Cocculus gegen Schwindel: kein Wirknachweis für Homöopathie

Homöopathische Cocculus-Präparate sollen bei Schwindel helfen. Wissenschaftliche Belege dafür gibt es nicht.

AutorIn:
Review:  Jana Meixner 

Können homöopathische Präparate mit Anamirta cocculus gegen Schwindel helfen?

Wir haben nur eine einzige Studie gefunden, die das untersucht hat. Die ist allerdings so mangelhaft, dass keine verlässliche Aussage möglich ist.

so arbeiten wir
© Alexander Raths - Shutterstock.com Ärztinnen und Ärzte können abklären, ob hinter dem Schwindelgefühl behandlungsbedürftige Krankheiten stecken.
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Schwindel (Vertigo) nennt man das Gefühl, dass alles schwankt oder sich dreht. Manche Betroffenen fühlen sich auch wie in einem Lift, der schnell nach oben fährt. Zusätzlich können Benommenheit und Übelkeit auftreten. Oft machen Schwindelanfälle Angst. Gerade bei älteren Menschen erhöhen sie auch das Sturzrisiko [3, 4].

Schwindel-Mittel auf Basis der Scheinmyrte

Homöopathische Cocculus-Präparate sollen diese Beschwerden angeblich lindern können. Diese Mittel enthalten ein Extrakt aus den Früchten der Scheinmyrte (Anamirta cocculus) in homöopathischen Dosierungen. Ein Blick in die Beipackzettel verschiedener homöopathischer Mittel gegen Schwindel zeigt: Cocculus ist in sehr vielen Präparaten enthalten. Meist sind auch noch weitere homöopathisch verdünnte Inhaltsstoffe beigemengt – welche das sind, das unterscheidet sich je nach Produkt und Herstellerfirma.

Die Präparate Taumea und Vertigoheel sind zwei von vielen homöopathischen Anti-Schwindel-Präparaten auf Basis des Cocculus-Extraktes. Laut den Herstellerfirmen sollen sie bei Schwindel unterschiedlicher Ursache helfen [5]. Uns erreichte die Bitte, das zu überprüfen.

Belege für eine Wirksamkeit fehlen

Wir haben uns auf die Suche nach Studien zu diesem und ähnlichen Produkten mit Cocculus-Extrakt gemacht. Doch ohne Erfolg: Aussagekräftige wissenschaftliche Belege für eine Wirksamkeit bei Schwindel konnten wir keine finden.

Wir sind nur auf eine einzige Studie [1] gestoßen. Die hat das homöopathische Schwindel-Präparat Vertigoheel untersucht. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass das homöopathische Mittel gleich wirksam ist wie ein anderes Schwindel-Medikament (Betahistin). Aufgrund großer Mängel ist die Aussagekraft der Studie jedoch sehr gering (siehe „Die Studien im Detail“).

Mehr oder weniger verdünnte Ausgangsstoffe

Seine Anti-Schwindel-Wirkung soll Cocculus-Extrakt über einen Inhaltsstoff entfalten, der in höherer Dosierung giftig ist (Pikrotoxin). Dieser Stoff wurde in der Vergangenheit bereits in der Behandlung bestimmter Schwindel-Arten getestet. Für die Produkte Vertigoheel und Taumea wird der Cocculus-Extrakt zwar etwa 10.000-fach verdünnt. In der Homöopathie wird das als Verdünnungsstufe D4 bezeichnet. In dieser Verdünnungsstufe könnten manche Inhaltsstoffe aber durchaus Nebenwirkungen hervorrufen [7].

Es ist inzwischen gut durch Studien belegt, dass homöopathische Präparate in der Regel nicht besser wirken als ein Scheinmedikament (Placebo) [8]. Homöopathie für Kinder haben wir uns zum Beispiel in diesem Artikel bereits genauer angesehen.

Schwindel kann viele Ursachen haben

Schwindel ist ein Symptom und keine eigenständige Krankheit. Daher können sehr viele unterschiedliche Ursachen dahinterstecken. Das können verschiedenste Störungen des Gleichgewichtsorgans sein, Durchblutungsstörungen, Krankheiten des Nervensystems, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Probleme mit der Halswirbelsäule oder psychische Auslöser. Oft bleibt die Ursache für den Schwindel ungeklärt. Das gilt besonders für Schwindel bei älteren Menschen. Fachleute gehen davon aus, dass bei älteren Menschen oft nicht eine einzelne Ursache, sondern kleinere Störungen in mehreren Bereichen gemeinsam die Beschwerden hervorrufen. Ärztinnen und Ärzte können jedoch feststellen, ob hinter dem Schwindel eine Erkrankung steckt, die rasch behandelt werden sollte [3, 9, 12].

Bei einer bestimmten Schwindel-Art, dem sogenannten gutartigen Lagerungsschwindel, kann in der Arztpraxis sofort geholfen werden: Hier verursachen kleine Körnchen im Innenohr die Beschwerden. Mit einigen gezielten Handgriffen können Ärztinnen und Ärzte den Schwindel lindern [4].

Mehr wissenschaftlich fundierte Informationen zum gutartigen Lagerungsschwindel finden Sie auf Gesundheitsinformation.de.

Wenn behandlungsbedürftige Erkrankungen als Ursache ausgeschlossen werden konnten, kann man manchmal einfach abwarten. Denn in diesen Fällen bessert sich der Schwindel oft innerhalb von einigen Monaten von selbst [3, 4, 10].

Die Studien im Detail

WelcheStudien haben wir berücksichtigt?

Ob Mittel mit Cocculus gegen Schwindel helfen, lässt sich am besten in randomisiert-kontrollierten Studien herausfinden. Das bedeutet, dass die Teilnehmenden zufällig auf zwei Gruppen aufgeteilt werden. Eine Gruppe erhält das zu untersuchende Präparat, die andere bekommt ein Scheinmedikament. Am Ende wird verglichen, bei welcher Gruppe sich der Schwindel gebessert hat.

Wir haben nur eine Studie dieser Art gefunden. Die Studie hat das homöopathische Schwindel-Präparat Vertigoheel untersucht und mit der Wirkung von Betahistin verglichen. Das ist ein Medikament, das bei Schwindelzuständen eingesetzt wird. Allerdings ist nicht gut belegt, dass Betahistin wirksam gegen Schwindel ist [11,13]. Zu den Ergebnissen der Studie haben die Forschenden zwei wissenschaftliche Artikel veröffentlich. Einen zur Häufigkeit der Schwindelanfälle [1] und einen weiterer zur Verbesserung der Lebensqualität [2].

Wie aussagekräftig ist die Studie?

Das Forschungsteam hinter der Studie interpretiert die Ergebnisse als Beleg dafür, dass Vertigoheel Schwindel ähnlich gut lindert wie Betahistin. Wir finden die Studie allerdings nicht sehr aussagekräftig.

  • Dass Betahistin bei Schwindel hilft, ist nicht gut belegt [11, 13]. Ein Vergleich mit einem Placebo wäre aussagekräftiger gewesen.
  • Zwischen der Versuchsgruppe und Vergleichsgruppe gab es zu Beginn der Studie beträchtliche Unterschiede, was sie Häufigkeit der Schwindelanfälle angeht. In einer guten Studie sollten sich die beiden Gruppen in den wichtigen Merkmalen nicht unterscheiden. Ansonsten sind sie nicht vergleichbar.
  • Es ist unklar, ob die Teilnehmenden wirklich zufällig den Gruppen zugeordnet wurden. Nur eine wirklich zufällige Zuteilung stellt sicher, dass die beiden Gruppen gut vergleichbar sind.
  • Insgesamt haben nur 117 Patientinnen und Patienten an der Studie teilgenommen. Ausgewertet wurden überhaupt nur die Daten von 105 Teilnehmenden. Das ist zu wenig, um eine gesicherte Aussage treffen können. Bei so kleinen Gruppen können Zufälle das Ergebnis stark verzerren.

[1] Weiser (1998)
Weiser M, Strösser W, Klein P. Homeopathic vs conventional treatment of vertigo: a randomized double-blind controlled clinical study. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 1998 Aug;124(8):879-85.
(Volltext nicht kostenfrei abrufbar)

[2] Strösser (2000)
Strosser, W. & Weiser, M.. (2000). Quality of life in patients with vertigo – Homoeopathic in a double-blind control. 29. 242-247.

[3] DEGAM (2016)
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) 2016: S3-Leitline „Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis“. abgerufen am 12.09.2022

[4] IQWIQ (2020)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). Gutartiger Lagerungsschwindel.
abgerufen am 13.09.2022

[5] https://taumea.de/was-ist-taumea/

[6] Weikert (2008)
Weikert S, Rotter A, Scherer H, Hölzl M. Picrotoxin in der Therapie des Morbus Menière [Picrotoxin in the treatment of Menière’s disease]. Laryngorhinootologie. 2008 Dec;87(12):862-6.
(Volltext nicht kostenfrei abrufbar)

[7] Pschyrembel Klinisches Wörterbuch online

[8] IQWIQ
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). Glossar Homöopathie
abgerufen am 12.09.2022

[9] https://www.uptodate.com/, https://www.uptodate.com/contents/causes-of-vertigo?source=history_widget abgerufen am 12.10.2022

[10] IQWiQ (2020)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). Helfen Lagerungsmanöver bei gutartigem Lagerungsschwindel? abgerufen am 20.09.2022

[11] Murdin (2016)
Murdin L, Hussain K, Schilder AGM. Betahistine for symptoms of vertigo. Cochrane Database of Systematic Reviews 2016, Issue 6. Art. No.: CD010696. DOI: 10.1002/14651858.CD010696.pub2
abgerufen am 15.09.2022

[12] https://www.uptodate.com/, https://www.uptodate.com/contents/treatment-of-vertigo?search=vertigo&source=search_result&selectedTitle=2~150&usage_type=default&display_rank=2 abgerufen am 12.10.2022

[13] https://www.uptodate.com/ https://www.uptodate.com/contents/meniere-disease-evaluation-diagnosis-and-management?search=betahistine&source=search_result&selectedTitle=2~5&usage_type=default&display_rank=1#H2017340077

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