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Antibiotika in der Tierhaltung: Gefahr für Menschen?

Immer mehr Bakterien werden unempfindlich gegen Antibiotika – auch in der Tierhaltung. Gefährden resistente Keime aus der Viehzucht auch den Menschen?

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Können Antibiotika-resistente Keime aus der Tierhaltung auf den Menschen übertragen werden?

Schadet der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung der Gesundheit des Menschen?

Ob der Einsatz von Antibiotika in der landwirtschaftlichen Tierhaltung der Gesundheit des Menschen unmittelbar schaden könnte, ist derzeit nicht ausreichend erforscht. Studien geben jedoch Hinweise darauf, dass eine Übertragung resistenter Bakterienstämme von Schwein und Co auf Personen, die direkten Kontakt zu Tieren in der landwirtschaftlichen Tiermast haben, möglich ist.

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© agnormark - fotolia.com Antibiotika in der Tierhaltung: für Menschen problematisch?
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Bakterien, die einfachste Lebensform auf unserem Planeten, sind überall zu finden. Die meisten von ihnen sind harmlos, viele sogar sehr nützlich. Manche machen uns aber auch krank. Doch seit mehr als 70 Jahren hat der Mensch ein Wundermittel gegen solche Keime in der Hand: Antibiotika.

Nicht nur Menschen, auch Tiere werden damit behandelt. In der landwirtschaftlichen Tierhaltung kommen Antibiotika sogar in großen Mengen zum Einsatz. Allein im Jahr 2015 wurden in Österreich fast 46 Tonnen davon an Nutztiere verfüttert [13]. Und das nicht nur zur Behandlung bei Krankheit: Oft erhalten auch gesunde Tiere vorsorglich Antibiotika über das Futter oder Wasser verabreicht. Das soll verhindern, dass sich Pute, Schwein und Co bei erkrankten Stallgenossen anstecken. Willkommen dürfte freilich auch der Nebeneffekt von einigen Antibiotika sein: Sie fördern ein schnelleres Wachstum der Tiere. Offiziell ist der Einsatz von Antibiotika zur Tiermast in der Europäischen Union jedoch verboten.

Das Problem dieses massenhaften Einsatzes: Je öfter die Bakterienkiller verabreicht werden, umso größer ist die Gefahr, dass sich dagegen resistente Bakterienstämme bilden [12] [16, 17]. Verursachen diese dann eine Infektion, bleiben die entsprechenden Antibiotika zur Bekämpfung wirkungslos.

Aber bedeuten Resistenzen, die in der Nutztierhaltung entstehen, auch eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit?

Direkte Folgen kaum untersucht

Tatsächlich finden sich bei Tieren, die Antibiotika verfüttert bekommen, häufiger resistente Keime, dafür liefern bisher veröffentlichte Studien klare Hinweise [2, 3]. Ob die resistenten Bakterien aus der Tierhaltung aber eine unmittelbare Bedrohung für den Menschen darstellen, können wir aufgrund der derzeitig dürftigen Studienlage nicht beantworten.

Häufig nachgewiesen wurde beispielsweise ein resistentes Bakterium, welches gerne die Schleimhäute von Schweinen und Puten besiedelt. Dieser Keim führt in der Regel zu keiner Erkrankung der Tiere. Studien deuten jedoch darauf hin, dass eine Übertragung auf den Menschen möglich ist. So dürften Personen wie Bauern, Tierärztinnen oder Schlachthofangestellte, die von Berufs wegen häufigen Kontakt mit Nutztieren haben, öfter mit resistenten Bakterien besiedelt sein als Personen aus der Allgemeinbevölkerung [1] [8] [10–12]. Um zu verhindern, dass dieser Personenkreis resistente Bakterien in Krankenhäuser einschleppt, fordern Fachleute, diese als Risikogruppe einzustufen. Menschen mit direktem Kontakt zu Stalltieren sollten demnach vorsorglich auf resistente Bakterien untersucht werden, wenn sie in ein Krankenhaus kommen [8].

Resistente Keime nicht nur im Stall

Hinweise gibt es auch darauf, dass sich gegen Antibiotika unempfindliche Bakterien nicht nur in den Nutztieren selbst finden, sondern auch in deren Umfeld. So konnten sowohl in der Luft und im Staub innerhalb der Ställe wie auch in deren Umgebung resistente Mikroorganismen nachgewiesen werden. Inwieweit das eine Gefahr für den Menschen darstellt, ist unklar [4–8].

Solche Keime könnten beispielsweise auch auf unseren Tellern landen. So kann rohes Fleisch resistente Bakterien enthalten, wenn auch meist nur in geringer Menge. Durch Erhitzen und das Einhalten guter Hygienemaßnahmen in der Küche dürften sie aber keine gesundheitliche Bedrohung darstellen [8] [15].

Wirkungslose Wunderwaffe

Seit der Entdeckung von Antibiotika haben Infektionskrankheiten wie Scharlach und Lungenentzündung, eitrige Wunden und Operationen weitgehend ihren Schrecken verloren. Doch der unkritische oder falsche Einsatz von Antibiotika bei Mensch und Tier treibt die Bildung resistenter Keime voran [9–11] [13]. Das führt dazu, dass Infektionen, die bisher gut mit Antibiotika behandelbar waren, plötzlich zu Problemfällen werden können. Haben die Mittel ihre Wirkung erst verloren, kann selbst eine einfache Infektion lebensbedrohliche Ausmaße annehmen. Das kann Krankenpfleger und Ärztinnen eines Krankenhauses schon mal in jene Zeit zurückversetzen, als noch gar keine Antibiotika zur Verfügung standen.

Gefährliche Krankenhauskeime

In Spitälern stellen resistente oder gar multiresistente – also gegen mehrere Antibiotika immune – Bakterienstämme ein großes Problem dar. Zwar sind diese Erreger nicht aggressiver als solche, die auf Antibiotika reagieren. Haben sie aber erst einmal eine Infektion verursacht, lassen sie sich schlechter oder in manchen Fällen gar nicht mehr bekämpfen.

So manches Bakterium, das auf den Schleimhäuten eines gesunden Menschen keinerlei Problem darstellt, hat bei immungeschwächten oder alten Personen, bei Frühchen und schwer Kranken und Verletzten auf Intensivstationen leichtes Spiel. Handelt es sich dann auch noch um einen resistenten oder sogar multiresistenten Keim, kann die Behandlung zur Herausforderung werden. Für die Betroffenen bedeutet eine solche Infektion meist einen langwierigen und schwierigen Heilungsverlauf. Manchmal endet der Kontakt mit den resistenten Erregern auch mit dem Tod [12, 13] [15–17].

Unkritischer Einsatz

Weltweit werden antibiotische Mittel oft unkritisch und ungerechtfertigt eingesetzt. Gesundheitsexpertinnen und -experten stufen den übermäßigen Gebrauch von Antibiotika in der Medizin als eine wesentliche Ursache für das sich weltweit verschärfende Resistenzproblem ein. So würden Medizinerinnen und Mediziner zu oft Substanzen verordnen, die nicht nur gezielt eine kleine Gruppe von Bakterien bekämpfen, sondern unspezifisch gegen eine breite Palette von Erregern wirkt, auch wenn das meist nicht nötig sei. Um Infektionen durch chirurgische Eingriffe zu verhindern, würden Antibiotika oft zu lange eingesetzt [13].

Auch Kranke und Eltern tragen durch ihr Verhalten zur Resistenzbildung bei. Nicht selten werden schon beim kleinsten Schnupfen oder Infekt Antibiotika gefordert (und verschrieben), obwohl die Mittel gegen Viren gar nicht wirken, oder die Medikamente werden nicht ordnungsgemäß eingenommen. So beenden viele Patientinnen und Patienten die Einnahme eines Antibiotikums zu früh oder nehmen nicht die verordnete Dosis ein. Jede solch unnötig oder leichtfertig verordnete antibiotische Therapie gibt den Bakterien die Chance, sich gegen das Antibiotikum nachhaltig zu wappnen [10] [12, 13].

Über den richtigen und verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika informiert die Plattform gesundheitsinformation.de des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWIG [18].

Die Studien im Detail

Die Autorinnen und Autoren einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015 wollten wissen, ob bei Personen, die aufgrund ihres Berufes oft Kontakt zu Nutztieren haben, häufiger bestimmte Bakterienstämmen aus der Gruppe des „Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus“ (MRSA) nachweisbar sind [1]. Zu diesem Zweck suchten sie nach allen bisher veröffentlichten Studien zu dieser Fragestellung.

Insgesamt fanden sie 33 Studien. Deren zusammengefasste Ergebnisse zeigen, dass Personen mit engem Tierkontakt wie Bäuerinnen, Tierärzte oder Schlachthausangestellte tatsächlich häufiger als die durchschnittliche Bevölkerung mit dem sogenannten „livestock-assoziierten MRSA“ besiedelt sind. Daraus ziehen die Studienautoren und -autorinnen den Schluss, dass eine Übertragung resistenter Keime vom Tier auf den Menschen prinzipiell möglich ist.

Allerdings stammt diese Erkenntnis ausschließlich aus Beobachtungsstudien. Dieser Studientyp kann zwar Hinweise darauf geben, dass durch den Antibiotikaeinsatz in der Tierzucht resistente Erreger auf den Menschen übertragen werden – ein eindeutiger Beweis ist damit jedoch nicht möglich. Die analysierten Studien haben zwar versucht, den möglichen Einfluss von anderen Faktoren wie vorausgegangene Krankenhausaufenthalte, Antibiotikatherapien oder das Alter der Personen auszuschließen. Beobachtungsstudien können allerdings nie gänzlich ausschließen, dass andere, unberücksichtigte Einflussfaktoren das Ergebnis verzerrt haben.

Antibiotika erhöhen Zahl resistenter Keime bei Nutztieren

Dass sich bei Nutztieren durch die vielen Antibiotika resistente Keime entwickeln, ist die logische Voraussetzung für die Übertragung auf den Menschen. Tatsächlich liefern bisherige Studien Hinweise darauf, wie zwei systematische Übersichtsarbeiten ergeben [2, 3]. Die Autorinnen und Autoren der beiden Arbeiten kommen zu dem Schluss, dass sowohl Schweine wie auch Hühner nach der Verabreichung eines antibiotischen Medikaments stärker mit resistenten Bakterien besiedelt waren. Allerdings schränkt die vorwiegend schlechte Qualität der darin analysierten Studien die Aussagekraft dieser Ergebnisse stark ein.

[1] Liu u.a. (2015)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 33 Beobachtungsstudien
Teilnehmende insgesamt: 5461 Personen
Fragestellung: Wie häufig sind Personen, die direkten Kontakt zu Nutztieren haben, mit MRSA besiedelt?
Interessenkonflikte: keine laut Autoren

„The prevalence and influencing factors of methicillin-resistant Staphylococcus aureus carriage in people in contact with livestock: A systematic review.“ Am J Infect Control 43(5): 469-475 (Zusammenfassung der Arbeit)

[2] Simoneit u.a. (2014]
Studientyp: systematische ÜbersichtsarbeitEingeschlossene Studien: 7 kontrollierte Studien
Fragestellung: Sind Masthühner, die Antibiotika verfüttert bekommen, häufiger Trägerinnen resistenter E.-coli-Keime?
Interessenkonflikte: keine laut Autoren

„Oral administration of antimicrobials increase antimicrobial resistance in E. coli from chicken – a systematic review.“ Prev Vet Med 118(1): 1-7 (Zusammenfassung der Arbeit)

[3] Burow u.a. (2013)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: 11 kontrollierte Studien
Fragestellung: Schweine, die Antibiotika verfüttert bekommen, häufiger Träger resistenter E.-coli-Keime?
Interessenkonflikte: keine laut Autoren

„Oral antimicrobials increase antimicrobial resistance in porcine E. coli – a systematic review.“ Prev Vet Med 113(4): 364-375 (Zusammenfassung der Arbeit)

Weitere wissenschaftlichen Studien

[4] Schulz u.a. (2012)
LA-MRSA contamination of air and soil surfaces in the vicinity of pig barns: a longitudinal study. Appl Environ Microbiol 78:5666–5671 (Volltext der Studie)

[5] Friese u.a. (2013)
Occurrence of livestock-associated methicillin-resistant Staphylococcus aureus in turkey and broiler barns and contamination of air and soil surfaces in their vicinity. Appl Environ Microbiol 79:2759–2766 (Volltext der Studie)

[6] Laube u.a. (2014)
Transmission of ESBL/AmpC-producing Escherichia coli from broiler chicken farms to surrounding areas. Vet Microbiol 172:519–52738 (Zusammenfassung der Studie)

[7] Köck u.a. (2009)
„Prevalence and molecular characteristics of methicillin-resistant Staphylococcus aureus (MRSA) among pigs on German farms and import of livestock-related MRSA into hospitals.“ Eur J Clin Microbiol Infect Dis 28:1375–1382 (Volltext der Studie)

[8] Idelevich u.a. (2016)
Antibiotika-resistente Erreger in Deutschland: Die Rolle von nicht nosokomialen Ansteckungsquellen. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 59(1): 113-123 (Volltext der Studie)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[9] Bundesinstitut für Risikobewertung BfR (2015)
Fragen und Antworten zu ESBL- und/oder AmpC-bildenden antibiotikaresistenten Keimen. Aktualisiere FAQ vom 19.01.2015. Abgerufen am 15.03.2017 unter http://www.bfr.bund.de/cm/343/fragen-und-antworten-zu-esbl-und-ampc-bildenden-antibiotikaresistenten-keimen.pdf

[10] Bundesinstitut für Risikobewertung BfR (2014)
Fragen und Antworten zu Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Aktualisierte FAQ vom 18. November 2014. Abgerufen am 15.03.2017 unter http://www.bfr.bund.de/cm/343/fragen-und-antworten-zu-methicillin-resistenten-staphylococcus-aureus-mrsa.pdf

[11] Bundesinstitut für Risikobewertung BfR (2009)
Menschen können sich über den Kontakt mit Nutztieren mit Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) infizieren. Stellungnahme Nr. 014/2009 des BfR vom 15. März 2009. Abgerufen am 15.03.2017 unter http://www.bfr.bund.de/cm/343/menschen_koennen_sich_ueber_den_kontakt_mit_nutztieren_mit_mrsa_infizieren.pdf

[12] World Health Organization WHO (1997)
Emerging and other Communicable Diseases, Surveillance and Control – The Medical Impact of Antimicrobial Use in Food Animals. Report of a WHO Meeting. Berlin, Germany, 13-17 October 1997. Abgerufen am 21.03.2017 unter http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/64439/1/WHO_EMC_ZOO_97.4.pdf

[13] AURES (2015)
Resistenzbericht Österreich AURES 2015: Antibiotikaresistenz und Verbrauch antimikrobieller Substanzen in Österreich – Eine Zusammenstellung österreichischer Daten im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen. Abgerufen am 20.03.2017 unter http://www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/9/2/1/CH1318/CMS1416214760260/aures_2015.pdf

[14] Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit AGES (2016)
Antibiotika in der Nutztierhaltung. Abgerufen am 20.03.2017 unter https://www.ages.at/themen/ages-schwerpunkte/antibiotika-resistenzen/antibiotika-in-der-nutztierhaltung/

[15] Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit AGES (2016)
Antibiotikaresistente Keime. Abgerufen am 21.03.2017 unter https://www.ages.at/themen/ages-schwerpunkte/antibiotika-resistenzen/antibiotikaresistente-keime/

[16] UpToDate (2017)
Deverick J Anderson: Methicillin-resistant Staphylococcus aureus (MRSA) in adults – Epidemiology. Abgerufen am 20.03.2017 unter https://www.uptodate.com/contents/methicillin-resistant-staphylococcus-aureus-mrsa-in-adults-epidemiology?source=search_result&search=mrsa&selectedTitle=2~150

[17] Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs (2015)
Antibiotikaresistenz. Abgerufen am 22.03.2017 unter https://www.gesundheit.gv.at/gesundheitssystem/leistungen/medikamente/antibiotikaresistenz

[18] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWIG [2013]
Antibiotika richtig anwenden und Resistenzen vermeiden. Abgerufen am 11.4.2017 unter
https://www.gesundheitsinformation.de/antibiotika-richtig-anwenden-und-resistenzen.2321.de.html?part=meddrei-ci

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