Omega-3 und Co: kein Wundermittel gegen ADHS

Werden Kinder mit ADHS durch die Einnahme mehrfach ungesättigter Fettsäuren wie Omega-3 und Omega-6 ruhiger und konzentrierter? Studienergebnisse sprechen eher dagegen.

AutorIn:
Review:  Julia Harlfinger 

Verringert die Einnahme von mehrfach ungesättigten Fettsäuren, wie etwa Omega-3 und Omega-6, die Symptome von ADHS bei Kindern?

Bisherige Studien deuten an, dass Präparate mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren (zum Beispiel Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren) eher keinen merklichen Einfluss auf das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) haben. Die Qualität der Studien reicht jedoch nicht aus, um definitive Antworten zu liefern.

so arbeiten wir
© Tatyana Dzemileva - Shutterstock.com Bei der Sache zu bleiben und still zu sitzen, fällt Kindern mit ADHS meist schwer.
© Tatyana Dzemileva – Shutterstock.com

Ungefähr 5 von 100 Kindern leben mit der Diagnose ADHS. Das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom stellt eine Herausforderung für Betreuungspersonen dar. Aber auch die betroffenen Kinder haben durch die Aufmerksamkeitsstörung oft Schwierigkeiten in der Schule und in ihren sozialen Beziehungen.

Kinder mit ADHS handeln häufig impulsiv. Es fällt ihnen schwer, sich zu konzentrieren oder auf etwas zu warten. Hinzu kommt oft, aber nicht immer, ein starker Bewegungsdrang. Helfen kann zum Beispiel eine Verhaltenstherapie. Es kommen auch Medikamente wie Methylphenidat zum Einsatz (bekannter unter dem Markennamen „Ritalin“). Wie ADHS entsteht, ist nicht vollständig geklärt, die Gene dürften allerdings eine wichtige Rolle spielen.

ADHS: Mangel an Omega-Fettsäuren?

Einige Studien berichteten von auffällig geringen Mengen der mehrfach ungesättigten Fettsäuren Omega-3- und Omega-6 im Blut von Kindern mit ADHS [3]. Das bedeutet nicht automatisch, dass die fehlenden Fettsäuren auch die Ursache für die Störung sind. Dennoch vermuten manche Fachleute, dass Präparate mit solchen mehrfach ungesättigten Fettsäuren bei ADHS helfen könnten.

Solche Präparate sind meist in Form von Kapseln mit Fischöl, das besonders viel Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren enthält, erhältlich. Doch werden betroffene Kinder tatsächlich ruhiger und konzentrierter, wenn sie regelmäßig diese Präparate schlucken?

Die Ruhe selbst dank Fisch-Öl?

Diese Frage trieb das Forschungsteam einer aktuellen Übersichtsarbeit um [1]. Das Team fasste die Ergebnisse sämtlicher Studien zusammen, die untersucht haben, ob mehrfach ungesättigte Fettsäuren die Symptome von ADHS lindern können. Das Ergebnis: ein vorsichtiges „eher nein“.

Studien von schlechter Qualität

Warum die Vorsicht bei der Aussagekraft? Obwohl es schon viel Forschung zum Thema gibt, sind gut gemachte und damit verlässliche Studien noch immer Mangelware. In allen Studien bekamen die teilnehmenden Kinder eine Zeit lang entweder Omega-Fettsäuren-Präparate oder ein Schein-Präparat (Placebo), beziehungsweise gar kein Präparat. Alle Kinder bekamen, unabhängig von ihrer Gruppenzuteilung, je nach Bedarf oft noch zusätzlich eine etablierte Therapie.

Eltern und Lehrpersonen beurteilten anschließend das Verhalten der Kinder. Das Problem war allerdings: In vielen Studien wussten die beurteilenden Personen, welche Kinder das Omega-Fettsäuren-Präparat und welche das Placebo einnahmen. Das kann die subjektive Einschätzung verzerrt haben.

Insgesamt scheinen die Präparate Kinder mit ADHS nicht ruhiger und konzentrierter zu machen. Das Ergebnis ist aber nicht gut abgesichert und könnte sich durch weitere Studien noch ändern.

Nebenwirkungen nicht zu erwarten

Vermutete Nebenwirkungen wie Durchfall oder Übelkeit kamen bei allen teilnehmenden Kindern etwa gleich häufig vor. Die Fettsäuren-Präparate scheinen also für Kinder sicher zu sein.

ADHS: eine häufige Diagnose

Das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom gehört zu den häufigsten Verhaltensstörungen von Kindern. In Deutschland bekommen etwa 5 von 100 Kindern die Diagnose ADHS, Buben bis zu vier Mal so häufig wie Mädchen [2,3]. Ob die Störung bei Mädchen tatsächlich seltener ist oder ob sie nur seltener erkannt wird, ist unklar.

Unklar ist auch, wie viele Kinder fälschlicherweise die Diagnose ADHS erhalten: Untersuchungen aus Deutschland deuten etwa darauf hin, dass nur 1 bis 2 von 100 Kindern auch die formalen Diagnosekriterien für die Störung erfüllen [2].

Das Leben und Lernen mit ADHS kann für das betroffene Kind selbst und seine Eltern, Geschwister und Lehrpersonen belastend sein. Helfen können psychosoziale Maßnahmen, etwa Verhaltenstherapien und Unterstützung in der Schule. Manchmal lernen die Kinder und ihre Betreuungspersonen, ohne Behandlung mit der Störung umzugehen.

Von Verhaltenstherapie bis Medikamente

In einigen Fällen sind jedoch Medikamente notwendig. Medikamente wie Methylphenidat („Ritalin“) erhöhen die Menge des Botenstoffes Dopamin im Gehirn und verbessern auf diese Weise die Konzentrationsfähigkeit. Natürlich sind die Medikamente nicht ohne Nebenwirkungen [2].

Eltern sind deshalb oft auf der Suche nach weniger belastenden Behandlungsmethoden, wie etwa mit bestimmten Vitaminen und Spurenelementen. Ob zum Beispiel Zink und Magnesium bei ADHS helfen können, haben wir uns in einem anderen Beitrag bereits näher angesehen.

Fischige Angelegenheit

Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren gehören zu den mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Im Englischen heißen sie polyunsaturated fatty acids und werden meist mit PUFAs abgekürzt. Für den Körper sind sie lebensnotwendig. Im Gegensatz zu gesättigten oder einfach ungesättigten Fettsäuren kann er sie aber nicht selbst herstellen. Deshalb müssen die mehrfach ungesättigten Fettsäuren aus der Nahrung kommen: In fettem Fisch wie Lachs oder Makrele sind sie enthalten, aber auch in Nüssen, Ölen und Soja [4].

Im Drogeriemarkt und in der Apotheke sind mehrfach ungesättigte Fettsäuren meist in Form von Omega-3 und Omega-6-Fettsäuren als Kapseln erhältlich. Anbieter solcher Präparate gibt es viele, und die Bandbreite der gesundheitlichen Versprechen ist groß.

Eines der hartnäckigsten Gerüchte ist vermutlich, dass Präparate mit Omega-3-Fettsäuren Herz und Kreislauf schützen. Studienergebnisse sprechen jedoch klar gegen eine solche Schutzwirkung, wie wir hier bereits berichtet haben. Auch bei Schuppenflechte (Psoriasis) sind derartige Präparate möglicherweise wirkungslos. Ob sie bei Depression helfen können, ist unklar, das ist wissenschaftlich noch unzureichend erforscht.

Die Studien im Detail

Bei unserer Suche in zwei wissenschaftlichen Datenbanken fanden wir eine gut gemachte Übersichtsarbeit, die 2021 erschienen ist [1]. Darin sind die Ergebnisse von 24 einzelnen Studien zusammenfasst. Wir gehen davon aus, dass sie den aktuellen Stand der Wissenschaft spiegelt.

Teilgenommen haben insgesamt 1.755 Kinder zwischen sechs bis 18 Jahren aus der ganzen Welt. Alle Kinder hatten die Diagnose ADHS, und der Großteil von ihnen war männlich, an einigen Studien nahmen überhaupt keine Mädchen teil.

Die Kinder wurden per Los einer von zwei Gruppen zugeteilt: Eine Gruppe nahm täglich ein Präparat mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren ein – entweder nur Omega-3, nur Omega-6 oder eine Kombination aus beiden. In den meisten Studien waren das Kapseln, in manchen Kautabletten oder Öl, das die Kinder mit Löffeln einnahmen. Die andere Gruppe bekam ein gleichaussehendes Placebo oder gar kein Präparat. Viele Kinder bekamen unabhängig von der Studie die üblichen Formen der Unterstützung, etwa Verhaltenstherapien und Medikamente.

Die Studien dauerten zwischen acht Wochen und einem Jahr. Am Ende gaben die Eltern und die Lehrerinnen und Lehrer der Kinder Auskunft darüber, ob sich die ADHS-Symptome gebessert hatten, also etwa ob die Kinder ruhiger und konzentrierter geworden waren.

Kein merklicher Unterschied durch die Omega-Fettsäuren

Die Ergebnisse der Studien sind widersprüchlich:

  • In fünf der 24 Studien berichteten die jeweiligen Forschungsteams von einer Besserung der Symptome in der Omega-Fettsäuren-Gruppe, zumindest wenn die Eltern das Verhalten der Kinder beurteilten. Lehrpersonen berichteten in nur einer der Studien von einer Besserung der Symptome in der Omega-Fettsäuren-Gruppe.
  • In den restlichen Studien zeigte sich am Ende kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Egal ob Omega-Fettsäuren-Präparate oder Placebo, alle Kinder zeigten ähnlich starke ADHS-Symptome.
  • Bei genauer Betrachtung zeigt sich: Die am besten durchgeführten, verblindeten Studien zeigen keinen oder sogar einen negativen Effekt der Omega-Fettsäuren-Präparate auf das Verhalten der teilnehmenden Kinder.

Das Team der Übersichtsarbeit fasste die Ergebnisse aller 24 Studien in einer sogenannten Metaanalyse zusammen. Das Ergebnis: Rein rechnerisch gab es insgesamt zwar eine Verbesserung in der Omega-Fettsäuren-Gruppe. Diese war aber so gering, dass sie höchstwahrscheinlich nur auf dem Papier existiert und im Alltag nicht spürbar ist.

Diese minimale Verbesserung zeigte sich außerdem nur in der Befragung der Eltern der Kinder. Die befragten Lehrerinnen und Lehrer kamen insgesamt zu dem Ergebnis, dass die Omega-Fettsäuren-Präparate keinen Effekt auf das Verhalten der Kinder hatten.

Unser Vertrauen in dieses Ergebnis – also dass die Einnahme von Omega-Fettsäuren-Präparaten keine deutliche Auswirkung auf das Verhalten hat – ist nicht nur aufgrund der Widersprüchlichkeit der Einzelstudien gering. Denn in vielen der Studien wussten jene Personen, die das Verhalten der Kinder einschätzten, wer Omega-Fettsäuren bekam und wer nicht. Sie waren also nicht „verblindet“. Das kann sie beeinflusst und zu Fehleinschätzungen geführt haben.

Mehrfach ungesättigte Fettsäuren: keine Nebenwirkungen

Auch mögliche Nebenwirkungen wurden in den Studien untersucht. Präparate mit Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren scheinen sicher für Kinder zu sein. Nebenwirkungen wie Durchfall oder Übelkeit kamen in beiden Gruppen etwa gleich häufig vor.

[1] Händel u.a. (2021)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit
Studien: 24 randomisiert-kontrollierte Studien mit insgesamt 1.755 Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren
Fragestellung: Lindert die regelmäßige Einnahme von Präparaten mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren die Symptome eines Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) bei Kindern?
Interessenskonflikte: keine laut Forschungsteam

Händel MN, Rohde JF, Rimestad ML, Bandak E, Birkefoss K, Tendal B, Lemcke S, Callesen HE. Efficacy and Safety of Polyunsaturated Fatty Acids Supplementation in the Treatment of Attention Deficit Hyperactivity Disorder (ADHD) in Children and Adolescents: A Systematic Review and Meta-Analysis of Clinical Trials. Nutrients. 2021 Apr 8;13(4):1226.
(Studie in voller Länge)

[2] IQWiG (2018):
Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Abgerufen am 28.12.2021 unter www.gesundheitsinformation.de

[3] UpToDate (2021)
Krull KR. Attention deficit hyperactivity disorder in children and adolescents: Epidemiology and pathogenesis. In: UpToDate, Augustyn M (Ed), UpToDate, Waltham, MA.
Abgerufen am 28.12.2021 unter www.uptodate.com

[4] UpToDate (2021)
Mozaffarian D. Dietary fat. In: UpToDate, Freeman MW (Ed), UpToDate, Waltham, MA.
Abgerufen am 28.12.2021 unter www.uptodate.com

In über 500 Faktenchecks suchen