Kreatin fürs Gehirn: Wirksamkeit fraglich

Kreatin soll die geistige Leistungsfähigkeit steigern und Gedächtnis und Konzentration verbessern, wird oft behauptet. Dafür gibt es keine Belege.

AutorIn:
Review:  Jana Meixner 

Steigert die Einnahme von Kreatin die geistige Leistungsfähigkeit?

Unser Vertrauen in bisherige Forschungsarbeiten dazu ist sehr gering: Sie haben große Mängel und kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Ihre Aussagekraft ist daher zu gering, um Hinweise auf eine Wirksamkeit von Kreatin geben zu können.

so arbeiten wir
Ein Mann versucht sich zu konzentrieren Oft wünschen wir uns mehr Konzentration
©Ridofranz – istockphoto.com

Kreatin ist von Natur aus in Fleisch und Fisch enthalten. Unser Körper kann es aber auch selbst herstellen. Dennoch nehmen manche Sportlerinnen und Sportlern es als Nahrungsergänzungsmittel zu sich, weil sie sich davon eine bessere Leistung erhoffen. Bei Kraftsport oder kurzen Sprints scheint das tatsächlich zu funktionieren [Quelle 1].

Kreatin soll aber noch mehr können: Behauptungen im Internet zufolge soll es auch eine positive Wirkung auf das Gehirn haben: es soll die geistige Leistungsfähigkeit steigern und Gedächtnis und die Konzentration verbessern.

Viel Forschung, aber keine Belege

Wir haben uns die bisherige Forschung genauer angesehen. Zwar ist die Auswirkung von Kreatin auf das Gehirn in 16 Studien untersucht worden [Quellen 2,3]. Diese können aber keine Belege für eine Verbesserung der geistigen Leistung liefern. Wegen grober Mängel haben wir nämlich wenig Vertrauen in die Studienergebnisse [Quelle 2]. Welche Mängel das genau sind, beschreiben wir weiter unten im Abschnitt „Die Studien im Detail“. Zudem liefern die Studienergebnisse auch ein sehr uneinheitliches Bild mit widersprüchlichen Ergebnissen.

Es gibt also keine Belege dafür, dass Kreatin Gedächtnis und Konzentration verbessert oder die geistige Leistungsfähigkeit fördern kann. Zu dieser Einschätzung kommt auch die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA in einer aktuellen Studienanalyse [Quelle 4].

Relativ sicheres Nahrungsergänzungsmittel für Erwachsene

Immerhin haben Fachleute der EFSA keine Sicherheitsbedenken, sofern die tägliche Kreatin-Dosis 3 Gramm nicht übersteigt [Quelle 5].

Dennoch können Nebenwirkungen auftreten. So gibt es Berichte über Muskelkrämpfe und Verdauungsbeschwerden, auch wenn nicht gut erforscht ist, wie häufig sie auftreten [Quellen 1,2]. Nicht bestätigt haben sich in bisherigen Forschungsarbeiten Befürchtungen, wonach Kreatin die Nieren schädigen könnte – zumindest nicht bei Gesunden [Quelle 1].

Bei Mengen über 3 Gramm täglich sind mögliche Nebenwirkungen nur unzureichend erforscht. Zwar traten in den analysierten Forschungsarbeiten keine Gesundheitsprobleme auf, wenn die Teilnehmenden bis zu 20 Gramm pro Tag einnahmen. Die Studienlaufzeit war jedoch mit einige Tage bis Wochen kurz. Ob solch hohe Mengen auch langfristig sicher sind, lässt sich bisher nicht beantworten.

Ebenfalls nicht gut erforscht sind die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche – weder positive noch negative [Quelle 1].

Energie für die Muskeln

Im Gehirn befindet sich nur sehr wenig Kreatin. 95 Prozent des im Körper vorhandenen Kreatins steckt in den Muskelzellen [Quelle 1]. Dort hilft es den Muskeln dabei, rasch Energie bereitzustellen. Sind diese durch starke Anstrengung ermüdet, kann die Einnahme von Kreatin helfen, die Muskeln schneller wieder einsatzbereit zu machen [Quelle 1].

Bei kurzer Anstrengung – etwa beim Kraftsport oder bei kurzen Sprints – scheint die Einnahme von Kreatin die Muskelkraft erhöhen zu können. In bisherigen Forschungsarbeiten zeigte sich dieser Effekt allerdings nur bei Männern. Möglicherweise haben die weiblichen Teilnehmerinnen aber einfach zu geringe Mengen eingenommen – aufgrund der Befürchtung, durch Kreatin Gewicht zuzunehmen [Quelle 1]. Durch zusätzliches Kreatin lagern die Muskeln mehr Wasser ein – und das führt zu einer Gewichtszunahme.

Über die Nahrung nehmen wir rund 2 bis 3 Gramm Kreatin zu uns. Fleisch und Fisch enthalten besonders viel Kreatin. Doch wer sich vegetarisch ernährt, riskiert trotzdem keinen Mangel. Denn der Körper stellt die Substanz auch selbst her – bis zu 2 Gramm pro Tag [Quellen 1,5].

Als Nahrungsergänzung haben die meisten Forschungsarbeiten Kreatin in Form von Kreatin-Monohydrat untersucht. Verkauft wird Kreatin auch in anderen Zusammensetzungen. Für diese ist die Wirkung jedoch unerforscht [Quelle 1].

Die Studien im Detail

Nach welchen Forschungsarbeiten haben wir gesucht?

Ob Kreatin die geistige Leistungsfähigkeit erhöht, lässt sich aussagekräftig nur in einer randomisiert-kontrollierten Studie untersuchen. Dazu wird eine große Anzahl an Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) einer von zwei Gruppen zugeteilt: Die Kreatingruppe nimmt regelmäßig Kapseln mit Kreatin ein. Die Kontrollgruppe nimmt Placebo-Kapseln, also gleich aussehende und gleich schmeckende Kapseln ohne Kreatin.

Idealerweise weiß bis zum Ende der Studie niemand, wer die Kreatin-Kapseln eingenommen hat und wer die Placebo-Kapseln. Denn nur dann ist sichergestellt, dass nicht schon die Erwartung an einen Effekt zu einer Wirkung führt – dass das Ergebnis also nicht durch den Placebo-Effekt verzerrt wird.

Aufschluss über eine mögliche Wirksamkeit gibt der Vergleich. Nur wenn die Kreatin-Gruppe bei Gedächtnis- und Konzentrationsaufgaben besser abschneidet als die Kontroll-Gruppe, wäre das ein Beleg für die Wirksamkeit.

Wir haben zwei Forschungsdatenbanken nach Übersichtsarbeiten durchsucht, die alle bisherigen Studien dazu systematisch und objektiv zusammenfassen. Gefunden haben wir zwei solche Arbeiten.

Wie aussagekräftig sind die Forschungsarbeiten?

Eine der beiden Übersichtsarbeiten [Quelle 2] fasst die Studienlage gut nachvollziehbar zusammen. Demnach sind die bisher veröffentlichten Studien zu wenig aussagekräftig, um eine positive Wirkung von Kreatin auf das Gehirn belegen zu können. Dafür gibt es mehrere Gründe:

  • Placebo-Effekt möglich: Bei einigen Untersuchungen haben wir den Verdacht, dass die Teilnehmenden bzw. das Forschungsteam wussten, wer Kreatin und wer das Placebo bekam. Die Erwartungen der Studienbeteiligten könnten daher die Ergebnisse beeinflusst haben. Möglicherweise beruht die scheinbare Wirksamkeit von Kreatin in diesen Untersuchungen daher nur auf dem Placebo-Effekt.
  • Zufällige Zuteilung fraglich: Es ist unklar, ob die Teilnehmenden wirklich nach dem Zufallsprinzip den beiden Untersuchungsgruppen zugeteilt wurden. Nur eine zufällige Zuteilung stellt aber sicher, dass die beiden Gruppen fair vergleichbar sind, und sich nicht etwa schon vor Studienbeginn in wichtigen Merkmalen unterscheiden.
  • Zu wenige Teilnehmende: Insgesamt nahmen an den analysierten Studien weniger als 300 Personen teil. Bei weniger als 300 Personen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich die Teilnehmenden stark von der Bevölkerung unterscheiden. So lassen sich die Ergebnisse nicht verallgemeinern.
  • Widersprüchliche Ergebnisse: Einige Untersuchungen fanden keinen Effekt, in anderen zeigte sich jedoch eine scheinbar positive Wirkung. Daher lässt sich weder belegen noch ausschließen, dass Kreatin einen positiven Effekt auf Gedächtnis oder Konzentration hat.

Der zweiten Übersichtsarbeit [Quelle 3] vertrauen wir nur bedingt. Darin hat das verantwortliche Forschungsteam die Studienlage in mehreren Analysen zusammengefasst. Nur eine einzige Analyse in dieser Übersichtsarbeit ist jedoch korrekt durchgeführt worden. Sie zeigt keine positive Auswirkung von Kreatin auf die geistige Leistung.

In den restlichen Analysen hat das Forschungsteam einzelne Studien jeweils mehrfach berücksichtigt. Dadurch sind die zusammenfassenden Ergebnisse verfälscht worden.
[Quelle 3]

[1] UpToDate (2024) Nutritional and non-medication supplements permitted for performance enhancement. Abgerufen am 4.12.2024 unter uptodate.com

[2] Crawford et al. (2021) Dietary supplement ingredients for optimizing cognitive performance among healthy adults: a systematic review. The Journal of Alternative and Complementary Medicine, 27(11), 940-958. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[3] Xu et al. (2024) The effects of creatine supplementation on cognitive function in adults: a systematic review and meta-analysis. Frontiers in Nutrition, 11, 1424972. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[4] EFSA (2024) Creatine and improvement in cognitive function: Evaluation of a health claim pursuant to article 13(5) of regulation (EC) No 1924/2006. EFSA Journal 22 (11). (Wissenschaftlicher Bericht in voller Länge)

[5] EFSA (2004) Opinion of the Scientific Panel on Food Additives, Flavourings, Processing Aids and Materials in Contact with Food on a request from the Commission related to Creatine monohydrate for use in foods for particular nutritional uses. EFSA Journal 36, 1-6. (Wissenschaftlicher Bericht in voller Länge)

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