Deflagyn: Gel für die Vagina zur Krebsvorbeugung geeignet?

Ein auffälliger Krebsabstrich schürt bei vielen die Sorge vor Gebärmutterhalskrebs. Deflagyn Gel soll das Risiko dafür senken – doch Belege dafür fehlen.

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Senkt das Vaginalgel Deflagyn das Risiko für Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs, wenn der Krebsabstrich auffällig ist?

Wir konnten keine wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit von Deflagyn finden. Es gibt zwar eine Studie, die dieses Vaginalgel untersuchte. Die ist aber mangelhaft und daher nicht aussagekräftig.

so arbeiten wir
© iStock-fizkes Ein Gel gegen die Angst vor Krebs?
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Viele Menschen haben Angst, irgendwann an Krebs zu erkranken. In Österreich erhalten jährlich vierzigtausend Menschen eine Krebsdiagnose [6], bei Frauen lautet jede zwanzigste: Gebärmutterhalskrebs [5]. Viele Frauen wollen diesem Krebs daher möglichst gut vorbeugen. Ein Vaginalgel mit dem Namen Deflagyn vermittelt den Eindruck, als könne es dabei helfen.

Deflagyn: ein wirksames Gel?

Bei frauenärztlichen Untersuchungen wird regelmäßig ein Krebsabstrich (Pap-Test) gemacht. Ist das Ergebnis unklar, wird der Test meist wiederholt. Ist das Testergebnis aber auffällig – sind also Zellveränderungen zu erkennen – werden zur Abklärung üblicherweise weitere Untersuchungen gemacht. Auffällige Zellveränderungen müssen weder Krebs noch Vorstufen von Krebs sein – es kann sich auch um eine harmlose Entzündung handeln. In jedem Fall vergeht bis zur nächsten Untersuchung Zeit. Zeit, in der sich Zellveränderungen auch von selbst wieder zurückbilden können.

Um die Wartezeit für Patientinnen zu überbrücken, bieten Apotheken und Anbieter im Internet das Vaginalgel Deflagyn an. Für die empfohlene Behandlungsdauer von ungefähr 3 Monaten zahlt man zirka 150 € (Stand August 2023). Das Vaginalgel ist in Österreich rezeptfrei erhältlich und soll von der Anwenderin täglich mit einem Applikator tief in die Vagina eingebracht werden.

Deflagyn wird mit der Aussage beworben, „Zellveränderungen am Gebärmutterhals positiv beeinflussen und somit zu verbesserten Befunden der Krebsfrüherkennung beitragen“ zu können. Viele Frauen verstehen darunter, dass ihr Pap-Test bei der darauffolgenden Kontrolle nicht mehr auffällig sein wird, wenn sie Deflagyn verwenden. Sie erhoffen sich wohl dadurch, das Risiko für Gebärmutterhalskrebs senken zu können.

Die Vermarktung dieses Produkts erweckt aber durch den Hinweis „studiengeprüft“ und durch die Empfehlung von Ärztinnen und Ärzten den Eindruck, dass es sich um ein wissenschaftlich nachgewiesen wirksames Produkt handelt.

Wir haben recherchiert, ob es für die Wirksamkeit von Deflagyn tatsächlich wissenschaftliche Belege gibt.

Ergebnisse nicht nachvollziehbar

Wir fanden eine einzige Studie, die prinzipiell geeignet wäre, diese Behauptungen zu belegen [1]. Dazu ist diese Studie aber zu mangelhaft. Die darin veröffentlichten Ergebnisse sind weder vollständig noch nachvollziehbar (siehe Abschnitt „Studien im Detail“). Wir schenken den scheinbar positiven Ergebnissen daher kein Vertrauen. Es ist fraglich, ob Deflagyn tatsächlich die Chance erhöht, dass der nächste Abstrich unauffällig ist.

Nicht ohne Nebenwirkungen

Die am öftesten gemeldeten Nebenwirkungen betreffen Vagina und Vulva. Studienteilnehmerinnen berichten von Juckreiz und Brennen, einer verstärkten Blutung, einem blutigen Ausfluss sowie von Pilzinfektionen oder Herpes. Außerdem traten Unterleibsschmerzen oder -krämpfe auf.

  • Mit Deflagyn berichteten 17 von 108 Teilnehmerinnen von solchen Nebenwirkungen
  • Ohne Deflagyn berichtete 1 von 108 Teilnehmerinnen von solchen Nebenwirkungen

Auffälliger Pap-Test bedeutet nicht gleich Krebs

Gebärmutterhalskrebs kann sich aus Krebsvorstufen entwickeln. Werden solche Vorstufen rechtzeitig erkannt, lässt sich das Fortschreiten zu Gebärmutterhalskrebs durch eine Behandlung verhindern.

Damit Ärztinnen und Ärzte eine gesicherte Diagnose stellen können, ist oft mehr als eine Untersuchung notwendig.

Die erste Untersuchung im Zuge der Krebsfrüherkennung ist ein Krebsabstrich – der sogenannte Pap-Test. Damit werden mit einer kleinen Bürste einige Zellen vom Gebärmutterhals, also dem unteren Teil der Gebärmutter, entnommen. Sind Zellen verändert, lässt sich das im Mikroskop erkennen und der Schweregrad der Veränderung auf einer Skala einstufen (von Pap I bis Pap V) [11].

Lässt sich nicht beurteilen, ob die Zellen bedenklich verändert sind, empfehlen Ärztinnen und Ärzte eine Wiederholung des Pap-Abstrichs.

Abklärung durch Folgeuntersuchung

Ist der Pap-Abstrich auffällig, wird in manchen Fällen eine Kolposkopie gemacht. Dabei wird der Gebärmutterhals mit einer Art Lupe untersucht [11]. Bei dieser Untersuchung kann auch ein winziges Stück Gewebe mit einer kleinen Zange entnommen werden (Biopsie). Im Gegensatz zum Pap-Abstrich enthält dieses Gewebsstück viele zusammenhängende Zellen. So lässt sich unter dem Mikroskop besser untersuchen, ob es auffällige Veränderungen am Gebärmutterhals gibt. Das Ausmaß der Gewebeveränderung lässt sich in drei Schweregraden einteilen: CIN I bis CIN III [12].

Ein HPV-Test kann zusätzlich abklären, ob die Zellen mit humanen Papillomaviren (HPV) infiziert sind. Diese Viren gelten als Hauptauslöser für Gebärmutterhalskrebs [11].

Spontan zurückgebildet

Bis zur Folgeuntersuchung (Wiederholung des Pap-Tests, HPV-Test oder Kolposkopie und Biopsie) vergehen meist drei bis zwölf Monate [10].

In dieser Zeit kann sich eine Zell- oder Gewebeveränderung von selbst wieder zurückbilden. „Abwarten und beobachten“ ist daher eine Möglichkeit, wenn die Gewebeveränderung nur leicht (CIN I) oder mittelgradig (CIN II) ist. Dabei wird der Grad der Gewebeveränderung nach einiger Zeit erneut kontrolliert.

Eine leichtgradige Gewebeveränderung (CIN I) heilt in mehr als 90 Prozent der Fälle von selbst ab oder verschlechtert sich zumindest nicht [9].

Ist eine Gewebeveränderung schon stark fortgeschritten (CIN III), kann es sich um eine Krebsvorstufe handeln. Ungefähr jede zweite Frau würde mit stark verändertem Gewebe in weiterer Folge Gebärmutterhalskrebs entwickeln. Ärztinnen und Ärzte raten deshalb dazu, das stark veränderte Gewebe in einer Operation entfernen zu lassen [10].

Doch nicht nur der Schweregrad der Gewebeveränderung hat einen Einfluss auf die spontane Rückbildung, sondern auch das Alter oder eine Infektion mit dem krebsauslösenden humanen Papillomvirus (HPV). Patientinnen unter 25 Jahren haben ein deutlich geringeres Risiko an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken als ältere [9]].

Deflagyn ist kein Arzneimittel

Deflagyn ist ein Medizinprodukt und kein Arzneimittel. Es unterliegt daher nicht den strengen Zulassungsbestimmungen, die für Arzneimittel gelten. Die Prüfung des Medizinprodukts wird durch ein vom Hersteller selbst ausgewähltes Prüf-Institut durchgeführt, das dafür vom Hersteller Geld erhält.

Unser Fazit

Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit von Deflagyn zur Vorbeugung von Gebärmutterhalskrebs. Die einzige Studie dazu ist zu mangelhaft, um ein aussagekräftiges Ergebnis liefern zu können.

Dennoch erweckt die Vermarktung dieses Medizinprodukts – mit dem Hinweis „studiengeprüft“ – und der Verkauf durch Apotheken sowie die Empfehlung durch Ärztinnen und Ärzte, den Eindruck, dass es sich um ein wissenschaftlich nachgewiesen wirksames Produkt handelt.

Mehr Informationen

Welcher Befund einer Krebsvorsorgeuntersuchung unklar oder auffällig ist, wann man von Pap oder CIN bzw. von Krebsvorstufe oder Krebs spricht, ist gut erklärt auf der Plattform krebsinformationsdienst.de.

Wie sehr eine Früherkennung das Risiko für Gebärmutterhalskrebs senkt, und welche Nachteile sie hat, fasst die Seite Gesundheitsinformation.de zusammen

Und was eine Infektion mit dem krebsauslösenden humanen Papillomvirus (HPV) damit zu tun hat, kann hier nachgelesen werden: krebsinformationsdienst.de.

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

Ob Deflagyn zur Vorbeugung von Gebärmutterhalskrebs wirkt, lässt sich am besten mit randomisiert-kontrollierten Studien untersuchen. Dafür werden die Studienteilnehmerinnen durch Zufall verschiedenen Gruppen zugeteilt (randomisiert). Eine Gruppe erhält dann das Vaginalgel Deflagyn, die andere ein Vaginalgel, das ident erscheint, aber nicht die mutmaßlichen Wirkstoffe Siliziumdioxid, Natriumselenit und Zitronensäure enthält – also ein Scheinpräparat ist (Placebo). Idealerweise wissen weder Teilnehmerinnen noch das Forschungsteam, wer welches Gel bekommt.

Die Werbung für Deflagyn im Internet erweckt den Anschein, als könnten mehrere Studien die Wirksamkeit dieses Vaginalgels belegen. Tatsächlich fanden wir nur eine einzige randomisiert-kontrollierte Studie. In dieser wurde das Vaginalgel Deflagyn mit „abwarten und beobachten“ verglichen, nicht aber mit einem Scheinpräparat (Placebo) [7]. Die Studienergebnisse wurden in mehreren Fachartikeln veröffentlicht [1-4].

Wir konnten keine Studien finden, die nur einzelne Inhaltsstoffe von Deflagyn (Siliziumdioxid, Natriumselenit oder Zitronensäure) zur Vorbeugung von Gebärmutterhalskrebs untersuchten.

Wie aussagekräftig ist die Studie?

Die einzige relevante Studie ist zu wenig aussagekräftig für ein sicheres Ergebnis [7]. Zu diesem Schluss kamen wir aufgrund folgender Mängel:

  • Die beiden Untersuchungsgruppen – eine erhielt Deflagyn, die andere wartete nur ab – waren schon zu Beginn der Studie unterschiedlich. Möglich ist also, dass das scheinbar positive Ergebnis durch diesen Unterschied zu Beginn zustande gekommen ist, und nicht durch die vermeintliche Wirkung von Deflagyn.
  • Es ist unklar, in welchem Ausmaß das gesamte Forschungsteam „verblindet“ war – manche Mitglieder des Forschungsteams wussten also, welche Teilnehmerinnen „Deflagyn“ bekamen und welche nicht. Es lässt sich z.B. nicht ausschließen, dass das Forschungsteam die Wirksamkeit von Deflagyn aufgrund ihrer Erwartung zu positiv beurteilte.
  • Die Ergebnisse der Untersuchung wurden nur unvollständig berichtet und sind somit nicht nachvollziehbar für uns.
  • Knapp über 200 Teilnehmerinnen nahmen an der Studie teil. Für ein aussagekräftiges Ergebnis wären mindestens 300 Teilnehmende wünschenswert.
  • Es ist unklar, wie viele Frauen genau an der Studie teilgenommen haben. Die Angaben schwanken zwischen 206 und 216 Teilnehmerinnen [4, 7].
  • Die Studie wurde erst knapp ein Jahr nach ihrem Ende registriert. Um zu verhindern, dass nur Untersuchungen veröffentlicht werden, die für die Autorinnen und Autoren günstig sind, sollte das Vorhaben vor Beginn der Studie öffentlich in einer Online-Datenbank angekündigt werden. Außerdem soll dadurch auch verhindert werden, dass die Forschenden die Fragestellung im Nachhinein an die Ergebnisse anpassen.
  • Die Studie wurde von Deflamed International s.r.o. Prague (Czech Republic) finanziert. Dieses Unternehmen stellt Deflagyn her. Studien, die vom Hersteller finanziert sind, zeigen öfter ein für sie vorteilhafteres Ergebnis als Studien zur selben Fragestellung aber mit finanziellen Mitteln aus anderen Quellen.

Studien, die wir nicht berücksichtigt haben

Während unserer Recherche sind wir auf einer Website einer Privatklinik auf folgende Aussage gestoßen: „Um die Wirksamkeit des Deflagyn Vaginalgels nachzuweisen, wurde eine Studie an 307 Patientinnen in Österreich durchgeführt.“ Bei dieser Studie handelt es sich jedoch nicht um eine randomisiert-kontrollierte Studie, sondern um eine Befragung ohne Vergleichsgruppe [8]. Eine solche Untersuchung ist nicht geeignet, um die Wirksamkeit eines Medizinprodukts aussagekräftig untersuchen zu können.

[1] Major et al. (2020). Efficacy and safety of an adsorbent and anti-oxidative vaginalgel on CIN1 and 2, on high-risk HPV, and on p16/Ki-67: a randomized controlled trial. Arch Gynecol Obstet, 303(2), 501-511. (Link zur Studie)

[2] Major et al. (2023). Successful Preventive Treatment of Oncogenic Transforming HPV Infections in Low-Grade Cytology (ASC-US/LSIL) Patients with an Adsorptive and Antioxidant Vaginalgel. J Clin Med, 12(12). (Link zur Studie)

[3] Major et al. (2021). An Adsorptive and Antioxidant Vaginalgel Clears High-Risk HPV- and p16/Ki-67-Associated Abnormal Cytological Cervical Findings: A post-hoc Subgroup Analysis of a Prospective Randomized Controlled Trial on CIN2 and p16 Positive CIN1. Front Med (Lausanne), 8, 645559. (Link zur Studie)

[4] Mueller et al. (2020). Treatment with an intravaginal gel containing siliceous dioxide, selenite, and citric acid to promote regression of ASC-US-, LSIL, ASC-H, HSIL, p16/Ki61 status, and improve clearance of hr-HPV in cervical specimens. International Journal of Medical Device and Adjuvant Treatments, 3(e270). (Link zur Studie)

[5] Statistik Austria. (2020). Die häufigsten Tumorlokalisationen nach Geschlecht (2020). statistik.at

[6] Statistik Austria. (2023). Österreichisches Krebsregister (Stand 17.01.2023) und Todesursachenstatistik. Anzahl maligner invasiver Tumoren inkl. DCO-Fälle. Erstellt am 18.01.2023. Abgerufen am 21.08.2023 unter statistik.at

[7] BioMed Central Ltd. (2023). ISRCTN11009040 Efficacy and safety of intravaginal application of „SAM vaginal gel“ on suspicious cervical smear results and on CIN 1 and CIN 2 lesions. Abgerufen am 21/08/2023 unter Link zur Studienregistrierung

[8] Huber et al. (2016). Routine Treatment of Cervical Cytological Cell Changes: Diagnostic Standard, Prevention and Routine Treatment of Cervical Cytological Cell Changes – An Assessment of Primary and Secondary Prevention and Routine Treatment Data in the Context of an Anonymous Data Collection from Practicing Gynaecologists; an Academic, Non-Interventional Study. Geburtshilfe Frauenheilkd, 76(10), 1086-1091. (Link zur Studie)

[9] UpToDate. (2023). Cervical intraepithelial neoplasia: Management. Abgerufen am 23.08.2023 unter uptodate.com

[10] Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ). (2020). Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs. Abgerufen am 23.08.2023 unter https://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/gebaermutterhalskrebs/vorstufen.php

[11] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). (2021). Gebärmutterhalskrebs: Früherkennung und Vorsorge. Abgerufen am 24.08.2023 unter gesundheitsinformation.de

[12] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). (2021). Gewebeveränderungen am Muttermund (Dysplasien). Abgerufen am 24.08.2023 unter gesundheitsinformation.de

  • 28.9.2023: Erste Veröffentlichung des Faktenchecks.

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