Startseite ● Nicotinamid-Mononukleotid (NMN): spekulative Versprechen Nicotinamid-Mononukleotid (NMN): spekulative Versprechen Nicotinamid-Mononukleotid (NMN) wird als Jungbrunnen in Pulverform beworben. Die Forschungslage dazu ist aber mehr als dürftig. 21. März 2024 AutorIn: Jana Meixner Review: Bernd Kerschner Teresa König Teilen Kann Nicotinamid-Mononukleotid – kurz NMN – das Leben verlängern oder die Gesundheit fördern? wissenschaftliche Belege fehlen Ob Nicotinamid-Mononukleotid gesünder macht, wurde bisher nur in zwei wenig aussagekräftigen Studien untersucht. Studien, die die angeblich lebensverlängernde Wirkung untersucht haben, fehlen komplett. Zum Einnehmen ist die Substanz derzeit nicht zugelassen. so arbeiten wir Im Trend: Jungbrunnen zum Schlucken. © iStock-Diamond Dogs Sie sind alles andere als neu: Pulver und Tabletten, die ein langes, gesundes Leben versprechen. Früher waren es die Multi-Vitamintabletten, heute sind es neu entdeckte Substanzen wie etwa das Spermidin oder – ganz neu – das sogenannte Nicotinamid-Mononukleotid. Besser bekannt ist die Substanz unter der leichter zu merkenden Abkürzung „NMN“. NMN ist eine Vorläufersubstanz von Stoffen, die in menschlichen Körperzellen eine wichtige Rolle als Energielieferanten spielen. Natürlicherweise kommt NMN zum Beispiel in unreifen Sojabohnen (Edamame), Brokkoli oder Gurken vor [2]. Als „Jungbrunnen“ in Pulver- und Kapselform soll NMN gesünder und vitaler machen, und das Leben verlängern – sagt zumindest die Werbung. Studien an Mäusen sollen Hinweise auf so eine Wirkung liefern [z.B. 3,6]. Aber reicht das aus, um dasselbe auch für Menschen zu behaupten? Forever young? Voreilige Behauptungen rund um NMN Die Behauptungen scheinen mehr als voreilig: Überzeugende Studien mit menschlichen Teilnehmenden konnten wir nicht finden. Nur zwei Studien haben überhaupt versucht, eine direkte Wirkung auf die Gesundheit zu untersuchen [1,2]. Dabei schätzten Teilnehmende sich selbst insgesamt gesünder ein, nachdem sie eine Zeit lang NMN in hohen Dosen eingenommen hatten. Beide Studien hatten aber nur wenige Teilnehmende und einige Mängel und Ungereimtheiten, die uns misstrauisch machen. (Mehr dazu im Abschnitt „Studien im Detail“.) Lebensverlängernde Wirkung: Jahrzehnte lange Studien notwendig Ob die regelmäßige Einnahme von NMN das Leben verlängern kann, bleibt vollkommen unklar. Das zu erforschen wäre allerdings auch gar nicht so einfach. Dazu wären sehr lang laufende Studien notwendig. Ob das Pulver tatsächlich hält, was Hersteller versprechen, könnten Studien also erst in Jahrzehnten beantworten. Sofern sie jemand durchführt. Auch Sicherheit noch unklar Nebenwirkungen wurden in den Studien [1,2] zwar keine beobachtet. Weil aber sowohl die Wirksamkeit als auch die Sicherheit der Einnahme noch unklar sind, darf NMN derzeit nicht als Nahrungsergänzungsmittel verkauft werden (Stand Februar 2024). Auf vielen Anbieter-Seiten finden sich deshalb Hinweise wie dieser: „Bei NMN (Nicotinamid Mononukleotid) handelt es sich nach deutschem und europäischem Recht um eine Chemikalie, die nicht für den menschlichen Verzehr geeignet ist.“ [4] Eine Anwendung dürfe daher nur zu Forschungszwecken erfolgen. Bei vielen Anbietern im Internet fehlt dieser Hinweis jedoch. Nicotinamid-Mononukleotid – was ist das eigentlich? Jede Körperzelle braucht Energie. Diese Energie stellen verschiedene Energiespeicher-Moleküle zur Verfügung – eines davon heißt zum Beispiel NAD. Diese Energiespeichermoleküle müssen im Körper allerdings erst aus anderen Stoffen hergestellt werden. Und hier kommt NMN ins Spiel: Denn aus NMN stellt der Körper das Energiespeichermolekül NAD her [5]. Deshalb mutmaßten manche Forschenden, mehr NMN bedeute auch mehr Energie für die Zellen. Im Moment ist das allerdings nicht mehr als eine Theorie. Vitale Mäuse: Kein Beweis für Wirkung im Menschen In Versuchen an Mäusen beobachteten Forschende zwar, dass NMN deren Leistungsfähigkeit erhöhen und Alterserscheinungen verringern kann [2,3,6]. Das bedeutet aber nicht, dass das Schlucken der Substanz NMN auch die Leistungsfähigkeit der Menschen erhöht. Denn menschliche Körper sind anders als Mäuse-Körper. Und schon gar nicht lässt sich daraus schließen, dass NMN das Leben verlängern kann. Derzeit nur Spekulation Bei Menschen scheint mit steigendem Alter die Menge des Energiespeicher-Moleküls NAD im Blut immer mehr abzunehmen. Doch eine altersbedingt sinkende Menge rechtfertigt nicht den Umkehrschluss, mehr NAD im Blut könnten den Alterungsprozess aufhalten. Ebenso wenig wie das Färben von altersbedingt ergrautem Haar die Jugend zurückbringen kann. Die Studien im Detail Nach welchen Studien haben wir gesucht? Eine lebensverlängernde Wirkung zu untersuchen ist schwierig, aber nicht unmöglich. Die ideale Studie müsste so aussehen: Eine große Anzahl von Menschen wird per Los auf zwei Gruppen aufgeteilt (randomisiert). Die eine nimmt von nun an täglich NMN ein, die andere ein gleich aussehendes und schmeckendes Placebo-Präparat. Weder die Forschenden noch die Studienteilnehmenden wissen, wer sich in welcher Gruppe befindet. Man nennt diese Art von Studie auch randomisiert-kontrollierte Studie. Diese Studie läuft nun mehrere Jahrzehnte lang, während die Forschenden jede Krankheit und jeden Todesfall unter den Teilnehmenden dokumentieren. Am Ende wird ausgewertet: Welche Gruppe ist gesünder, welche hatte im Durschnitt eine höhere Lebenserwartung? So eine Studie ist aufwändig und teuer. Dennoch wäre sie mehr als notwendig, um die Behauptung wissenschaftlich zu rechtfertigen, NMN könne das Leben verlängern. Unsere Recherche zu NMN legten wir großzügig an: In zwei Datenbanken suchten wir sowohl nach randomisiert-kontrollierten Studien als auch nach sogenannten Beobachtungsstudien. Bei letzteren werden die Teilnehmenden nicht per Los zugeteilt, sondern sie suchen sich selbst aus, ob sie NMN einnehmen oder nicht. Eine solche Studie ist zwar weniger aussagekräftig, aber dafür einfacher durchzuführen. Wichtig war uns, dass die Studien die direkten Auswirkungen des NMN auf die Gesundheit der Teilnehmenden untersuchten. Studien, in denen lediglich Blutwerte erhoben wurden, haben wir nicht berücksichtigt. Wie aussagekräftig sind die Studien? Wir fanden zwei randomisiert-kontrollierte Studien, in denen die Teilnehmenden mittels Fragebogen angaben, wie gesund sie sich fühlten. Beide wurden in Asien durchgeführt und verwendeten denselben Fragebogen. In der ersten Studie [1] nahmen 62 gesunde Teilnehmende zwei Monate lang 300 Milligramm NMN ein. Am Ende schätzten die Teilnehmenden beider Gruppen ihren Gesundheitszustand ähnlich gut ein. Das NMN schien also keinen deutlichen Effekt zu haben. In der zweiten Studie [2] wurden unterschiedliche Dosen von NMN getestet. Insgesamt 80 gesunde Teilnehmende schluckten ebenfalls zwei Monate lang entweder 300, 600 oder 900 Milligramm NMN, oder ein Placebo. Die Gruppen mit den höheren NMN-Dosen (600 bzw. 900 Milligramm) schienen am Ende gesundheitlich etwas besser abzuschneiden als die Placebo-Gruppe. In den Studien fanden wir allerdings einige Mängel und Ungereimtheiten: Unklare Auswertungs-Methode: Wie die beiden Studienteams den Gesundheitsfragebogen der Teilnehmenden auswerteten, ist für uns nicht nachvollziehbar. Im verwendeten Fragebogen (SF-36) können maximal 100 Punkte erzielt werden – was für beste Gesundheit spricht. Die Teilnehmenden in den Studien erreichten offensichtlich Werte von mehr als 100 Punkten. Mit welcher Auswertungsmethode die Forschenden zu solchen Ergebnissen kamen, bleibt jedoch unerwähnt. Unrealistische Daten: Die berichteten Testergebnisse in einer der Studien [2] halten wir für unglaubwürdig. Die Teilnehmenden begannen die Studie teilweise mit verdächtig schlechten Gesundheitswerten – die sich dann dank NMN dramatisch verbesserten. Und das, obwohl laut Studienteam nur gesunde Erwachsene mittleren Alters teilnahmen. Das macht uns misstrauisch. Von den Herstellerfirmen durchgeführt: Beide Studien [1,2] wurden von der Herstellerfirma des jeweils verwendeten Präparats durchgeführt. Dieser Interessenskonflikt hatte möglicherweise Einfluss auf die Durchführung und Auswertung der Studien. Zuteilung zu den Gruppen mangelhaft: In einer der Studien [1] ist unklar, ob die Zuteilung zu den Gruppen wirklich zufällig erfolgte. Außerdem wurde sie nachträglich vom Studienteam geändert. Solche Manipulationen können das Ergebnis in die gewünschte Richtung verzerren. Möglicherweise wussten außerdem Forschende oder Teilnehmende, wer das „echte“ NMN und wer das Placebo bekam. Ihre Erwartungen hätten in diesem Fall Einfluss darauf gehabt, wie gut die Teilnehmenden ihre Gesundheit einschätzten. Wissenschaftliche Quellen [1] Huang H. (2022). A Multicentre, Randomised, Double Blind, Parallel Design, Placebo Controlled Study to Evaluate the Efficacy and Safety of Uthever (NMN Supplement), an Orally Administered Supplementation in Middle Aged and Older Adults. Front Aging.;3:851698. (Link zur Studie) [2] Yi L, et al. (2023). The efficacy and safety of β-nicotinamide mononucleotide (NMN) supplementation in healthy middle-aged adults: a randomized, multicenter, double-blind, placebo-controlled, parallel-group, dose-dependent clinical trial. Geroscience.;45(1):29-43. (Link zur Studie) [3] Rajman L, et al. (2018). Therapeutic Potential of NAD-Boosting Molecules: The In Vivo Evidence. Cell Metab. 2018;27(3):529-547. [4] zum Beispiel auf www.moleqlar.de/produkt/uthever-nmn/ [5] Magni G, et al. (2004). Structure and function of nicotinamide mononucleotide adenylyltransferase. Curr Med Chem.;11(7):873-885. [6] Mills KF, et al. (2016). Long-term administration of nicotinamide mononucleotide mitigates age-associated physiological decline in mice. Cell metabolism, 24(6), 795-806. (Link zur Studie) Versionsgeschichte 14.2.2024: Erste Veröffentlichung dieses Faktenchecks Schlagworte NADNADHNicotinamidNicotinamid-MononukleotidNikotinamid-MononukleotidNMN In über 500 Faktenchecks suchen