Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Darmkrebs-Risiko durch Fleisch: die Fakten

Fleisch und Fleischprodukte lösen angeblich Darmkrebs aus. Sind Wurst und Schnitzel gesundheitsschädlich? Wir haben uns die Fakten angesehen.

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Erhöht der regelmäßige Konsum von rotem Fleisch oder verarbeiteten Fleischprodukten das Risiko für Darmkrebs?

Menschen, die regelmäßig viel rotes Fleisch oder verarbeitete Fleischprodukte wie Wurst, Schinken und Speck essen, haben wahrscheinlich ein etwas höheres Risiko für Darmkrebs als Menschen, die wenig Fleisch essen.

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© food.kiro - shutterstock.com Fleisch und Wurst: harmloser Genuss oder riskante Versuchung?
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Zu den Leibspeisen der Österreicherinnen und Österreicher zählen Wurst, Schnitzel und Schweinsbraten. Doch Fleisch und Fleischprodukte sollen Medienberichten zufolge Darmkrebs auslösen. Hintergrund ist eine Übersichtsarbeit der Weltgesundheitsorganisation WHO aus dem Jahr 2015 [4].

Verarbeitete Fleischprodukte wie Geräuchertes oder Gepökeltes stuft die WHO darin als eindeutig „krebserregend“ ein; gemeint sind zum Beispiel Wurst, Schinken und Speck. Rotes Fleisch – also alle Fleischsorten außer Geflügel – wird als „möglicherweise krebserregend“ bezeichnet.

Doch wie groß ist die Gefahr wirklich? Medizin-Transparent.at hat nachgeforscht.

Risiko geringfügig erhöht

Es ist tatsächlich wahrscheinlich, dass eine fleischreiche Ernährung das Risiko für Darmkrebs erhöht. Das berichtet nicht nur die WHO-Analyse aus 2015. Auch eine aktuellere Übersichtsarbeit, welche die Ergebnisse bisher durchgeführter Studien zusammengefasst hat, kommt zu diesem Schluss [1]. Menschen, die in diesen Studien regelmäßig viel Fleisch gegessen hatten, erkrankten etwas häufiger an Darmkrebs als jene, die nur wenig Fleisch auf ihrem Speiseplan hatten.

Ob Fleischkonsum mit anderen Krebserkrankungen in Zusammenhang steht, kann die Übersichtsarbeit nicht beantworten. Die zusammengefassten Ergebnisse anderer Studien zeigen jedoch, dass Fleischfans insgesamt etwas früher versterben als Menschen, die kaum Fleisch konsumieren [2].

Krebsrisiko in Zahlen

Wie hoch das Risiko genau ist, haben die Autorinnen und Autoren der europäischen Übersichtsarbeit berechnet. Demzufolge erhöht sich das Krebsrisiko mit jeder täglichen Extra-Portion à 100 Gramm rotes Fleisch (Rind, Schwein, Lamm, Ziege, Wild) um 12 Prozent [1]. Doch was bedeutet das konkret in Zahlen?

Männer in Österreich verzehren im Durchschnitt 140 Gramm rotes Fleisch und verarbeitete Fleischprodukte pro Tag [7].
Mit dieser Durchschnittsernährung (140 Gramm pro Tag) erkranken 35 von 1000 Männern im Laufe des Lebens an Darmkrebs [6].
Bei Männern, die um 100 Gramm Fleisch mehr essen (240 Gramm pro Tag) erkranken 39 von 1000 im Laufe des Lebens an Darmkrebs.
Wenn sie hingegen um 100 Gramm Fleisch pro Tag weniger essen (40 Gramm pro Tag), erkranken 31 von 1000 an Darmkrebs.
Pro täglicher Extra-Portion à 100-Gramm ergibt sich als ein Unterschied von 4 Krebsfällen pro 1000 Männer.

Frauen erkranken seltener an Darmkrebs als Männer [6]. In Österreichisch essen Frauen durchschnittlich 70 Gramm Fleisch und Fleischprodukte am Tag [7].
Bei dieser Durchschnittsernährung (70 Gramm pro Tag) erkranken 21 von 1000 Frauen im Laufe ihres Leben an Darmkrebs [6].
Wenn sie täglich um 100 Gramm Fleisch mehr essen (170 Gramm pro Tag), erkranken zwischen 23 und 24 von 1000 im Laufe ihres Lebens an Darmkrebs.
Pro täglicher Extra-Portion à 100 Gramm beträgt der Unterschied also 2 bis 3 Krebsfälle pro 1000 Frauen.

Geringfügig höher für verarbeitetes Fleisch

Für Wurst, Schinken, Speck und andere geräucherte, gepökelte oder anders verarbeitete Fleischprodukte scheint das Darmkrebsrisiko noch ein klein wenig höher zu sein. Die zusammengefassten Ergebnisse bisheriger Studien zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit für Darmkrebs mit jeder Extra-Portion à 50 Gramm um 17 Prozent erhöht [1].

Umgelegt auf die österreichische Bevölkerung bedeutet eine zusätzliche 50-Gramm-Portion verarbeiteter Fleischprodukte pro Tag:
Bei Männern würden statt 35 von 1000 Österreichern 41 von 1000 im Laufe ihres Lebens an Darmkrebs erkranken.
Bei Frauen würden statt 21 von 1000 Österreicherinnen 25 von 1000 im Laufe ihres Lebens an Darmkrebs erkranken.

Vegetarisch als einzige Option?

Wie groß die durchschnittliche Menge an Fleisch sein muss, ab der das Risiko für Darmkrebs ansteigt, kann die Studienanalyse [1] nicht beantworten.

Ob ein völliger Verzicht auf Fleisch das Krebsrisiko weiter senken kann, haben die analysierten Studien nicht untersucht [1]. Die Autorinnen und Autoren der Studien haben lediglich zwei Gruppen untersucht: jene mit dem geringsten und jene mit dem höchsten Fleischkonsum.

Wie Medizin transparent schon berichtet hat (siehe Vegetarisches Leben: gesünder ohne Fleisch?), erkranken Vegetarierinnen und Vegetarier seltener an Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Menschen, die Fleisch essen. Ob eine fleischarme Ernährung mit einem höheren Darmkrebsrisiko verbunden ist als eine völlig fleischlose Ernährung, bleibt allerdings unklar.

Ein Risikofaktor unter vielen

Auch wenn es wahrscheinlich ist: einen klaren Beweis, dass Fleisch oder Fleischprodukte Krebs verursachen, können die bisherigen Studienergebnisse trotz aller Plausibilität [1] nicht liefern. Denn es sind auch andere Erklärungen dafür denkbar, dass häufiger Fleischgenuss mit einem erhöhten Darmkrebsrisiko verbunden ist.

So könnten Menschen, die viel Fleisch essen, möglicherweise auch sonst weniger auf ihre Gesundheit können achten als jene, die nur ab und zu Fleisch konsumieren. Vielleicht tragen sie ohnehin schon eine vergleichsweise große gesundheitliche Bürde, etwa aufgrund ihrer benachteiligten Einkommens- und Bildungssituation. Beispielsweise ist das Darmkrebsrisiko bei jenen Menschen erhöht, die stark übergewichtig sind, sich wenig bewegen oder viel Alkohol trinken [8].

Wenn sie bekannt sind, lassen sich solche Faktoren in Ernährungsstudien berücksichtigen und aus dem Ergebnis herausrechnen. Das ist jedoch nicht immer möglich. Zudem können weitere unbekannte Risikofaktoren die Studienergebnisse beeinflussen.

Darmkrebs vorbeugen

Das Risiko für Darmkrebs nimmt mit dem Alter zu. Bei Menschen unter 50 Jahren ist Darmkrebs sehr selten, die meisten Betroffenen sind über 75 Jahre alt. Bei rund zwei von drei Personen mit dieser Diagnose lässt sich der Krebs heilen [9].

Darmkrebs entwickelt sich über viele Jahre aus Vorstufen, sogenannten Darmpolypen. Polypen im Darm sind weit verbreitet, sie kommen bei rund einem Drittel der Erwachsenen über 55 Jahre vor [9]. Aus den meisten Wucherungen entsteht allerdings niemals Krebs.

Eine Möglichkeit, Darmkrebs vorzubeugen oder günstig zu beeinflussen sind Untersuchungen zur Früherkennung – auch wenn man sich gesund fühlt und keine Beschwerden hat. Mittels Stuhltest oder Darmspiegelung werden Polypen oder Krebs frühzeitig erkannt und lassen sich dann zeitig entfernen [9].

Mehr Informationen zu Darmkrebs und seinen Früherkennungs-Methoden bietet das unabhängige Portal Gesundheitsinformation.de.

Die Studien im Detail

Für eine systematische Übersichtsarbeit [1] wollte eine deutsch-österreichisch-belgische Forschungsgruppe herausfinden, wie groß das Darmkrebs-Risiko durch rotes Fleisch und verarbeitetes Fleisch (Wurst, Schinken, Speck etc.) tatsächlich ist. Dazu suchten sie im April 2017 nach allen Studien, die bis dahin veröffentlicht worden waren [1].

Insgesamt fanden sie 31 Kohortenstudien. Für diese Studien hatten Forscherinnen und Forscher zu Beginn jeweils eine große Anzahl (Kohorte) an gesunden Freiwilligen zu ihren Ernährungsgewohnheiten befragt. Dann hatten sie beobachtet, wie viele der teilnehmenden Personen über die nächsten Jahre an Darmkrebs erkrankt waren. Zu Studienende hatten sie verglichen: War es unter den Personen, die laut eigenen Angaben wenig Fleisch essen, seltener zu Krebs gekommen als unter jenen, die häufig Fleisch verzehrt hatten?

Die Ergebnisse dieser Kohortenstudien fassten die Autorinnen und Autoren der Übersichtsarbeit schließlich rechnerisch in einer Meta-Analyse zusammen. Dabei zeigte sich klar, dass das Darmkrebs-Risiko mit der Menge an verzehrtem Fleisch ansteigt.

Um sicher zu gehen, analysierten sie zwecks Vergleichs nur jene Studien, die von besonders hoher Qualität waren – mit demselben robusten Ergebnis.

Da die Übersichtsarbeit sehr gut durchgeführt war, beurteilen wir die Ergebnisse als vertrauenswürdig. Wie schon erwähnt, können die Studien aber nicht belegen, dass Darmkrebserkrankungen tatsächlich durch hohen Fleischkonsum begünstigt werden. Denn Kohortenstudien können nie ausschließen, dass andere unbekannte Faktoren die eigentliche Ursache für eine Erkrankung sind.

WHO-Analyse mit Mängeln

Eine Kurzversion ihrer Studienanalyse veröffentlichte die WHO bereits 2015 [3]. Darin fehlten allerdings wichtige Details, um die Schlussfolgerungen der Weltgesundheitsorganisation nachvollziehen zu können. Wir haben diese Arbeit daher nicht für unsere Beurteilung verwenden können. 2018 folgte eine ausführliche Langversion [4]. Doch auch darin finden sich zu wenige Informationen, um die Auswahl der analysierten Studien transparent nachvollziehen zu können.

[1] Schwingshackl u.a. (2018)
Studienart: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Analysierte Studien: unter anderem 31 prospektive Kohortenstudien zu Fleisch (davon 28 zu rotem Fleisch und 23 zu verarbeiteten Fleischprodukten)
Fragestellung: Erhöht ein hoher Konsum von rotem Fleisch beziehungsweise von verarbeiteten Fleischprodukten das Risiko für Darmkrebs?
Interessenskonflikte: keine laut Autorenteam

Schwingshackl L, Schwedhelm C, Hoffmann G, et al. Food groups and risk of colorectal cancer. Int J Cancer. 2018 May 1;142(9):1748-1758. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[2] Schwingshackl u.a. (2017)
Studienart: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Analysierte Studien: unter anderem 12 prospektive Kohortenstudien zu Fleisch (davon 12 zu rotem Fleisch und 7 zu verarbeiteten Fleischprodukten)
Fragestellung: Erhöht ein hoher Konsum von rotem Fleisch beziehungsweise von verarbeiteten Fleischprodukten das Risiko, frühzeitig zu sterben?
Interessenskonflikte: keine laut Autorenteam

Schwingshackl L, Schwedhelm C, Hoffmann G, et al. Food groups and risk of colorectal cancer. Int J Cancer. 2018 May 1;142(9):1748-1758. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

Weitere Quellen

[3] Bouvard u.a. (2015)
Bouvard V, Loomis D, Guyton KZ, Grosse Y, Ghissassi FE, Benbrahim-Tallaa L,
Guha N, Mattock H, Straif K; International Agency for Research on Cancer Monograph Working Group. Carcinogenicity of consumption of red and processed meat. Lancet Oncol. 2015 Dec;16(16):1599-600. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[4] WHO (2018)
Red Meat and Processed Meat. IARC Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans. Volume 114 (2018). (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[5] WHO (2015)
Q&A on the carcinogenicity of the consumption of red meat and processed meat. Abgerufen am 3.4.2019 unter www.iarc.fr

[6] Statistik Austria (2019)
Dickdarm und Enddarm (C18-C21) – Krebsinzidenz (Neuerkrankungen pro Jahr), Österreich ab 1983. Abgerufen am 2.4.2019 unter www.statistik.at

[7] Rust u.a. (2017)
Rust P, Hasenegger V, König J. Österreichischer Ernährungsbericht 2017. Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien. Abgerufen am 1.4.2019 unter https://ernaehrungsbericht.univie.ac.at

[8] IQWIG (2018)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Darmkrebs-Vorbeugung: Welche Rolle spielt der Lebensstil? Abgerufen am 3.4.2019 unter www.gesundheitsinformation.de

[9] IQWIG (2018)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Darmkrebs. Abgerufen am 3.4.2019 unter www.gesundheitsinformation.de

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