Schützt Metformin vor Krebs?

Das Diabetes-Medikament Metformin soll einen positiven Nebeneffekt haben: Angeblich schützt es auch vor Krebs. Was ist dran an dieser Vermutung?

AutorIn:
Review:  Bernd Kerschner 

Senkt Metformin das Krebs-Risiko?

Manche Krebsarten sind bei Diabetes-Betroffenen seltener, wenn diese das Medikament Metformin einnehmen. Bei anderen Krebsarten scheint das nicht der Fall zu sein. Die Datenlage ist hier mehr als widersprüchlich. Es ist außerdem unklar, ob nicht einfach die erfolgreiche Behandlung des Diabetes der Grund für das verringerte Krebs-Risiko ist. Und nicht das Medikament selbst.

so arbeiten wir
© iStock – seb_ra Metformin – nicht nur gegen Diabetes?
© iStock – seb_ra

Das Medikament Metformin senkt den Blutzuckerspiegel. Es ist deshalb die erste Wahl in der Behandlung des Typ-2-Diabetes mellitus, der sogenannten Zuckerkrankheit. Abseits dieser Wirkung spekulieren Fachleute seit einiger Zeit über einen möglichen günstigen Nebeneffekt des Medikaments: einen Schutz vor Krebs.

In einigen Studien fiel nämlich auf, dass Personen, die regelmäßig Metformin einnahmen, seltener Krebs bekamen als andere. Könnte das Diabetes-Medikament also vielleicht auch gesunden Menschen ohne Diabetes Vorteile bringen?

Metformin und Krebs: Widersprüchliche Ergebnisse

Wir haben uns auf die Suche nach verlässlichen wissenschaftlichen Arbeiten gemacht, die diese Frage beantworten können. Forschung dazu scheint es zuhauf zu geben [1,2], wie unsere ausführliche Recherche zeigte. Sie zeichnet allerdings ein widersprüchliches Bild:

Manche Krebsarten, wie etwa Leber- und Darmkrebs, scheinen bei Metformin-Nutzerinnen und -Nutzern tatsächlich seltener vorzukommen. Bei anderen Krebsarten wiederum, wie etwa Bauchspeicheldrüsenkrebs oder Krebs der Gebärmutter, scheint es diesen Effekt dagegen nicht zu geben.

Ist Anti-Krebseffekt womöglich nur Anti-Diabetes-Effekt?

Wir trauen diesen Ergebnissen jedoch nur wenig. Denn die Forschenden hinter diesen Studien verglichen das Krebsrisiko von Diabetes-Betroffenen, die Metformin nahmen, mit jenem von Diabetes-Betroffenen, die keine oder andere Diabetes-Medikamente einnahmen. Es ist also möglich, dass es die erfolgreiche Behandlung des Diabetes war, die das Krebsrisiko verringerte, und nicht das Metformin selbst.

Äpfel mit Birnen verglichen

Zudem waren die mehr als 160 bisher durchgeführten Studien zu Metformin und Krebs sehr unterschiedlich. Es ist deshalb sehr schwierig, ihre Ergebnisse sinnvoll zusammenzufassen – es ist das sprichwörtliche Vergleichen von Äpfeln und Birnen.

Studien mit Gesunden fehlen

Wie könnte aber nun aussagekräftig untersucht werden, ob Metformin vor Krebs schützt? Dazu sind Studien notwendig, in denen gesunde Menschen ohne Diabetes teilnehmen. Eine Hälfte der Teilnehmenden würde über einen langen Zeitraum Metformin einnehmen, die andere Hälfte nicht. Da viele Krebsarten langsam entstehen, müssten diese Studien sehr lange laufen. Anschließend würde verglichen: Gab es mit Metformin weniger Krebs-Fälle als ohne?

Solche Studien scheint es nicht zu geben. Die meisten verfügbaren Studien waren vorrangig an der Wirksamkeit von Metformin gegen Diabetes interessiert, und untersuchten Krebs nur als mögliche Nebenwirkung des Medikaments.

Fazit aus den Studien

Ob Metformin tatsächlich vor Krebs schützt, lässt sich pauschal also nicht beantworten. Es gibt zwar vorsichtige Hinweise darauf, dass zum Beispiel Krebs im Verdauungstrakt bei Metformin-Nutzerinnen und -Nutzern seltener vorkommt [1]. Gesichert ist das aber nicht. Warum, das erklären wir ausführlicher im Abschnitt „Die Studien im Detail“. Ob Menschen ohne Diabetes in Sachen Krebs von dem Medikament profitieren, ist vollkommen unklar. Studien dazu konnten wir keine finden.

Gesicherte Informationen zu Diabetes und seiner Behandlung

Von Typ-2-Diabetes Betroffene finden wissenschaftlich fundierte Informationen zum Beispiel beim Gesundheits-Portal Gesundheitsinformation.de oder auf Gesundheit.gv.at.

Metformin gegen Krebs: Wie soll das eigentlich funktionieren?

Fachleute vermuten, dass Metformin das Krebs-Risiko senken könnte, indem es das Wachstum von Zellen hemmt [4]. Es scheint nämlich ein Signalmolekül in unseren Zellen zu aktivieren, das eben unter anderem dieses Zellwachstum verhindert. Das Molekül soll verhindern, dass sich Zellen unkontrolliert vermehren – wie sie es etwa in bösartigen Tumoren tun. Dieser wachstumshemmende Effekt von Metformin wurde allerdings bisher nur in Tierexperimenten mit Würmern gezeigt. Ob es denselben Effekt bei Menschen hat, ist ungewiss.

Gut erforschtes Medikament

Als Diabetesmedikament ist Metformin seit über 70 Jahren im Einsatz und gut erforscht. Zu den unangenehmen Nebenwirkungen gehören vor allem Verdauungsbeschwerden. Diese treten aber meist zu Beginn der Behandlung auf uns bessern sich dann.

Weil das Metformin zu einem niedrigen Vitamin B12-Spiegel im Blut führen kann, ist es möglicherweise notwendig, das Vitamin als Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen.

Sehr selten kann Metformin eine potenziell lebensbedrohliche Übersäuerung des Blutes, eine sogenannte Azidose, verursachen. Besonders Alkohol erhöht das Risiko für so eine Azidose. Deshalb sollten Metformin-Nutzerinnen und -Nutzer auf Alkohol verzichten oder ihn nur in kleinen Mengen trinken [3].

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

Nur eine Art von Studie kann verlässlich beantworten, ob Metformin vor Krebs schützt: Eine große Gruppe gesunder Menschen wird per Zufall auf zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Hälfte schluckt nun regelmäßig Metformin in einer für die Diabetesbehandlung üblichen Dosis. Und zwar über mehrere Jahrzehnte hinweg. Die andere Hälfte schluckt währenddessen ein gleichaussehendes Schein-Medikament, also ein Placebo.

Die beiden Gruppen sollten sich im Durchschnitt nicht voneinander unterscheiden: So sollten ungefähr gleich viele Menschen jeder Altersgruppe vertreten, und Männer und Frauen gleich verteilt sein. Ebenso Einkommen und Bildung der Teilnehmenden.

Diese gleichmäßige Verteilung wird mit der zufälligen Gruppenzuteilung sichergestellt. Man nennt diesen Zuteilungs-Prozess auch Randomisierung und die Studienart „randomisiert-kontrollierte Studie“.

Am Ende der Studie vergleichen die Forschenden: In welcher Gruppe erkrankten mehr Menschen an Krebs?

Eine solche Studie wäre sehr aufwändig und teuer. Sie wäre aber notwendig, um zu untersuchen, ob tatsächlich das Metformin der Grund für einen Unterschied in der Krebs-Häufigkeit ist. Denn wenn in der Metformin-Gruppe tatsächlich weniger Menschen an Krebs erkranken, muss der Grund dafür das Metformin sein. Denn abgesehen davon unterscheiden sich die Teilnehmenden der beiden Gruppen nicht.

Wir konnten keine solche Studie finden – wir haben aber auch nicht damit gerechnet. Üblicherweise sind die Studienteilnehmenden Diabetikerinnen und Diabetiker, die entweder Metformin einnehmen oder andere Diabetes-Medikamente. Forschende können sie nun beobachten und herausfinden, wer häufiger Krebs bekommt. Da niemand einer Gruppe zugeteilt wird, sondern die Teilnehmenden von den Forschenden nur passiv beobachtet wird, nennt man diese Art von Studien auch Beobachtungsstudien.
Wir fanden zwei aktuelle Übersichtsarbeiten, die alle bisher durchgeführten Studien zu Metformin und Krebs zusammenfassten [1,2] – sowohl randomisiert-kontrollierte Studien als auch Beobachtungsstudien.

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Die beiden Übersichtsarbeiten sind solide durchgeführt, genauso wie die meisten der über 160 darin zusammengefassten Studien. Eine klare Antwort können sie dennoch nicht liefern. Aus folgenden Gründen:

  • Die zusammengefassten Studien sind sehr unterschiedlich und widersprechen sich gegenseitig. Sie untersuchten ganz unterschiedliche Krebsarten, dauerten unterschiedlich lange und verglichen Metformin mit verschiedensten anderen Medikamenten. Das macht es schwer, ihre Ergebnisse sinnvoll zusammenzufassen.
  • Auch gibt es Hinweise darauf, dass viele Studien zu dem Thema nicht veröffentlicht wurden – womöglich, weil sie keinen Zusammenhang zwischen Metformin und Krebs zeigten und damit für die Wissenschaftswelt weniger interessant waren. Die Ergebnisse dieser Studien fehlen in den Übersichtsarbeiten. Man nennt das auch „Publication Bias“.
  • Eine der beiden Übersichtsarbeiten fasst ausschließlich randomisiert-kontrollierte Studien zusammen [2]. Dabei zeigte sich kein Effekt von Metformin auf das Krebsrisiko. Grundsätzlich sind randomisiert-kontrollierte Studien die aussagekräftigste Studien-Art. Doch die Studien dauerten lediglich zwischen 3 Monate und 6 Jahre. Da viele Krebsarten sehr langsam entwickeln oder erst spät erkannt werden, halten wir diese Studiendauer für zu kurz, um verlässliche Ergebnisse liefern zu können.

[1] O’Connor, L., et al. (2024). Association of metformin use and cancer incidence: a systematic review and meta-analysis. J Natl Cancer Inst. (Link zur Studie)
[2] Mesquita, L. A., et al. (2024). Does metformin reduce the risk of cancer in obesity and diabetes? A systematic review and meta-analysis. Diabetes Obes Metab. (Link zur Studie)
[3] UpToDate (2024)
Abgerufen am 18.4.2024 unter www.uptodate.com (Kostenpflichtiger Zugang)
[4] UpToDate (2024)
Abgerufen am 18.4.2024 www.uptodate.com (Kostenpflichtiger Zugang)

  • 23.4.2024: Erste Veröffentlichung des Faktenchecks.

In über 500 Faktenchecks suchen