Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Glyphosat: die Hintergründe zum Expertenstreit

WHO und EU sind sich uneins, ob das Unkraut-Vernichtungsmittel Glyphosat krebserregend ist oder nicht. Wir erklären warum.

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Ist Glyphosat krebserregend?

Je nachdem, wie sehr Tierversuche und Laborversuche gegenüber Studien am Menschen gewichtet werden, gelangt man zu unterschiedlichen Einschätzungen. Mit Blick auf die Studien am Menschen halten wir die Frage für derzeit nicht geklärt.

so arbeiten wir
© Kara - fotolia.com Die Diskussion um die Gefährlichkeit des Spritzmittels Glyphosat spaltet Experten.
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Glyphosat ist weltweit das am meisten eingesetzte Mittel zur Unkrautvernichtung. Es leistet in der Landwirtschaft also wichtige Dienste, um eine gute Ernte einzufahren. Allerdings steht es auch schon lange in der Kritik der Umweltschützer, die nun durch die Einschätzung der WHO (IARC-Bericht) [1] neue Nahrung erhalten hat: Demnach ist Glyphosat wahrscheinlich krebserregend.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kam in ihrem Bericht vom 12. November 2015 [2] jedoch zum gegenteiligen Ergebnis, ihrer Einschätzung nach geht von Glyphosat keine zusätzliche Krebsgefährdung aus.

(Nicht nur) eine Frage der Perspektive

Sowohl im IARC-Bericht als auch im EFSA-Bericht stecken hunderte Arbeitsstunden zahlreicher Spezialisten. Wir haben zwar nicht die Möglichkeit, allen Details dieser Berichte nachzugehen, können aber hoffentlich etwas Ordnung in die unterschiedlichen Ansichten bringen. Unsere eigene Bewertung basiert auf diesen beiden Berichten und ist noch einmal eine eigene Perspektive auf die vorhandenen Studien.

Dass die beiden Berichte zu unterschiedlichen Schlüssen kommen, liegt nicht nur daran, dass sie Studien unterschiedlich interpretieren, sondern auch an anderen Schwerpunkten: IARC interessiert sich rein für die Substanz, nicht dafür, wie das Risiko je nach Anwendung aussieht.

Die EFSA versucht abzuschätzen, ob durch die Verwendung des Stoffes echte Risiken entstehen. Entsprechend interessiert sich die EFSA dafür, welche Mengen in die Umwelt gelangen und ob Menschen einer Dosis ausgesetzt sein könnten, die für sie gefährlich werden kann. Die IARC beurteilt nur, wie gefährlich das Mittel als solches ist, unabhängig davon, wie es verwendet wird.

Von Mäusen…

In der Debatte um die unterschiedlichen Einschätzungen dreht sich einiges um Studien an Ratten und Mäusen. Der EFSA Bericht berücksichtigt mehr Studien und hat auch den IARC-Bericht mit einbezogen. Allerdings hat die EFSA auch eigene Analysen gerechnet, die von Kritikern als ungeeignet beschrieben werden.

Bei der Einschätzung von Risiken spielen Tierstudien eine größere Rolle als wenn es um die Wirksamkeit von Medikamenten geht. Dennoch haben wir bei medizin-transparent.at immer den Ansatz, Studien am Menschen höher zu bewerten als Tierstudien. Denn auch wenn viele Stoffwechselvorgänge bei uns sehr ähnlich funktionieren wie bei Ratten oder Mäusen, gibt es doch genügend Unterschiede, die es unmöglich machen, Ergebnisse von Tierstudien eins zu eins auf den Menschen zu übertragen.

Trotzdem wollen wir kurz auf die unterschiedlichen Interpretationen von IARC und EFSA bei den Mäuse- und Rattenstudien eingehen. Der IARC-Bericht geht von einer Krebsgefahr aus, weil einige Mäusestudien Hinweise darauf geben [1]. Die EFSA teilt diese Interpretation aus zwei Gründen nicht:

Erstens weil sich die Experten entschieden haben, die gesamte Studienlage abzuwägen, also nicht aufgrund einzelner Studien etwas zu einem Risiko zu erklären. Das ist üblich, wenn es um die Wirksamkeit von Medikamenten geht. Wenn es um Gefährdungen geht, reicht hingegen vielen Experten eine einzige Studie, die ein Risiko nachweist – auch wenn andere Studien zu anderen Ergebnissen kommen. Damit ist man auf der sicheren Seite, doch die EFSA hat sich eben für den anderen Ansatz entschieden.

Zweitens zeigt sich in den Tierstudien erst dann eine erhöhte Krebsgefahr, wenn die Versuchstiere eine sehr hohe Dosis Glyphosat bekommen. Laut EFSA kann eine derart hohe Dosis allerdings aus anderen Gründen die Tiere schädigen, obwohl der Stoff selbst nicht krebserregend ist. Schließlich wird alles ab einer bestimmten Dosis giftig, ein bekanntes Beispiel dafür ist Kochsalz: Es ist notwendig für den Körper, spätestens ab einer Dosis von 8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht schadet es und kann sogar zu Todesfällen führen [4].

Zudem geht die EFSA davon aus, dass Menschen nie einer so hohen Dosis ausgesetzt sein werden. Absolut ausschließen lässt sich das jedoch nicht und es ist auch nicht auszuschließen, dass Glyphosat in hohen Dosen tatsächlich krebserregend ist.

…und Menschen

Neben den Tierstudien existieren zahlreiche Studien mit Menschen zum Thema Glyphosat

Das IARC leitet aus den Studien am Menschen eine geringe Beweislage für ein erhöhtes Risiko ab. Doch die Studienlage dazu ist keinesfalls eindeutig.

Bei giftigen Stoffen können keine experimentellen Studien gemacht werden, es wäre unethisch, Studienteilnehmer vorsätzlich zu vergiften. Ob Glyphosat gefährlich ist, wird also in Kohortenstudien und Fall-Kontroll-Studien ermittelt, wobei Kohortenstudien etwas weniger für Fehler anfällig sind. Bei solchen Studien werden viele Menschen beobachtet, ohne dass diese zuvor strikt in Versuchs- und Scheinbehandlungsgruppe eingeteilt werden. Der Nachteil: nicht nur der Faktor, den man untersuchen möchte, sondern zahlreiche andere Faktoren können das Ergebnis beeinflussen – wenn es beispielsweise um die Krebsgefahr geht, spielen der Lebensstil, Rauchen Sport und vieles mehr eine Rolle und überdecken gewissermaßen den Effekt von Glyphosat.

Die größte Kohortenstudie wurde in den USA durchgeführt und zeigte in Summe kein erhöhtes Krebsrisiko [1]. Weder insgesamt, noch bei Darmkrebs, Brustkrebs oder Bauchspeicheldrüsenkrebs gibt es durch Glyphosat mehr Erkrankungen. Nur ein Teilergebnis bei einer bestimmten Tumorart weist in Richtung Risiko, das Ergebnis erreicht aber keine statistische Signifikanz, es könnte also auch durch Zufall zustande kommen.

Methodische Grenzen und Widersprüche

Neben der Kohortenstudie existieren zahlreiche Fall-Kontroll-Studien. Eine Meta-Analyse von 2014 [3] fasst sechs solcher Studien zusammen und errechnet eine Risikosteigerung um 30 Prozent durch Glyphosat. Doch die Meta-Analyse selbst ist nicht gut durchgeführt, beispielsweise war die Suche nach Studien unzureichend und die eingeschlossenen Studien wurden nicht in ihrer Qualität bewertet.

Ein Blick in den IARC Bericht zeigt zudem noch einige andere Fall-Kontroll-Studien – mit teils widersprüchlichen Ergebnissen. Die meisten der Studien finden kein durch Glyphosat gesteigertes Krebsrisiko [1].

Fall-Kontroll Studien haben schon von ihrem grundsätzlichen Design her nur eine geringe Aussagekraft, weil sie kaum in der Lage sind, alle Rahmenbedingungen zu berücksichtigen und die Auswahl der Vergleichsgruppe einen enormen Einfluss hat. Wenn die Ergebnisse dann noch widersprüchlich sind und nicht vorwiegend in die gleiche Richtung weisen, lassen sich daraus nur wenige Erkenntnisse ableiten.

[1] IARC
http://monographs.iarc.fr/ENG/Monographs/vol112/mono112-02.pdf

[2] EFSA
http://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/scientific_output/files/main_documents/4302.pdf

[3] Schinasi, Leon (2014)
Non-Hodgkin Lymphoma and Occupational Exposure to Agricultural Pesticide Chemical Groups and Active Ingredients: A Systematic Review and Meta-Analysis (Arbeit in voller Länge)

Weitere Quellen

[4] Gestis
Gestis über Kochsalz
Abgerufen am 1. 12. 2015 unter http://gestis.itrust.de/nxt/gateway.dll/gestis_de/001330.xml?f=templates$fn=default.htm$3.0

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