Startseite ● Neuro Socks: Wirksamkeit weder bewiesen noch glaubhaft Neuro Socks: Wirksamkeit weder bewiesen noch glaubhaft Socken, die Schmerzen lindern und Stabilität fördern? Derartige Behauptungen rund um die Neuro Socks sind wissenschaftlich weder belegt noch plausibel. 03. November 2023 AutorIn: Bernd Kerschner Review: Jana Meixner Teilen Können Neuro Socks Schmerzen lindern, das Gleichgewicht verbessern oder die Gesundheit fördern? wissenschaftliche Belege fehlen Es gibt keine wissenschaftlichen Hinweise darauf, dass eine solche Wirkung möglich ist. so arbeiten wir Sind herkömmliche Socken nicht gut genug? © Evgeniya369 – Shutterstock.com Ob Schmerzen im Fuß, im Rücken oder anderswo – angeblich reicht das richtige Paar Socken, und schon gehen die Beschwerden merklich zurück. Mit solchen Behauptungen bewirbt zumindest die Firma Voxxlife ihre Produkte. Und nicht nur das: Die Socken sollen auch für mehr Kraft und Stabilität sorgen und generell das Wohlbefinden steigern. In Österreich werden diese Socken vom Unternehmen Neuro Socks GmbH verkauft. Sockenmuster mit unklarer Wirkungsweise Wie die versprochenen Wirkungen zustande kommen sollen, verrät Voxxlife nicht. Auf den Webseiten von Neuro Socks und Voxxlife haben wir nur ansatzweise Erklärungsversuche gefunden. Dennoch behauptet die Herstellerfirma der Neuro Socks, in ihrem Produkt würden viele Jahre wissenschaftlicher Forschungsarbeit stecken. Angeblich soll ein spezielles Muster auf der Unterseite der Socken empfindliche Punkte auf der Fußsohle anregen. Über Nervenbahnen sollen diese Reize zum Gehirn weitergeleitet werden und dort die behaupteten Wirkungen entfalten. Die Herstellerfirma wirbt damit, dass die Wirkung durch wissenschaftliche Studien belegt sei. Wir haben diese Behauptung überprüft. Wissenschaftlichen Belege fehlen In internationalen Forschungsdatenbanken konnten wir trotz umfangreicher Suche keine aussagekräftigen Studien finden. Auf der Webseite von Voxxlife selbst finden sich Kurzberichte zu vier Untersuchungen [1-3] – nur scheinbar mit positiven Ergebnissen. Die behauptete Wirksamkeit der Neuro Socks können sie allerdings nicht belegen. Der Grund: Sie erfüllen grundlegende Anforderungen an wissenschaftliche Studien nicht. Die Ergebnisse sind nicht nachvollziehbar, konkrete Zahlen und Details zur Durchführung der Studien fehlen. Im Abschnitt Die Studien im Detail gehen wir näher auf die Mängel ein. Die Untersuchungen liefern somit keinen Beweis, dass Sportlerinnen und Sportler mit Neuro Socks höher und schneller springen können [1] keinen Beweis, dass Neuro Socks das Gleichgewicht erhöhen [1] keinen Beweis, dass Neuro Socks Diabetes-Schmerzen im Fuß lindern [2] keinen Beweis, dass Neuro Socks Schmerzen nach dem Einsetzen eines künstlichen Kniegelenks bessert [3] Verurteilung wegen irreführender Werbung Im September 2022 kam auch das Landesgericht Wiener Neustadt in Niederösterreich zum Schluss, dass es keine Belege für die behaupteten Wirkungen rund um die Neuro Socks gibt. Ein Gerichtsgutachten bestätigt: Die Werbebehauptungen der Firma Neuro Socks GmbH sind falsch. Geklagt hatte der Verein für Konsumenteninformation. Verwandtschaft mit „Super patch“ Aufklebern Das Unternehmen Voxxlife bewirbt nicht nur Socken mit zahlreichen Gesundheitsversprechen. Es hat auch Aufkleber mit der Bezeichnung „Super patch“ auf den Markt gebracht, für die das Unternehmen ähnliches verspricht. Auch für diese Produkte gibt es keinerlei Hinweise auf eine Wirksamkeit. Wir haben einen eigenen Faktencheck zu den „Super patch“ Aufklebern veröffentlicht. Die Studien im Detail Nach welchen Studien haben wir gesucht? Um die behaupteten Wirkungen der Neuro Socks beweisen zu können, müsste eine Studie so aussehen: Eine große Anzahl an Personen wird nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Gruppen zugelost. Eine Gruppe trägt Neuro Socks, die andere zieht herkömmliche Socken an. Die streng zufällige Zuteilung stellt sicher, dass sich die beiden Gruppen zu Beginn in wichtigen Merkmalen wie Gesundheitszustand, sportlicher Fitness, Alter oder Geschlecht ähnlich sind. Nur so ist ein Vergleich der Endergebnisse sinnvoll. Wer welche Socken zugelost bekommt, bleibt bis zum Ende der Studie geheim; die Studie ist also „verblindet“. Deswegen müssen Aussehen und Tragegefühl der beiden Sockenarten weitgehend gleich sein. Denn schon die Erwartung einer positiven Wirkung kann schmerzlindernd wirken oder Kraft, Schnelligkeit und das Gleichgewicht fördern. Das spräche dann aber nicht für eine Wirksamkeit der Socken, sondern einfach für einen Placebo-Effekt. Am Ende der Studie wird das Geheimnis um die Gruppenzuteilung gelüftet. Die Messwerte der beiden Sockengruppen werden verglichen. Gibt es einen Unterschied? Wenn ja: Ist dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dem Zufall geschuldet? Dann ist der Wirknachweis gelungen. In der Fachsprache wird eine solche Untersuchung randomisiert-kontrollierte Studie genannt. Randomisiert bedeutet „per Zufall zugeteilt“. Kontrolliert besagt, dass zwecks Vergleich auch herkömmliche Socken untersucht werden, für die kein spezieller Effekt erwartet wird. Welche Studien haben wir gefunden? Insgesamt haben wir fünf Untersuchungen zu Neuro Socks gefunden – bis auf eine ausschließlich auf der Webseite von Voxxlife. Eine [4] der 5 Studien haben nicht berücksichtigt, da sie keine spürbaren Auswirkungen untersucht hat: gemessen wurden darin nur die Auswirkung auf die Hirnwellen. Von den restlichen vier Untersuchungen war nur eine einzige eine randomisiert-kontrollierte Studie [3]. Darin wurde untersucht, ob die Neuro Socks Schmerzen nach dem Einsetzen eines künstlichen Kniegelenks bessern können. Die drei übrigen Studien haben die Auswirkung auf Diabetes-bedingte Fußschmerzen [2], auf Schnelligkeit und Kraft beim Springen [1] und auf das Gleichgewicht beim Stehen [1] untersucht. Wie aussagekräftig sind die Studien? Alle vier Untersuchungen haben ein gemeinsames Manko: Üblicherweise werden Studienberichte in voller Länge in anerkannten wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht. Die Voraussetzung dafür ist ein kritischer Gegencheck durch unabhängige Forscherinnen und Forscher. Ein solcher Qualitätscheck fehlt jedoch: Drei Untersuchungen wurden nur auf der Hersteller-Webseite veröffentlicht. Die einzige randomisiert-kontrollierte Studie [3] findet sich zwar in einem wissenschaftlichen Journal, allerdings nur in stark zusammengefasster Form ohne nachvollziehbare Details. Die randomisiert-kontrollierte Studie [3] nach dem Einsetzen eines künstlichen Kniegelenks ist aus folgenden Gründen nicht aussagekräftig: Fehlende Detailangaben: Die Studienergebnisse wurden nicht vollständig, sondern nur in stark zusammengefasster Form veröffentlicht. Konkrete Zahlen sind keine angegeben. So lässt sich nicht nachvollziehen, wie das Forschungsteam zu seinen Ergebnissen gekommen ist. Widersprüchliche Angaben: Es ist unklar, wie lange die Teilnehmenden die Socken getragen haben. In einer von mehreren Studienzusammenfassungen waren es 6 Wochen, während in einer anderen von 3 Monaten die Rede ist [3]. Dies lässt uns an der Glaubwürdigkeit der restlichen Ergebnisse zweifeln. Da die drei anderen Untersuchungen [1-2] keine randomisiert-kontrollierten Studien waren, erfüllen sie wesentliche Voraussetzungen für aussagekräftige wissenschaftliche Studien nicht: Keine zufällige Gruppenzuteilung: Vielleicht haben sich daher die beiden Gruppen in wesentlichen Merkmalen unterschieden. Beispielsweise könnte es sein, dass in der Studie zur Sprungkraft die Neuro Socks-Gruppe von Beginn an sportlich fitter war als die Kontrollgruppe. Informationen darüber, wie solch wichtige Merkmale zwischen den Gruppen verteilt waren, finden sich in keiner der drei Studien. Fehlende Verblindung: Da die Teilnehmenden wussten, ob sie Neuro Socks getragen hatten oder nicht, kann ihre Erwartung die Ergebnisse beeinflusst haben. Beispielsweise ist es möglich, dass die Neuro Socks-Gruppe in der Sprung-Studie unter anderem deshalb besser abschnitt, weil sie mehr Zuversicht in ihre Sprungkraft hatte. Fehlende Detailangaben: In der Sprungstudie [1] lässt sich nicht nachvollziehen, wie die Forschenden ihr Ergebnis berechnet haben. In der Gleichgewichtsstudie [1] ist unklar, ob alle Teilnehmenden Probleme überhaupt mit dem Gleichgewicht hatten. In der Studie mit Diabetes-bedingten Fußschmerzen fehlen beispielsweise Angaben dazu, wer Neuro Socks getragen hat und wer herkömmliche Socken, und ob die Stärke der Schmerzen bei allen Teilnehmenden zum selben Zeitpunkt erhoben worden war. Wissenschaftliche Quellen [1] Dhaliwal & Henson. Effect of a dermatome neuropoint activating socks on overall balance and stability using the sway medical application. Abgerufen am 31.10.2023 unter www.voxxlife.com [2] Taylor & Devos. Effect of a dermatome neuropoint activating socks on painful diabetic neuropathy pain in feet. Abgerufen am 31.10.2023 unter www.voxxlife.com [3] Woolfrey et al. (2022) Plantar Neuro-Receptor Activation in Total Knee Arthroplasty Patients: A Randomized Controlled Trial. Archives of Physical Medicine and Rehabilitation, 103(12), e127. (Studienzusammenfassung in wissenschaftlichem Journal, Studienzusammenfassung auf Hersteller-Webseite, Konferenz-Poster) [4] Thatcher et al. Effects of foot stimulation on the human electroencephalogram. Abgerufen am 31.10.2023 unter www.voxxlife.com Versionsgeschichte 3. November 2023: Eine neuere Studie [3] ändert unsere Einschätzung nicht. 18. Mai 2020: Erste Version Schlagworte BalanceGleichgewichtNeuro-SocksNeurosocksSchmerzenSockenStabilität In über 500 Faktenchecks suchen