Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Gerstengras: Mastfutter als Nahrungsergänzung?

erstengras ist reich an Nährstoffen und wird etwa zur Tiermast eingesetzt. Wegen seiner vielen Inhaltsstoffe wird dem Gerstengras auch eine heilsame Wirkung unterstellt.

AutorIn:
Review:  Bernd Kerschner 

Ist Gerstengras gut für die Gesundheit?

Nur eine kleine Studie hat bisher Gerstengras-Extrakt am Menschen getestet. Gerstengrassaft wurde nicht untersucht. Für eine verlässliche Aussage fehlen die Grundlagen.

so arbeiten wir
© MaikDörfert - fotolia.com Gerstengras: ein Wundermittel?
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Glaubt man einer – eher dubiosen – Website, soll Gerstengras dem Körper helfen, besser mit radioaktiver Strahlung fertig zu werden, soll krebserregende Giftstoffe und Schwermetalle beseitigen, die Stimmung aufhellen, bei Neurodermitis helfen und den Kreislauf unterstützen. Also wieder einmal ein wahres Wundermittel…

Wir haben nachgesehen, ob an den Behauptungen etwas dran sein könnte, fanden aber keine ausreichenden Belege.

Uralte Kulturpflanze

Zum einen ist Gerstengras schon schon einmal weniger „besonders“, als der Name suggerieren möchte. Es handelt sich dabei nämlich ganz einfach um die noch junge Gerstenpflanze – und Gerste wird bereits seit tausenden von Jahren genutzt. Heutzutage wandert sie meist in Tiermägen zur Mast. Oder in Bier.

Als „Gerstengras“ werden meist die Blätter der jungen Pflanze gefriergetrocknet, gemahlen und als Nahrungsergänzungsmittel angeboten.

Keine Wirkung nachgewiesen

Tatsächlich enthält die junge Gerstenpflanze zahlreiche Nährstoffe. Aber machen die wirklich gesund? Leider konnten wir nur eine einzige klinische Studie finden, die gezielt die Wirksamkeit von Gerstengras an Menschen untersucht hat – und die ist mit lediglich 51 Personen sehr klein [1].

Das koreanische Wissenschaftsteam wollte herausfinden, ob die tägliche Einnahme von Kapseln mit Gerstengras-Extrakt den Cholesterinspiegel und andere Blutwerte beeinflusst. Die Ergebnisse waren enttäuschend: Selbst nach drei Monaten Einnahme zeigten sich keine Unterschiede zu jenen Personen, die Kapseln mit einem wirkungslosen Scheinpräparat bekommen hatten. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl und der kurzen Studiendauer sind die Ergebnisse der Studie aber ohnehin nur bedingt aussagekräftig.

Davon abgesehen untersuchten nur einige Laborstudien die Wirkung von Gerstengras. In Experimenten mit Zellkulturen [2] zeigte sich, dass bestimmte Krebszellen mit Hilfe von Gerstengras absterben. Doch im Reagenzglas wirken sehr viele Stoffe gegen Krebszellen. Das allein sagt noch wenig über die Wirkung am lebenden Versuchsobjekt Mensch aus.

Viele Vitamine = gesund?

Die Fans und Verkaufsstellen von Gerstengras verweisen auf den hohen Vitamingehalt des Getreides – ein Nahrungsergänzungsmittel aus diesem Getreide müsse also gesund sein.

Doch auch für Gerstengras-Produkte gilt wie für alle anderen Nahrungsergänzungsmittel: Ein hoher Vitamingehalt bedeutet nicht automatisch gesundheitliche Vorteile. Denn die meisten Menschen in Österreich nehmen genügend Vitamine und Mineralstoffe über die normale Nahrung zu sich [a], haben also eine Ergänzung gar nicht nötig. Medizin Transparent hat darüber bereits mehrfach berichtet, zum Beispiel hier.

Bestimmte Vitamine könnten sogar negative Folgen haben, wenn sie über längere Zeit hoch dosiert eingenommen werden.

Immerhin: Solche Nebenwirkungen sind von getrockneten, zerriebenen Blättern kaum zu erwarten.

Nebenbemerkung: Gerstengras wird auch als Katzengras für Wohnungskatzen verwendet. Diesbezüglich sind uns allerdings weder Studien noch überzogene Heilsversprechen untergekommen.

Die Studien im Detail

In die klinische Studie wurden ursprünglich 66 Personen aufgenommen, doch 15 beendeten die Teilnahme vorzeitig. Schlussendlich wurde die Wirkung von Gerstengras an 48 Frauen und drei Männern im mittleren Alter getestet.

Die eine Gruppe musste zwölf Wochen lang täglich eine Kapsel mit Gerstengras einnehmen, die Teilnehmenden der anderen Gruppe schluckten eine Placebo-Pille. Es handelte sich um eine so genannte doppelblinde Studie, das heißt, niemand wusste, wer welche Pille bekommt. Außerdem fand die Zuteilung in die zwei Gruppen nach dem Zufallsprinzip statt – grundsätzlich ein Zeichen für einen hohen Qualitätsstandard der Studie.

Keine Unterschiede

Nach acht und nach zwölf Wochen untersuchte das Wissenschaftsteam verschiedene Blutwerte der Probandinnen und Probanden, darunter Nüchternblutzucker und Insulinspiegel, Cholesterinwerte, das Schilddrüsenprotein Thyreoglobulin sowie HbA1c – ein wichtiger Laborwert bei Diabetes. Es wurde für keinen einzigen Wert ein Unterschied zwischen den beiden Gruppen festgestellt.

Im Verlauf der zwölf Wochen schieden acht Personen aus persönlichen Gründen aus, sieben stoppten den Versuch, weil bei ihnen Juckreiz als Nebenwirkung aufgetreten war (drei davon hatten die Placebo-Pille genommen).

Die Zahl der Teilnehmenden ist also insgesamt zu gering, um eine verlässliche Aussage über Wirkung oder unerwünschte Wirkungen des Getreide-Extrakts treffen zu können.

[1] Byun u. a. (2015)
Studientyp: Randomisiert-kontrollierte Studie
Teilnehmende: 66 (15 haben die Studie jedoch vorzeitig abgebrochen)
Fragestellung: Verändert die tägliche Einnahme von Gerstengras-Extrakt die Blutwerte?
Interessenkonflikte: keine angegeben

Byun, A. R., Chun, H., Lee, J., Lee, S. W., Lee, H. S., & Shim, K. W. (2015). Effects of a dietary supplement with barley sprout extract on blood cholesterol metabolism. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine, 2015. (Volltext der Studie)

[2] Robles-Escajeda u.a. (2013)
Studientyp: Laborstudie an Leukämie-/Lymphom-Zellen

Robles-Escajeda E, Lerma D, Nyakeriga AM, Ross JA, Kirken RA, Aguilera RJ, Varela-Ramirez A. Searching in mother nature for anti-cancer activity: anti-proliferative and pro-apoptotic effect elicited by green barley on leukemia/lymphoma cells. PLoS One. 2013 Sep 9;8(9):e73508 (Volltext der Studie)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[a] Österreichischer Ernährungsbericht

(Der letzte veröffentlichte Bericht stammt aus 2012. Der Österreichische Ernährungsbericht 2016 ist im Entstehen.)

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