methoden für nicht geeignet.
  • Hinzu kommt, dass in den Studien unterschiedliche Dosierungen zum Einsatz kamen. Das macht es schwierig, die Ergebnisse miteinander zu vergleichen.

Welche Studien haben wir nicht berücksichtigt?

Bei unserer Recherche berücksichtigten wir ausschließlich Studien, die Passionsblumen-Extrakt mit einem Placebo verglichen. Wir fanden zwar auch Studien, die das Extrakt mit einem gängigen Beruhigungsmittel vergleichen. Diese Studien können allerdings nicht den Placeboeffekt ausschließen: Schließlich ist es denkbar, dass sowohl das Passionsblumen-Extrakt als auch das Beruhigungsmittel nur wirkte, weil die Teilnehmenden an eine Wirkung glauben. Deshalb halten wir solche Vergleiche für nicht geeignet, unsere Frage zu beantworten.

Auch Studien zu Tee aus der Passionsblume haben wir nicht berücksichtigt.

[1] Lee, J., et al. (2020). Effects of Passiflora incarnata Linnaeus on polysomnographic sleep parameters in subjects with insomnia disorder: a double-blind randomized placebo-controlled study. International clinical psychopharmacology 35(1): 29‐35. (Link zur Studie)

[2] da Cunha RS, et al. (2021). Herbal medicines as anxiolytics prior to third molar surgical extraction. A randomized controlled clinical trial. Clin Oral Investig.;25(3):1579-1586. (Link zur Studie)

[3] Aslanargun, P., et al. (2012). Passiflora incarnata Linneaus as an anxiolytic before spinal anesthesia. Journal of anesthesia 26(1): 39‐44. (Link zur Studie)

[4] Movafegh, A et al. (2008). Preoperative Oral Passiflora Incarnata Reduces Anxiety in Ambulatory Surgery Patients: A Double-Blind, Placebo-Controlled Study. Anesthesia & Analgesia 106(6):p 1728-1732. (Link zur Studie)

[5] Gesundheitsinformation.de (2021)
Generalisierte Angststörung. Abgerufen am 14.11.2023 unter https://www.gesundheitsinformation.de/generalisierte-angststoerung

[6] Gesundheitsinformation.de (2021)
Behandlungsmöglichkeiten bei generalisierter Angststörung. Abgerufen am 14.11.2023 unter https://www.gesundheitsinformation.de/behandlungsmoeglichkeiten-bei-generalisierter-angststoerung.html

[7] Miroddi M, et al. (2013). Passiflora incarnata L.: ethnopharmacology, clinical application, safety and evaluation of clinical trials. J Ethnopharmacol.;150(3):791-804. (Link zur Publikation)

[8] ESCOP Monographs: Passiflorae herba (2023)
Abgerufen am 15.11.2023 unter https://escop.com/downloads/passiflorae-herba-passionflower-herb/

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