Startseite ● Ginkgo: Keine Hilfe bei Tinnitus Ginkgo: Keine Hilfe bei Tinnitus Ginkgo-Extrakt kommt häufig bei Tinnitus zum Einsatz. Besser als ein Placebo wirkt er aber wahrscheinlich nicht. 11. Dezember 2023 AutorIn: Jana Meixner Review: Bernd Kerschner Teilen Kann Ginkgo die Beschwerden bei Tinnitus lindern? wahrscheinlich nicht Ginkgo-Extrakt kann bei Tinnitus wahrscheinlich nicht helfen. Vier Studien mit über 1200 Personen zeigten keinen Effekt von Ginkgo biloba auf die Beschwerden. Im Vergleich zu einem Placebo scheint der Ginkgo-Extrakt weder die Lautstärke des Tinnitus zu verbessern noch die Belastung der Betroffenen im täglichen Leben. so arbeiten wir Eine wirksame Behandlung für Tinnitus zu finden ist eine Herausforderung. © Southworks – Shutterstock.com Rauschen, Summen, Pfeifen, Piepsen. Ohrgeräusche, auch als Tinnitus bekannt, erleben rund 5 bis 15 Prozent aller Menschen einmal im Leben, zumindest vorübergehend. Nach einem lauten Knall können kurzzeitig die Ohren klingeln. In manchen Fällen verschwindet das Ohrgeräusch nicht mehr. Für die einen sind die Dauergeräusche im Ohr einfach nur lästig, für andere werden sie regelrecht zur Qual. Verlässlich wirksame Behandlungen fehlen bisher. Präparate mit dem Extrakt aus den Blättern des Ginkgo-Baumes (Ginkgo biloba) sollen angeblich helfen. Ginkgo-Präparate gehören zu den am häufigsten von Ärztinnen und Ärzten verschriebenen pflanzlichen Mitteln bei Tinnitus – und das schon seit Jahrzehnten. Ginkgo-Extrakt soll die Durchblutung fördern und neben den Ohrgeräuschen auch Schwindel, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und Kopfschmerzen positiv beeinflussen. Ihren Ursprung hat die Verwendung von Ginkgo in der traditionellen chinesischen Medizin [1]. Doch was sagt die Wissenschaft? Helfen Ginkgo-Präparate besser als ein Placebo? Egal ob Ginkgo oder Placebo Wahrscheinlich nicht. Zu diesem Schluss kamen vier Studien mit insgesamt über 1.200 Teilnehmenden [1,5]. Alle vier zeigten dasselbe Ergebnis: Am Ende der Studie beschrieben die Teilnehmenden die Ohrgeräusche zwar meist als etwas leiser und weniger belastend. Es machte jedoch keinen Unterschied, ob sie ein Ginkgo-Präparat oder ein wirkungsloses Schein-Medikament (Placebo) eingenommen hatten. Einzig eine kleine fünfte Studie [6] berichtet von einer positiven Wirkung des Ginkgo-Extrakts. An diesem Vergleich nahmen allerdings nur 43 Personen teil. Aufgrund anderer schwerwiegender Mängel haben wir in dieses Ergebnis kein Vertrauen – mehr dazu weiter unten im Abschnitt Studien im Detail. Insgesamt fällt das Ergebnis der Studien ziemlich einheitlich aus: Ginkgo eignet sich zur Behandlung von Tinnitus wahrscheinlich nicht besser als ein Placebo. Wir halten diese Einschätzung für relativ gut abgesichert. Weil die Studien aber teilweise Mängel hatten, bleibt etwas Restunsicherheit bestehen. Tinnitus: Vielfältige Auslöser Ein Tinnitus kann ohne erkennbaren Auslöser entstehen. Häufig tritt Tinnitus aber nach hoher Lärmbelastung auf, etwa nach lautem Musikhören oder einem Knall. Ein Rauschen im Ohr kann auch durch Veränderungen der Blutgefäße im Kopf- und Halsbereich bedingt sein – dann ist es oft im Rhythmus des Herzschlags hörbar. Aber auch Stress und bestimmte Medikamente können Tinnitus auslösen [2,4]. Besonders häufig sind Menschen mit Schwerhörigkeit, Demenz und anderen Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit von Tinnitus betroffen [2]. Ob Ginkgo-Extrakt bei diesen Personen helfen kann, haben wir uns in einem anderen Beitrag genauer angesehen. Ursache unklar Wie Tinnitus genau entsteht, ist derzeit nicht vollständig geklärt. Möglicherweise leiten die Hörzellen des Innenohrs überschießende Signale ans Gehirn weiter. Oder aber die Signale aus dem Ohr werden vom Gehirn falsch interpretiert [2]. Was helfen kann Die Behandlung des Tinnitus gestaltet sich schwierig. Ist eine andere Erkrankung dafür verantwortlich, sollte diese natürlich behandelt werden. Findet sich keine Erklärung für die Ohrgeräusche, ist das Ziel der Behandlung, das Leben mit den störenden Geräuschen erträglich zu machen. Kognitive Verhaltenstherapie zum Beispiel kann helfen, besser damit zu umzugehen. Das ist mittlerweile wissenschaftlich gut abgesichert [4]. Keinen Wirknachweis gibt es hingegen für Beruhigungsmittel oder Cortison-Präparate [3,4]. Kurzfristige Hilfe sollen angeblich die sogenannten „Noiser“ bieten – kleine Geräte, die ähnlich wie Hörhilfen im Ohr getragen werden und „weißes Rauschen“ produzieren. Dieses Rauschen soll die Ohrgeräusche überlagern und so zumindest zeitweise Erleichterung verschaffen. Ob das tatsächlich bei allen Betroffenen funktioniert, ist nicht erwiesen. Eine Langzeitwirkung ebenso wenig [3,4]. Ausführliche Informationen zum Tinnitus und zu möglichen Behandlungen finden Sie auf Gesundheitsinformation.de. Die Studien im Detail Nach welchen Studien haben wir gesucht? Zu der Frage, ob der Extrakt aus Ginkgo biloba bei Tinnitus helfen, fanden wir eine solide durchgeführte Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2013 [1]. Darin sind die Ergebnisse von drei aussagekräftigen Studien mit insgesamt 1143 Personen zusammengefasst. Bei einer Update-Suche nach neueren Studien fanden wir zwei weitere geeignete Studien [5,6]. Was meinen wir mit geeignet? Um den Effekt von Ginkgo-Extrakt auf die Beschwerden aussagekräftig zu untersuchen, sind folgende Studien notwendig: Die Teilnehmenden werden per Los auf zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine erhält ein Ginkgo-Präparat, die andere ein wirkungsloses Schein-Präparat, ein sogenanntes Placebo. Weder die Teilnehmenden noch die Forschenden sollten wissen, wer welcher Gruppe zugeteilt wurde. Das soll verhindern, dass es den Teilnehmenden der Ginkgo-Gruppe nur deshalb besser geht, weil sie sich eine Wirkung erhoffen – also dass das Ergebnis durch den bekannten Placebo-Effekt verfälscht wird. Am Ende untersuchen die Forschenden, in welcher Gruppe sich der Tinnitus gebessert hat. Solche Studien nennt man randomisiert-kontrollierte Studien. Sie sind die zuverlässigste Art, die Wirksamkeit einer Behandlung zu überprüfen. Wie aussagekräftig sind die Studien? Die Teilnehmenden der insgesamt fünf randomisiert-kontrollierten Studien [1,5,6], die wir finden konnten, hatten seit mehreren Jahren ein belastendes Ohrgeräusch, für das keine körperliche Ursache gefunden werden konnte. Sie hatten abgesehen vom Tinnitus keine Probleme beim Hören, keine geistigen Beeinträchtigungen und waren nicht dement. Die Teilnehmenden wurden per Zufall in zwei gleich große Gruppen geteilt. Eine Gruppe schluckte 3 bis 6 Monate lang täglich ein Präparat mit 120 bis 150 Milligramm Ginkgo-Extrakt. Die andere Hälfte nahm genauso lange ein identisch aussehendes Scheinpräparat (Placebo) ein. Vor, während und am Ende der Studie gaben die Teilnehmenden an wie laut und belastend ihr Ohrgeräusch war. Vier der fünf Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Ginkgo nicht besser hilft als ein Placebo [1,5]. Diese Studien wurden passabel durchgeführt und ihre Ergebnisse halten wir für großteils aussagekräftig. Wegen gewisser Mängel bleibt allerdings noch eine gewisse Restunsicherheit bestehen. Eine der von uns gefundenen Studien [6] tanzt aus der Reihe – und zwar in zweierlei Hinsicht: Einerseits ist sie die einzige, in der die Forschenden von einer Wirksamkeit des Ginkgo-Extrakts berichteten. Andererseits wurden nur sehr wenige Personen untersucht (43) und – im Gegensatz zu den anderen vier Studien – gab es gravierende Mängel bei der Durchführung: Es ist anzunehmen, dass sowohl die Teilnehmenden als auch das Forschungsteam wussten, wer Ginkgo und wer das Placebo bekam. Besonders bei nicht objektiv messbaren Beschwerden wie dem Tinnitus spielt der Placebo-Effekt eine große Rolle und kann die Ergebnisse stark verzerren. Es ist unklar, wann und mit welchen Methoden die Forschenden untersuchten, ob sich der Tinnitus der Teilnehmenden gebessert hatte. Außerdem bleibt offen, wie stark die Beschwerden zu Beginn der Studie waren und ob sich die Gruppen voneinander unterschieden. Diese wichtigen Informationen fehlen in der Studie. Auch eine statistische Auswertung der Ergebnisse fehlt. Wie wahrscheinlich sie den wahren Effekt von Ginkgo abbilden, ist daher unklar. Wissenschaftliche Quellen [1] Hilton MP, et al. (2013) Ginkgo biloba for tinnitus. Cochrane Database Syst Rev. 2013 Mar 28;(3):CD003852. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit) [2] UpToDate (2021) Dinces EA. Etiology and diagnosis of tinnitus. In Kunins L (ed.). UpToDate. Abgerufen am 1.6.2021 unter www.uptodate.com [3] UpToDate (2021) Dinces EA. Treatment of tinnitus. In Kunins L (ed.). UpToDate. Abgerufen am 1.6.2021 unter www.uptodate.com [4] Gesundheitsinformation.de Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). Ohrgeräusche (Tinnitus). Abgerufen am 1.6.2021 unter Gesundheitsinformation.de [5] Polanski JF, et al. (2016) Antioxidant therapy in the elderly with tinnitus. Braz J Otorhinolaryngol;82(3):269-274. (Link zur Studie) [6] Nishad RK, et al. (2019) Randomised Controlled Clinical Study of Injection Caroverine and Ginkgo Biloba Extract in Cochlear Synaptic Tinnitus. Indian J Otolaryngol Head Neck Surg;71(Suppl 2):1523-1528. (Link zur Studie) Versionsgeschichte 11.12.2023: Eine Aktualisierung des Faktenchecks ändert unsere Einschätzung geringfügig. Wir finden zwei neue Studie mit widersprüchlichen Ergebnissen. Das verringert unser Vertrauen in die Wirkungslosigkeit von Ginkgo bei Tinnitus etwas. 7.6.2021: Erstveröffentlichung des Faktenchecks. Unsere Einschätzung: Ginkgo kann bei Tinnitus nicht helfen. 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