Startseite ● Aromatherapie bei Demenz: Unklare Beweislage Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. Aromatherapie bei Demenz: Unklare Beweislage Hilft Aromatherapie bei Demenz? Die aktuelle Studienlage bestätigt die Wirksamkeit von Aromatherapie bei Demenz nicht – schließt sie aber auch nicht generell aus. 19. Februar 2018 AutorIn: Julia Harlfinger Review: Bernd Kerschner Claudia Christof Teilen Wirkt Aromatherapie beruhigend bei Demenz-typischer Unruhe und Aggression? wissenschaftliche Belege fehlen Hat Aromatherapie andere positiven Effekte für Demenzkranke? wissenschaftliche Belege fehlen Aufgrund der Studienlage ist es weitgehend unklar, ob Aromatherapie Patientinnen und Patienten mit Demenz helfen kann. Es gibt zwar etliche Untersuchungen zum Thema, aber viele davon haben gröbere Mängel und sind daher nicht vergleichbar. So haben etwa Studien mit Melissenaroma widersprüchliche Ergebnisse. Bei Lavendel-Aromatherapie hingegen hat sich eine gewisse Tendenz herauskristallisiert: sie scheint nicht gegen Unruhe und Aggression – beides typische Begleiterscheinungen von Demenz – zu helfen. so arbeiten wir Es ist weitgehend unklar, ob Duftpflanzen bei Demenz helfen. © © Kerdkanno – shutterstock.com In Österreich leben derzeit rund 115.000 bis 130.000 Menschen mit Demenz. Tendenz steigend. Heilung gibt es für den chronischen Gedächtnisverlust keine. Aber es steht eine Reihe von unterstützenden Medikamenten zur Verfügung. Sie sollen den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen, zum Beispiel den Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit bremsen oder die Lebensqualität verbessern [3,4]. Medikamente werden auch gegen Aggression und Unruhe eingesetzt, wie sie oft bei Demenzpatientinnen und Demenzpatienten auftreten. Diese Arzneien sind nicht unumstritten und keineswegs frei von Nebenwirkungen. Gerade in diesem Zusammenhang sind komplementär- und alternativmedizinische Verfahren für die Pflege und Betreuung von Demenzkranken von Interesse. So wird etwa der Aromatherapie mit duftenden Pflanzenölen eine beruhigende Anti-Stress-Wirkung zugeschrieben [1,2,5]. Aromatherapie ist beliebt… Wir haben in der wissenschaftlichen Literatur nach Studien zum Thema gesucht. Gibt es Belege dafür, dass die Behandlung mit duftenden Ölen dementen Menschen hilft? Beruhigt Aromatherapie beispielsweise die Betroffenen, indem sie gegen Aggression und Unruhe wirkt – beides typische Begleiterscheinungen von Demenz? Und ist die Anwendung der Pflanzenöle auch sicher? …aber ohne Wirkungsnachweis Unsere Recherche konnte leider keine eindeutigen Ergebnisse zu Wirksamkeit und Sicherheit zutage fördern. Zwar gibt es etliche Studien zum Thema – was gewissermaßen das Interesse der Wissenschaft widerspiegelt. Aber die Untersuchungen sind oft wenig aussagekräftig, unterschiedlich in ihrer Machart und teilweise von so niedriger Qualität, dass sie in ihrer Gesamtheit keine eindeutigen Schlüsse zulassen [1,4] – zum Beispiel zwei Studien mit Melissen-Aromatherapie, die widersprüchliche Ergebnisse haben [2]. Allein für Aromatherapie mit Lavendelöl hat sich etwas besser als für andere Aromen herauskristallisiert, dass es möglicherweise keine Wirkung gibt [2]. Abgesehen von dieser Ausnahme (Lavendel-Aromatherapie) wissen wir also im Großen und Ganzen nicht, ob Aromatherapie Menschen mit Demenz helfen kann [1]: Aufgrund der aktuellen Studienlage können wir eine Wirksamkeit weder bestätigen noch ausschließen. Auch über die Sicherheit oder mögliche Nebenwirkungen von Aromatherapie bei Demenz, auch in der Langzeitanwendung, können wir keine verlässlichen Aussagen treffen. Viele Szenarien theoretisch möglich Vielleicht wirkt Aromatherapie gar nicht. Möglich ist auch, dass sie nur bei Personen mit einer bestimmten Form von Demenz (z. B. Alzheimer-Demenz oder vaskuläre Demenz) unterstützend ist. Ebenfalls denkbar: dass Aromatherapie vielleicht nur mit den Ölen von ganz bestimmten Pflanzen funktioniert – oder nur im Zusammenspiel mit einer anderen Behandlung wie Massagen bzw. in einer bestimmten Dosierung. Eventuell sind auch bestimmte Methoden bei der Herstellung oder Lagerung der Öle wichtig. Wie dem auch sei: Wir gehen nicht davon aus, dass Aromatherapie einen sehr großen, bisher unentdeckten positiven Effekt auf die Beschwerden und Lebensqualität von Demenzkranken hat. Chronische Veränderung Demenz ist eine chronische Krankheit und eine der großen Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung – Stichwort alternde Bevölkerung. Bei einer Demenz verschlechtert sich das Gedächtnis. Es fällt den Betroffenen immer schwerer, Entscheidungen zu treffen; die Persönlichkeit verändert sich im Laufe der Zeit. Auch Alltagsfertigkeiten sind zunehmend beeinträchtigt. Darüber hinaus kommt es zu Störungen des Erlebens, Befindens und Verhaltens. Das heißt: Angst, Depression, Apathie, Aggression, Unruhe und Verfolgungsideen können mit einer Demenz einhergehen. Die Pflegebedürftigkeit wird im Laufe der fortschreitenden Erkrankung immer größer [3,4]. Düfte aus der Natur Bei der Aromatherapie werden ätherische Öle, gewonnen aus Pflanzen, eingesetzt. Die Öle werden beispielsweise während Massagen auf die Haut aufgetragen, kommen ins Badewasser oder sie „beduften“ mittels Zerstäuber die Raumluft. Die Lieferanten der Öle sind etwa Pfefferminze, Zitrone, Eukalyptus, Majoran oder Rose. Das Ziel der Aromatherapie ist es, Gesundheitsprobleme zu lindern und die Lebensqualität bzw. das Wohlbefinden zu verbessern. Aromatherapie soll etwa gegen Schlafstörungen, Depressionen oder Schmerzen helfen und erfreut sich recht großer Beliebtheit – obwohl die wissenschaftliche Beweislage im Allgemeinen durchaus zu wünschen übrig lässt [1]. So ist zum Beispiel der Nutzen von Aromatherapie-Massage zur Linderungen von Krebssymptomen nicht geklärt [6]. Wir haben bereits über die unklare Situation zu Lavendel-Aromatherapie gegen Schlafstörungen berichtet. Die Studien im Detail Wir haben zum Thema viele Studien gefunden; aus diesen haben wir einerseits eine systematische Übersichtsarbeit des Cochrane-Netzwerks [1] ausgewählt. Diese Arbeit ist sehr gut gemacht und relativ aktuell, sodass sie aus unserer Sicht den aktuellen Stand des Wissens widergibt. Für diese Übersichtsarbeit werteten die Forscherinnen und Forscher sieben nach strengen Kriterien ausgewählte Studien aus, publiziert im Zeitraum 2001 bis 2013. Die 428 Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Studien hatten per Zufall ein Medikament oder ein Scheinmedikament (Placebo) oder eine Aromatherapie erhalten. Bei letzterer kamen die Öle von Melisse, Zitrone und Lavendel zum Einsatz, meistens wurden diese auf die Haut aufgetragen. Die Studiendauer rangierte zwischen drei und zwölf Wochen; die Untersuchungen fanden in Hong Kong, China und Großbritannien statt. Die Studienautorinnen und -autoren wollen herausfinden, ob sich durch die Aromatherapie Begleiterscheinungen der Demenz positiv veränderten, zum Beispiel Unruhe und auffälliges Verhalten. Leider hatten nur zwei der ausgewählten Studien (mit 186 Probandinnen und Probanden) aus Sicht der Autorinnen und Autoren brauchbare Ergebnisse: Die Daten aus einer Studie zeigten eine zumindest statistische Verbesserung in punkto Unruhe und Verhaltensstörungen. Eine andere Studie konnte allerdings keine Verbesserungen aus den erhobenen Daten lesen – und die Lage bleibt somit insgesamt leider unklar. Daher forderte das Cochrane-Team mehr Forschung, um die Wirksamkeit von Aromatherapie einordnen zu können: u.a. mit besserem Studiendesign, mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmern, längerer Laufzeit. Wichtig dabei wäre auch eine ähnliche Methodik, sodass die Ergebnisse verschiedener Studien miteinander vergleichbar sind. Eine zweite Übersichtsarbeit [2], noch etwas aktueller und strenger in der Auswahl der Studien, hat sich gezielt der Frage gewidmet, ob bzw. welche nicht-medikamentösen Maßnahmen gegen Unruhe und Aggression wirksam sind. Neben Licht, Musik und anderen Interventionen haben die Autorinnen und Autoren auch bei der Aromatherapie nachgeforscht und sechs Studien genauer untersucht. Hierbei wurden 537 demente Personen mit Melissen- oder Lavendelaroma bzw. mit Placebo, Medikamenten oder gar nichts behandelt – in der Hoffnung, dass sich durch die Aromatherapie Unruhe und Aggression oder auch das Verhalten im Allgemeinen bessern würden. Es zeigte sich, dass die Behandlung mit Lavendelöl eventuell nicht wirksamer ist als die Therapie mit einer Placebosubstanz; es scheint also keine beruhigende Wirkung zu geben. Unklarheit herrschte nach der Auswertung von Studien mit Melissenaroma: Eine Studie legte eine Wirkung nahe – im Gegensatz zu einem anderen Melissenversuch. Wissenschaftliche Quellen [1] Forrester u.a. (2014) Studientyp: systematische Übersichtsarbeit Teilnehmerinnen und Teilnehmer: 428 Probandinnen und Probanden (7 Studien), davon aber nur die Daten von 186 Probandinnen und Probanden (2 Studien) auswertbar Fragestellung: Hilft Aromatherapie bei Demenz? Interessenkonflikte: keine laut Angaben des Autorenteams Forrester LT, Maayan N, Orrell M, Spector AE, Buchan LD, Soares-Weiser K. Aromatherapy for dementia. Cochrane Database Syst Rev. 2014 Feb 25;(2):CD003150. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit) [2] Brasure u.a. (2016) Studientyp: systematische Übersichtsarbeit Teilnehmerinnen und Teilnehmer: 537 Probandinnen und Probanden (6 Studien mit Melisse und Lavendel), Fragestellung: Hilft Aromatherapie bei Demenz gegen Unruhe, Aggression und anderen Verhaltensstörungen? Interessenkonflikte: keine laut Angaben des Autorenteams Brasure M, Jutkowitz E, Fuchs E, et al. Nonpharmacologic Interventions for Agitation and Aggression in Dementia. Comparative Effectiveness Review No. 177. AHRQ Publication No.16-EHC019-EF. Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality; March 2016. (Übersichtsarbeit in voller Länge) Weiterführende Literatur [3] Butler & Radhakrishnan (2012) Butler R, Radhakrishnan R. Dementia. BMJ Clin Evid. 2012 Sep 10;2012. (Zusammenfassung) [4] Bundesministerium für Gesundheit (2015) Österreichischer Demenzbericht; erstellt von einem Redaktionsteam der Gesundheit Österreich GmbH GÖG. Zugriff am 9.2.2018 unter https://www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/6/4/5/CH1513/CMS1436868155908/demenzbericht2014.pdf [5] Abraha u.a. (2017) Abraha I, Rimland JM, Trotta FM, et al. Systematic review of systematic reviews of non-pharmacological interventions to treat behavioural disturbances in older patients with dementia. The SENATOR-OnTop series. BMJ Open. 2017 Mar 16;7(3):e012759. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit) [6] Shin u.a. (2016) Shin ES, Seo KH, Lee SH, et al. Massage with or without aromatherapy for symptom relief in people with cancer. Cochrane Database Syst Rev. 2016 Jun 3;(6):CD009873. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit) Schlagworte AromatherapieDemenz In über 500 Faktenchecks suchen