Beckenboden stärken mit Magnetstimulation?

Magnetstimulation, z.B. mit Pelvipower oder Neocontrol, soll den Beckenboden stärken und so bei Inkontinenz helfen. Gut belegt ist das allerdings nicht.

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Hilft Magnetstimulation des Beckenbodens gegen Harninkontinenz bei Frauen?

Es gibt Hinweise darauf, dass Magnetstimulation des Beckenbodens (etwa mit Geräten wie Pelvipower oder Neocontrol) gegen Inkontinenz bei Frauen helfen könnte. Gut wissenschaftlich abgesichert ist das allerdings nicht.

so arbeiten wir
© H Ko-Shutterstock.com Der Beckenboden hält die Harnblase an ihrem Platz.
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Es klingt fast zu gut, um wahr zu sein: Einfach auf einem bequemen Sessel Platz nehmen, in ganz normaler Alltagskleidung. Für die nächsten 20 bis 30 Minuten werden die Muskeln des Beckenbodens trainiert – und zwar bequem im Sitzen, ganz ohne Anstrengung. Das soll bei unwillkürlichem Harnverlust, auch Inkontinenz genannt, helfen.

Wie das funktionieren soll? Im Inneren des Sessels befindet sich eine Spule, die ein pulsierendes Magnetfeld erzeugt. Dieses Magnetfeld soll die Beckenboden-Muskulatur anregen und stärken. Das versprechen zumindest Anbieter von Geräten wie Pelvipower oder Neocontrol. Sie behaupten, die Methode könne bei allen Arten von Inkontinenz helfen [2]. In Österreich wird die „Trainingsmethode“ in Fitnessstudios und Arztpraxen angeboten.

Uns hat die Anfrage erreicht, ob dieses „Training“ wirklich den Beckenboden stärken und so unwillkürlichen Harnverlust verringern kann. Daraufhin haben wir uns auf die Suche nach wissenschaftlichen Studien zur Magnetstimulation des Beckenbodens gemacht und eine zusammenfassende Übersichtsarbeit [1] zu diesem Thema gefunden.

Studienergebnisse nicht sehr vertrauenswürdig

Die zusammengefassten Ergebnisse aus mehreren Studien deuten darauf hin, dass das Training möglicherweise ein wenig bei Inkontinenz helfen könnte. Allerdings weisen sowohl die zusammenfassende Übersichtsarbeit als auch die darin eingeschlossenen Studien einige Mängel auf (siehe „Die Studien im Detail“). Deshalb ist unser Vertrauen in die Studienergebnisse nicht sehr hoch.

  • Mit der Magnetstimulation gaben 44 von 100 Frauen an, keinen Harn mehr zu verlieren.
  • Mit einer Scheinbehandlung waren es 10 von 100 Frauen.

Nach einer Magnet-Behandlung verloren die Teilnehmerinnen der Studien rund 5 Gramm weniger Harn pro Stunde als die Vergleichs-Gruppe ohne Behandlung. Leider fehlen Angaben dazu, wie stark ausgeprägt die Inkontinenz der Studienteilnehmerinnen vor Behandlungsbeginn war. Bei einer leichten Inkontinenz mit wenigen Tröpfchen Harnverlust könnten 5 Gramm eine deutliche Verbesserung bedeuten. Bei größerem Harnverlust wäre diese kleine Veränderung für die Betroffenen wohl kaum spürbar.

Wie lange die Wirkung des Trainings anhält, ist ebenfalls unklar. Dafür haben die Studien einfach nicht lange genug dauert. In einer Studie wurden die Teilnehmerinnen überhaupt nur eine Woche nachbeobachtet (siehe „Die Studien im Detail“).

Nicht immer ist der Beckenboden die Ursache

Hersteller der Magnetstimulations-Geräte werben damit, dass die Behandlung bei allen Arten von Inkontinenz helfen würde [2]. Das behauptete Wirkprinzip beruht aber ausschließlich auf einer Kräftigung der Beckenbodenmuskeln [1,2]. Beckenbodenschwäche ist jedoch nur eine von vielen möglichen Ursachen für ungewollten Harnverlust. Hinter Harninkontinenz können auch andere Erkrankungen stecken – beispielsweise bestimmte Erkrankungen des Nervensystems [3]. In solchen Fällen hilft auch ein starker Beckenboden nur begrenzt weiter.

Was ist der Beckenboden überhaupt?

Der Beckenboden ist eine Muskelplatte, die das Becken nach unten abschließt. Er gibt den Beckenorganen Halt, zu denen auch die Harnblase gehört. Außerdem unterstützt er die Schließmuskulatur der Harnblase. Schwangerschaften, Geburten, aber auch Übergewicht und der natürliche Alterungsprozess können diese Muskeln schwächen [4,5,6]. Umgekehrt kann Beckenbodentraining diese Muskeln stärken und so wieder mehr Kontrolle über die Blasenentleerung zurückbringen [7].

… und wie soll das Magnet-Training den Beckenboden stärken?

Unter der Sitzfläche des Magnetstimulations-Stuhls befindet sich eine Spule. Wird das Gerät eingeschalten, fließt Strom durch diese Spule. Dadurch entsteht ein elektromagnetisches Feld. Indem der Stromfluss immer wieder unterbrochen wird, besteht dieses Magnetfeld nicht durchgehend, sondern immer nur für kurze Zeit. Diese kurzen „Magnetfeld-Impulse“ sollen Kleidung und Gewebe durchdringen können. Sie sollen in der Lage sein, Nervenimpulse auszulösen, die die Muskeln dazu anregen, sich zusammenzuziehen – so, als würde man sie bei einem Beckenbodentraining bewusst anspannen [1,2,8].

Zu Risiken und Nebenwirkungen…

Ganz gleichsetzen mit einem aktiven Beckenbodentraining lässt sich das Magnet-Training nicht. Denn anders als beim bewussten und gezielten Anspannen der Beckenbodenmuskeln kann das Magnetfeld nicht unterscheiden, welche Nerven und Muskeln es anregt und welche nicht. Wir nehmen daher an, dass auch andere Nerven und Muskeln in der Beckengegend angeregt werden können. Fachleute gehen aber nicht davon aus, dass dies zu unerwünschten Nebenwirkungen führen könnte [1,8].

Beckenbodentraining wissenschaftlich deutlich besser belegt

Dass Beckenbodenübungen bei Harninkontinenz helfen können, ist wissenschaftlich gut belegt – in deutlich zuverlässigeren Studien als beim Magnet-Training. Dazu haben wir bereits einen eigenen Beitrag veröffentlicht.

Wichtig ist, dass die Übungen korrekt durchgeführt werden. Vielen Frauen fällt es allerdings schwer, ihren Beckenboden richtig zu spüren und gezielt anzuspannen. Eine professionelle Unterstützung durch eine spezialisierte Physiotherapeutin kann daher sehr hilfreich sein [6,7].

Tabuthema Inkontinenz

Ein Vorteil des Magnet-Trainings könnte sein, dass es leicht zugänglich ist und auch ohne vorheriges Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt möglich ist.

Das könnte auf ein wesentliches Problem hinweisen: Inkontinenz ist nach wie vor ein Tabuthema. Fachleute gehen davon aus, dass bis zu drei Viertel der betroffenen Frauen das Thema ihrer Ärztin oder ihrem Arzt gegenüber gar nicht ansprechen, und so, möglicherweise aus Scham, keine professionelle Hilfe suchen [3].

Gemeinsam mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt können Frauen mit Inkontinenz jedoch herausfinden, ob ihnen ein Beckenbodentraining helfen könnte, oder ob zuerst noch weitere Untersuchungen durchgeführt werden sollten.

Zuverlässige Informationen zu Beckenbodentraining finden Sie unter:
https://www.gesundheitsinformation.de/wie-funktioniert-ein-beckenbodentraining.html

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

Ob Magnetstimulation gegen Inkontinenz helfen kann, lässt sich am besten in randomisiert-kontrollierten Studien herausfinden. Dabei werden die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe bekommt die echte Behandlung, die andere Gruppe eine Scheinbehandlung (Placebo). Die könnte so aussehen, dass die Teilnehmenden aus der zweiten Gruppe gleich oft und gleich lang auf dem Stuhl sitzen wie jene aus der ersten Gruppe. Allerdings bleibt der Sessel ausgeschaltet. Die Teilnehmenden wissen idealerweise nicht, ob sie die echte Behandlung erhalten oder nicht. Fachleute nennen das „Verblindung“.

In unserer Recherche haben wir eine systematische Übersichtsarbeit gefunden, die solche Studien zusammengefasst hat [1].

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Sowohl die Studien als auch die zusammenfassende Übersichtsarbeit haben einige Schwächen:

  • Die Dauer des Trainings und der Nachbeobachtung waren in den einzelnen Studien sehr unterschiedlich. So wurde die Magnetstimulation in einer Studie nur ein einziges Mal angewendet und die Nachbeobachtungsdauer betrug nur eine Woche.
  • Es fehlen Angaben, wie schwer die Inkontinenz der Studienteilnehmerinnen zu Beginn der Studie war. Deswegen ist unklar, ob die beiden Gruppen dieselben Ausgangsbedingungen hatten und der Vergleich fair war. Außerdem fällt es schwer, abzuschätzen, ob die kleinen Verbesserungen für die Teilnehmerinnen tatsächlich spürbar waren.
  • Bei einigen der eingeschlossenen Studien ist zumindest unklar, ob die Zuteilung zur „echten“ oder zur Scheinbehandlung wirklich zufällig erfolgte.
  • Bei einigen Studien besteht ein hohes Risiko, dass die Teilnehmerinnen nicht wirklich verblindet waren. Das bedeutet, sie wussten möglicherweise, ob sie die echte Behandlung oder eine Scheinbehandlung erhalten hatten. Ihre Erwartungen an die Behandlung könnten die Ergebnisse verzerrt haben.

[1] He (2019)
He, Q., et al. (2019). „An Effective Meta-analysis of Magnetic Stimulation Therapy for Urinary Incontinence.“ Scientific reports 9(1): 9077. doi:10.1038/s41598-019-45330-9

[2] Pelvipower
www.pelvipower.com/inkontinenz /, abgerufen am 24.01.2023

[3] Uptodate.com (2022)
https://www.uptodate.com/contents/female-urinary-incontinence-evaluation?topicRef=6881&source=see_link, angerufen am 24.11.2022

[4] IQWIQ (2022)
https://www.gesundheitsinformation.de/glossar/beckenbodenmuskulatur.html, abgerufen am 24.01.2023

[5] Uptodate.com (2022)
https://www.uptodate.com/contents/female-urinary-incontinence-treatment?source=history_widget, abgerufen am 24.01.2023

[6] Uptodate.com (2022)
https://www.uptodate.com/contents/pelvic-floor-muscle-exercises-beyond-the-basics?topicRef=6881&source=see_link, abgerufen am 24.01.2023

[7] Dumoulin (2018)
Dumoulin C, Cacciari L, Hay-Smith EC. Pelvic floor muscle training versus no treatment, or inactive control treatments, for urinary incontinence in women. Cochrane Database of Systematic Reviews 2018, Issue 10. Art. No.: CD005654. DOI: 10.1002/14651858.CD005654.pub4
https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD005654.pub4/epdf/abstract

[8] Quek (2005)
Quek, P. (2005). A critical review on magnetic stimulation: what is its role in the management of pelvic floor disorders? Current Opinion in Urology, 15(4), 231–235.

[9] IQWIQ (2016)
https://www.gesundheitsinformation.de/wie-funktioniert-ein-beckenbodentraining.html, abgerufen am 24.01.2023

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