Startseite ● Transkranielle Pulsstimulation: Wirkung bei Alzheimer unbelegt Transkranielle Pulsstimulation: Wirkung bei Alzheimer unbelegt Die transkranielle Pulsstimulation (TPS) soll das Gedächtnis bei Alzheimer verbessern. Ausreichend erforscht ist die Behandlung nicht. 14. Dezember 2023 AutorIn: Jana Meixner Review: Bernd Kerschner Teilen Verbessert die transkranielle Pulsstimulation (TPS) die geistige Leistungsfähigkeit von Menschen mit Demenz vom Typ Alzheimer? wissenschaftliche Belege fehlen Ob die transkranielle Pulsstimulation Menschen mit Alzheimer helfen kann, wurde bisher nicht in aussagekräftigen Studien untersucht. Auch mögliche schädliche Auswirkungen sind unzureichend erforscht. so arbeiten wir Alzheimer-Demenz betrifft viele. ©Shutterstock – pikselstock Demenz ist mehr als bloße Vergesslichkeit. Betroffene können ihren Alltag ohne fremde Hilfe oft nicht mehr meistern, verlieren die Orientierung oder bringen sich selbst und andere in Gefahr. Die häufigste Form der Demenz ist Morbus Alzheimer. Für Angehörige ist es meist schmerzhaft, wenn ein geliebter Mensch nicht mehr der ist, der er einmal war. Eine wirksame Therapie, die Demenz heilen oder das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten kann, gibt es nicht. Der Wunsch nach wirksamen Behandlungen ist verständlicherweise groß. Transkranielle Pulsstimulation: Starthilfe fürs Gehirn? Eine solche Wirksamkeit versprechen Anbieter der sogenannten transkraniellen Pulsstimulation – kurz TPS. Eine Leserin machte uns auf diese Behandlungsmöglichkeit aufmerksam. Die TPS soll mittels Ultraschall-Pulsen das Gehirn „anregen“ und so das Gedächtnis verbessern, körperlich und geistig fitter machen und sogar Ängste und Depressionen von Menschen mit Alzheimer lindern können. Wer solch große Versprechungen macht, hat doch sicher stichhaltige Beweise aus der Wissenschaft – oder? TPS: Einzige Studie hat nur 15 Teilnehmende Leider nein. Wir fanden nur eine einzige Studie, die theoretisch geeignet wäre, eine Wirksamkeit der TPS zu zeigen [10]. Diese hat jedoch keinerlei wissenschaftliche Aussagekraft: Darin wurden nämlich nur 15 Personen untersucht. Die Studie hat zudem so gravierende Mängel, dass ihre Ergebnisse nichts aussagen (mehr dazu im Abschnitt Studien im Detail). Fehlende Vergleichsgruppe Wir konnten zwar auch ein paar andere Studien finden, in denen die TPS untersucht worden war [zum Beispiel 1-3]. Als Belege für eine Wirksamkeit sind sie allerdings ebenso wenig geeignet. Der Grund dafür: Dabei fehlte eine Vergleichsgruppe, die nicht behandelt wurde. Das heißt, es ist unklar, wie die Erkrankung ohne TPS verlaufen wäre. Gerade die Beeinträchtigung durch Alzheimer kann stark schwanken. Auch dass schon allein die Zuwendung, die mit der Behandlung einhergeht, eine Besserung bewirkt, ist nicht auszuschließen. Um eine Wirksamkeit zu zeigen, sind also Studien mit einer Vergleichsgruppe notwendig. Transkranielle Pulsstimulation als Alzheimer-Therapie nicht anerkannt Auch wenn Anbieter der transkraniellen Pulsstimulation anderes behaupten: Als Therapie ist die Behandlung mit Ultraschall bei Alzheimer weder erforscht noch anerkannt. In medizinischen Leitlinien zur Behandlung der Erkrankung kommt die Methode nicht vor [4,5]. Denn es gibt derzeit keine Studien, die belegen können, dass sie Menschen mit Alzheimer kurzfristig oder anhaltend helfen kann. Auch ein Anbieter der Behandlung konnte uns auf unsere Nachfrage hin keine weiteren Studien nennen, die die Wirksamkeit der TPS bei Alzheimer wissenschaftlich solide untersucht haben. Fraglich ist im Moment auch, ob die Behandlung auf Dauer sicher ist. Auch mögliche schädliche Auswirkungen einer wiederholten Behandlung wurden bisher nicht ausreichend erforscht. Ultraschall-Wellen sollen Reparaturmechanismen auslösen Bei der transkraniellen Pulsstimulation werden durch die Schädeldecke hindurch (transkraniell) pulsartige, nicht hörbare Ultraschallwellen geschickt. Diese Ultraschall verursachen kurze Reizungen im Hirngewebe. Als Reaktion setzt das Gehirn bestimmte Botenstoffen frei und die betroffene Hirnregion wird vorübergehend stärker durchblutet [2]. Das soll laut Anbietern der Methode die geistige Leistungsfähigkeit bei Demenz verbessern. Wissenschaftliche Belege dafür gibt es keine. In anderem Zusammenhang eingesetzt In einem anderen Zusammenhang ist die Methode jedoch schon seit längerem im Einsatz: Die Behandlung mit Ultraschall kann kurzzeitig die Barriere aufheben, die normalerweise verhindert, dass potentiell schädliche Stoffe aus dem Blut ins Gehirn gelangen. Fachleute nennen diese Barriere Blut-Hirn-Schranke. Durch das kurzzeitige Öffnen der Blut-Hirn-Schranke können Medikamenten Zugang zu den Nervenzellen bekommen, der sonst nicht oder nur ungenügend möglich wäre [2]. Demenz: Geistig und körperlich Aktive besser geschützt Das Risiko für Demenz nimmt mit steigendem Alter zu. Im Alter von über 85 Jahren sind geschätzt 6 bis 8 von 100 Menschen von Demenz betroffen [6]. Es gibt verschiedene Formen der Demenz, die mit Abstand häufigste ist eben die Demenz vom Typ Alzheimer [7]. Wie genau es zu der Erkrankung kommt, ist noch nicht vollständig klar. Ein Mangel an bestimmten Botenstoffen im Gehirn und Ablagerungen zwischen den Nervenzellen dürften eine Rolle spielen. Diabetes, hohes Cholesterin, Bluthochdruck, Depression, Schwerhörigkeit und Einsamkeit erhöhen wahrscheinlich das Demenz-Risiko. Menschen, die sich geistig und körperlich betätigen und sozial aktiv sind, dürften dagegen weniger häufig an Demenz erkranken [7]. Mythen rund um die Demenz Rund um das Thema Demenz haben wir bereits einige Beiträge veröffentlicht. Wie zum Beispiel zum Gerücht, Menschen mit der Blutgruppe AB hätten ein höheres Demenz-Risiko. Das ist wahrscheinlich falsch, wie wir in diesem Beitrag bereits herausgefunden haben. Die Behauptung, Orangensaft oder Kurkuma würden vor Demenz schützen, ist zumindest nicht belegt. Entwarnung gibt es möglicherweise für passionierte Kaffeetrinker: Wir fanden vorsichtige Hinweise auf einen Demenz-Schutz durch Kaffee. Ausführliche und wissenschaftlich fundierte Informationen zur Demenz gibt es bei Gesundheitsinformation.de oder bei Gesundheit.gv.at. Die Studien im Detail Nach welchen Studien haben wir gesucht? Wir haben in drei verschiedenen Datenbanken nach Studien gesucht, die die Wirksamkeit von transkranieller Pulsstimulation (TPS) oder ähnlichen Verfahren gegen die Symptome einer Demenz-Erkrankung untersucht haben. Um eine Wirksamkeit nachzuweisen sind sogenannte randomisiert-kontrollierte Studien notwendig. Das sind Studien die TPS mit einer Scheinbehandlung (Placebo-Behandlung) vergleichen. In fast allen Studien, die wir finden konnten [zum Beispiel 1-3], fehlt jedoch eine solche Vergleichsgruppe. Solche Studien können nicht beantworten, ob die TPS Menschen mit Demenz hilft. Denn es ist unklar, wie die Erkrankung ohne die Behandlung verlaufen wäre. Wir fanden nur eine einzige Studie zur TPS [10], die auch eine Vergleichsgruppe ohne Behandlung beinhaltete und somit überhaupt geeignet wäre, eine Wirksamkeit nachzuweisen. Wie aussagekräftig ist die Studie? Laut dem Forschungsteam dieser Studie schritt die Demenz bei den Teilnehmenden der TPS-Gruppe teilweise langsamer voran als in der Vergleichsgruppe, die nur eine Scheinbehandlung erhielt. Diese Ergebnisse halten wir allerdings wissenschaftlich für wertlos. Das hat gleich mehrere Gründe: In die Studie starteten 22 Teilnehmende. Diese ohnehin kleine Zahl schrumpfte im Laufe der Studie auf 15, da viele Teilnehmende frühzeitig aus der Studie ausschieden. Studien mit derart wenigen Teilnehmenden können keine verlässlichen Ergebnisse liefern. Die Studie hat zudem gravierende Mängel in der Durchführung: Es ist fraglich, ob die Teilnehmenden zufällig auf die beiden Gruppen aufgeteilt worden waren. Ebenso, ob die behandelnden Ärztinnen und Ärzte wussten, ob die Teilnehmenden die TPS-Behandlung oder die Scheinbehandlung erhielten. Das kann ihre Auswertung beeinflusst haben. Auch dass so viele Personen frühzeitig aus der Studie ausschieden, führte wahrscheinlich zu verzerrten Ergebnissen. Welche Studien haben wir nicht berücksichtigt? Doch was ist nun mit den Studien, die Anbieter der Behandlung auf ihren Webseiten als angebliche Belege für eine Wirksamkeit aufzählen [8,9]? Die mögen auf den ersten Blick vielleicht beeindruckend aussehen. Tatsächlich hat keine dieser Studien die Wirksamkeit aussagekräftig überprüft. In manchen der aufgezählten Untersuchungen ging es gar nicht um Demenz, sondern andere Probleme wie Herzerkrankungen, Impotenz oder Rückenmarksverletzungen. Manche der Studien betreffen vollkommen andere Behandlungen. Bei wieder anderen handelt es sich um Tierstudien oder Laborexperimente mit Nervenzellen. Doch um die Wirksamkeit einer Behandlung bei Demenz untersuchen zu können, braucht man vor allem eines: Teilnehmende, die an Demenz erkrankt sind. Untersuchungen an Tieren oder an einzelnen Zellen im Labor können zwar erste Hinweise liefern. Ein Beleg für eine Wirksamkeit beim Menschen sind sie nicht. Wissenschaftliche Quellen [1] Beisteiner u.a. (2019) Beisteiner, R. et al.: Transcranial Pulse Stimulation with Ultrasound in Alzheimer’s Disease—A New Navigated Focal Brain Therapy, Adv. Sci., 2019 (Studie in voller Länge) [2] Matt u.a. (2022) Matt, E., Dörl, G., & Beisteiner, R. (2022). Transcranial pulse stimulation (TPS) improves depression in AD patients on state‐of‐the‐art treatment. Alzheimer’s & Dementia: Translational Research & Clinical Interventions, 8(1), e12245. (Studie in voller Länge) [3] Lipsman u.a. (2018) Lipsman, N., Meng, Y., Bethune, A. J., Huang, Y., Lam, B., Masellis, M., … & Black, S. E. (2018). Blood–brain barrier opening in Alzheimer’s disease using MR-guided focused ultrasound. Nature communications, 9(1), 1-8. (Studie in voller Länge) [4] S3-Leitlinien Demenzen (2016) Abgerufen am 28.2.2022 unter www.awmf.org [5] UpToDate (2021) Treatment of Alzheimer disease. UpToDate 2021. Abgerufen am 24.2.2021 unter www.uptodate.com (Kostenpflichtig) [6] UpToDate (2018) Epidemiology, pathology, and pathogenesis of Alzheimer disease. UpToDate 2018. Abgerufen am 28.2.2022 unter www.uptodate.com (Kostenpflichtig) [7] IQWiG (2021) Abgerufen am 28.2.2022 unter www.gesundheitsinformation.de [8] https://www.alzheimer-deutschland.de/ueber-tps/tps-literatur-und-studien (Abgerufen am 9.3.2022) [9] https://www.storzmedical.com/de/fachgebiete/neurologie/literatur (Abgerufen am 9.3.) [10] Shimokawa, H., et al. (2022). A Pilot Study of Whole-Brain Low-Intensity Pulsed Ultrasound Therapy for Early Stage of Alzheimer’s Disease (LIPUS-AD): A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Trial.“ The Tohoku journal of experimental medicine 258(3): 167-175. (Link zur Studie) Versionsgeschichte 14.12.2023: Auch eine Suche nach neuen Studien änderte unsere Einschätzung nicht. 17.3.2022: Erstveröffentlichung des Faktenchecks. Wir fanden keine Studien, die die Wirksamkeit der TPS bei Demenz untersucht haben. Schlagworte AlzheimerDemenzTPSTranskranielle PulsstimulationUltraschall In über 500 Faktenchecks suchen