Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Regelmäßiges Gehen scheint das Leben zu verlängern

Lassen sich „vier zusätzliche Lebensjahre“ einfach durch Gehen gewinnen? So titelt zumindest ein Beitrag in den Medien. Doch wer einen gesundheitlichen Nutzen vom Schaufensterbummel erwartet, wird vermutlich enttäuscht: Es muss schon eine flottere Gangart sein.

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Senkt flottes Gehen die Sterblichkeit? Ist etwas Bewegung besser als gar keine? Steigt der gesundheitliche Nutzen mit Dauer und Intensität der Bewegung?

Einige große Studien sind übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass körperliche Aktivität die Sterblichkeit senkt. Dazu reicht auch schon flottes Spazierengehen. Mehr hilft zwar mehr – allerdings ist in jedem Fall etwas Bewegung deutlich besser als gar keine.

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Eigentlich wissen wir es ja alle: Es ist gesund, sich ausreichend zu bewegen; körperliche Aktivität senkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Nach den aktuellen österreichischen Empfehlungen sollten Erwachsene pro Woche mindestens 150 Minuten körperlich aktiv sein [6]. Allerdings sitzen viele von uns beruflich lange am Schreibtisch. Und wer dann erschöpft von der Arbeit kommt, kann die eigene Bequemlichkeit nur schwer überwinden. Viele Menschen finden zwischen Beruf, Familie und anderen Verpflichtungen auch gar nicht die Zeit, richtig Sport zu machen. Dann klingen Versprechungen wie „Mit Gehen zu höherer Lebenserwartung“ natürlich verlockend. In dem Beitrag werden sogar „vier zusätzliche Lebensjahre“ versprochen. Doch stimmt das auch?

Nicht schlendern

Wer bei „Gehen“ an gemütliches Schlendern denkt, wird durch einen genauen Blick auf die zugrunde liegende Studie [1] ernüchtert: Die Wissenschaftler haben bei den Studienteilnehmern nur Aktivitäten eingerechnet, die über die normale Bewegung im Alltag hinausgehen (etwa Treppensteigen) und so intensiv sind, dass man sich dabei zwar noch unterhalten, aber nicht mehr singen kann – Wissenschaftler bezeichnen das als „Bewegung mit mittlerer Intensität“. Dazu gehört etwa flottes Spazierengehen.

In der Untersuchung haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass die Sterblichkeit immer weiter abnimmt, je mehr man sich bewegt. Sie haben auch mit bestimmten Annahmen den gesundheitlichen Nutzen in Lebensjahre umgerechnet, die man durch Bewegung nach dem 40. Lebensjahr gewinnen kann. Nach ihrer Kalkulation können bereits 75 Minuten flottes Gehen pro Woche das Leben um 1,8 Jahre verlängern. Die im Medienbeitrag versprochenen zusätzlichen vier Jahre bekommen nach dieser Rechnung allerdings nur diejenigen, die pro Woche fünf Stunden oder mehr mit flotten Spaziergängen verbringen.

Wenig ist gut, mehr ist besser

Die Ergebnisse dieser Studie werden in der Tendenz durch weitere Untersuchungen mit vielen Teilnehmern aus den letzten Jahren bestätigt [2-5]. In allen diesen Studien stellen die Forscher fest, dass man kein Supersportler sein muss, um von Bewegung zu profitieren. Selbst wer nur jeden Tag zehn Minuten flott spazieren geht oder zügig Fahrrad fährt, tut mehr für seine Gesundheit als derjenige, der seine Freizeit auf dem Sofa vor dem Fernseher verbringt.
Dieser erste Schritt ist auch der wichtigste, denn relativ gesehen reduziert sich das Sterberisiko dadurch am stärksten. Wer sich aber noch mehr bewegt und sich auch einmal auspowert, profitiert in absoluten Zahlen jedoch noch mehr. Allerdings lässt sich dieser Effekt nicht unendlich steigern – ab einem bestimmten Punkt nimmt der gesundheitliche Nutzen nicht weiter zu.

Einschränkungen beachten

So gut sich diese Ergebnisse anhören: Die genauen Angaben, wie groß der gesundheitliche Nutzen durch Bewegung ist, unterscheiden sich in den Studien erheblich. Gesundheitlicher Nutzen heißt hier konkret: Wie stark sinkt die Sterblichkeit, wie viele Lebensjahre lassen sich gewinnen? Außerdem muss man die Zahlen mit Vorsicht genießen. Denn die gefundenen Studien sind allesamt Beobachtungsstudien: Deshalb gibt es möglicherweise relevante Unterschiede zwischen den verglichenen Gruppen – etwa im Hinblick auf den Gesundheitszustand, der ja auch die Fähigkeit zum Sport treiben beeinflusst. Allerdings haben die Wissenschaftler in den Studien ihr Bestes getan, um plausible Einflüsse mit statistischen Methoden herauszurechnen.

Ein weiteres Manko: Die Studien fragen in der Regel nur einmal zu Beginn der Untersuchung die Teilnehmer danach, wie aktiv sie in einem bestimmten Zeitraum vorher waren. Bei diesem Vorgehen ist es möglich, dass die Teilnehmer sich nicht richtig erinnern oder absichtlich schummeln. Und bei einer Studiendauer von mehreren Jahren bis hin zu einem Jahrzehnt ist es auch fraglich, ob sich die körperliche Aktivität bei den Teilnehmern über die Jahre wirklich nicht verändert hat.

Die Studien im Detail

Die Studie, auf die sich der Medienbeitrag bezieht, ist eine gemeinsame Auswertung mehrerer großer Kohortenstudien. Die ursprüngliche Studie konnte die Daten aus im Mittel zehn Jahren Beobachtungszeit auswerten, einer Aktualisierung im Jahr 2015 lagen Angaben aus im Mittel 15 Jahren zugrunde [1]. In die Analyse wurden nur körperliche Bewegung in der Freizeit, nicht aber Aktivitäten des täglichen Lebens einbezogen. Bei den Teilnehmern mit einer Bewegungszeit bis umgerechnet 75 Minuten flottem Spazierengehen pro Woche sank die Sterblichkeit um rund 20 Prozent – in der Modellrechnung entspricht das 1,8 Jahren. Dieser Effekt war weiter steigerbar und erreichte bei einer Aktivität von mindestens 7,5 Stunden pro Woche 4,5 gewonnene Lebensjahre. Bei rund 13 Stunden körperliche Aktivität pro Woche war die Obergrenze des gesundheitlichen Nutzens erreicht.

Andere Studien haben sich mit ähnlichen Fragestellungen beschäftigt: Eine große Kohortenstudie [2], die in mehreren europäischen Ländern durchgeführt wurde, untersuchte neben der körperlichen Aktivität auch den Einfluss des Body-Mass-Index (BMI, Verhältnis von Körpergewicht und Körpergröße) auf die Gesamtsterblichkeit. Sowohl bei normal- als auch übergewichtigen Personen sank die Sterblichkeit, wenn die Forscher leicht aktive (entsprechend etwa 140 Minuten flottem Gehen pro Woche) mit inaktiven Menschen verglichen. Normalgewichtige profitieren mehr durch intensivere Bewegung als Stark-Übergewichtige (Senkung der Sterblichkeit um 24% versus 16%). Eine weitere Steigerung der Bewegung brachte nur für Normal- und Leicht-Übergewichtige einen Vorteil, aber nicht mehr ab einem BMI von 30 kg/m2. Auch in dieser Studie wurde ein Gewinn an Lebensjahren errechnet, hier allerdings bezogen auf den Zeitpunkt der Geburt: Im Vergleich zu Inaktiven verlängert sich durch leichte Aktivität das Leben um 0,7 Jahre.

Eine kleinere Kohortenstudie [4] mit Teilnehmern aus New York und einer Laufzeit von rund 12 Jahren konnte keinen Vorteil von körperlicher Aktivität feststellen, wenn die Wissenschaftler nur Menschen mit stärkerem Übergewicht (BMI ab 30 kg/m2) betrachteten. Allerdings sank in der Gesamtbetrachtung aller BMIs die Sterblichkeit um rund 16 % beim Vergleich von inaktiven und aktiven Menschen.

Eine systematische Übersichtsarbeit [3] schloss 21 Kohortenstudien ein, die explizit körperliche Aktivität in Form von flottem Gehen (Walking) und Fahrradfahren untersuchten. 150 Minuten körperlicher Aktivität pro Woche verringerten die Sterblichkeit um rund 9 Prozent.

Eine große australische Kohortenstudie [5] fand heraus, dass Menschen, die nur geringfügig, also weniger als 150 Minuten pro Woche körperlich aktiv sind, ihr Sterberisiko im Vergleich zu inaktiven Menschen um rund 34 % senken können. Bei zunehmender Dauer der Aktivität wurde dieser Effekt noch verstärkt. Gleiches konnten die Forscher auch beobachten, wenn die Teilnehmer die Intensität der körperlichen Aktivität steigerten.H

[1] Moore 2012/Arem 2015
Studientyp: Gemeinsame Auswertung von sechs Kohortenstudien
Teilnehmer insgesamt: über 600.000
Fragestellung: Wieviele Lebensjahre nach dem 40. Geburtstag lassen sich durch körperliche Aktivität gewinnen? Wie verläuft die Dosis-Wirkungs-Beziehung?
Interessenskonflikte: Einer der Autoren ist wissenschaftlicher Berater für ein bewegungsbasiertes Gesundheitsprogramm, die anderen Autoren geben keine Interessenkonflikte an.
Moore SC, Patel AV, Matthews CE, et al. Leisure time physical activity of moderate to vigorous intensity and mortality: A large pooled cohort analysis. PLoS Med 9(11): e1001335.
Volltext

[2] Ekelund u.a. 2015
Studientyp: Kohortenstudie
Teilnehmer insgesamt: ca. 300.000
Fragestellung: Beeinflusst Übergewicht den Einfluss von körperlicher Bewegung auf die Gesamtsterblichkeit?
Interessenskonflikte: keine angegeben
Ekelund U, Ward HA, Norat T, Luan J, May AM, Weiderpass E, Sharp SJ, Overvad K, Østergaard JN, Tjønneland A, Johnsen NF, Mesrine S, Fournier A, Fagherazzi G, Trichopoulou A, Lagiou P, Trichopoulos D, Li K, Kaaks R, Ferrari P, Licaj I, Jenab M, Bergmann M, Boeing H, Palli D, Sieri S, Panico S, Tumino R, Vineis P, Peeters PH, Monnikhof E, Bueno-de-Mesquita HB, Quirós JR, Agudo A, Sánchez MJ, Huerta JM, Ardanaz E, Arriola L, Hedblad B, Wirfält E, Sund M, Johansson M, Key TJ, Travis RC, Khaw KT, Brage S, Wareham NJ, Riboli E. Physical activity and all-cause mortality across levels of overall and abdominal adiposity in European men and women: the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition Study (EPIC). Am J Clin Nutr. 2015 Mar;101(3):613-21.
Volltext

[3] Kelly u.a. 2014
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit/Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 21 Kohortenstudien
Teilnehmer insgesamt: ca. 280.000
Fragestellung: Wie stark beeinflussen Gehen und Fahrrad fahren die Gesamtsterblichkeit?
Interessenskonflikte: keine angegeben

Kelly P, Kahlmeier S, Götschi T, Orsini N, Richards J, Roberts N, Scarborough
P, Foster C. Systematic review and meta-analysis of reduction in all-cause mortality from walking and cycling and shape of dose response relationship. Int J, Behav Nutr Phys Act. 2014 Oct 24;11:132.

Volltext

[4] Willey u.a. 2015
Studientyp: Kohortenstudie
Teilnehmer insgesamt: ca. 3.300
Fragestellung: Wird der gesundheitliche Nutzen von körperlicher Aktivität durch Übergewicht gemindert?
Interessenskonflikte: keine angegeben

Willey JZ, Moon YP, Sherzai A, Cheung YK, Sacco RL, Elkind MS. Leisure-time
physical activity and mortality in a multiethnic prospective cohort study: the
Northern Manhattan Study. Ann Epidemiol. 2015 Jul;25(7):475-479.e2.

Zusammenfassung

[5] Willey u.a. 2015
Studientyp: Kohortenstudie
Teilnehmer insgesamt: rund 200.000 Teilnehmer in einer Region in Australien
Fragestellung: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Anteil von Bewegung mit hoher Intensität (bezogen auf alle Aktivitäten von mittlerer bis hoher Intensität) im Hinblick auf die Gesamtsterblichkeit?
Interessenskonflikte: keine angegeben

Gebel K, Ding D, Chey T, Stamatakis E, Brown WJ, Bauman AE. Effect of Moderate
to Vigorous Physical Activity on All-Cause Mortality in Middle-aged and Older
Australians. JAMA Intern Med. 2015 Jun;175(6):970-7.
Zusammenfassung

Weitere wissenschaftliche Quellen

[6]Fonds Gesundes Österreich, Broschüre „Österreichische Empfehlungen für gesundheitswirksame Bewegung“ (Stand März 2010) http://www.fgoe.org/presse-publikationen/downloads/wissen/bewegungsempfehlungen/2012-10-17.1163525626

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