Startseite ● Scenar: fragwürdige Therapie mit elektrischen Impulsen Scenar: fragwürdige Therapie mit elektrischen Impulsen Ein Gerät namens Scenar soll Schmerzen und andere Beschwerden lindern - und zwar mithilfe von Stromimpulsen. Studien können das nicht bestätigen. 26. Februar 2025 AutorIn: Bernd Kerschner Review: Jana Meixner Teilen Lindert eine einmalige Behandlung mit Scenar Nacken- und Rückenschmerzen? wahrscheinlich nicht Bessern mehrmalige Behandlungen mit Scenar die Gesundheit? wissenschaftliche Belege fehlen Nacken- bzw. Kreuzschmerzen haben sich in einer kleinen Studie nach einmaliger Behandlung nicht gebessert. Ob das bei mehrmaliger Behandlung anders wäre, wurde nie untersucht. Ob Scenar bei anderen Beschwerden helfen kann, ist ebenfalls unzureichend erforscht. Die einzigen beiden Studien – zur Schmerzerkrankung Fibromyalgie und zu Blasenschwäche – sind zu klein und zu mangelhaft, um Antworten zu liefern. Den angeblichen Wirkmechanismus des Scenar-Geräts halten wir zudem für nicht plausibel. so arbeiten wir Durch 'spezielle Elektro-Impulse' soll Scenar Schmerzen lindern © ViktorCap – istockphoto.com „Scenar – die Nummer 1 in der Schmerztherapie!“ Mit diesem Spruch wirbt ein österreichischer Anbieter für ein Gerät, das in etwa die Größe einer Fernseh-Fernbedienung hat [Quelle 4]. Mittels „spezieller Elektro-Impulse“ soll Scenar nicht nur Schmerzen lindern, sondern bei unterschiedlichsten Gesundheitsproblemen helfen – etwa bei Kopfschmerzen, Sportverletzungen, Erkältungen oder nicht näher genannten chronischen Beschwerden. Dazu wird das Gerät mit zwei Elektroden an die betroffene Körperstelle gehalten. Dabei fließt Strom von einer Elektrode des Geräts über die Haut zur anderen. Die behauptete Wirkung ist nicht plausibel. Dennoch lassen Anbieter von Scenar die Behandlung nach einer erprobten und wissenschaftlich belegten Behandlung aussehen. Manche werben sogar mit wissenschaftlichen Studien, die die Wirksamkeit beweisen sollen [Quelle 5]. Wir haben die Studien dazu unter die Lupe genommen. Gut gemachte Studie zeigt keine Wirksamkeit Unter den zahlreichen Studien fanden wir nur eine einzige, die die Wirkung von Scenar einigermaßen vertrauenswürdig und für uns nachvollziehbar überprüft hat. Untersucht hat sie die Wirkung gegen Nacken- und Rückenschmerzen [Quelle 1]. Dabei konnte Scenar die Beschwerden nicht lindern – zumindest nicht nach einer einmaligen Behandlung. Ob wiederholte Behandlungen helfen, bleibt unbeantwortet. Zwei weitere Studien haben untersucht, ob Scenar bei der chronischen Schmerzerkrankung Fibromyalgie oder bei Blasenschwäche helfen kann [Quellen 2,3]. Placeboeffekt statt echter Wirkung? Die Forschungsteams hinter diesen beiden Studien berichteten zwar von einer kleinen Besserung der Beschwerden am Ende der einmonatigen Behandlung. Der Effekt war aber so klein, dass die Teilnehmenden ihn gerade noch wahrnehmen konnten. Und es ist gut möglich, dass dafür nur der Placeboeffekt verantwortlich war – dass also nur die Erwartung an eine Wirkung die Besserung verursacht hat. Eine solche Studie ist nur dann aussagekräftig, wenn die Scenar-Behandlung mit einer Scheinbehandlung verglichen wird – und zwar ohne dass die Teilnehmenden merken, ob sie eine echte Behandlung bekommen oder nicht. Die Teilnehmenden konnten die echte Scenar-Behandlung allerdings als Kribbeln auf der Haut spüren [Quelle 1] Das kann Erwartungen geweckt und einen Placeboeffekt verursacht haben. Deshalb trauen wir diesen Ergebnissen nicht. Zwei Monate später war die vermeintliche Besserung jedenfalls wieder verpufft, und es gab keinen Unterschied mehr zwischen echter und Scheinbehandlung. Mehr zu den Mängeln der Studien gibt es im Abschnitt „Die Studien im Detail“. Mögliche Nebenwirkungen unzureichend erforscht Geräte, die Strom durch den menschlichen Körper leiten, können riskant sein – so auch Scenar. Daher warnen Anbieter Menschen mit Herzschrittmacher und Schwangere davor, das Gerät zu verwenden. Ob es andere mögliche Gesundheitsrisiken gibt, bleibt unklar. Nur eine der Studien hat dies untersucht – jene zu Nacken- und Rückenschmerzen [Quelle 1]. Eine Häufung von Nebenwirkungen ist dem Forschungsteam dabei zwar nicht aufgefallen. Die Anzahl der Teilnehmenden war jedoch viel zu klein, um Nebenwirkungen ausschließen zu können. Behauptete Wirkungsweise unplausibel Anbieter behaupten, die elektrischen Impulse von Scenar würden die Nerven und das Gehirn so beeinflussen, dass dadurch die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert würden. Das ist weder belegt noch wissenschaftlich nachvollziehbar. Dass Belege nach wie vor fehlen, scheint verwunderlich: Scenar sei immerhin bereits in den 1980er-Jahren entwickelt worden – angeblich für die russische Raumfahrt. Seitdem sind rund 40 Jahre vergangen, ohne dass es der Wissenschaft gelungen ist, die Wirksamkeit zu beweisen und den behaupteten Wirkmechanismus zu beobachten. Die Wirkung ist auch nach heutigem Stand der Forschung unplausibel. Die Behauptungen ähneln jenen der Firma Healy. Deren Gerät erzeugt ebenfalls Stromimpulse, die angeblich eine gesundheitsförderliche Wirkung haben sollen. Auch diese Behauptung ist weder wissenschaftlich nachvollziehbar noch belegt. Die Studien im Detail Nach welchen Studien haben wir gesucht? Die behauptete Wirkungsweise von Scenar ist zwar nicht plausibel. Ob das Gerät wirkt oder nicht, lässt sich aber dennoch leicht überprüfen – in einer randomisiert-kontrollierten Studie. Dabei werden möglichst viele Teilnehmende nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) einer von zwei Gruppen zugelost: Die Scenar-Gruppe bekommt eine Behandlung mit dem Scenar-Gerät, die Kontrollgruppe zum Vergleich eine Scheinbehandlung mit ausgeschaltetem Gerät. Um einen Placeboeffekt auszuschließen, darf niemand merken, wer die echte und wer die Scheinbehandlung bekommt. Bei Scenar ist es jedoch schwierig, das geheim zu halten. Denn das Gerät verursacht ein spürbares Prickeln auf der Haut. Auf der Suche nach solchen randomisiert-kontrollierten Studien haben wir die Studienliste eines australischen Scenar-Anbieters [Quelle 5] durchsucht sowie zwei Forschungsdatenbanken. Gefunden haben wir drei Studien [Quellen 1-3]. Wie aussagekräftig ist die Studie zu Nacken- und Rückenschmerzen? Zumindest teilweise aussagekräftig ist nur eine der drei Studien – jene zu Nacken- und Rückenschmerzen [Quelle 1]. Aus folgenden Gründen ist die Aussagekraft jedoch etwas eingeschränkt: Nicht verallgemeinerbar: An der Studie haben lediglich 60 Personen teilgenommen – je 30 pro Gruppe. Das ist zu wenig, um die Ergebnisse auf alle betroffenen Personen umlegen zu können. Nur einmalige Behandlungs-Sitzung: Eine einmalige Behandlung half nicht mehr als eine Scheinbehandlung. Es wurde aber nicht untersucht, ob eine mehrmalige Behandlungsreihe eine Wirkung hätte. Was das negative Ergebnis noch bestärkt: Die Teilnehmenden konnten theoretisch spüren, ob sie die echte oder die Scheinbehandlung bekamen. Doch nicht einmal der Placebo-Effekt war stark genug, um eine Wirkung zu zeigen. Wie aussagekräftig sind die beiden Studien zu Blasenschwäche und Fibromyalgie? Die Aussagekraft der beiden Studien zu Blasenschwäche und Fibromyalgie [Quellen 2,3] schätzen wir als unzureichend ein – und zwar aus folgenden Gründen: Placeboeffekt möglich: Den Teilnehmenden war bewusst, ob sie die echte oder die Scheinbehandlung bekamen. Spürten sie das Kribbeln des eingeschalteten Scenar, könnte ihre Erwartung an eine Wirkung des Geräts einen Placeboeffekt bewirkt haben. Nicht verallgemeinerbar: An der Studie zu Fibromyalgie haben lediglich 37 Personen teilgenommen, in jener zu Blasenschwäche waren es 63. Das ist zu wenig, um die Ergebnisse auf alle Betroffenen umlegen zu können. Fehler und Unklarheiten bei der Datenauswertung: In der Studie zu Blasenschwäche haben wir Rechenfehler entdeckt. Zudem ist die Art, wie die Daten ausgewertet wurden, fragwürdig und nicht nachvollziehbar. Fehlende Daten: In der Studie zu Blasenschwäche fehlen Ergebnisse, die laut vorab veröffentlichtem Studienprotokoll erhoben wurden. Mögliche Beeinflussung: An beiden Studien ist ein Autor maßgeblich beteiligt, der ein Institut mit Verbindung zu Scenar leitet. Wissenschaftliche Quellen [1] Michel-Cherqui et al. (2021) Effects of a Single Application of ScenarTM, a Low-Frequency Modulated Electric Current Therapy, for Pain Relief in Patients with Low Back and Neck Pain: A Randomized Single Blinded Trial. Journal of clinical medicine, 10(23), 5570. (Studie in voller Länge) [2] Udina-Cortés et al. (2020) Effects of neuro-adaptive electrostimulation therapy on pain and disability in fibromyalgia: A prospective, randomized, double-blind study. Medicine, 99(51), e23785. (Studie in voller Länge) [3] Zapico et al. (2023) Effect of Neuro-Adaptive Electrostimulation Therapy versus Sham for Refractory Urge Urinary Incontinence Due to Overactive Bladder: A Randomized Single-Blinded Trial. Journal of clinical medicine, 12(3), 759. (Studie in voller Länge) [4] Enerbalance (2025) Enerbalance. (archivierte Version vom 8.1.2025) [5] Ritm Scenar Australia (2024) Scenar.com.au SCENAR Research and publications. (archivierte Version vom 20.5.2024) Versionsgeschichte 26.2.2025: erste Version des Faktenchecks Schlagworte Elektro-ImpulseFrequenzenKreuzschmerzenNackenschmerzenRückenschmerzenScenarSchmerzenStrom In über 500 Faktenchecks suchen