Chitosan: Wirkung zum Abnehmen fraglich

Starkes Übergewicht erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Abzunehmen kann das Risiko senken. Chitosan kann dabei aber wahrscheinlich nicht helfen.

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Kann Chitosan stark übergewichtigen Menschen beim Abnehmen helfen und so deren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken?

Um ihre Herzgesundheit zu verbessern, müsste z.B. eine 100 Kilogramm schwere Person mindestens 5 bis 10 Kilogramm verlieren. Mit Chitosan ist das Studien zufolge wahrscheinlich nicht möglich. Chitosan ist auch als Polyglucosamin bekannt – und dieses ist zum Beispiel in zwei bekannten Produkten enthalten: Formoline L 112 und Liporeform protect.

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© ECPO Media Center https://ecpomedia.org/image/a-couple-of-women-sitting-on-top-of-a-cement-bench/ Chitosan sinnvoll bei starkem Übergewicht?
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Rund 17 von 100 Menschen in Österreich sind stark übergewichtig. Sie haben einen BMI (Body-Mass-Index) von über 30. Der Fachbegriff dafür lautet Adipositas. Adipositas kann sich negativ auf die Gesundheit auswirken, und zum Beispiel das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall erhöhen. Je stärker das Übergewicht, desto höher das Risiko [Quelle 3, 4, 5]. Abzunehmen kann also helfen, länger und gesünder zu leben.

Werbung für den Wirkstoff Chitosan (auch Polyglucosamin genannt) verspricht Hilfe beim Abnehmen. Zwei bekannte Produkte sind beispielsweise Formoline L 112 und Liporeform protect. Die Substanz ist aber auch in anderen Produkten enthalten.

Chitosan wird meist aus den Schalen von Krabben, Hummern oder Garnelen gewonnen. Eine kurze Recherche bei Internetanbietern hat ergeben: Je nach Preis pro Kapsel und empfohlener Tagesdosis kommt man auf monatliche Kosten zwischen 21 und 47 Euro.

Doch kann Chitosan als Pulver oder in Kapsel- bzw. Tablettenform dabei helfen, das Körpergewicht zu reduzieren? Wir haben uns die Studienlage dazu angesehen.

In den bisher durchgeführten Studien haben übergewichtige Personen mit Chitosan durchschnittlich 1,8 Kilogramm mehr Gewicht verloren als Menschen, die ein Scheinmittel (Placebo) eingenommen haben. Diese Gewichtsreduktion wurde in 3 bis 6 Monaten erzielt. Das ergab eine Zusammenfassung von sechs Studien [Quelle 1]. Ein derart kleiner Gewichtsverlust kann das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht verringern. Fachleute empfehlen innerhalb von 6 Monaten 5 bis 10 Prozent an Gewicht zu verlieren, um das Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall zu senken [Quelle 3].

Nehmen wir also an, eine erwachsene Person mit einer Größe von 170 Zentimetern wiegt 100 Kilogramm. Der BMI liegt somit bei über 30 und bedeutet starkes Übergewicht bzw. Adipositas. Um einen positiven Effekt auf die Gesundheit zu bewirken, müsste die Person innerhalb eines halben Jahres zumindest 5 Kilogramm verlieren. Den BMI kann man zum Beispiel auf der Plattform gesundheit.gv.at berechnen.

Ganz sicher sind wir uns bei unserer Einschätzung zu Chitosan nicht. Denn die Studien dazu sind teilweise mangelhaft [Quelle 1]. Chitosan zur Gewichtsreduktion bei starkem Übergewicht zu empfehlen, wäre also aus medizinischer Sicht nicht gerechtfertigt.

Nebenwirkungen

Mögliche unerwünschte Wirkungen sind Magen-Darm-Beschwerden wie Verstopfung und Blähungen [Quelle 2]. Da die Studien zu Nebenwirkungen mangelhaft sind, ist ihre Aussagekraft eingeschränkt.

Vorsicht ist geboten bei Chitosan aus Schalentieren wie Garnelen, Krabben und Hummern, wenn eine Allergie gegen Schalentiere besteht.

Was ist Chitosan und was soll es können?

Chitosan wird aus der Schale von Krustentieren wie Garnelen, Krabben und Hummern gewonnen wird. Es ist ein Nebenprodukt der Meeresfrüchteverarbeitung. Nicht-tierisches Chitosan kommt beispielsweise aus Pilzen [Quelle 6].

Chitosan soll an Fette aus der Nahrung im Magen-Darm-Trakt binden und so deren Aufnahme verringern. Das gegessene Fett soll also zum größten Teil unverdaut wieder ausgeschieden werden. Die Idee dazu stammt aus Zell- und Tierexperimenten [Quelle 6].

Wirksamkeitsnachweis nicht erforderlich

Chitosan wird als Nahrungsergänzungsmittel oder Medizinprodukt angeboten – es ist aber kein Arzneimittel. Das bedeutet, dass es nicht den strengen Zulassungsbestimmungen von Arzneimitteln unterliegt. Hersteller von Arzneimitteln sind nämlich verpflichtet die Wirksamkeit ihrer Produkte mit Studien nachzuweisen – im Gegensatz zu Herstellern von Nahrungsergänzungsmitteln oder Medizinprodukten.

Chitosan darf als Nahrungsergänzungsmittel nicht als Hilfe zur Gewichtsreduktion beworben werden. Das hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) entschieden, da für Chitosan die „Wirkung nicht bewiesen“ wurde [Quelle 6].

Auch für Chitosan als Medizinprodukt muss kein wissenschaftlicher Nachweis der Wirksamkeit wie bei Arzneimitteln erbracht werden. Hersteller müssen nur nachweisen, dass ihre Produkte sicher sind.

Die Vermarktung von Chitosan erweckt dennoch nach wie vor den Eindruck, Chitosan sei zur Gewichtsreduktion geeignet.

Was wirklich hilft, um abzunehmen?

Nachhaltig abzunehmen, gelingt in der Regel schrittweise. Das Ziel: eine dauerhafte Änderung des Lebensstils. Dazu zählen vor allem eine Ernährungsumstellung und ausreichend Bewegung.

Reicht das nicht aus, kann eine Gewichtsreduktion mit verschreibungspflichtigen Medikamenten unterstützt werden.

Generell gilt: Besprechen Sie eine Gewichtsreduktion mit einem Arzt oder einer Ärztin. Auch jede Nahrungsergänzung zur Gewichtsreduktion sollte besprochen werden, insbesondere bei Menschen, die eine chronische Erkrankung wie etwa Diabetes haben oder Medikamente einnehmen.

Mehr Informationen

Wie eine Gewichtsreduktion bei starkem Übergewicht funktionieren kann, ist auf der Plattform gesundheitsinformation.de zu lesen.

Und was der Body-Mass-Index über die Gesundheit aussagen kann, können Sie hier lesen: gesundheitsinformation.de

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

Wir haben zwei Datenbanken nach randomisiert-kontrollierten Studien durchsucht. Diese Studienart ist am aussagekräftigsten, um die Wirksamkeit einer Behandlung zu untersuchen.

In einer randomisiert-kontrollierten Studie werden Teilnehmende per Zufall (randomisiert) einer von zwei Gruppen zugeteilt. Während eine Gruppe beispielsweise Chitosan erhält, nimmt die Kontrollgruppe (kontrolliert) idealerweise ein Scheinpräparat (Placebo) ein. Die Studie ist dann aussagekräftig, wenn weder Teilnehmende noch Forschende wissen, wer welcher Gruppe angehört. Dann spricht man von einer verblindeten Studie.

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Ob stark übergewichtige Menschen mit Chitosan Gewicht verlieren können, konnte eine Übersichtsarbeit von 2023 am aussagekräftigsten beantworten [Quelle 1].

In der Arbeit sind die Ergebnisse von sechs randomisiert-kontrollierten Studien zusammengefasst, die bis November 2022 veröffentlich wurden. Darin haben insgesamt 536 Personen teilgenommen.

Unser Vertrauen in das Gesamtergebnis wird vermindert, da die einzelnen Forschungsarbeiten alle sehr unterschiedlich sind. Fachleute sprechen hier von einer hohen Heterogenität. Gründe dafür konnten die Forschenden nicht herausfinden. Mögliche Gründe für eine hohe Heterogenität könnten sein: die unterschiedliche Dosierung von Chitosan, die unterschiedliche Dauer der Einnahme und auch die unterschiedliche Anzahl der Studienteilnehmenden in den einzelnen Forschungsarbeiten [Quelle 1].

[1] Shahinfar et al. (2023).
Comparative effects of nutraceuticals on body weight in adults with overweight or obesity: A systematic review and network meta-analysis of 111 randomized clinical trials. Pharmacol Res, 196, 106944. (Link zur Studie)

[2] Bessell et al. (2021).
Efficacy of dietary supplements containing isolated organic compounds for weight loss: a systematic review and meta-analysis of randomised placebo-controlled trials. Int J Obes (Lond), 45(8), 1631-1643. (Link zur Studie)

[3] Jensen et al. (2014).
2013 AHA/ACC/TOS Guideline for the Management of Overweight and Obesity in Adults. Circulation, 129(25_suppl_2). (Link zur Studie)

[4] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. (2022).
Was sagt der Body-Mass-Index über die Gesundheit aus? Abgerufen am 23.08.2024 unter gesundheitsinformation.de

[5] World Health Organization. (2024).
A healthy lifestyle – WHO recommendations. Abgerufen am 29.08.2024 unter who.int

[6] EFSA Panel on Dietetic Products& Allergies. (2011).
Scientific Opinion on the substantiation of health claims related to chitosan and reduction in body weight (ID 679, 1499), maintenance of normal blood LDL-cholesterol concentrations (ID 4663), reduction of intestinal transit time (ID 4664) and reduction of inflammation (ID 1985) pursuant to Article 13(1) of Regulation (EC) No 1924/2006. EFSA Journal, 9(6), 2214. (Link zur Studie)

  • 10.10.2024: Erstveröffentlichung des Faktenchecks

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