Startseite ● Weniger Lungenkrebs-Tote durch Screening Weniger Lungenkrebs-Tote durch Screening Die Früherkennung per Computer-Tomografie kann wahrscheinlich einige Todesfälle durch Lungenkrebs verhindern. Das Screening birgt aber auch Risiken. 09. April 2021 AutorIn: Iris Hinneburg Review: Julia Harlfinger Jana Meixner Teilen Sterben starke (Ex-)Raucherinnen und -Raucher seltener an Lungenkrebs, wenn sie regelmäßig an einem Lungenkrebs-Screening per Computer-Tomografie (CT) teilnehmen? wahrscheinlich Ist ein Lungenkrebs-Screening per Computer-Tomografie (CT) frei von Risiko? nein Das Screening in der Hochrisikogruppe verhindert wahrscheinlich Todesfälle durch Lungenkrebs. Ob die gescreenten Personen tatsächlich länger leben und eine höhere Lebensqualität haben, ist nicht geklärt. Es gibt auch Risiken: Einerseits erhalten einige gescreente Personen die Diagnose Lungenkrebs, hätten aber zu Lebzeiten keine Beschwerden verspürt. Weiters muss ein kleiner Teil der gescreenten Personen mit einem falsch-positiven Ergebnis („falscher Alarm“) rechnen. Bis zur Entwarnung sind Eingriffe zur Abklärung notwendig, bei denen Komplikationen auftreten können. so arbeiten wir Regelmäßig die Lunge "durchleuchten": mehr Nutzen als Schaden? © Nail Bikbaev – Shutterstock.com Uns erreichte eine Leseranfrage, ob Lungenkrebs-Screenings sinnvoll sind. Bei diesen Screenings wird per Computer-Tomografie (CT) mit einer relativ niedrigen Dosis an Röntgenstrahlung ein Bild der Lunge erstellt. Fachleute suchen auf diesem Bild dann nach Veränderungen, die auf Lungenkrebs hindeuten. Nutzen und Schaden abwägen Allerdings bringt eine Früherkennungsuntersuchung nicht automatisch Vorteile. Nicht immer steigen die Überlebenschancen, nicht immer sinkt die Anzahl der medizinischen Eingriffe. Durch die Früherkennung können sogar Probleme auftreten. Deshalb ist es wichtig, Nutzen und Risiken jeder Früherkennung in Studien gut zu untersuchen und abzuwägen. Wichtig ist jedenfalls, dass die Untersuchungen im Rahmen eines qualitätsgesicherten Screeningprogramms mit zentraler Datenauswertung erfolgen, zu dem alle Risikopersonen gleichermaßen Zugang haben. Vermutlich etwas weniger Todesfälle durch Lungenkrebs Nutzen und Schaden eines systematischen Screenings auf Lungenkrebs per Computer-Tomografie (kurz: CT) bei aktuellen oder ehemaligen starken Raucherinnen und Rauchern ist in zwei aktuellen systematischen Übersichtsarbeiten [1,2] dokumentiert. Sie fassten die Daten von 88.000 Teilnehmenden aus insgesamt acht Studien zusammen. Die Testpersonen waren streng nach Zufallsprinzip auf verschiedene Gruppen aufgeteilt. Sie nahmen entweder mehrmals an einem Screening per Computer-Tomografie teil. Oder sie machten gar kein Screening bzw. eine Röntgenuntersuchung der Lunge, die erwiesenermaßen keinen Nutzen hat. Ausgewertet wurden die Ergebnisse 8 bis 11 Jahre nach der ersten Untersuchung. Ohne Screening starben 28 von 1000 Teilnehmenden an Lungenkrebs Mit Screening starben 23 von 1000 Teilnehmenden an Lungenkrebs 5 von 1000 Teilnehmenden blieb also durch das Screening ein Tod durch Lungenkrebs erspart. Diese Einschätzung ist ziemlich gut abgesichert. Ein längeres und besseres Leben? Das heißt also, dass wir mit recht hoher Sicherheit wissen, dass die Screenings (einige wenige) Lungenkrebs-Todesfälle in der Risikogruppe verhindern. Bedeutet das, dass die Menschen auch länger leben? Oder bleibt die Lebensspanne dieselbe, und an die Stelle der Todesursache Lungenkrebs treten andere Erkrankungen mit tödlichem Ausgang? Beispiele sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen und andere Krebsarten, für die das Rauchen ebenfalls ein bedeutender Risikofaktor ist. Darauf fehlt leider eine klare Antwort: Zwar deuten die Zahlen auch ingesamt auf eine verringerte Sterblichkeit hin. Doch gut abgesichert ist das nicht. Wir wissen auch nicht, ob sich die Lebensqualität von Menschen mit und ohne Screening unterscheidet. Denn das wurde bislang nicht eingehend untersucht. Salopp formuliert ist also unklar, ob die Menschen mit Screening zwar seltener an Lungenkrebs sterben, aber es ihnen vielleicht in der verbleibenden Lebenszeit schlecht geht, etwa durch belastende Behandlungen. Auch Nachteile bedenken Dem wahrscheinlichen, aber eher kleinen Nutzen des Screenings stehen einige Nachteile gegenüber: Falsche Alarme gibt es wahrscheinlich bei 1 bis 15 von 1000 Teilnehmenden in den der Screening-Gruppe. Das sind verdächtige Befunde, die weitere Tests zur Abklärung nach sich ziehen und wo sich der Verdacht letztlich nicht bestätigt. Wie häufig es bei den Abklärungsuntersuchungen zu Komplikationen kommt, ist nicht zuverlässig einzuschätzen. Es gibt Hinweise darauf, dass sie bei ca. 3 von 1000 Teilnehmenden liegen. Bei bis zu 22 von 1000 Gescreenten ist mit „Überdiagnosen“ zu rechnen – bei ihnen wird Lungenkrebs diagnostiziert, der ohne Screening nicht entdeckt worden wäre, weil er zeitlebens keine Beschwerden verursacht. Diese Einschätzung gilt als gut abgesichert. Wann und wie oft? Keine konkreten Aussagen lassen sich zu der Frage ableiten, ab wann und in welchen Abständen ein Screening sinnvoll ist. Früherkennung ist nicht Vorsorge Bei einem Screening geht es nicht darum, Krankheiten zu verhindern, wie etwa Lungenkrebs. Es handelt sich also nicht um eine „Krebs-Vorsorge“. Vielmehr sollen Reihenuntersuchungen in der Risikogruppe eine Erkrankung möglichst früh erkennen, und zwar bevor die Betroffenen Symptome entwickeln. Richtig ist es also, von „Krebs-Früherkennung“ zu sprechen. Das Ziel: Bald mit der Behandlung beginnen. Dahinter steht die Hoffnung, durch die frühe Therapie ein besseres Ergebnis zu erzielen, möglichst mit weniger radikalen Eingriffen (ähnlich wie bei der Mammografie-Früherkennung auf Brustkrebs). Fehlalarm und andere Risiken Zu den Risiken von jedem Screening gehören etwa falsch-positive Befunde, also Fehlalarme, die wiederum weitere Untersuchungen zur Aufklärung erforderlich machen. Bei der Abklärung können Komplikationen auftreten. Weiters ist das Warten auf die Entwarnung für viele psychisch belastend. Außerdem entdeckt die Lungenkrebs-Früherkennung manchmal auch frühe Krebsformen, die den Betreffenden zu Lebzeiten nie Probleme gemacht hätten. Dennoch erhalten sie eine belastende Krebsdiagnose und müssen Therapien samt Nebenwirkungen in Kauf nehmen, etwa Chemotherapien, Bestrahlungen und OPs. Kein systematisches Screening in Österreich In Österreich ist ein systematisches Lungenkrebs-Screening mit Computer-Tomografie bislang nicht eingeführt. Die medizinische Fachgesellschaft für Lungenmedizin spricht sich aber dafür aus [3]. Lungenkrebs-Screening in anderen Ländern Deutschland prüft gerade die Einführung eines Screeningprogramms mittels Computer-Tomografie für aktuelle oder ehemalige starke Raucherinnen und Raucher. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) hat in einem Gutachten 2020 attestiert, dass für diese Hochrisikogruppe der Nutzen den möglichen Schaden überwiegt [1]. In den USA wird ein jährliches Lungenkrebs-Screening mit Niedrigdosis-CT für Erwachsene zwischen 50 und 80 Jahren empfohlen, die derzeit oder bis vor maximal 15 Jahren stark rauchen oder geraucht haben (umgerechnet 20 Jahre lang jeden Tag eine Packung Zigaretten). Das regelmäßige Screening sollte beendet werden, sobald der Rauchstopp 15 Jahre oder länger zurück liegt. Ein weiterer Grund, nicht weiter zu screenen: wenn eine andere Erkrankung auftritt, die die Lebensdauer vermutlich deutlich verkürzt oder dazu führt, dass sich die Betroffenen zur Krebsbehandlung nicht an der Lunge operieren lassen können [6]. Lungenkrebs: Häufige Krebserkrankung 2018 erhielten in Österreich rund 5000 Personen erstmals die Diagnose Lungenkrebs. Lungenkrebs war unter den Krebsneuerkrankungen mit etwa zwölf Prozent die häufigste bei Männern und Frauen. Während es Krebsarten gibt, bei denen viele Betroffene noch lange nach der Diagnose leben, gehört Lungenkrebs zu den Formen, die leider häufig tödlich verlaufen. Drei Jahre nach der Krebsdiagnose ist ungefähr noch ein Drittel der Betroffenen am Leben. Über 4000 Frauen und Männer sind 2018 österreichweit daran verstorben [4]. Zigarettenrauchen gilt mit Abstand als wichtigster Risikofaktor für Lungenkrebs. Daneben lassen auch Belastungen wie Passivrauchen und Asbest das Lungenkrebs-Risiko deutlich steigen. Wesentlich seltener führen andere Lungenerkrankungen oder genetische Faktoren zu Lungenkrebs [5]. Die Studien im Detail Bei unserer Recherche sind wir auf zwei systematische Übersichtsarbeiten [1,2] gestoßen. Beide kommen zu identischen Schlussfolgerungen. Sie haben dieselbe Datenbasis – also acht Studien, veröffentlicht bis Juni 2020. Das stufen wir als ausreichend aktuell ein. Darüber hinaus haben wir keine weiteren relevanten Studien gefunden. Starke (ehemalige) Raucherinnen und Raucher Die Auswertungen beruhen auf acht Studien. Die rund 88.000 Teilnehmenden waren nach dem Zufallsprinzip entweder der Screening-Gruppe oder einer Kontroll-Gruppe zugeteilt. Sie waren im Mittel zwischen 55 und 65 Jahre alt. In den meisten Studien waren mehr Männer vertreten. Die Teilnehmenden waren allesamt langjährige starke Raucherinnen und Raucher. Das heißt, sie gehörten zur Hochrisikogruppe für Lungenkrebs. Im Mittel hatten sie zwischen 35 und 48 Jahre lang täglich eine Packung Zigaretten geraucht. Auch ehemalige Raucherinnen und Raucher konnten teilnehmen, wenn der Rauchstopp noch nicht mehr als 10 bis 15 Jahre zurücklag. Auf Menschen, die nicht oder weniger rauchen, lassen sich die Studienergebnisse vermutlich nicht ohne Weiteres übertragen. Mehrmaliges Screening In den Screening-Gruppen erhielten die Teilnehmenden mehrmals ein Einladung zur Computer-Tomografie. Der Abstand zwischen den Untersuchungen lag zwischen 1 und 2,5 Jahren. Die Testpersonen nahmen zwischen 2 und 7 Mal teil. Die Auswertung von Nutzen und Schaden erfolgte 8 bis 11 Jahre nach dem ersten Screening. In den Kontroll-Gruppen bekamen die Teilnehmenden entweder gar keine Einladung zum Screening oder sie erhielten eine Einladung zu einer Röntgenuntersuchung der Lunge. Auch diese Methode beeinflusst die Lungenkrebs-Sterblichkeit nicht . Vor- und Nachteile Die Forschungsgruppen werteten aus, wie viele Menschen pro Gruppe starben (Gesamtsterblichkeit, d.h. alle Todesfälle zusammen) und wie viele Lungenkrebs als Todesursache hatten. Erhoben haben sie außerdem, ob das Screening unerwünschte Effekte hat. Dazu gehören falsch-positive Befunde, die mit Eingriffen wie etwa einer Entnahme von Lungengewebe verbunden sind und deshalb auch das Risiko für Komplikationen bergen. Schließlich werteten die systematischen Übersichtsarbeiten auch aus, ob durch das Screening so gennante Überdiagnosen entstehen, also Diagnosen von Krebs, der zeitlebens keine Probleme bereitet hätte. Relativ verlässlich Manche Studien hatten methodische Schwächen, etwa hinsichtlich Vergleichbarkeit der beiden Gruppen. Das haben die Autorenteams der systematischen Übersichtsarbeiten bei ihrer Einschätzung zur Aussagekraft der Ergebnisse berücksichtigt. Für die Abschätzungen zur Gesamtsterblichkeit und der Sterblichkeit durch Lungenkrebs schränkte dieser Punkt die Aussagekraft nur wenig ein, da die meisten Studienteams sauber gearbeitet haben. Gleiches gilt auch für die Zahlen zu falsch-positiven Befunden und Überdiagnosen. Weniger zuverlässig sind dagegen die Einschätzungen zu Komplikationen, die bei der Abklärung von verdächtigen Screening-Befunden auftreten können. Auch sind die Schlussfolgerungen zu guten Screening-Abständen eher wacklig, da diese Frage nur einer einzigen Studie Thema war. Wissenschaftliche Quellen [1] IQWiG (2020) Studientyp: HTA-Bericht/systematische Übersichtsarbeit Eingeschlossene Studien: 8 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt rund 88.000 Teilnehmenden Fragestellung: Verringert ein Lungenkrebsscreening mit Niedrigdosis-Computertomografie im Vergleich zu keinem Screening oder Röntgenthorax-Screening bei (ehemaligen) starken Raucherinnen und Rauchern das Risiko, an Lungenkrebs zu sterben oder die Gesamtsterblichkeit? Interessenkonflikte: keine nach Angaben der Autoren IQWiG (2020) [S19-02] Lungenkrebsscreening mittels Niedrigdosis-Computertomografie. Abgerufen am 23.02.2021 unter https://www.iqwig.de/download/s19-02_lungenkrebsscreening-mittels-low-dose-ct_abschlussbericht_v1-0.pdf [2] EUnetHTA (2020) Studientyp: HTA-Bericht/systematische Übersichtsarbeit Eingeschlossene Studien: 8 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt rund 88.000 Teilnehmenden Fragestellung: Verringert ein Lungenkrebsscreening mit Niedrigdosis-Computertomografie im Vergleich zu keinem Screening oder Röntgenthorax-Screening bei (ehemaligen) starken Raucherinnen und Rauchern das Risiko, an Lungenkrebs zu sterben oder die Gesamtmortalität? Interessenkonflikte: keine nach Angaben der Autoren EunetHTA (2020) Lung cancer screening in risk groups. Abgerufen am 23.02.2021 unter https://eunethta.eu/wp-content/uploads/2020/12/2020-12-02_OTCA28_final.pdf Weitere Quellen [3] Österreichische Gesellschaft für Pneumologie. Pressemitteilung vom 10.02.2020. Abgerufen am 04.03.2021 unter https://www.ogp.at/lungenfachaerzte-und-roentgenologen-begruessen-initiative-von-bundesminister-anschober-zur-krebsbekaempfung-und-weisen-auf-wichtigkeit-eines-lungenkrebs-screenings-zur-frueherkennung-hin/ [4] Statistik Österreich (2021) Krebserkrankungen an Luftröhre, Bronchien, Lunge. Abgerufen am 04.03.2021 unter https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/krebserkrankungen/luftroehre_bronchien_lunge/index.html [5] UpToDate (2021) Cigarette smoking and other possible risk factors for lung cancer. Abgerufen am 23.02.2021 unter https://www.uptodate.com/contents/cigarette-smoking-and-other-possible-risk-factors-for-lung-cancer [6] USPSTF (2021) Lung cancer: Screening. Abgerufen am 18.03.2021 unter https://www.uspreventiveservicestaskforce.org/uspstf/recommendation/lung-cancer-screening Schlagworte BronchialkarzinomComputer-TomografieCTFrüherkennungKrebsscreeningLungenkarzinomLungenkrebsRauchenRaucherRaucherinRauchstoppReihenuntersuchungRisikoScreeningVorsorgeuntersuchungZigaretten In über 500 Faktenchecks suchen