Cortison als Lebensretter bei Corona

Bei einer Behandlung mit Cortison-ähnlichen Medikamenten sterben weniger Menschen an Covid. Das ist gut belegt.

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Sorgt die Behandlung mit Cortison-ähnlichen Medikamenten wie Dexamethason dafür, dass mehr schwer kranke Patientinnen und Patienten Covid-19-Erkrankung überleben?

Bei schwerer oder sogar lebensgefährlicher Covid-19-Erkrankung können Cortison-ähnliche Medikamente Leben retten. Bei nicht-schwerwiegender Covid-19-Erkrankung ist das nicht nachgewiesen. Hier gibt es sogar Hinweise darauf, dass die Sterblichkeit eventuell höher sein könnte.

so arbeiten wir
© alinabuphoto - shutterstock.com Cortison als Hoffungsträger bei Covid-19.
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Dieser Beitrag ist Teil unserer Faktencheck-Serie Mythen und Fakten zum Coronavirus

Seit Beginn der Pandemie stellt sich die Frage: Gibt es Medikamente, die Menschen mit Covid-19 verlässlich helfen können, besonders bei schweren Krankheitsverläufen? Die Bilanz entsprechender Untersuchungen war oft eher ernüchternd, etwa zu den Medikamenten Remdesivir und Hydroxychloroquin.

Hoffnung ruht auf Cortison

Hoffnungsträger sind auch die so genannten Glucocorticoide. Bekanntester Vertreter aus dieser Medikamentengruppe ist das Cortison. Auch Dexamethason, Hydrocortison und Methylprednisolon zählen dazu. Glucocorticoide sind dafür bekannt, dass sie Entzündungen hemmen und das Immunsystem zügeln.

Genau deswegen erscheinen Cortison und Co auch bei Covid-19 erfolgversprechend. Denn bei einer Infektion mit Coronaviren schädigen Entzündungsprozesse die Lunge. Manchmal können die Entzündungen auf den gesamten Körper übergreifen. Und mitunter kommt es zu einem gefährlichen Überschießen des Immunsystems [4].

Ob die Wirksamkeit der Cortison-ähnlichen Medikamente nicht nur plausibel ist, sondern auch praktisch funktioniert? Diese Frage haben sich mehrere Studien gestellt [1-3]. Sie haben herausgefunden: Die Mittel haben tatsächlich einen Nutzen – wenn auch nicht für alle Erkrankten.

Nur bei schweren Verläufen

Bei einem schweren oder sogar lebensgefährlichen Krankheitsverlauf kann die Behandlung mit Cortison-ähnlichen Medikamenten zusätzlich zu den sonst üblichen (Intensiv-)Maßnahmen die Sterblichkeit senken. Der Nutzen dürfte umso größer zu sein, je schwerer der Krankheitsverlauf ist. Die Zahlen beziehen sich auf einen Beobachtungszeitraum von vier Wochen.

Bei einer lebensgefährlichen Covid-19-Erkrankung

  • sterben mit zusätzlicher Cortison-Behandlung 328 von 1000 Personen
  • sterben mit der üblichen Behandlung 415 von 1000 Personen

Die Cortison-Behandlung rettet also etwa 87 von 1000 Personen mit kritischer Covid-19-Erkrankung das Leben. Diese Schätzung ist sehr gut abgesichert beruht auf sieben Studien mit insgesamt rund 1700 Teilnehmenden.

Bei einer schweren Covid-19-Erkrankung

  • sterben mit zusätzlicher Cortison-Behandlung 267 von 1000 Personen
  • sterben mit der üblichen Behandlung 334 von 1000 Personen

Die Cortison-Behandlung rettet also etwa 67 von 1000 Personen mit schwerer Covid-19-Erkrankung das Leben. Diese ebenfalls sehr solide Schätzung beruht auf einer Studie mit rund 3900 Teilnehmenden.

Empfehlung der WHO

Bei Patientinnen und Patienten mit nicht schwerwiegender Covid-19-Erkrankung ist ein Nutzen jedoch nicht eindeutig belegt. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass die Sterblichkeit steigen könnte. Diese Schätzung beruht auf den Daten von rund 1.500 Teilnehmenden aus einer Studie. Sie ist aber weniger gut abgesichert.

Aus diesem Grund empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO Cortison-ähnliche Medikamente nur bei schweren oder lebensgefährlichen Krankheitsverläufen [3].

Nebenwirkungen wenig erforscht

Über mögliche Nebenwirkungen von Glucocorticoiden bei der Behandlung von Covid-19 ist bislang nur sehr wenig Wissen vorhanden. Denn die Mehrheit der Studien hat diese Daten nicht erhoben [1].

Aber es gibt Daten zu unerwünschten Effekten bei anderen schweren Atemwegserkrankungen. Dabei fanden sich keine Hinweise, dass die Behandlung zu Blutungen in Magen oder Darm, weitergehenden Infektionen oder psychischen Nebenwirkungen führt. Die Studien kamen aber zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen. Wahrscheinlich werden die Blutzucker- und Elektrolytwerte beeinflusst [3].

Schweregrade von Covid-19

Nach der Definition der WHO ist eine Covid-19-Erkrankung dann schwer, wenn zu wenig Sauerstoff im Blut ist oder deutliche Atembeschwerden vorliegen. Sind lebenserhaltende Maßnahmen wie eine Beatmung notwendig, wird das als kritisches (lebensgefährliches) Krankheitsstadium eingestuft. Ist keines dieser Kriterien erfüllt, gilt die Erkrankung als nicht schwerwiegend [3].

Die Studien im Detail

Eine laufend aktualisierte Übersichtsarbeit [1] hat bis zum 10.12.2020 insgesamt elf Studien analysiert, an denen Patientinnen und Patienten mit Covid-19 teilgenommen haben. Sie waren unterschiedlich schwer betroffen.

Eine Gruppe erhielt die übliche Versorgungen sowie eine Behandlung mit einem Cortison-ähnlichen Wirkstoff: Dexamethason, Hydrocortison und Methylprednisolon. Die andere Gruppe bekam ebenfalls die übliche Behandlung ersorgung sowie teils ein Scheinmedikament. Die Zuteilung zu den Gruppen erfolgte nach dem Zufallsprinzip.

Die Behandlung dauerte zwischen drei Tagen und zwei Wochen; der Vergleich zwischen den Gruppen erfolgte an Tag 28. Für andere Behandlungs- und Beobachtungszeiträume lassen sich deshalb keine verlässlichen Aussagen machen.

An der kleinsten Studie nahmen 19 Personen teil, an der größten rund 6.400. Einige der Studien waren zum Zeitpunkt der Analyse noch nicht abgeschlossen, berücksichtigt wurden dann die vorliegenden Daten bis zu einem bestimmten Stichtag.

Die uns vorliegenden Studien haben mehrere Effekte untersucht. Wir haben uns auf die Sterblichkeit innerhalb von zwei bis vier Wochen nach Behandlungsbeginn beschränkt.

Die Studien sind sehr solide gemacht, daher haben wir keine Bedenken zur Aussagekraft. Die Untersuchungen kommen auch zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Wir gehen davon aus, dass sich die derzeitige Einschätzung auch in Zukunft nicht stark verändern wird [1,2,3].

Entscheidend: Schweregrad

Wir haben für unsere Einschätzung, wie oben erwähnt, eine aktuelle Übersichtsarbeit [1] herangezogen. Da diese den Nutzen nicht getrennt nach Schweregrad der Erkrankung aufgeschlüsselt hat, haben wir ergänzend noch weitere Auswertungen [2,3] von Einzelstudien herangezogen.

Hier erfolgten die Analysen separat, etwa von Daten von rund 1700 Personen, die lebenbedrohlich an Covid-19 erkrankt waren [2]. In einer Leitlinie der WHO [3,4] wurden die Daten von Menschen mit schwerwiegendem und nicht-schwerwiegendem Covid-19 getrennt analysiert.

[1] Covid-NMA Initiative (2020)
Studientyp: laufend aktualisierte systematische Übersichtsarbeit
Analysierte Studien: 11 randomisierte kontrollierte Studien
Fragestellung: Kann eine Behandlung mit Dexamethason oder anderen Cortison-ähnlichen Substanzen die Mortalität bei Covid-19 verringern?
Interessenkonflikte: keine laut Autorenteam

Living mapping and living systematic review of Covid-19 studies: Pharmacologic treatments for COVID-19 patient – Remdesivir vs placebo. Abgerufen am 16.12.2020 unter www.covid-nma.com

Juul S, Nielsen N, Bentzer P, Veroniki AA, Thabane L, Linder A, Klingenberg S, Gluud C, Jakobsen JC. Interventions for treatment of COVID-19: a protocol for a living systematic review with network meta-analysis including individual patient data (The LIVING Project). Syst Rev. 2020 May 9;9(1):108. (Protokoll der Übersichtsarbeit)

[2] REACT (2020)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit
Analysierte Studien: 8 randomisierte kontrollierte Studien
Fragestellung: Kann eine Behandlung mit Dexamethason oder anderen Cortison-ähnlichen Substanzen die Mortalität bei kritischer Covid-19-Erkrankung verringern?
Interessenkonflikte: Die Studie wurde durch die WHO finanziert. Einige der Autoren haben finanzielle Verbindungen zu pharmazeutischen Unternehmen.

The WHO Rapid Evidence Appraisal for COVID-19 Therapies (REACT) Working Group: Association Between Administration of Systemic Corticosteroids and Mortality Among Critically Ill Patients With COVID-19: A Meta-analysis. JAMA 2020; 324: 1330-1341 (Übersichtsarbeit in voller Länge)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[3] WHO Living Guidelines
WHO (2020). Corticosteroids for COVID-19. Stand 02.09.2020 (Bericht in voller Länge)

[4] The RECOVERY Collaborative Group (2020)
Dexamethasone in Hospitalized Patients with Covid-19 – Preliminary Report. NEJM, online 17.07.2020 (Studie in voller Länge)

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