Startseite ● Oxytocin-Nasenspray gegen Autismus? Oxytocin-Nasenspray gegen Autismus? Oxytocin könnte vielleicht Reizbarkeit bei Autismus lindern – der mögliche Effekt dürfte aber nur klein sein. Ein sonstiger Nutzen ist nicht belegt. 21. November 2024 AutorIn: Jana Meixner Review: Bernd Kerschner Teilen Können Nasensprays mit Oxytocin gegen Autismus-Symptome helfen? möglicherweise ein bisschen Oxytocin-Nasensprays könnten helfen, die Reizbarkeit von Betroffenen geringfügig zu lindern. Wenn, dann dürfte der Effekt allerdings nur sehr klein sein. Die Studien dazu sind noch dazu wenig verlässlich. Ob Oxytocin bei Autismus noch andere Vorteile bringt, ist unzureichend erforscht – zum Beispiel, ob es selbstverletzendes Verhalten verringern oder die Lebensqualität von Betroffenen erhöhen kann. so arbeiten wir Kann ein Nasenspray soziale Fähigkeiten stärken? istockphoto.com Autismus ist eine Entwicklungsstörung des Gehirns und besteht von Geburt an. Es kann aber Jahre dauern, bis die Störung bemerkbar wird. Betroffenen fällt es schwer, die Gefühle und Absichten anderer Menschen zu deuten, was soziale Beziehungen erschwert. Menschen mit Autismus sind schnell überfordert von äußeren Reizen und reagieren mitunter heftig auf Veränderungen, Berührungen oder laute Geräusche [Quelle 2]. Was die Störung auslöst, ist nicht geklärt. Ebenso wenig gibt es eine wirksame Behandlung. Zahlreiche Mittel und Therapien sollen das Leben von Betroffenen erleichtern – darunter auch viele angebliche Wundermittel. Hilft das „Kuschelhormon“? Das Hormon Oxytocin ist eine von vielen Substanzen, von denen sich sowohl die Forschung als auch Betroffene Hilfe erhoffen. Unser Körper schüttet Oxytocin bei angenehmen Berührungen aus, aber auch während der Geburt und beim Stillen. Es ist deshalb auch als „Kuschelhormon“ bekannt. Es kann uns empathischer und vertrauensvoller machen und Bindungen stärken [Quelle 1]. Eben deshalb untersuchte man das Hormon auch als mögliche Behandlung bei Autismus. Zum Beispiel in Form von Nasensprays. Vielleicht etwas weniger reizbar durch Oxytocin Doch die bisherige Forschung dazu zeichnet ein uneinheitliches Bild [Quelle 1]. Wir konnten bei unserer Suche zwar einige Studien finden, die die Wirkung von Oxytocin-Nasensprays auf autistische Menschen untersucht haben. Sie deuten zwar darauf hin, dass Oxytocin die typische Reizbarkeit von Autistinnen und Autisten geringfügig verringern könnte. Doch die meisten der Studien haben grobe Mängel (siehe Abschnitt „Die Studien im Detail“). Groß dürfte der mögliche Effekt außerdem nicht sein. Vieles bleibt unklar Ob Oxytocin gegen andere typische Probleme bei Autismus hilft, wurde bisher zu wenig erforscht – zum Beispiel ob es die Neigung verringert, sich selbst zu verletzen [Quelle 1]. Auch ob es die Lebensqualität von Betroffenen verbessert, bleibt ungeklärt. Anbieter von Oxytocin-Nasensprays, die diese Dinge behaupten, tun das ohne wissenschaftliche Grundlage. Wie sieht Autismus aus? Autistische Kinder und Erwachsene wirken oft in sich gekehrt, vermeiden Blickkontakt und tun sich schwer beim Kommunizieren mit anderen. Sich in andere hineinzuversetzen und Gefühle zu deuten ist für sie schwierig bis unmöglich. Sie haben meist einseitige, aber intensive Interessen, die sich oft um technische, logische Dinge drehen [Quelle 2]. Autistinnen und Autisten haben ein starkes Bedürfnis nach Routinen und Ordnung, und reagieren mitunter heftig, wenn Dinge anders ablaufen, als sie gewohnt sind. Auch Berührung und laute Geräusche können für sie sehr unangenehm sein. Besonders Kinder neigen zu Wutausbrüchen oder selbstverletzendem Verhalten. Die Störung kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Manche Menschen sind so leicht betroffen, dass sie die Diagnose womöglich erst im Erwachsenenalter erhalten. [Quelle 2] Vorsicht bei Heilsversprechen Das Leben mit autistischen Kindern kann für Eltern herausfordernd sein. Verständlicherweise suchen manche verzweifelt nach einer Möglichkeit, die Störung zu behandeln. Das nutzen auch Anbieter vermeintlicher Wundermittel aus. Wir haben uns schon manche solcher Mittel angesehen, zum Beispiel Vitamin D, das Nahrungsergänzungsmittel Carnosin, oder das potentiell gefährliche sogenannte „Miracle Mineral Supplement“ (MMS). Vorsicht bei Behandlungen, die viel Geld kosten und eine Heilung der Entwicklungsstörung versprechen – solche Angebote sind unseriös. Der widerlegte Impf-Mythos Eine eindeutige Ursache für die Entwicklungsstörung konnte bisher nicht gefunden werden. Besonders hartnäckig hält sich allerdings eine falsche Behauptung aus den 80er Jahren: Nämlich, dass die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln Autismus auslösen könne. Die Studie, die dieses Gerücht damals in die Welt setzte, stellte sich als Fälschung heraus [Quelle 3]. Nachfolgende Studien mit mehr als einer halben Million Kindern widerlegten die Behauptung [Quelle 4 und 5]. Sie zeigten klar, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Masern-Mumps-Röteln-Impfung und Autismus gibt. Was helfen kann Auch wenn Autismus nicht heilbar ist, können verschiedene Behandlungen Betroffenen und Angehörigen helfen, ihren Alltag zu bewältigen. Dazu gehören zum Beispiel Verhaltenstherapie, Logotherapie und Ergotherapie. Medikamente zur Behandlung gibt es nicht. Begleitende Probleme wie Schlafstörungen, ADHS oder aggressives Verhalten können aber sehr wohl mit Medikamenten gelindert werden [Quelle 2]. Mehr Infos Gesicherte Informationen zu Autismus (in der Fachsprache Autismus-Spektrum-Störung, oder ASD) hat das unabhängige Portal Gesundheitsinformation.de. Ob Oxytocin-Nasensprays bei Depression oder Angststörungen helfen, haben wir uns übrigens in einem anderen Beitrag näher angesehen. Die Studien im Detail Nach welchen Studien haben wir gesucht? Wir haben nach Studien gesucht, in denen Teilnehmende mit einer Autismus-Spektrum-Störung per Zufall auf zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Die eine Gruppe sollte eine Zeitlang Oxytocin Nasenspray verwenden, die andere Gruppe ein gleich aussehendes und gleich riechendes Schein-Präparat, ein Placebo. Am Ende sollte verglichen werden: Wem geht es besser, wer fühlt sich in sozialen Beziehungen wohler, wer ist weniger reizbar? Diese Art von Studie nennt man auch randomisiert-kontrollierte Studie. Nur damit können Forschende herausfinden, ob Oxytocin wirkt – oder nur der Placebo-Effekt. Wir fanden eine aktuelle Übersichtsarbeit, die sämtliche solche bisher durchgeführten Studien zusammenfasst [Quelle 1]. Wie aussagekräftig sind die Studien? Die Autorinnen und Autoren der Übersichtsarbeit kamen zu dem Schluss, dass Nasensprays mit Oxytocin autistischen Menschen möglicherweise ein bisschen weniger reizbar machen könnten. Das wurde in drei Studien mit insgesamt 353 Personen untersucht. Weil die Studien aber sehr mangelhaft waren, ist unser Vertrauen in deren Ergebnis gering. Zu anderen möglichen Effekten von Oxytocin lässt sich nicht viel sagen – dazu gibt es bisher einfach zu wenig Forschung. Wissenschaftliche Quellen [1] Iffland, M. et al. (2023). Pharmacological intervention for irritability, aggression, and self‐injury in autism spectrum disorder (ASD). Cochrane Database of Systematic Reviews(10). (Link zur Studie) [2] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2024) Abgerufen am 17.10.2024 unter https://www.gesundheitsinformation.de/was-ist-autismus-eine-autismus-spektrum-stoerung.html und https://www.gesundheitsinformation.de/autismus.html [3] Godlee, F. et al. (2011). Wakefield’s article linking MMR vaccine and autism was fraudulent. BMJ. 2011;342:c7452. Jan 5. (Link zur Veröffentlichung) [4] DeStefano, F. & Shimabukuro, T.T (2019). The MMR Vaccine and Autism. Annu Rev Virol.;6(1):585-600. (Link zur Veröffentlichung) [5] Taylor, L.E. et al. (2014). Vaccines are not associated with autism: an evidence-based meta-analysis of case-control and cohort studies. Vaccine. 2014;32(29):3623-3629. (Link zur Studie) Versionsgeschichte 21.11.2024: erste Version Schlagworte AspergerAutismusNasensprayOxytocin In über 500 Faktenchecks suchen