Oxytocin-Nasenspray: Hilfe bei Depression und Angst?

Nasensprays mit Oxytocin werden als Hilfe bei Depression und Ängsten beworben. Vermutlich zu Unrecht.

AutorIn:
Review:  Bernd Kerschner 

Können Nasensprays mit Oxytocin bei einer Angststörung helfen?

Sind Nasensprays mit Oxytocin eine wirksame Behandlung bei Depression?

Nasensprays mit dem Hormon Oxytocin können Menschen mit Angststörungen wie Sozialphobie oder Angst vor Spinnen wohl eher nicht helfen. Darauf deuten die Ergebnisse bisheriger Studien hin. Ob Oxytocin bei Depression helfen kann, bleibt unklar. Hier fehlt aussagekräftige Forschung völlig. Wie genau Hormon in unserem Gehirn wirkt, darüber ist sich die Fachwelt außerdem noch nicht einig.

so arbeiten wir
© istockphoto.com - Osobystist Mit dem Kuschelhormon gegen Angst und Depression?
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Das Hormon Oxytocin stärkt Bindungen, macht uns einfühlsamer, und fördert Wehen und Milchfluss bei der Geburt. Es wurde deshalb auch als „Kuschelhormon“ berühmt. Unser Körper schüttet es aus, wenn wir geliebte Menschen berühren oder von ihnen berührt werden. Auch beim Anblick des neugeborenen Kindes, und sogar beim Blickkontakt mit einem geliebten Haustier [Quelle 5].

Da scheint es naheliegend, auch über mögliche therapeutische Anwendungen nachzudenken. Bei psychiatrischen Störungen etwa. Im Internet versprechen Nasensprays mit Oxytocin ein wohliges Gefühl und Hilfe bei Ängsten und Depression. Klingt auf den ersten Blick zwar plausibel. Aber ist eine solche Wirkung auch wissenschaftlich bestätigt?

Oxytocin-Nasenspray: eher keine angstlösende Wirkung

Die schlechte Nachricht für alle, denen soziale Situationen oder diverse Krabbeltiere Angst und Stress bereiten: Nasensprays mit Oxytocin können ihnen wohl eher nicht helfen. Denn in keiner der fünf Studien, die wir dazu finden konnten, hatte das Hormon einen merkbar angstlösenden Effekt [Quellen 1,2].

Untersucht wurden darin ausschließlich Menschen mit Angst vor Spinnen (Arachnophobie) oder mit einer sozialen Angststörung, also Angst im Umgang mit anderen Menschen. Andere Angststörungen wurden in den Studien nicht untersucht. Es gibt daher keine Hinweise, dass Oxytocin bei Panikattacken, Platzangst oder sonstigen Angsterkrankungen helfen kann.

Fehlende Forschung zu Depression

Zu Oxytocin-Nasensprays gegen Depression konnten wir zu unserer Überraschung keine aussagekräftigen Studien finden. Es wurde offenbar bisher nicht untersucht, ob die dauerhafte Anwendung des Hormons die Beschwerden von Betroffenen lindern kann [Quelle 1].

Einzelne Studien lassen vermuten, eine Oxytocin-Einnahme über die Nase direkt vor Psychotherapiestunden könnte den positiven Effekt der Therapie etwas verstärken [Quelle 3]. Da wir aber wissen wollten, ob Oxytocin alleine eine geeignete Behandlung gegen Depression ist, haben wir diese Studien nicht eingehend analysiert.

Immerhin: Einige Studien zu Oxytocin und Depression scheinen gerade zu laufen. Es könnte also sein, dass wir in Zukunft mehr wissen.

Immer nur kuschelig?

Oxytocin ist kein rein menschliches Phänomen. Es wird in der Hirnanhangsdrüse, der sogenannten Hypophyse, produziert – und zwar bei allen Säugetieren. Lange Zeit war man vom „Kuschelhormon“ entzückt: Ein Hormon, das uns weich und wohlwollend, vertrauensvoll und empathisch macht. Wie schön.

Nach und nach jedoch entdeckten Forschende auch andere Seiten des Kuschelhormons. Ja, Oxytocin stärkt die Mutter-Kind-Bindung, und macht die Mutter fürsorglich und aufmerksam gegenüber den Bedürfnissen ihres Nachwuchses. Es macht sie aber auch aggressiv gegenüber Fremden, die ihrem Kind zu nahe kommen könnten.

Und zwar scheint es den Zusammenhalt von Paaren und der eigenen Gruppe zu fördern, gleichzeitig aber argwöhnisch zu machen gegenüber „den anderen“, die als fremd wahrgenommen werden [Quelle 5].

Vieles ist noch unklar

Ganz so einfach, wie man anfangs vielleicht dachte, schien das mit dem Oxytocin also doch nicht zu sein. Wie und wo genau Oxytocin im Gehirn wirkt, beschäftigt Forschende nach wie vor [Quelle 4].

Ob es als Medikament für psychiatrische Erkrankungen taugt, scheint ebenso unklar [Quelle 2]. Mehr zu Oxytocin gibt es außerdem in diesem Faktencheck, in dem wir uns genauer angesehen haben, ob Nasensprays mit Oxytocin die sozialen Fähigkeiten und das Wohlbefinden von Menschen mit Autismus verbessern können.

Ein wichtiges Medikament in der Geburtshilfe

Abseits von seinen Auswirkungen auf unsere Psyche spielt das Peptidhormon Oxytocin eine andere, wichtige Rolle in der Medizin. Als Wehen-stimulierendes Medikament ist es aus der Geburtshilfe nicht wegzudenken. Daher hat das Hormon auch seinen Namen: Er setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern „oxús“ für schnell, und „tókos“ für Geburt – wortwörtlich bedeutet es also „schnelle Geburt“. Denn Ärztinnen und Ärzte verwenden das Hormon, um die Geburt einzuleiten und zu beschleunigen, und um nach der Geburt die Gebärmutter dazu zu bringen, sich zu zusammenzuziehen, um so Blutungen zu verringern [Quelle 6]. Das Hormon kommt dabei sowohl als Nasenspray als auch als Infusion zum Einsatz.

Hilfe bei Angst und Depression

Wer vermutet, an einer Depression oder einer Angststörung erkrankt zu sein, sollte darüber mit einem Arzt oder einer Ärztin oder einer psychologisch geschulten Person sprechen. Verlässliche Informationen zu den Erkrankungen, wie sie entstehen und welche Möglichkeiten der Behandlung es gibt, finden Sie unter www.gesundheitsinformation.de/depression bzw. www.gesundheitsinformation.de/generalisierte-angststoerung, oder auch im Österreichischen Gesundheitsportal Gesundheit.gv.at (Depression, Angststörung)

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

Wir haben nach Studien gesucht, in denen Teilnehmende mit einer Depression oder einer Angststörung per Zufall auf zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Die eine Gruppe sollte dann eine Zeitlang ein Oxytocin-Nasenspray verwenden, die andere Gruppe ein gleich aussehendes und gleich riechendes Schein-Präparat, ein Placebo. Am Ende sollte verglichen werden: Wem geht es besser, wer fühlt sich weniger bedrückt oder ängstlich? Diese Art von Studie nennt man auch randomisiert-kontrollierte Studie. Nur damit können Forschende herausfinden, ob das Oxytocin wirkt – oder nur der Placebo-Effekt.

Zu Oxytocin gegen Depression konnten wir allerdings keine einzige solche Studie finden.

Zur Frage, ob Oxytocin bei Angststörungen helfen kann, fanden wir eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2019, die die Ergebnisse aller bisher durchgeführten Studien zusammenfasst [Quelle 1]. Außerdem eine neue Studie, die darin noch nicht eingeschlossen war [Quelle 2].

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Die Studien deuten darauf hin, dass Oxytocin bei Ängsten eher nicht helfen kann. Wir sind uns aus den folgenden Gründen allerdings nicht ganz sicher:

  • An den Studien zu Depression oder Angststörungen nahmen insgesamt 106 Betroffene von sozialer Angststörung oder krankhafter Angst vor Spinnen teil. Für ein aussagekräftiges Ergebnis wären mehr Teilnehmende notwendig.
  • Die einzelnen Studien kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen: Manche deuten zumindest ein einen möglichen positiven Effekt der Nasensprays an, manche zeigten gar keinen, und eine Studie gar einen negativen Effekt.

Welche Studien haben wir nicht berücksichtigt?

Wir wollten wissen, ob Oxytocin Menschen mit Depression oder Ängsten helfen kann. Nicht berücksichtigt haben wir deshalb Studien, in denen nicht die Beschwerden der Teilnehmenden erhoben wurden, sondern zum Beispiel lediglich ihre Leistung bei diversen Tests oder Ergebnisse von Gehirn-Scans.

Ebenfalls nicht berücksichtigt haben wir Studien, an denen Frauen mit einer postpartalen Depression teilgenommen haben. Denn die hormonelle Situation nach der Geburt ist einzigartig und wir nehmen an, dass Oxytocin in diesem Fall anders wirken könnte als bei anderen Arten von Depression.

[1] De Cagna, F. et al. (2019). The Role of Intranasal Oxytocin in Anxiety and Depressive Disorders: A Systematic Review of Randomized Controlled Trials. Clin Psychopharmacol Neurosci; 17:1-11.

[2] Voncken, M. J. et al. (2021). The effect of intranasally administered oxytocin on observed social behavior in social anxiety disorder. European Neuropsychopharmacology, 53, 25-33.

[3] Pérez-Arqueros, V. et al (2024). Could intranasal oxytocin enhance the effects of psychotherapy in individuals with mental disorders? A systematic review and meta-analysis. Psychoneuroendocrinology, 107206.

[4] Bartz, J. A. et al. (2011). Social effects of oxytocin in humans: context and person matter. Trends in cognitive sciences, 15(7), 301-309. (Link zur Studie)

[5] Marsh, N. et al. (2021). Oxytocin and the Neurobiology of Prosocial Behavior. Neuroscientist.;27(6):604-619. (Link zur Studie)

[6] Hermesch, A.C. et al. (2024). Oxytocin: physiology, pharmacology, and clinical application for labor management. Am J Obstet Gynecol.;230(3S):S729-S739. (Link zur Studie)

  • 21.11.2024: erste Version

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