Startseite ● PrEP – die „Pille davor“ gegen HIV Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. PrEP – die „Pille davor“ gegen HIV Nach einer Ansteckung mit HIV helfen bestimmte Medikamente. Dieselben Pillen können auch vorbeugend wirken: PrEP-Tabletten senken das HIV-Infektionsrisiko deutlich. 06. Februar 2018 AutorIn: Julia Harlfinger Review: Bernd Kerschner Claudia Christof Teilen Reduziert PrEP das Risiko einer HIV-Infektion? ja Bisherige Studien haben die vorbeugende Wirkung bestätigt. Bei Personen, die PrEP-Medikamente korrekt einnehmen, sinkt das Risiko einer HIV-Infektion deutlich. Komplett auszuschließen ist eine Ansteckung allerdings nicht. so arbeiten wir HIV-Vorbeugung: Medikamente schützen vor Ansteckung © Alexxndr – shutterstock.com Positiv! So fällt jeden Tag der HIV-Test von ein bis zwei Menschen in Österreich aus. Weltweit leben über 36 Millionen Menschen mit einer HIV-Infektion, und jährlich gibt es etwa zwei Millionen neue Ansteckungen. Marktreife Impfungen gegen eine HIV-Ansteckung gibt es keine. Also gilt es anderweitig vorzubeugen: eine der wichtigsten Maßnahmen ist der Gebrauch von Kondomen. Nichtsdestotrotz ist der häufigste Übertragungsweg für HIV ungeschützter Sex, das heißt Geschlechtsverkehr ohne Kondom zwischen Männern und Männern oder Frauen und Männern. Es scheint, als brauche es zum Eindämmen von HIV mehr als die gängigen Aufklärungs- und Vorbeugungsmethoden [5,7]. Ansteckung blockieren Eine neue und viel versprechend erscheinende Anti-HIV-Maßnahme sind Medikamente namens PrEP, kurz für Präexpositions-Prophylaxe. Die „Pille davor“ kann verhindern, dass HIV-Infektionen durch ungeschützten Sex entstehen. Auch die WHO empfiehlt PrEP als zusätzliche Vorbeugungsmaßnahme für Personen mit hohem HIV-Ansteckungsrisiko [3,7]. Unter HIV-negativen Personen, die sich ihres erhöhten Ansteckungsrisikos bewusst sind, werden diese Medikamente seit einigen Jahren immer bekannter. In einigen Ländern haben Gesundheitssysteme und Versicherungen PrEP bereits gut zugänglich gemacht, etwa in Schottland, Belgien, Norwegen und den USA. Keine HIV-Ansiedlung In PrEP stecken, je nach Präparat, die beiden Wirkstoffe Tenofovir und Emtricitabin gemeinsam oder Tenofovir alleine. Diese Substanzen sollen verhindern, dass sich HI-Viren dauerhaft ansiedeln, vermehren und letztendlich krank machen können [8]. So lautet zumindest die Theorie. Doch wie verlässlich ist PrEP in der Praxis? Kann es wirklich Infektionen bei Personen mit hohem Ansteckungsrisiko verhindern? Gut, aber nicht perfekt Zu dieser Frage gibt es diverse Forschungsarbeiten, zum Beispiel eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015 [3]. Hier sind u.a. die Ergebnisse von drei gut gemachten Studien zusammengefasst: Von 1000 Probandinnen und Probanden, die die „Pille davor“ nahmen, haben sich 10 trotzdem infiziert. Von 1000 Personen, die ein Scheinmedikament erhielten – also Pillen ohne Wirkung – infizierten sich 35 Menschen. Unser Fazit: PrEP kann vor einer HIV-Infektion schützen, und zwar Frauen, Männer und Transgender-Personen [1]. Je nach Geschlecht und nach Sexualpraktik (Analverkehr, Vaginalverkehr) fällt die Risikoreduktion offenbar etwas unterschiedlich aus [11]. Auch wenn die „Pille davor“ gut vor HIV schützt, ist sie keine absolut sichere Vorbeugungsmethode. In Kombination mit den zusätzlich empfohlenen Kondomen kann das Ansteckungsrisiko noch weiter gesenkt werden. Regelmäßige Einnahme entscheidend Klar wurde aus bisherigen Untersuchungen auch: Nur wer regelmäßig PrEP nimmt, senkt das Infektionsrisiko. In der Regel heißt dies: alle 24 Stunden eine Pille schlucken. Personen, die sich nur mäßig an den Einnahmeplan hielten, entwickelten keinen guten Schutz [3]. Das Alter der PrEP-Nutzerinnen und -Nutzer scheint für die Wirksamkeit keine Rolle zu spielen [1]. Auch, ob Tenofovir und Emtricitabin gemeinsam oder nur Tenofovir verabreicht wird, spielt offenbar für die Wirkung keine Rolle. Alle Präparate schützen. Allerdings sind nicht alle Präparate und Kombinationen gleich gut für alle Zielgruppen untersucht [11]. Nebenwirkungen meist nur leicht Die Nebenwirkungen von PrEP sind meistens nicht gravierend, dazu zählen zum Beispiel Übelkeit und Erbrechen [11]. In wenigen Fällen wurde von einer leichten Beeinträchtigung der Nierenfunktion berichtet, die sich meistens nach dem Absetzen des Medikaments wieder regeneriert hat. Außerdem verringerte sich die Knochendichte einiger Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer ein wenig in den ersten sechs Monaten der Einnahme. Dies führte aber nicht zu einem erhöhten Risiko für Knochenbrüche [1,6,11]. Eine weitere mögliche unerwünschte Wirkung wird in Fachkreisen diskutiert: Manche befürchten, dass sich bei PrEP-Nutzerinnen und -Nutzern – so sie sich während der Einnahmezeit doch anstecken – eher resistente HI-Viren bilden. Dies würde die spätere HIV-Behandlung verkomplizieren. Allerdings erscheint dieser Resistenz-Effekt, zumindest in größerem Ausmaß, nach heutigem Wissensstand eher unwahrscheinlich [1,7]. Zum Thema „Risiken bei Langzeiteinnahme“ braucht es noch mehr Forschung, um verlässlichere Aussagen treffen zu können [11]. Für wen PrEP geeignet ist PrEP in Tablettenform ist gedacht für Frauen, Männer und Transgender-Personen, die ein hohes HIV-Ansteckungs-Risiko haben. Sie sollten zu Einnahmebeginn HIV-negativ sein und bereit sein, sich an das vorgeschrieben Einnahmeschema halten (meist 1 Tablette täglich). Außerdem sind regelmäßige Untersuchungen und Beratungen vorgesehen. Diese ständige medizinische Begleitung ist auch deshalb wichtig, weil es zwischen PrEP und anderen Medikamenten zu Wechselwirkungen kommen kann [2,4,6-8,11]. PrEP kommt beispielsweise in Frage für: sexuell aktive Menschen mit risikoreichem Verhalten, z. B. mit wechselnden Partnern in Gebieten mit hoher HIV-Verbreitung Personen mit HIV-positiven Sexualpartnerinnen oder -partnern, falls deren Infektion noch im Blut nachweisbar ist Personen mit Sexualpartnerinnen und-partnern, deren HIV-Status unbekannt ist bzw. die möglicherweise ein risikoreiches Sexualverhalten haben, zum Beispiel Analverkehr ohne Kondom Drogenkonsumentinnen und -konsumenten, die Spritzen teilen Kritische Stimmen Kritikerinnen und Kritiker von PrEP geben zu bedenken, dass die vorbeugende Wirkung der Anti-HIV-Pillen die Risikobereitschaft erhöhen könnte. Sie befürchten als unerwünschten Nebeneffekt einen Anstieg von sexuell übertragbaren Krankheiten wie Syphilis oder Gonorrhö. Zumindest im Überblick konnte unsere Hauptquelle [1] keine guten Belege für ein allgemein erhöhtes Risikoverhalten – weniger Kondomgebrauch, mehr riskante Sexualkontakte und folglich mehr Infektionen – im Zusammenhang mit PrEP orten. Dies schließt natürlich nicht aus, dass sich manche PrEP-Userinnen und -User durch das Medikament sicherer fühlen und eventuell bei riskantem Sex auf Kondome verzichten. Dies würde das Risiko steigern, Geschlechtskrankheiten zu bekommen oder weiterzugeben. Hier braucht es noch mehr „Real-World-Studies“, die zeigen, ob oder welche unbeabsichtigten Folgen PrEP im echten Leben haben könnte. Wie dem auch sei: Fachleute, die PrEP befürworten, argumentieren, dass PrEP-Userinnen und -User für ein neues Rezept regelmäßig (ca. alle drei Monate) neben HIV auf diverse Geschlechtskrankheiten untersucht und in speziellen medizinischen Einrichtungen beraten werden. Dabei spielt natürlich auch die Vorbeugung, Diagnostik und Behandlung von Geschlechtskrankheiten eine Rolle. Bedarf an PrEP auch in Österreich Um noch mehr über PrEP zu erfahren, laufen derzeit mehrere große Studien. Zum Beispiel in England, wo etwa 10.000 Personen über drei Jahre begleitet werden [9]. Über die PrEP-Nutzerinnen und -Nutzer aus Österreich fehlen gute Daten. Es gibt hierzulande derzeit keine Berechnungen dazu, wie viele Neuinfektionen durch richtig eingesetztes PrEP verhindert werden könnten. Auch ohne Studien wissen HIV-Medizinerinnen und -Mediziner, dass es in Österreich Bedarf an PrEP gibt [10]. Die Anti-HIV-Pille wird zum Beispiel via Mundpropaganda und Infomaterial immer bekannter. Männer, Frauen und Transgender-Personen können PrEP mittels Privatrezept, ausgestellt von HIV-Medizinerinnen und -Medizinern, in Apotheken kaufen. Durch die Initiative einer Wiener Apotheke ist eine Monatspackung PrEP mittlerweile um 59 Euro (30 Stück) erhältlich und wesentlich günstiger als früher (Originalpreis: 990 Euro für 30 Stück). Die Krankenkassen finanzieren PrEP nicht, da es sich hier um eine vorbeugende Maßnahme handelt [12]. Weniger erfolgreich: PrEP für die Scheide Neben PrEP-Tabletten gibt es übrigens auch Scheidengele und Scheidenringe, die einer HIV-Infektion vorbeugen sollen. Diese Produkte sind allerdings noch in Erprobung und haben sich bisher als weniger wirksam erwiesen als PrEP-Tabletten [7]. HIV oft jahrelang unauffällig HIV steht für das „Humane Immundefizienz-Virus“. Die Infektion kann jahrelang unauffällig bleiben. Ohne Behandlung entwickelt sie sich letztlich zur Immunschwächekrankheit AIDS. In dieser späteren Phase ist das Immunsystem stark geschwächt. Die Betroffenen haben mit vermeintlich harmlosen Infektionen wie Erkältungen zu kämpfen und können sogar daran sterben. Chronische Krankheit statt Todesurteil Heute gibt es, zumindest in den Ländern, die es sich leisten können, sehr gute Behandlungsmöglichkeiten für HIV-Patientinnen und -Patienten. Antiretrovirale Therapien (kurz ART) haben HIV zwar nicht heilbar gemacht. Aber HIV ist zu einem chronischen Leiden mit guter Prognose geworden. ART hält die HI-Viren so gut in Schach, dass Infizierte eine hohe Lebenserwartung und hohe Lebensqualität haben. Außerdem wird idealerweise im Laufe der Therapie die Belastung mit HI-Viren so gering, dass von Blut, Samenflüssigkeit, Scheidenflüssigkeit und Muttermilch der Infizierten keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht. Das ist zum Beispiel von enormer Bedeutung für sexuell aktive Paare, bei denen eine Person HIV-positiv, die andere HIV-negativ ist. Die Wirkstoffe für ART werden auch in PrEP-Medikamenten verwendet [5]. Regionale Übertragungs-Unterschiede Übertragen wird das HI-Virus hauptsächlich über ungeschützten Sexualverkehr, aber auch durch Drogeninjektionen mit Utensilien, auf denen infiziertes Blut ist. Eine Übertragung von Müttern auf ihre ungeborenen Kinder ist ebenso möglich wie durch Bluttransfusionen. In punkto Übertragungsweg gibt es zwischen den Weltregionen große Unterschiede. Während in westlichen Ländern viele Infektionen aus ungeschütztem Sex zwischen Männern resultieren, ist in anderen Staaten der Verkehr zwischen Frauen und Männern die häufigste Infektionsquelle. In Osteuropa kommt es seit einigen Jahren zu vergleichsweise vielen neuen Infektionen unter Drogenkonsumentinnen und -konsumenten [5]. Die Studien im Detail Die zitierte systematische Übersichtsarbeit [1], die die Grundlage für unsere Conclusio darstellt, stammt von Virginia Fonner und ihrem Team aus den USA: Sie haben dafür verschiedene Datenbanken nach Studien durchforstet und deren Qualität beurteilt. 18 Studien (15 randomisiert-kontrollierte Studien, 3 Beobachtungsstudien), deren Durchführung als solide eingestuft wurde, sind die Basis der Übersichtsarbeit. Bei näherer Betrachtung bestand bei einigen Studien das Risiko von verzerrten Ergebnissen – bei zwei Studien war zum Beispiel nicht klar, ob Studienteams und Probandinnen und Probanden wussten, wer das richtige oder das Scheinmedikament erhielt. Diese mögliche Verzerrung wurde aber von Fonner berücksichtigt. In allen von Fonner zusammengefassten Studien wurden knapp 19.500 Menschen aus Afrika, Asien, Nordamerika, Südamerika und Europa untersucht: Frauen, Personen, die Drogen injizieren, Transgender-Personen, Männer, Paare mit unterschiedlichem HIV-Status. Etwa 11.900 von ihnen nahmen PrEP über einen Zeitraum von 24 Wochen bis zu fünf Jahren. Die restlichen 7600 Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer erhielten stattdessen Placebos (Scheinmedikamente) oder sie wurden gar nicht behandelt. Die Auswertung ergab, dass sich das Risiko einer HIV-Infektion bei den PrEP-Userinnen und -Usern deutlich senkte. Wichtig für den Schutzeffekt war die regelmäßige Einnahme der Tabletten. Zusammenfassend meinen die Autorinnen und Autoren, dass für den Erfolg von PrEP in Zukunft u.a. folgendes ausschlaggebend sein wird: Der Therapiestart bei den „richtigen“ Zielgruppen und das Einhalten des Einnahmemodus. Wissenschaftliche Quellen [1] Fonner u.a. (2016) Studientyp: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse Eingeschlossene Studien: 18 Studien (15 davon randomisiert-kontrolliert) Teilnehmer insgesamt: 19.491 Fragestellung: Können PrEP-Medikamente bei Hochrisiko-Personen einer HIV-Infektion vorbeugen? Interessenskonflikte: keine laut Autoren Fonner VA, Dalglish SL, Kennedy CE, Baggaley R, O’Reilly KR, Koechlin FM, Rodolph M, Hodges-Mameletzis I, Grant RM. Effectiveness and safety of oral HIV preexposure prophylaxis for all populations. AIDS. 2016 Jul 31;30(12):1973-83. (Übersichtsarbeit in voller Länge) Weitere wissenschaftliche Quellen [2] Uptodate (2017a) Patient evaluation and selection for HIV pre-exposure prophylaxis. Abgerufen im Dezember 2017 unter https://www.uptodate.com/contents/patient-evaluation-and-selection-for-hiv-pre-exposure-prophylaxis [3] World Health Organization (2015) Guideline on When to Start Antiretroviral Therapy and on Pre-Exposure Prophylaxis for HIV (plus Annex). Abgerufen im Dezember 2017 unter http://www.who.int/hiv/pub/guidelines/earlyrelease-arv/en/ [4] UpToDate (2017b) Pre-exposure prophylaxis against HIV infection. Abgerufen im Dezember 2017 unter www.uptodate.com/contents/pre-exposure-prophylaxis-against-hiv-infection [5] UpToDate (2017c) HIV infection: Risk factors and prevention strategies. Abgerufen am 18.12.2017 unter www.uptodate.com/contents/hiv-infection-risk-factors-and-prevention-strategies [6] UpToDate (2017d) Administration of pre-exposure prophylaxis against HIV infection. Abgerufen am 18.12.2017 unter www.uptodate.com/contents/administration-of-pre-exposure-prophylaxis-against-hiv-infection abgerufen am 18.12.2017 [7] WHO Preexposure prophylaxis. Abgerufen am 18.12.2017 unter http://www.who.int/hiv/topics/prep/en/ [8] CDC Center for Disease Prevention and control Prep 101 Factsheet. Abgerufen am 18.12.2017 unter www.cdc.gov/hiv/pdf/library/factsheets/prep101-consumer-info.pdf [9] NHS England (2017) NHS England announces world’s largest single PrEP implementation trial to prevent HIV infection abgerufen am 18.12.2017 unter www.england.nhs.uk/2017/08/nhs-england-announces-worlds-largest-single-prep-implementation-trial-to-prevent-hiv-infection/ [10] Österreichische AIDS Gesellschaft (2017) Statement der Österreichischen AIDS Gesellschaft zum Einsatz von TDF/FTC (Truvada®) als präexpositionelle Prophylaxe (PrEP). Abgerufen am 03.01.2018 unter www.aidsgesellschaft.info/uploads/Statement der ÖAG zum Einsatz von PrEP _ Januar 2017.pdf [11] DynaMed Plus (2017) Preexposure prophylaxis (PrEP) für HIV. Abgerufen am 10.1.2018 unter www.dynamed.com/topics/dmp~AN~T901962/Preexposure-prophylaxis-PrEP-for-HIV [12] personal communciation Dr. Christan Zagler, HIV-Spezialist und Facharzt für Lungenkrankheiten aus Wien Schlagworte AIDSArzneimittelEmtricitabinHIV-InfektionInfektionenMedikamentPräexpositionsprophylaxePrEPSexualitätTenofovirVorbeugung In über 500 Faktenchecks suchen