Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

EMDR als Traumatherapie: wahrscheinlich wirksam

Die EMDR-Methode kann wahrscheinlich helfen, traumatische Erlebnisse zu bewältigen. Möglicherweise ist die EMDR ähnlich wirksam wie eine andere anerkannte Psychotherapie.

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Kann die Therapie mit EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) die Beschwerden von Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung lindern?

Wirkt EMDR ähnlich gut wie die Expositionstherapie, eine andere gut untersuchte Form der Psychotherapie gegen die Beschwerden einer posttraumatischen Belastungsstörung?

Die Therapie mit EMDR ist bei Menschen, die unter den psychischen Folgen eines traumatischen Erlebnisses leiden, wahrscheinlich wirksamer als gar keine Therapie. Die Wirksamkeit der Methode ist möglicherweise ähnlich wirksam wie die Expositionstherapie. Diese ist eine weithin etablierte und gut untersuchte Form der Psychotherapie.

so arbeiten wir
© New Africa - Shutterstock.com Wenn belastende Erlebnisse krankmachen, kann Psychotherapie helfen
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Das Setting mag etwas mystisch anmuten: Der Patient sitzt seiner Psychotherapeutin gegenüber. Er folgt mit dem Blick ihrer Hand, die sich vor seinen Augen rhythmisch von einer Seite zur anderen bewegt. Gleichzeitig erinnert er sich so intensiv wie möglich an ein extrem belastendes Erlebnis.

Das Ganze dauert einige Minuten und wird mehrmals wiederholt. Indem die Augen hin und her wandern, soll die Zusammenarbeit beider Gehirnhälften angeregt werden. Das soll dabei helfen, die Erinnerung an das Trauma zu verarbeiten, sodass diese erträglicher wird. Das besagt zumindest die Theorie der EMDR [2].

Augenbewegungen gegen Trauma

Die Abkürzung EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing, übersetzt „Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen“. EMDR soll als eine Form der Psychotherapie Menschen helfen, die beispielsweise an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Nach der Therapie soll die Erinnerung an das Trauma angstfrei möglich sein. Beschwerden wie Schlafstörungen, Angstattacken und quälende Bilder im Kopf sollen dadurch gelindert werden.

Eine posttraumatische Belastungsstörung entsteht durch als extrem bedrohlich empfundene Erlebnisse, etwa durch Krieg, Gewalt, Unfälle und Naturkatastrophen. Typisch dafür sind seelische und körperliche Probleme auch noch lange Zeit nach dem eigentlichen Ereignis. Eine posttraumatische Belastungsstörung kann die Lebensqualität stark einschränken.

Vielfach empfohlen – aber auch gut belegt?

Inzwischen empfehlen weltweit vielen Fachverbände die Psychotherapie mit der EMDR-Methode. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) listet sie als anerkannte Behandlung bei einer posttraumatischen Belastungsstörung [6].

Uns erreichte die Anfrage eines betroffenen Lesers. Er wollte wissen, ob es sich bei der EMDR denn um eine seriöse Therapie handle – auch wenn die Methode schon seit den 1990er Jahren etabliert ist.

Wahrscheinlich wirksam

Unsere Recherche ergab: Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung geht es nach einer Psychotherapie mit EMDR wahrscheinlich besser als Menschen, die gar keine psychotherapeutische Behandlung erhalten haben. Oft dürften die Beschwerden jedoch nicht vollständig verschwinden.
Unsere Einschätzung basiert auf einer aktuellen und gut gemachten Übersichtsarbeit [1]. Hier sind die besten Studien zusammengefasst, die derzeit verfügbar sind.

Was die Aussagekraft schmälert

Dieses Ergebnis, das auf zehn Studien mit 769 Testpersonen basiert, ist allerdings vorläufig. Es ist nicht so gut abgesichert wie die zahlreichen medizinischen Empfehlungen und die breite Nutzung der EMDR vielleicht vermuten lassen.

Denn auch die besten derzeit verfügbaren Studien lassen sich nur schwer miteinander vergleichen, und das schmälert insgesamt die Aussagekraft etwas. Schließlich haben die Testpersonen sehr unterschiedliche traumatische Situationen erlebt. Die Erlebnisse reichten von Kriegseinsätzen, sexueller Gewalt bis hin zu Flucht. Bei manchen lag das Erlebte erst Wochen zurück, bei anderen Jahrzehnte.

Außerdem spielen persönliches Empfinden und individuelle Erwartungshaltung eine große Rolle für die Wirksamkeit einer Psychotherapie wie EMDR. Dies kann die Ergebnisse verzerrt haben.

Unklar, wie lange die Wirkung anhält

Außerdem bezieht sich diese Einschätzung auf die kurz- bis mittelfristige Wirksamkeit. Ob Betroffene auf lange Sicht von der EMDR-Therapie profitierten, können wir aufgrund der aktuellen Studienlage nicht sagen. Denn ab Beendigung der Therapie wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmern noch höchstens neun Monate lang nach beobachtet.

Vielleicht ähnlich gut wirksam wie etablierte Therapie

Wir haben auch recherchiert, wie gut die EMDR-Therapie im Vergleich zur gut etablierten Expositionstherapie abschneidet – einer gängigen Psychotherapieform für Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Ergebnisse von drei Studien mit 289 Testpersonen deuten an, dass beide Therapieformen ähnlich gut helfen.

Gut abgesichert ist dieses vorläufige Ergebnis allerdings nicht. Die Patientinnen und Patienten in den drei Studien waren sehr unterschiedlich, was die Vertrauenswürdigkeit schmälert [1].

Unser Fazit

  • Mit einer EMDR-Therapie bessert sich eine posttraumatische Belastungsstörung wahrscheinlich mehr als ganz ohne Therapie.
  • Es gibt Hinweise darauf, dass EMDR ähnlich gut wirkt wie die etablierte Expositionstherapie, also eine Form der kognitiven Verhaltenstherapie./li>
  • Diesen beiden derzeitigen Einschätzungen könnten sich durch weitere Studien noch verändern.
  • Wie genau die EMDR-Methode wirkt, ist nach wie vor unklar.

Erinnerung und Reize

Während einer EMDR- Therapiesitzung erinnern sich die Patientinnen und Patienten an das traumatische Erlebnis. Gleichzeitig sollen sie sich auch auf einen äußeren Reiz konzentrieren.

Diese Reize setzen die Therapeutinnen und Therapeuten ganz gezielt: zum Beispiel durch Bewegungen mit der Hand, Töne oder Berührungen. Entscheidend ist, dass der Reiz abwechselnd von rechts und links kommt.

Abgekapselte Erinnerung

Das Verfahren wurde bereits in den frühen 1990ern von einer US-amerikanischen Psychologin entwickelt. Diese ging davon aus, dass die traumatische Erinnerung vom Bewusstsein sozusagen abgekapselt wird [3].

Dadurch kann die Erinnerung, so die Begründerin der Methode, vom Gehirn nicht vollständig verarbeitet werden. Deswegen „überfällt“ sie Betroffene immer wieder. Und zwar in der ursprünglichen Intensität, als wäre alles gerade erst passiert.

Erst wenn beide Gehirnhälften gemeinsam die Erinnerung bearbeiten, soll das traumatische Erlebnis letztendlich als Vergangenheit akzeptiert werden können. Die Erinnerung daran soll dann ohne Angst möglich sein.

Wirkmechanismus unklar

Es ist unklar, ob bei der EMDR-Therapie tatsächlich die von einer Seite zur anderen wandernden Reize Ursache für die Verbesserung sind. Oder ob es eigentlich das Gespräch mit dem Therapeuten oder der Therapeutin ist, das zu einer Verbesserung führt.

Eine aktuelle Arbeit [2] geht der Frage nach, ob die Augenbewegungen für die Wirkung der Therapie ausschlaggebend sind.

139 Patientinnen und Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung wurden dazu nach dem Zufallsprinzip einer von drei Gruppen zugeteilt. Eine Testgruppe konzentrierte sich auf bewegte Hände und folgte ihnen mit den Augen. Die andere Testgruppe schaute aufruhende Hände und ließ dementsprechend auch den Blick ruhen. Das Ergebnis: All diesen Testpersonen ging es nach der Therapie besser – egal, ob ihr Blick ruhend oder den Händen nachgewandert war.

Eine dritte Testgruppe sollte sich auf nichts Bestimmtes konzentrieren. Auch diesen Probandinnen und Probanden ging es nach der Therapie besser. Die Wirkung fiel aber nicht so deutlich aus.
Die Schlussfolgerung des Autorenteams: Offenbar bewirkt die Konzentration auf einen äußeren Reiz eine Besserung der Beschwerden. Die Augenbewegung selbst bringe dabei allerdings keinen weiteren Nutzen, so das Fazit.

Die Studie wurde sauber durchgeführt. Einen Schwachpunkt hat sie dennoch: Alle beteiligten Personen wussten, wer welcher Gruppe zugeteilt war. Die dadurch entstandenen Erwartungen könnten das Ergebnis verzerrt haben.

Aus der Bahn geworfen

Die EMDR-Methode und andere Psychotherapie-Formen sollen Menschen helfen, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, weil die Erinnerung an schreckliche Ereignisse sie nachhaltig beeinträchtigt.

Auslöser einer posttraumatischen Belastungsstörung können Gewaltverbrechen, Kriegserlebnisse, Naturkatastrophen, Unfälle oder der dramatische Verlust eines Menschen sein [5].

Tief sitzender Schrecken

Lebhafte Erinnerungen an das Ereignis kommen überfallsartig als so genannte Flashbacks zurück. Situationen, die an das Trauma erinnern, werden gemieden. Viele Betroffene quält auch die Frage, ob sie hätten verhindern können was passiert ist oder gar selbst schuld daran sein könnten.

Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickeln häufig Angststörungen, Schlafstörungen, körperliche Beschwerden mit seelischer Ursache und Depressionen. Sie versuchen mitunter, durch Alkohol oder Drogen den negativen Gefühlen und Bildern zu entkommen [5].

Verschiedene Behandlungswege

In unseren Breiten leiden schätzungsweise zwei von 100 Menschen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Manche sind dadurch in ihrem Alltag stark eingeschränkt, andere weniger stark. Nicht immer suchen Betroffene deswegen Hilfe. Neben Medikamenten stehen verschiedene psychotherapeutische Verfahren für die Behandlung dieser seelischen Erkrankung zur Verfügung.
Durch eine Psychotherapie können Betroffene lernen, ihre Gefühle und Gedanken zu dem traumatischen Erlebnis zu verändern. Ziel ist es, bei der Erinnerung daran nicht von Angst und negativen Gefühlen überwältigt zu werden.

Psychotherapien wie die kognitive Verhaltenstherapie und ihre Sonderform, die Expositions- oder auch Konfrontationstherapie, sind gängige Methoden. Dass sie wirksam sind, hat sich in gut durchgeführten Studien gezeigt [1].

Die Studien im Detail

Seit den 1990er Jahren wird das Thema Traumatherapie mittels EMDR intensiv erforscht. Kein Wunder also, dass wir bei unserer systematischen Recherche in drei Datenbanken auf eine Fülle von Studien unterschiedlicher Qualität gestoßen sind.

Für unser Fazit haben wir eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2019 ausgewählt [1]. Hier geht das Autorenteam der Wirksamkeit von verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten bei einer posttraumatischen Belastungsstörung nach. Diese Übersicht gibt einen vertrauenswürdigen Überblick über den derzeitigen Wissenstand.

EMDR: wahrscheinlich wirksam

Die Übersichtsarbeit [1] fasst die Ergebnisse von zehn Studien zur Wirksamkeit der EMDR Therapie zusammen. Insgesamt 769 Patientinnen und Patienten nahmen an den Studien teil. Sie kamen aus Europa, den USA und Ländern des Nahen Ostens und waren etwa 34 bis 49 Jahre alt. Sie alle litten an den psychischen Folgen traumatischer Erlebnisse. Dazu zählten etwa Kriegseinsätze, Flucht oder sexuelle Gewalt.

In allen Studien waren die Testpersonen nach dem Zufallsprinzip („randomisiert“) auf verschiedene Gruppen aufgeteilt, um zu erfahren, wie gut EMDR im Vergleich wirkt. Das heißt, ein Teil der Testpersonen absolvierte EMDR-Sitzungen. Die Vergleichsgruppen erhielten andere psychologische Behandlungen (Entspannungstechniken, kognitive Verhaltenstherapie usw.) oder bekamen antidepressiv wirkende Medikamente oder machten gar keine Therapie („Nichtstun“).

Die Behandlungsdauer betrug vier bis acht Wochen. Die anschließende Nachbeobachtung dauerte maximal neun Monate.

Konkret wollten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen, ob die Behandlung die Beschwerden wie etwa Angstattacken, Schlafstörungen oder sich aufdrängende Erinnerungen lindern konnte. Und wie viele der Teilnehmenden danach noch immer die Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung“ erhalten würden. Dafür gaben die Teilnehmenden ihre Beschwerden auf verschiedenen Skalen an.

Das Ergebnis: Mit einer EMDR-Therapie hatten die Testpersonen weniger Beschwerden als ohne jegliche Behandlung. Sie erfüllten auch seltener die Diagnosekriterien der posttraumatischen Belastungsstörung.

Diese Effekte waren nicht nur auf dem Papier vorhanden. Sie waren insgesamt groß genug, um für die Teilnehmenden auch tatsächlich als Verbesserung spürbar zu sein.

Sehr unterschiedliche Studien

Das Vertrauen in das Ergebnis stufen wir als ziemlich gut ein. Was die Aussagekraft etwas schmälert ist die Tatsache, dass die in der Übersichtsarbeit zusammengefassten Studien allesamt sehr unterschiedlich und daher schwer vergleichbar sind. Testpersonen erhielten unterschiedlich langen Therapie, hatten teilweise auch andere psychische Erkrankungen und stammten aus unterschiedlichen Kulturkreisen (z. B. Skandinavien oder naher Osten). Außerdem waren nicht alle Studien einwandfrei durchgeführt.

EMDR so gut wie Verhaltenstherapie?

Die bislang gängigste Psychotherapiemethode zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung ist die Expositionstherapie, also eine Form der kognitiven Verhaltenstherapie. Dabei lernen Patientinnen und Patienten, sich in geschütztem Rahmen an Erinnerungen oder bestimmte Situationen heranzutasten, vor denen sie Angst haben. Zum Beispiel kann eine Patientin nach einem schweren Verkehrsunfall schrittweise wieder lernen, angstfrei in ein Auto zu steigen [5].

Für die Expositionstherapie ist die Wirksamkeit gut belegt. Sie kann die Beschwerden effektiv lindern.

Der Vergleich von EMDR und kognitiver Verhaltenstherapie deutet an, dass beide Therapieformen ähnlich gut helfen. Gut abgesichert ist das jedoch nicht.

[1] Forman-Hoffman u.a. (2018)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Analysierte Studien: 10 randomisiert-kontrollierte Studien
Teilnehmende insgesamt: 769 in randomisiert-kontrollierten Studien
Fragestellung: Wie effektiv sind unterschiedliche Therapien bei PatientInnen mit Posttraumatischer Belastungsstörung?
Interessenskonflikte: keine laut Autorenteam

Forman-Hoffman, V., Middleton, J. C., Feltner, C., Gaynes, B. N., Weber, R. P., Bann, C., … & Green, J. (2018). Psychological and pharmacological treatments for adults with posttraumatic stress disorder: a systematic review update. (Studie in voller Länge)

[2] Sack u.a. (2016)
Studientyp: randomisiert-kontrollierte Studie
Teilnehmer: 139 PatientInnen mit posttraumatischer Belastungsstörung
Studiendauer: bis zu 9 Wochen
Fragestellung: Wie wirkt EMDR mit und ohne Augenbewegungen?
Interessenskonflikte: keine laut Autorenteam

Sack M, Zehl S, Otti A, Lahmann C, Henningsen P, Kruse J, Stingl M. A comparison of dual attention, eye movements, and exposure only during eye movement desensitization and reprocessing for posttraumatic stress disorder: results from a randomized clinical trial. Psychotherapy and psychosomatics. 2016;85(6):357-65. (Studie in voller Länge)

[3] EMDR Institut Austria
Abgerufen am 29.1. 2020 unter http://www.emdr-institut.at

[4] IQWIG (2019)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. HT17-05: Angststörungen: Führt der ergänzende Einsatz der Eye Movement Desensitization and Reprocessing Therapie bei psychotherapeutischen Behandlungs- und Anwendungsformen zu besseren Ergebnissen? Abgerufen am 29.1.2020 unter iqwig.de

[5] Gesundheitsinformation.de
Informationen zur posttraumatischen Belastungsstörung und ihrer Behandlung. Abgerufen am 29.1.2020 unter www.gesundheitsinformation.de

[6] World Health Organization (WHO)
WHO releases guidance on mental health care after trauma. Abgerufen am 29.1.2020 unter www.who.int

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