Dieser Beitrag ist nicht mehr auf dem neuesten Stand, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Beckenbodentraining bei Inkontinenz

Um Inkontinenz vorzubeugen oder diese zu behandeln, wird Frauen in den verschiedensten Lebensphasen ein gezieltes Beckenbodentraining empfohlen. Der Studienlage nach zu Recht.

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Hilft Frauen mit stressbedingter Harninkontinenz ein Beckenbodentraining?

Mehrere systematische Übersichtsarbeiten bestätigen die Wirksamkeit von Beckenbodentraining bei unterschiedlichen Gruppen von Patientinnen. Leichte Zweifel gibt es nur, weil die Einzelstudien sehr unterschiedliche Methoden verwenden, was eine Gesamtbewertung erschwert.

so arbeiten wir
© vschlichting - 4frame-group - fotolia.com In allen Lebensphasen hilft Beckenbodentraining gegen Inkontinenz.
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Bei manchen gesundheitlichen Problemen ist der Leidensdruck höher, weil es schwierig ist, darüber zu sprechen und Hilfe aufzusuchen. Das gilt beispielsweise für die Inkontinenz. Dabei ist das Leiden weit verbreitet – und kann wirksam selbst bekämpft werden.

Mit Beckenbodentraining Operationen vermeiden

Die häufigste Form von Inkontinenz ist die Stressinkontinenz, also der unfreiwillige Harnverlust bei Anstrengungen, beim Niesen oder Husten. Bei dieser Form der Blasenschwäche dürfte das Trainieren des Beckenbodens am meisten helfen [1]. Dabei scheint wichtig zu sein, dass das Training eine gewisse Zeit lang durchgehalten wird: Erst nach etwa drei Monaten werden Erfolge spürbar [1].

Eine Übersichtsarbeit zur Langzeitwirkung eines Beckenbodentrainings kommt zu dem Ergebnis, dass der Erfolg davon abhängt, wie konsequent das Training durchgeführt wurde [3]. Frauen, die die Trainingsprotokolle genau beachten, haben demnach größere Chancen auf Heilung beziehungsweise schaffen es eher, eine Operation zu vermeiden.

Viele Frauen leiden während der Schwangerschaft und nach der Geburt an Inkontinenz [7, 8]. In Studien hat sich gezeigt, dass schwangere Frauen, die ihren Beckenboden schon vor und auch nach der Geburt trainieren, dem unwillkürlichen Harnverlust vorbeugen können. Ob diese Frauen auch langfristig von dem Training profitieren, kann derzeit nicht beantwortet werden [2].

Tabuthema Inkontinenz

Harninkontinenz ist sehr weit verbreitet. Weil viele Frauen nicht darüber sprechen oder aus Scham auf eine Behandlung verzichten, gibt es keine genauen Zahlen. Die Schätzungen, wie viele Frauen von Inkontinenz betroffen sein könnten, reichen von 26 bis zu 61 Prozent [8].

Am häufigsten leiden Frauen unter Stressinkontinenz, auch bekannt als „Belastungsinkontinenz“. Die Betroffenen verlieren meist tröpfchenwiese Harn beim Husten, Niesen und Lachen oder bei körperlicher Anstrengung, etwa beim Laufen, Hüpfen oder schwerem Heben.

Andere Formen der Inkontinenz sind die Dranginkontinenz, bei der ein plötzlicher starker Harndrang nicht mehr zurückzuhalten ist, und die Überflussinkontinenz, bei der aufgrund von Abflusstörungen die Harnblase ständig übervoll ist [7]. Bei einer Mischinkontinenz zwischen Stress- und Dranginkontinenz ist Beckenbodentraining ebenfalls sinnvoll [1].

Bekannte Risikofaktoren für den unkontrollierbaren Harnverlust sind Schwangerschaft und Geburt [8]. Daher wird Schwangeren als vorbeugende Maßnahme gegen Inkontinenz zu einem Beckenbodentraining geraten. Auch während einer Rückbildungsgymnastik nach der Geburt werden oft Beckenbodenübungen vermittelt. Weitere bekannte Riskikofaktoren sind das Rauchen und Übergewicht [8]. Auch sitzende Tätigkeiten oder eine schlechte Haltung können den Beckenboden schwächen [10].

Der unfreiwillige Harnverlust kann für die betroffenen Frauen eine erhebliche Belastung im Alltag bedeuten und deren Lebensqualität massiv einschränken. Oft führt er auch zu sozialem Rückzug [8].

Lange Geschichte des Beckenbodentrainings

Im Westen machte der amerikanische Gynäkologe Arnold Kegel um 1948 das Beckenboden-Training als Maßnahme gegen Inkontinenz populär, auch wenn es schon früher einzelne Studien dazu gegeben hatte [2]. Die Muskulatur im Intimbereich gezielt zu trainieren, dürfte in einigen Kulturen allerdings schon sehr viel länger praktiziert werden – und zwar nicht einmal vorrangig zur Inkontinenz-Therapie: Eine gut trainierte Beckenbodenmuskulatur soll vor allem das Liebesleben lustvoller machen, zum Beispiel die Orgasmusfähigkeit erhöhen. So dürften im chinesischen Taoismus Übungsprogramme für den Beckenboden bereits seit 6000 Jahren bekannt sein [1].

Andere Behandlungsmethoden bei Inkontinenz

Auch wenn sich ein Beckenboden-Training als konservative Erstmaßnahme bei Inkontinenz etabliert hat, ist es nicht die einzige Behandlungsmöglichkeit.

Verschiedene chirurgische Eingriffe führen mit höherer Sicherheit zum Erfolg, bringen aber auch die üblichen Nebenwirkungen eines operativen Eingriffs mit sich [5].

Die Beckenboden-Muskeln können auch mit elektrischer Stimulation gestärkt werden. Außerdem sind bestimmte Medikamente vermutlich wirksam gegen Harninkontinenz [5]. Da Übergewicht den unfreiwilligen Harnverlust verstärkt, kann zusätzlich zum Training der Beckenboden-Muskulatur auch Abspecken eine gute Hilfe sein, um trocken zu bleiben [6] [9].

Einfache Übungen mit großer Wirkung

Vereinfacht gesagt bestehen Beckenbodenübungen aus „Zusammenzwicken“ in verschiedenen Varianten. Da die Muskeln innen liegen, können die Übungen jederzeit unbemerkt durchgeführt werden, zum Beispiel im Büro.

Manche Frauen haben am Anfang Schwierigkeiten, sich die Übungen vorzustellen oder die Muskeln im Intimbereich richtig zu spüren. Hier ist die Unterstützung durch eine Physiotherapie sinnvoll. Weitere Informationen zum Beckenbodentraining liefert die Plattform gesundheitsinformation.de.

Üblicherweise ist ein Beckenbodentraining nebenwirkungsfrei. Nur selten brechen Frauen aufgrund von Schmerzen das Übungsprogramm ab [1][3].

[Die ursprüngliche Fassung des Artikels erschien am 22.7.2013. Eine neuerliche Literatursuche brachte einige neue Arbeiten. Unsere Einschätzung bleibt gleich.]

Die Studien im Detail

Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2014 zeigt, dass bei der häufigsten Variante von Inkontinenz, der Stressinkontinenz, ein Beckenbodentraining am meisten hilft: Frauen, die gezielte Übungen machten, berichteten häufiger von einer Heilung oder Besserung als Frauen ohne Training [1]. Auch die Lebensqualität wurde höher bewertetet.

Allerdings wurde das Beckenbodentraining in der Übersichtsarbeit nicht mit anderen Therapien verglichen, sondern nur mit Kontrollgruppen ohne Behandlung. Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass andere Therapieformen der Inkontinenz besser wirken.

Beckenbodentraining zur Geburtsvorbereitung

Wie gut sich ein Beckenbodentraining vor oder nach der Geburt bewährt, untersuchten Wissenschaftlerinnen in einer 2014 aktualisierten systematischen Übersichtsarbeit [2]. Dieser Arbeit zufolge kann das Risiko, kurz nach der Geburt des ersten Kindes inkontinent zu werden, durch vorbeugende Beckenbodengymnastik deutlich verringert werden.

Ähnlich erfolgversprechend ist ein Beckenbodentraining, wenn es erst nach der Geburt aufgenommen wird, nachdem bereits eine Harninkontinenz durch Schwangerschaft oder Geburt aufgetreten ist.

Nicht gut untersucht ist, wie lange die Vorteile anhalten, wenn eine Frau ihren Beckenboden während der Schwangerschaft oder nach der Geburt trainiert. Das müsste in gut gemachten Langzeitstudien geklärt werden. Nachdem in dieser Überblicksarbeit nur Frauen beim ersten Kind beobachtet wurden, wäre auch interessant abzuklären, wie hilfreich ein Beckenbodentraining nach mehreren Geburten ist [2].

Langzeitwirkung unklar

Die Autorinnen und Autoren einer weiteren Übersichtsarbeit fanden fünf Studien, die für eine langfristige Wirkung des Beckenbodentrainings sprechen – und zwar selbst dann, wenn die Patientinnen nicht dabei unterstützt werden, weiter zu trainieren. Ein stichfester Beleg für die Langzeitwirkung ist das allerdings nicht, denn die einzelnen Studien unterschieden sich stark in ihrem Aufbau und den untersuchten Zeiträumen [3].

Positive Wirkung des Beckenbodentrainings unterschätzt?

Alle Arbeiten zum Beckenbodentraining haben das Problem, dass oft auch die Teilnehmerinnen der Kontrollgruppe ähnliche Übungen machen. Nur in wenigen Studien wurden Patientinnen gebeten, darauf zu verzichten. Eventuell unterschätzen Studien also sogar die Wirkung des Beckenbodentrainings.

Die Verfasserinnen und Verfasser einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015 wollten wissen, ob das Trainieren des Beckenbodens in Kombination mit anderen Behandlungsformen zusätzliche Vorteile für die Heilung einer Harninkontinenz bringt [4]. Zu diesem Zweck schlossen sie nur Studien in ihre Arbeit ein, die die Effekte verschiedenster Behandlungsformen bei Harninkontinenz allein oder zusammen mit einem Beckenbodentraining verglichen hatten.

Obwohl in die Arbeit 13 Studien eingeschlossen wurden, können die Autoren und Autorinnen nicht beurteilen, ob ein zusätzliches Beckenbodentraining den Frauen mit Blasenschwäche nun hilft oder nicht: Die inkludierten Studien waren größtenteils von zu schlechter Qualität, um hier eine klare Aussage treffen zu können. Auch die Messung und Erhebung der Ergebnisse erfolgte zu unterschiedlich, sodass die meisten Studien nicht miteinander verglichen werden können.

[1] Dumoulin u.a. (2014)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration
Eingeschlossene Studien: 21
Teilnehmerinnen insgesamt: 1281
Fragestellung: Wirkt Beckenbodentraining bei Harninkontinenz im Vergleich zu keiner Behandlung?
Mögliche Interessenkonflikte: keine angegeben

Pelvic floor muscle training versus no treatment, or inactive control treatments, for urinary incontinence in women.“ Cochrane Database Syst Rev(5): Cd005654 (Volltext der Übersichtsarbeit)

[2] Boyle u.a. 2012
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse der Cochrane Collaboration
Eingeschlossene Studien: 22
Teilnehmerinnen insgesamt: 8485
Fragestellung: Wirkt Beckenbodentraining als Prävention oder Behandlung von Harninkontinenz bei Frauen vor oder kurz nach einer Geburt?
Mögliche Interessenkonflikte: keine angegeben

Pelvic floor muscle training for prevention and treatment of urinary and faecal incontinence in antenatal and postnatal women. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 10. Art. No.: CD007471 (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[3] Bø u.a. (2013)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: 19
Teilnehmerinnen insgesamt: 1141
Fragestellung: Gibt es eine Langzeitwirkung von Beckenbodentraining bei stressbedingter Harninkontinenz?
Mögliche Interessenkonflikte: keine angegeben

Does it work in the long term? A systematic review on pelvic floor muscle training for female stress urinary incontinence. Neurourol Urodyn. 2013 Mar;32(3):215-23 (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[4] Ayeleke u.a. (2015)[4]
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse der Cochrane Collaboration
Eingeschlossene Studien: 13
Teilnehmerinnen insgesamt: 1164
Fragestellung: Bringt ein Beckenbodentraining in Kombination mit anderen Behandlungsformen zusätzliche Vorteile für die Heilung einer Harninkontinenz bei Frauen vor oder kurz nach einer Geburt?
Mögliche Interessenkonflikte: keine angegeben

Pelvic floor muscle training added to another active treatment versus the same active treatment alone for urinary incontinence in women. Cochrane Database Syst Rev(11): Cd010551 (Volltext der Übersichtsarbeit)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[5] Onwude (2009)
Stress incontinence. Clin Evid (Online). 2009 Apr 14;2009 (Übersichtsarbeit im Volltext)

[6] AWMF (2013)
Interdisziplinäre S2e-Leitlinie für die Diagnostik und Therapie der Belastungsinkontinenz der Frau. Registernummer 015/005. Abgerufen am 29.06.2017 unter www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015_005l_S2e_Belastungsinkontinenz_2013-07.pdf

[7] Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs (2015)
Harninkontinenz: Formen & Symptome. Abgerufen am 29.06.2017 unter www.gesundheit.gv.at/krankheiten/nieren-harnblase/inkontinenz/formen-symptome

[8] UpToDate (2017)
Emily S Lukacz: Evaluation of women with urinary incontinence. Abgerufen am 29.06.2017 unter www.uptodate.com/contents/evaluation-of-women-with-urinary-incontinence?source=search_result&search=incontinence&selectedTitle=1~150

[9] UpToDate (2017)
Emily S Lukacz, Treatment of urinary incontinence in women. Abgerufen am 29.06.2017 unter www.uptodate.com/contents/treatment-of-urinary-incontinence-in-women?source=search_result&search=incontinence&selectedTitle=2%7E150

[10] IQWIG (2016)
Wie funktioniert ein Beckenbodentraining? Abgerufen am 6.7.2017 unter https://www.gesundheitsinformation.de/beckenbodentraining.2288.de.html

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