Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Diaminoxidase: Hilfe bei Histaminintoleranz?

Wer Rotwein und gereiften Käse nicht verträgt, leidet eventuell an einer Histaminintoleranz. Helfen Kapseln mit Diaminoxidase? Das ist bisher unzureichend erforscht.

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Können Kapseln mit Diaminoxidase Beschwerden bei Histaminintoleranz lindern oder vorbeugen?

Wir haben nur eine kleine Studie mit unzureichender Aussagekraft gefunden.

so arbeiten wir
© tab62 – Shutterstock.com Auf Rotwein und gereiften Käse reagieren manche Menschen überempfindlich (Bild: tab62 - Shutterstock.com)
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Eine Käseplatte garniert mit eingelegtem Gemüse, dazu ein gutes Glas Rotwein – auf diese Kombination reagieren manche Menschen mit Unverträglichkeitssymptomen. Diese Beschwerden können sehr unterschiedlich sein. Ein rotes Gesicht, Übelkeit, Bauchschmerzen, Durchfall oder Juckreiz zählen dazu.

Vermutete Ursache der Unverträglichkeit: eine Histaminintoleranz, also eine Überempfindlichkeit gegenüber Histamin. Histamin ist vor allem in gereiften und fermentierten Lebensmitteln enthalten. Beispiele sind Käse, Rotwein, Sauerkraut und eingelegtes Gemüse.

Möglicherweise fehlt den Betroffenen das Enzym Diaminoxidase. Es baut im Darm normalerweise Histamin aus der Nahrung ab.

Fehlendes Enzym schlucken?

Die Lösung scheint einfach: Kapseln mit Diaminoxidase. Werden sie vor dem Essen geschluckt, können Betroffene angeblich unbeschwert alles genießen, was Histamin enthält. Das behaupten zumindest die Hersteller solcher Kapseln.

In der Theorie klingt das schlüssig. In der Praxis ist allerdings nicht klar, ob das wirklich funktioniert.

Verbesserung – auf dem Papier

Daher haben wir nach Belegen aus der Forschung gesucht. Gefunden haben wir lediglich eine kleine Studie [1] mit unzureichender Aussagekraft. Eine Antwort kann sie nicht liefern.

In der Studie tranken 39 Personen mit vermuteter Histaminintoleranz unter anderem zweimal Tee, der mit Histamin versetzt war. Einmal nahmen sie davor eine Kapsel mit Diaminoxidase ein, das andere Mal eine gleichaussehende Placebo-Kapsel ohne das Enzym. Die Reihenfolge der Kapseln war den Testpersonen unbekannt.

Mit Diaminoxidase waren die durchschnittlichen Beschwerden um eine Spur schwächer. Der Unterschied war jedoch so gering, dass er für die meisten Betroffenen wahrscheinlich nicht spürbar ist.

Kein Muster erkennbar

Zusätzliche Unsicherheit schaffen folgende Beobachtungen aus der Studie: Einige Betroffene bekamen Beschwerden, nachdem sie Tee ohne Histamin getrunken hatten. Aber es kam auch vor, dass sich mit Placebo die Beschwerden minderten, trotz Histamin-haltigem Tee.

Es war also nicht möglich, klare Muster zu erkennen: Wann und wodurch treten die Unverträglichkeitssymptome auf? Verschafft das Enzym in Kapselform Linderung, oder ist ein Scheinmittel genau so gut?

Ob Kapseln mit Diaminoxidase bei Histaminintoleranz helfen können, ist daher weder belegt noch ausgeschlossen.

Nebenwirkungen kaum erforscht

In der von uns ausgewerteten kleinen Studie ist erwähnt, dass keine unerwünschten Wirkungen aufgetreten sind. Doch insgesamt sind auch mögliche Nebenwirkungen durch die Einnahme von Diaminoxidase nur unzureichend erforscht.

Schwierige Diagnose

Unklar ist nicht nur, ob die Einnahme von Diaminoxidase wirksam ist. Auch zur Histaminintoleranz ist noch vieles ungewiss [2,3]. So gibt es bisher keine verlässliche Methode, um eine Histaminintoleranz eindeutig zu diagnostizieren [3]. Unklar ist auch, ob tatsächlich ein Mangel an natürlicher Diaminoxidase im Darm der Grund für die Unverträglichkeitssymptome ist [3].

Falls Histamin tatsächlich die Beschwerden verursacht, ist ein Verzicht auf Histamin-haltige Lebensmittel eine wirksame Vorbeugung. Nicht gut erforscht sind mögliche Behandlungen, wenn die Symptome bereits eingetreten sind [2].

Fischvergiftung durch Histamin

Histamin ist nicht nur in manchen Lebensmitteln enthalten. Der Körper produziert es auch selbst. Die entzündungsfördernde Substanz wird vom Immunsystem bei Abwehrreaktionen ausgeschüttet.

Auch bei einer Allergie – das ist eine Überreaktion des Immunsystems auf eigentlich harmlose Stoffe – produzieren Immunzellen Histamin. Die Folgen können ein juckender Hautausschlag, eine rinnende Nase oder tränende Augen sein. In seltenen Fällen kommt es sogar zu einem allergischen Schock.

Um Histamin aus der Nahrung abzubauen, produziert der Darm selbst Diaminoxidase. Die meisten Menschen kommen gut mit den geringen Mengen Histamin zurecht, die in fermentierten Lebensmitteln enthalten sind. In großen Mengen kann Histamin dennoch Beschwerden auslösen. So ist die Hauptursache von Fischvergiftung eine hohe Konzentration an Histamin, das sich in verdorbenem Fisch ansammelt [4].

Die Studien im Detail

Bei unserer Recherche haben wir zwei Forschungsdatenbanken nach aussagekräftigen Studien durchforstet. In unsere Auswertung konnten wir lediglich eine kleine randomisiert-kontrollierte Studie einschließen [1].

Ursprünglich sollten 69 Personen mit vermutlicher Histaminintoleranz an der Studie teilnehmen. Doch bei einem Vorab-Test mit Histamin-haltigem Tee reagierten nur 35 Frauen und 4 Männer mit Unverträglichkeitssymptomen. Alle anderen wurden aus der Studie ausgeschlossen.

Die so ausgewählten 39 Teilnehmenden sollten dann zwei Mal Histamin-haltigen Tee trinken. Davor bekamen sie entweder eine Kapsel mit Diaminoxidase oder eine Placebo-Kapsel ohne das Enzym.

Die Reihenfolge (Placebo oder Enzym) war zufällig (randomisiert). Dies sollte verhindern, dass Erwartungen das Ergebnis beeinflussten.

Zahlen ohne Aussagekraft

Jeweils 90 Minuten und 24 Stunden nach dem Trinken des Tees wurden die Testpersonen befragt. Sie sollten angeben, ob die typischen Symptome eingetreten waren, zum Beispiel Kopfschmerzen, Reaktionen von Haut oder Schleimhäuten sowie Verdauungsbeschwerden.

Auch wie stark diese Beschwerden waren, wurde registriert. Dazu diente eine Skala von 1 bis 10; 1 stand dabei für „beschwerdefrei“, 10 für „extreme Beschwerden“.

Rein rechnerisch war die durchschnittliche Beschwerde-Intensität nach Einnahme der Diaminoxidase-Kapseln geringer als mit Placebo-Kapseln. Mit dem Enzym waren es 1,9 Punkte auf der Skala von 1 bis 10, ohne 1,3. Der Unterschied von 0,6 Punkten ist aber für die meisten Betroffenen wahrscheinlich zu gering, um spürbar zu sein.

Zudem erwähnten die Studienautorinnen und -autoren nicht, an welchen Beschwerden die Personen gelitten hatten. Der Punktewert war nur ein Durchschnitt über acht verschiedene Symptome.

Wechselhafte Symptome

Interessanterweise berichtete das Forschungsteam, dass die einzelnen Personen bei denselben Tests sehr wechselhaft reagierten. So waren die Beschwerden mal stärker und mal schwächer, oder es traten beim zweiten Test ganz andere Symptome auf als beim ersten Mal.

Einige Personen in der Placebo-Gruppe hatten gar keine Unverträglichkeitsreaktion – obwohl sie Histamin-haltigen Tee zu trinken bekamen. Dies spricht dafür, dass auch die Erwartungshaltung eine Rolle spielen könnte.

Beschwerden ohne Auslöser

In einem weiteren Versuch tranken die Teilnehmenden Histamin-freien Tee zusammen mit einer Diaminoxidase-Kapsel. Nichtsdestotrotz klagten auch unter diesen Bedingungen etliche Personen über Beschwerden.

Da sich keine Muster finden lassen, ob und wie stark die Teilnehmenden mit Unverträglichkeitssymptomen reagieren, lassen sich keine verlässlichen Aussagen ableiten.

[1] Komericki u.a. (2011)
Studientyp: randomisiert-kontrollierte Crossover-Studie
Teilnehmende: 39 Personen mit vermuteter Histaminintoleranz, die auf Histamin-Provokationstest mit Beschwerden reagierten. Davon waren 35 Frauen (Altersschnitt: 47) und 4 Männer (Altersschnitt: 39)
Studiendauer: 3 Einzeltestungen im Abstand von 2 bis 10 Tagen. Die Symptome wurden 90 Minuten sowie 24 Stunden nach jeder Testeinnahme erhoben.
Fragestellung: Kann Diaminoxidase Beschwerden bei Histaminintoleranz lindern oder vorbeugen?
Interessenskonflikte: Histaminproben, sowie Kapseln mit Diaminoxidase beziehungsweise Placebo wurden von der Herstellerfirma der untersuchten Diaminoxidase-Kapseln zur Verfügung gestellt.

Komericki P, Klein G, Reider N, Hawranek T, Strimitzer T, Lang R, Kranzelbinder B, Aberer W. Histamine intolerance: lack of reproducibility of single symptoms by oral provocation with histamine: a randomised, double-blind, placebo-controlled cross-over study. Wien Klin Wochenschr. 2011 Jan;123(1-2):15-20. (Zusammenfassung der Studie)

Weitere Quellen

[2] UpToDate (2019)
Commins SP. Food intolerance and food allergy in adults: An overview. In Feldweg AM (ed.). UpToDate. Abgerufen am 26.7.2019 unter www.uptodate.com (Zugriff kostenpflichtig)

[3] Reese u.a. (2017)
Reese I, Ballmer-Weber B, Beyer K, et al. German guideline for the management of adverse reactions to ingested histamine: Guideline of the German Society for Allergology and Clinical Immunology (DGAKI), the German Society for Pediatric Allergology and Environmental Medicine (GPA), the German Association of Allergologists (AeDA), and the Swiss Society for Allergology and Immunology (SGAI). Allergo J Int. 2017;26(2):72-79. (Leitlinie in voller Länge)

[4] UpToDate (2019)
Marcus EN. Scombroid (histamine) poisoning. In Wiley JF (ed.). UpToDate. Abgerufen am 30.7.2019 unter www.uptodate.com (Zugriff kostenpflichtig)

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