Startseite ● COPD: Nutzlose Früherkennungstests für die Lunge Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. COPD: Nutzlose Früherkennungstests für die Lunge Manche Apotheken bieten Vorsorge-Checks auf die chronische Lungenerkrankung COPD an. Ein wissenschaftlich belegter Nutzen für die Gesundheit fehlt jedoch. 16. Juni 2016 AutorIn: Verena Ahne Review: Bernd Kerschner Gerald Gartlehner Teilen Bringt es gesundheitliche Vorteile, wenn die breite Bevölkerung vorsorglich auf die chronisch obstruktive Lungenerkrankung COPD untersucht wird? möglicherweise nicht Selbst Menschen mit einer mittelschweren COPD profitieren möglicherweise gesundheitlich nur gering von einem möglichst frühen Behandlungsbeginn. Personen ohne Beschwerden, die nur aufgrund eines Früherkennungstests mit COPD diagnostiziert werden, dürfte eine medikamentöse Behandlung daher kaum einen Gesundheitsvorteil bringen. so arbeiten wir Rauchen ist in unseren Breiten Hauptauslöser der Lungenkrankheit COPD © Ljupco Smokovski – fotolia.com Im Volksmund heißt sie einfach Raucherlunge. In der Medizin wird lieber der wissenschaftliche Ausdruck verwendet: „Chronisch obstruktive Lungenerkrankung“, kurz COPD. Auslöser der langsam fortschreitenden Krankheit ist in unseren Breiten fast ausschließlich das Rauchen, wobei nur eine Minderheit aller Rauchenden tatsächlich eine COPD entwickelt [5]. Typische Kennzeichen sind anhaltende Schwierigkeiten beim Atmen, chronischer Husten und vermehrte Schleimproduktion – Symptome, die sich über die Jahre verschlechtern, vor allem, wenn mit dem Rauchen nicht aufgehört wird. Eine Heilung der COPD gibt es nicht. Doch mit dem Rauchen aufzuhören verhindert das Fortschreiten, weshalb Fachleute einen Rauchstopp unbedingt empfehlen. Erkrankte sollten auch darauf achten, zusätzliche Belastungen der Lunge etwa durch Feinstaub oder schadstoffreiche Raumluft zu meiden. Medikamente können die Symptome einer fortgeschrittenen COPD mildern und helfen, eine Verschlechterung abzubremsen. Wie häufig ist COPD? Angaben zur Verbreitung von COPD variieren stark. Für viele Länder, darunter auch Österreich, fehlen verlässliche Daten über Häufigkeit und Krankheitsverlauf. Die Unterschiede bei den Angaben haben aber auch mit der Definition der Erkrankung und ihrer Schweregrade zu tun: Je enger die Kriterien ausgelegt werden, umso mehr Menschen gelten als COPD-krank [6]. In den USA sind rund 14 Prozent betroffen [1], für Österreich liegen keine gesicherten Daten vor. Eine – freilich Pharma-unterstützte – Studie fand bei einem Viertel der Salzburger Bevölkerung Anzeichen einer COPD, etwa 11 Prozent davon wurden als behandlungsbedürftig eingestuft. Die Dunkelziffer liegt höher – weil Kranke sich nicht behandeln lassen, weil sie falsch diagnostiziert wurden oder weil sie – im Frühstadium der Erkrankung üblich – noch kaum Symptome zeigen. Bei Risiko-Personen ab 40 Jahren, die rauchen oder geraucht haben, dürften 10 bis 20 Prozent trotz fehlender Diagnose an COPD leiden [7]. Wie hoch die Rate in der Gesamtbevölkerung ist, ist unklar. Lassen sich diese unentdeckten Fälle durch breit angelegte Früherkennungstests (Screenings), wie sie in Apotheken rund um den Nichtrauchertag am 31. Mai durchgeführt wurden, nun ans Licht bringen? Die Aktion mit dem Titel „10 Minuten für meine Lunge“ lud ja alle Personen ab 18 zum Lungen-Check mit Spirometrie und standardisiertem Fragebogen ein [4]. Um COPD ging es bei allen Teilnehmenden ab 40 Jahren. Bei auffälligem Ergebnis wurde ein Arztbesuch nahegelegt. Die nächste Frage ist: Lässt sich durch das Herausfiltern bisher unentdeckter Fälle die Gesundheit der betroffenen Personen verbessern? Empfehlung gegen COPD-Screening Die Antwort mag überraschen: Eine solche Vorsorgeuntersuchung bringt keinen erkennbaren gesundheitlichen Vorteil. Das jedenfalls ist die aktuelle Erkenntnis der US Preventive Services Task Force, eines unabhängigen Gremiums in den USA, das regelmäßig evidenzbasierte Empfehlungen zu medizinischer Prävention abgibt. Die Task Force spricht sich nach eingehender Analyse der Datenlage bereits zum zweiten Mal seit 2008 klar gegen bevölkerungsweite COPD-Screenings aus. Ein Grund ist, dass die verwendeten Untersuchungsverfahren relativ ungenau sind. So liefern Fragebögen zu Symptomen und Risikofaktoren bei bis zu drei Viertel der befragten Personen ein auffälliges Ergebnis, obwohl die Betroffenen gar keine COPD haben. Ein Lungenfunktionstest (Spirometrie), bei dem die Testperson in ein Gerät blasen muss, zeigt bei bis zur Hälfte der tatsächlich COPD-Kranken keine auffälligen Werte [1,2]. Eine Früherkennungsuntersuchung (Screening) der gesamten Bevölkerung würde also viele Gesunde mit einem falschen Verdacht verunsichern. Zudem würden sie möglicherweise Medikamente mit unerwünschten Nebenwirkungen verschrieben bekommen, obwohl sie nicht krank sind. Gleichzeitig würden viele tatsächlich Betroffene übersehen werden. Der gratis Lungen-Check in der Apotheke ist also nicht zu empfehlen. Jedenfalls nicht Menschen, die sich gesund fühlen und keine Symptome haben. Raucher und Risikopersonen Etwas anders sähe die Bewertung aus, würden nur Personen mit einem besonders hohen Risiko auf COPD getestet [1,2]. Denn wer schon lange raucht oder geraucht hat und anhaltend an Atemnot, Husten oder schleimigem Auswurf leidet, tut gut daran, abklären zu lassen, ob es sich bei den Beschwerden um COPD handelt. Das betonen auch die Expertinnen und Experten der US Preventive Services Task Force [3]. Für diese Menschen könnte die Apothekenaktion durchaus eine – freilich nicht gesicherte – Vorabklärung liefern. Frühe Behandlung von COPD kein Vorteil Bei all den genannten Nachteilen: Könnten solche Früherkennungstests nicht dennoch viele COPD-Betroffene aufspüren, die bisher nichts von ihrer Erkrankung wussten, und würde diesen Personen eine möglichst früh beginnende medikamentöse Behandlung nicht helfen, das Fortschreiten der COPD zu bremsen oder gar aufzuhalten? Dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Im Gegenteil: Selbst COPD-Erkrankte mit leichter bis mittelschwerer Ausprägung profitieren, so die Task Force, möglicherweise nur wenig, wenn sie möglichst früh Sprays zum Inhalieren verwenden [1,2]. Wer noch gar keine Symptome hat und nur aufgrund des Screenings überhaupt von einer COPD erfährt, dürfte gar keinen Nutzen haben [1,2]. Keine Motivation für Rauchstopp Mit dem Rauchen aufzuhören ist die einzige nachgewiesen wirksame Methode, um das Fortschreiten von milder oder mittelschwerer COPD zu bremsen [1,2]. Der Gedanke liegt nahe, dass eine Diagnose die Betroffenen darin bestärkt, ihrer Gesundheit etwas Gutes zu tun und dem Rauchen abzuschwören. In diesem Fall wäre ein möglichst früher Befund von Vorteil – und selbst für jene ein Gesundheitsnutzen, die fälschlich mit COPD diagnostiziert wurden. Leider gibt es bisher keine überzeugenden Hinweise darauf, dass das funktioniert. Studien zum Rauchstopp liefern widersprüchliche, großteils aber ernüchternde Ergebnisse: Wenn überhaupt, werden nur sehr wenige Menschen durch das Wissen um COPD zum Rauchverzicht motiviert [1,2]. Auch hier bringt also eine bevölkerungsweit angelegte COPD-Früherkennung keinen gesundheitlichen Vorteil. Um einen solchen Vorteil nachzuweisen, bräuchte es Studien, die die Gesundheit von Screening-Teilnehmenden mit Menschen vergleicht, die nicht an Früherkennungsprogrammen teilgenommen haben. Solche Studien fehlen bisher. Zusammenfassend ist der Lungentest in Apotheken aus wissenschaftlicher Sicht also nicht zu befürworten. Eine solche Aktion wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sie sich ausschließlich an Personen mit hohem Risiko für COPD richtet. Auffällige Verflechtungen mit Pharma-Interessen In den letzten Jahren wird immer intensiver über COPD berichtet. Konferenzen, Selbsthilfegruppen, Folder und Plakate in Arztpraxen und dutzendweise seriös wirkende Homepages oder Apps informieren über die immensen Gefahren der Lungenkrankheit. Zu diesen „bewusstseinsfördernden“ Kampagnen zählt auch die Apothekenaktion „10 Minuten für meine Lunge“, die Anlass für diesen Medizin-Transparent-Beitrag war. Bei näherer Betrachtung finden sich bei einem Gutteil dieser Aktivitäten Hinweise auf den Einfluss bzw. die direkte finanzielle Unterstützung der Pharmaindustrie. Ein besonders prominentes Beispiel ist eine der umtriebigsten COPD-Initiativen, die „Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease“ GOLD. Die Organisation wurde 1997 gegründet, um „weltweit das Bewusstsein über COPD zu heben und Prävention und Behandlung zu verbessern“. GOLD treibt die Aktivitäten rund um COPD weltweit entscheidend voran: formuliert Definitionen von COPD, verfasst Behandlungsleitlinien, die in vielen Ländern als Basis der lokalen Behandlungsempfehlungen dienen; definierte die GOLD-Stadien für COPD, eine weithin verwendete Einteilung der Schweregrade der Erkrankung, initiiert COPD-Studien und Diskussions- und Fortbildungsveranstaltungen für Lungenfachleute und rief 2002 den Welt-COPD-Tag ins Leben, der jedes Jahr am 16. November stattfindet. Laut eigenen Angaben finanziert sich die Initiative, die laut Homepage „in Zusammenarbeit“ mit amerikanischen Gesundheitsbehörden und der WHO entstanden ist, seit 2014 ausschließlich durch den Verkauf ihrer Dokumente und anderen Angebote. Gleichzeitig mit diesem Vermerk verschwand 2014 von der Seite jedoch jeglicher Hinweis auf die eigentlichen Gründerinnen und langjährigen Unterstützerinnen der Initiative: Es sind genau jene Pharmakonzerne, die von der ständigen Erweiterung des COPD-Wissens unmittelbar profitieren. Eine weitere COPD-Initiative, die zu einem guten Teil von der Pharmaindustrie finanziert wird, ist BOLD („Burden of Obstructive Lung Disease“): Sie erhebt weltweit Daten zu COPD und warnt regelmäßig vor besorgniserregend hohen Dunkelziffern – wie die oben erwähnte Salzburger Prävalenz-Studie, die Teil der BOLD-Erhebungen ist. Die Studien im Detail Bisher fehlen Studien, die den gesundheitlichen Nutzen von COPD-Screenings direkt untersucht hätten. Dennoch hat die Einschätzung der US Preventive Services Task Force [3], eines unabhängigen Expertengremiums, das sich klar gegen bevölkerungsweite COPD-Früherkennungs-Programme ausspricht, ihre Berechtigung. Grund für die ablehnende Haltung sind klare indirekte Hinweise: Bei Betroffenen mit leichter bis mittelschwerer COPD kommt es im Schnitt weniger als ein Mal im Jahr zu einer deutlichen Verschlechterung (Exazerbation); dass ihnen eine möglichst frühe medikamentöse Behandlung merkbaren Gesundheitsnutzen verschafft, ist nicht eindeutig wissenschaftlich belegt. Personen mit so schwach ausgeprägter COPD, dass sie nur durch einen Lungenfunktionstest erkannt wird, haben wesentlich seltener Verschlechterungsschübe. Der merkbare Nutzen einer möglichst frühen Behandlung dürfte bei ihnen daher gegen Null gehen [1,2]. Zudem ist die Zuverlässigkeit von spirometrischen Lungenfunktionstests zur Diagnose von COPD mehr als moderat. So konnte der Test in verschiedenen Studien zwischen 20 und 49 Prozent der COPD-Erkrankten nicht identifizieren, zwischen fünf und zehn Prozent der getesteten Personen wurden fälschlich mit COPD diagnostiziert [1,2]. Zu noch mehr falsch positiven Diagnosen führte der genormte Fragebogen „COPD Diagnostic Questionnaire“: Zwischen 51 und 76 Prozent der positiven Testergebnisse traten bei eigentlich gesunden Personen auf! Umgekehrt waren die Fragebogen-Ergebnisse bei sieben bis 20 Prozent der befragten COPD-Erkrankten unauffällig [1,2]. Wissenschaftliche Quellen [1] Guirguis-Blake (2016) Guirguis-Blake JM, Senger CA, Webber EM, Mularski RA, Whitlock EP. Screening for Chronic Obstructive Pulmonary Disease: Evidence Report and Systematic Review for the US Preventive Services Task Force. JAMA. 2016 Apr 5;315(13):1378-93. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit) [2] Guirguis-Blake u.a. (2016) Guirguis-Blake JM, Senger CA, Webber EM, Mularski R, Whitlock EP. Screening for Chronic Obstructive Pulmonary Disease: A Systematic Evidence Review for the U.S. Preventive Services Task Force [Internet]. Rockville (MD): Agency for Healthcare Research and Quality (US); 2016 Apr. (Systematische Übersicthsarbeit in voller Länge) [3] US Preventive Services Task Force (2016) US Preventive Services Task Force (USPSTF), Siu AL, Bibbins-Domingo K, Grossman DC, Davidson KW, Epling JW Jr, García FA, Gillman M, Kemper AR, Krist AH, Kurth AE, Landefeld CS, Mangione CM, Harper DM, Phillips WR, Phipps MG, Pignone MP. Screening for Chronic Obstructive Pulmonary Disease: US Preventive Services Task Force Recommendation Statement. JAMA. 2016 Apr 5;315(13):1372-7. (zur Empfehlung) [4] Österreichische Apothekerkammer (2016) Vorsorgeaktion <10 Minuten für meine Lunge> – 23. Mai – 4. Juni 2016. Abgerufen am 16. 6. 2016 unter https://www.apotheker.or.at/Internet%5COEAK%5CN%5CNNewsPresse.nsf/(WebPages)/DC86A2766840FBC6C1257FA90044C331!OpenDocument [5] Siafakas u.a. (2002) Siafakas NM, Tzortzaki EG. Few smokers develop COPD. Why? Respir Med. 2002 Aug;96(8):615-24. (Zur Zusammenfassung der Arbeit) [6] Shirtcliffe u.a. (2007) Shirtcliffe P, Weatherall M, Marsh S, Travers J, Hansell A, McNaughton A, Aldington S, Muellerova H, Beasley R. COPD prevalence in a random population survey: a matter of definition. Eur Respir J. 2007 Aug;30(2):232-9. (Text in voller Länge) [7] Tinkelman u.a. (2007) Tinkelman DG, Price D, Nordyke RJ, Halbert RJ. COPD screening efforts in primary care: what is the yield? Prim Care Respir J. 2007 Feb;16(1):41-8. (Zusammenfassung der Arbeit) Schlagworte AtemwegeAtemwegserkrankungenChronisch obstruktive LungenerkrankungCOPDFrüherkennungLungeLungenfunktionstestRauchenRaucherlungeScreening-UntersuchungenSpirometrie In über 500 Faktenchecks suchen